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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 15.05.2007
Aktenzeichen: 19 W 21/07
Rechtsgebiete: GVG, ArbGG, ZPO, HGB


Vorschriften:

GVG § 17 a Abs. 2
GVG § 17 a Abs. 4 Satz 3
ArbGG § 5 Abs. 3
ArbGG § 5 Abs. 3 Satz 1
ArbGG § 5 a Abs. 3
ZPO § 91 Abs. 1
ZPO §§ 567 ff.
ZPO § 568 Satz 2 Nr. 1
HGB § 86 Abs. 1
HGB § 92 a
HGB § 92 a Abs. 1
HGB § 92 a Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Das Verfahren wird auf den Senat übertragen.

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Bonn vom 29.3.2007 (9 O 483/06) in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 13.4.2007 (9 O 483/06) abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten wird für zulässig erklärt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Beklagten auferlegt.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem beendeten Handelsvertreterverhältnis.

Die Klägerin vertreibt Kinderspielzeug. Die Beklagte war aufgrund mündlicher Absprachen zwischen 2002 und Mitte Juli 2006 als Handelsvertreterin für die Klägerin tätig. Im Jahre 2006 erhielt die Beklagte Provisionszahlungen in Höhe von 7.696,66 € abzüglich einbehaltener Terminierungskosten in Höhe von 1.766,97 €.

Mit der am 11.12.2006 eingegangenen Klage verlangt die Klägerin von der Beklagten die Bezahlung sog. Eigenbedarfsware in Höhe von 2.291,54 €, die Erstattung von Kosten für Terminsabsprachen in Höhe von 74,30 € sowie die Rückzahlung von zwei angeblich gewährten Darlehen über insgesamt 4.000,00 €. Die Beklagte verlangt im Wege der Widerklage von der Klägerin die Zahlung restlicher Provisionen in Höhe von 252,66 € sowie die Erstattung von Musterkosten in Höhe von 4.041,87 € und macht einen Handelsvertreterausgleichsanspruch in Höhe von 21.528,46 € geltend.

Das Landgericht hat durch Beschluss vom 29.3.2007 gemäß § 17 a Abs. 2 GVG den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Siegburg verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der erstinstanzlichen Schriftsätze und wegen der Begründung der angefochtenen Entscheidung auf Bl. 83 GA verwiesen.

Gegen den ihren Prozessbevollmächtigten am 4.4.2007 zugestellten Beschluss vom 29.3.2007 richtet sich die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 10.4.2007, per Telefax eingegangen am selben Tage, der das Landgericht nicht abgeholfen hat.

Die Klägerin hält den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für gegeben, da die Beklagte ihres Erachtens nicht unter die Regelung des § 5 Abs. 3 ArbGG falle. Hierzu behauptet die Klägerin, dass die Beklagte während der Dauer ihrer Zusammenarbeit nicht nur für sie, sondern auch für andere Unternehmen tätig gewesen sei, und ist der Ansicht, dass zur Ermittlung der durchschnittlichen Provision der letzten sechs Monate kein Abzug der Terminierungskosten vorzunehmen sei.

Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung und wiederholt, vertieft und ergänzt ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Beschwerdeverfahren wird auf die gewechselten Schriftsätze (Bl. 101 ff. GA) verwiesen.

II.

Das Verfahren war gemäß § 568 Satz 2 Nr. 1 ZPO auf den Senat zu übertragen, da die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher Art im Sinne dieser Vorschrift aufweist.

Die gemäß § 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG i.V.m. §§ 567 ff. ZPO statthafte, form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Klägerin ist auch in der Sache begründet. Zu Unrecht hat das Landgericht den Rechtsweg zu den Zivilgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Siegburg verwiesen. Zur Entscheidung über die mit Klage und Widerklage verfolgten Begehren sind die ordentlichen Gerichte berufen.

Die Beklagte war unstreitig als Handelsvertreterin für die Klägerin tätig, so dass sich eine Zuständigkeit der Arbeitsgerichte allenfalls aus § 5 Abs. 3 ArbGG als insoweit abschließender Sonderregelung (vgl. Senat, Beschluss vom 14.6.2000 - 19 W 12/00, in: OLGR 2000, 446 f.) ergeben könnte, worauf auch die Parteien allein abstellen. Die Beklagte fällt jedoch nicht unter diese Bestimmung.

Nach § 5 Abs. 3 Satz 1 ArbGG gelten Handelsvertreter als Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsgerichtsgesetzes, wenn sie zu dem Personenkreis gehören, für den nach § 92 a HGB die untere Grenze der vertraglichen Leistungen des Unternehmers festgesetzt werden kann, und wenn sie während der letzten sechs Monate des Vertragsverhältnisses im Durchschnitt monatlich nicht mehr als 1.000,00 € auf Grund des Vertragsverhältnisses an Vergütung einschließlich Provision und Ersatz für im regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstandene Aufwendungen bezogen haben.

Beide Voraussetzungen sind im Fall der Beklagten nicht erfüllt:

1. Nach dem für die Beurteilung der Zulässigkeit des Rechtswegs maßgeblichen Vortrag der Klägerin war die Beklagte nicht als Einfirmenvertreter i.S.d. § 92 a Abs. 1 Satz 1 HGB tätig.

§ 92 a Abs. 1 HGB erfasst Handelsvertreter, die vertraglich nicht für weitere Unternehmer tätig werden dürfen ("Einfirmenvertreter kraft Vertrags") oder denen dies nach Art und Umfang der von ihnen verlangten Tätigkeit nicht möglich ist ("Einfirmenvertreter kraft Weisung").

Die für die Frage der Zulässigkeit des Rechtswegs entscheidenden Voraussetzungen des § 92 a HGB richten sich nach dem nur in rechtlicher Hinsicht zu überprüfenden Sachvortrag der Klägerin und den weiteren unstreitigen Tatsachen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30.5.2006 - 7 W 29/06, in: OLGR 2006, 803 f.; OLG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 17.5.1999 - 16 W 20/99, in: OLGR 1999, 269), ohne dass es einer Beweisaufnahme bedarf (vgl. BGH, Urteil vom 9.12.1963 - VII ZR 113/62, in: NJW 1964, 497, 498; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 1.6.2005 - 16 W 24/05, in: OLGR 2005, 540 ff.), da nicht die Einwendungen der Beklagten, sondern der Klägervortrag den Streitgegenstand bestimmen (vgl. Senat, Beschluss vom 29.9.2006 - 19 W 55/06; Zöller/Gummer, Zivilprozessordnung, 26. Auflage 2007, § 13 GVG Rn 11 m.w.N.).

Jedenfalls nach dem insoweit maßgeblichen Klägervortrag ist nicht davon auszugehen, dass die Parteien, die keine schriftlichen Vereinbarungen über ihre Zusammenarbeit getroffen hatten, über das gemäß § 86 Abs. 1 HGB ohnehin bestehende Verbot einer Tätigkeit der Beklagten für unmittelbare Konkurrenten der Klägerin hinaus vereinbart hätten, dass die Beklagte nicht für andere Unternehmer tätig werden durfte. Die Beklagte hat dies zwar mit Schriftsatz vom 7.2.2007 behauptet, indem sie vorgetragen hat, dass die Klägerin ihren Handelsvertretern unter Androhung fristloser Kündigung untersagt hätte, für andere Unternehmen tätig zu werden, und dass seitens des Vertriebsleiters der Klägerin von einer fristlosen Kündigung gegenüber einer anderen Handelsvertreterin berichtet worden sei, weil sie neben der Tätigkeit für die Klägerin auch Telefonverträge vermittelt habe (Bl. 16 GA). Diesem Vorbringen ist die Klägerin jedoch im Schriftsatz vom 22.2.2007 mit der Behauptung entgegen getreten, dass weder ein umfassendes Wettbewerbsverbot noch eine fristlose Kündigung wegen der Vermittlung von Telefonverträgen ausgesprochen worden sei (Bl. 48 GA). Dieser durch einen zulässigen Beweisantrag unter Beweis gestellte Klägervortrag ist auch hinreichend substantiiert, da die Klägerin auf das gegenteilige Vorbringen der Beklagten nicht konkreter erwidern konnte oder musste.

Ferner kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte neben ihrer Tätigkeit für die Klägerin nicht in der Lage gewesen wäre, für weitere Unternehmer tätig zu werden. Ob die Beklagte dies - wie die Klägerin erstinstanzlich behauptet (Bl. 48 GA) und die Beklagte bestritten hat (Bl. 62 GA) - tatsächlich getan hat, ist unerheblich, da es allein auf die Möglichkeit einer solchen anderweitigen Tätigkeit ankommt. Jedenfalls ergeben sich selbst aus dem Vorbringen der Beklagten keine Anhaltspunkte dafür, dass sie hierzu aufgrund der zeitlichen Beanspruchung durch die Handelsvertretertätigkeit für die Klägerin nicht in der Lage gewesen wäre. Vielmehr spricht angesichts des von der Beklagten verdienten Provisionsvolumens, das mit ihrer für die Klägerin erbrachten Arbeitsleistung korrespondieren dürfte, nichts dafür, dass der Beklagten Tätigkeiten bei weiteren Unternehmen wegen der Art und des Umfangs ihrer Leistungen für die Klägerin nicht mehr möglich waren.

2. Die von der Beklagten in den letzten sechs Monaten des Vertragsverhältnisses bezogene Vergütung liegt auch nicht unter der Verdienstgrenze des § 5 Abs. 3 Satz 1 ArbGG.

Für die Bestimmung der Zuständigkeit der Arbeitsgerichte kommt es nach der vom Senat in ständiger Rechtsprechung (z.B. Beschluss vom 23.12.2005 - 19 W 54/05; Beschluss vom 12.7.2006 - 19 W 29/06) geteilten herrschenden Ansicht auf alle unbedingt entstandenen Ansprüche aus dem Vertragsverhältnis an (vgl. BGH, Urteil vom 9.12.1963 - VII ZR 113/62, in: NJW 1964, 497, 498), nicht aber auf die tatsächlich erfolgten Zahlungen (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 30.12.2004 - 17 W 74/04; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 1.6.2005 - 16 W 24/05, in: OLGR 2005, 540 ff.; Beschluss vom 11.4.2000 - 16 W 15/00, in: OLGR 2000, 254; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30.5.2006 - 7 W 29/06, in: OLGR 2006, 803 f.; Beschluss vom 12.5.2006 - 1 W 18/06, in: VersR 2007, 207 ff.; Röhricht/von Westphalen/Küstner, Handelsgesetzbuch, 2. Auflage 2001, § 92 a HGB Rn 6; Baumbach/Hopt, Handelsgesetzbuch, 32. Auflage 2006, § 84 HGB Rn 46 m.w.N.; Ebenroth/Boujong/Joost, Handelsgesetzbuch, 1. Auflage 2001, § 92 a HGB Rn 6 m.w.N.). Entscheidend ist daher, was der Handelsvertreter an Vergütung zu beanspruchen hatte. Der Senat folgt nicht der Gegenansicht, die auf die Höhe der tatsächlich erhaltenen Zahlungen abstellt (vgl. OLG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 17.5.1999 - 16 W 20/99, in: OLGR 1999, 269; LAG Hessen, Beschluss vom 12.4.1995 - 7 Ta 127/95, in: NZA 1995, 1070, 1072; Koch, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 7. Auflage 2006, § 5 ArbGG Rn 12; Müller-Glöge, in: Germelmann, Arbeitsgerichtsgesetz, 5. Auflage 2004, § 5 ArbGG Rn 26). Anderenfalls könnten der Status des Handelsvertreters und die zuständige Gerichtsbarkeit durch Unter- oder Überzahlung willkürlich geändert werden (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30.5.2006 - 7 W 29/06, in: OLGR 2006, 803 f.).

Unstreitig standen der Beklagten im Jahre 2006 gegen die Klägerin Provisionsansprüche in Höhe von 7.696,66 € zu. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass die für einen Tätigkeitszeitraum von insgesamt 6 1/2 Monaten entstandenen Provisionsansprüche einem Durchschnitt während der letzten sechs Monate des Vertragsverhältnisses (Mitte Januar bis Mitte Juli 2006) von monatlich 1.184,10 € (7.696,66 € : 6,5) entsprechen und damit über der Verdienstgrenze des § 5 a Abs. 3 ArbGG liegen.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts sind bei der Bemessung der durchschnittlichen Vergütungshöhe die im Jahre 2006 von der Klägerin in Abzug gebrachten Terminierungskosten in Höhe von insgesamt 1.766,97 € nicht (anteilig) verdienstmindernd zu berücksichtigen.

Maßgeblich für die Beurteilung der Verdienstgrenze sind allein die unbedingt entstandenen Provisionsansprüche des Handelsvertreters (vgl. Senat, Beschluss vom 23.12.2005 - 19 W 54/05). Hingegen kommt es nicht darauf an, was dem Handelsvertreter nach Abzug seiner Kosten und Aufwendungen als Gewinn verbleibt (vgl. Ebenroth/Boujong/Joost, a.a.O., § 92 a HGB Rn 6), sondern entscheidend sind die Brutto-Ansprüche und Brutto-Bezüge (vgl. Röhrig/von Westphalen/Küstner, a.a.O., § 92 a HGB Rn 6), so dass die durchschnittlichen Provisionsansprüche des Handelsvertreters nicht um die ihm entstandenen Kosten und Aufwendungen zu kürzen sind (vgl. Senat, Beschluss vom 12.7.2006 - 19 W 29/06; Beschluss vom 23.12.2005 - 19 W 54/05; OLG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 3.5.2005 - 16 W 119/04). Dementsprechend führt auch eine Aufrechnung mit Gegenansprüchen des Unternehmers auf Erstattung von Aufwendungen nicht zu einer Reduzierung des Provisionsanspruchs, sondern bringt aufgrund der Erfüllungswirkung (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30.5.2006 - 7 W 29/06, in: OLGR 2006, 803 f.; OLG Hamburg, Beschluss vom 8.3.2000 - 13 AR 41/99) diesen lediglich in Höhe der vom Handelsvertreter vereinbarungsgemäß zu tragenden Aufwendungen zum Erlöschen (vgl. Senat, Beschluss vom 23.12.2005 - 19 W 54/05). Allenfalls Ausgaben, zu denen der Handelsvertreter aufgrund des Handelsvertretervertrags selbst verpflichtet ist, können verdienstmindernd berücksichtigt werden (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12.5.2006 - 1 W 18/06, in: VersR 2007, 207 ff.).

Danach führen die von der Klägerin in Rechnung gestellten und von den Provisionsansprüchen der Beklagten in Abzug gebrachten Terminierungskosten, zu deren Erstattung sich die Beklagte in einer besonderen Vereinbarung (Bl. 4 GA) verpflichtet hatte, nicht zu einer Reduzierung der gemäß § 5 Abs. 3 ArbGG maßgeblichen Vergütung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Beschwerdewert: 10.729,61 € = 1/3 des Hauptsachestreitwerts von 32.188,83 € (vgl. BGH, Beschluss vom 19.12.1996 - III ZB 105/96, in: NJW 1998, 909, 910 m.w.N.)

Ende der Entscheidung

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