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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 10.12.2003
Aktenzeichen: 2 U 135/03
Rechtsgebiete: ZPO, AnfG, InsO


Vorschriften:

ZPO § 286
ZPO § 522 Abs. 2
ZPO § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
ZPO § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3
ZPO § 522 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 529
ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 1
AnfG § 2
AnfG § 3 a.F.
AnfG § 3 Abs. 1
AnfG § 3 Abs. 2
AnfG § 3 Abs. 2 Satz 2
AnfG § 11
AnfG § 11 Abs. 1
InsO § 133
InsO § 133 Abs. 1
InsO § 142
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

2 U 135/03

Köln, den 10. Dezember 2003

In Sachen

Tenor:

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das am 21. Juli 2003 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 8 O 564/02 - durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Die Beklagte erhält Gelegenheit, hierzu bis zum 9. Januar 2004 Stellung zu nehmen.

2. Der Antrag der Beklagten vom 27. November 2003 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Durchführung des Berufungsverfahrens wird zurückgewiesen.

Gründe:

1. Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Das Landgericht hat der Anfechtungsklage des Klägers im Zusammenhang mit der streitgegenständlichen Veräußerung des Pkw Renault Twingo und des näher bezeichneten Anhängers durch den Zeugen D. an die Beklagte durch die Kaufverträge vom jeweils 2. Dezember 2000 zu Recht stattgegeben. Das Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung, noch rechtfertigen die nach § 529 zugrundezulegenden Tatsachen eine andere Entscheidung (vgl. § 513 Abs. 1 ZPO).

a) Der Klageanspruch ist gemäß § 11 Abs. 1 in Verbindung mit § 3 Abs. 2 AnfG begründet. Insoweit steht zunächst außer Streit, dass der Kläger grundsätzlich anfechtungsberechtigt im Sinne des § 2 des AnfG ist (vollstreckbarer Schuldtitel und keine vollständige Befriedigung). Entgegen der Auffassung der Beklagten hat das Landgericht aber auch die Voraussetzungen des Anfechtungsgrundes gemäß § 3 Abs. 2 AnfG zutreffend bejaht.

aa) Ein Rechtsfehler (§§ 513 Abs. 1, 1. Alternative, 546 ZPO) bei der Definition des Begriffs der von § 3 Abs. 2 AnfG geforderten unmittelbaren Gläubigerbenachteiligung ist dem Landgericht nicht unterlaufen. Im rechtlichen Ausgangspunkt ist es vielmehr zutreffend davon ausgegangen, dass eine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung im Sinne dieser Vorschrift bei einem sogenannten Bargeschäft nicht gegeben ist. Hierunter versteht man solche Geschäfte, bei denen für die von dem Schuldner erbrachte Leistung unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen gelangt ist (vgl. die Definition in § 142 InsO). Diese Auslegung des § 3 Abs. 2 AnfG wird von dem Landgericht nicht in Abrede gestellt. Es ist lediglich in tatsächlicher Hinsicht davon ausgegangen, dass der Zeuge D. den in den Kaufverträgen vom jeweils 2. Dezember 2000 aufgeführten Kaufpreis in Höhe von insgesamt 10.400,-- DM nicht erhalten habe und aus diesem Grunde ein Bargeschäft ausscheide. Gegen die in diesem Zusammenhang von dem Landgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung.

bb) Diese tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts sind indes nicht zu beanstanden. Ebensowenig rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrundezulegende Tatsachen (vgl. § 513 Abs. 1, 2. Alternative ZPO) eine andere Entscheidung. Gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber klar zum Ausdruck gebracht, dass die Berufung nach neuem Recht nicht mehr eine vollständige zweite Tatsacheninstanz ist, sondern nur noch unter besonderen Voraussetzungen eine erneute Tatsachenfeststellung möglich ist. Vorliegend vermag der Senat durchgreifende Zweifel an der Richtigkeit der Feststellung des Landgerichts, dass der in den Kaufverträgen erwähnte Kaufpreis von der Beklagten nicht gezahlt worden ist, nicht zu erkennen. Das Berufungsvorbringen zeigt derartige Zweifel nicht auf. Erst recht fehlt es an einer Rechtsverletzung im Rahmen der Tatsachenfeststellung. Insbesondere hat das Landgericht nicht gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung gemäß § 286 ZPO verstoßen.

(1) Es ist zunächst nicht zu beanstanden, dass das Landgericht den von der Beklagten vorgelegten Unterlagen nur eine geringe Aussagekraft beigemessen hat. Sowohl bei dem "Abschreibungsverzeichnis zum 31.12.2000" (vgl. Bl. 22 d.A.) als auch bei dem "vorläufigen Kassenbericht vom 01.12.2000 bis 31.12.2000" (vgl. Bl. 42 d.A.) handelt es sich um Unterlagen, die die Beklagte selbst erstellt hat. Diesen Unterlagen kommt deshalb im Kern keine höhere Aussagekraft zu als dem eigenen Prozessvortrag der Beklagten. Aus diesem Grunde kann auch zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass unter Berücksichtigung der Eintragungen unter den Rubriken "Vortrag/Übertrag" und "Endbestand/Übertrag" in dem vorläufigen Kassenbericht das Bedenken des Landgerichts, die Beklagte wolle mehr Bargeld ausgegeben haben, als sie tatsächlich in der Kasse gehabt habe, nicht gerechtfertigt ist. Ein höherer Beweiswert kommt dem von der Beklagten selbst erstellten Kassenbericht auch dann nicht zu.

(2) Entscheidende Bedeutung könnte zwar den Bekundungen des Zeugen D. zukommen, der den Vortrag der Beklagten bestätigt hat. Das Landgericht hat aber den Bekundungen des Zeugen keinen Glauben geschenkt und dies überzeugend begründet. Der Senat hat keinen Zweifel an der Richtigkeit der Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils.

Das Landgericht hat gegen die Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Zeugen bzw. dessen Glaubwürdigkeit nachvollziehbar den Umstand angeführt, daß der Zeuge mit Hilfe der Beklagten den in die Insolvenz geratenen Textilbetrieb unter neuer Firma weiter geführt hat und lediglich formell Angestellter der Beklagten war. Dies hat das Landgericht entgegen der Rüge der Beklagten in der Berufungsbegründung nicht allein aus der von dem Zeugen verwendeten Formulierung "wir" geschlossen. Vielmehr verweist das Landgericht darauf, dass dies "in seiner Aussage deutlich geworden sei". Hiernach beruht die Schlussfolgerung auf dem von dem Landgericht in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Gesamteindruck von dem Zeugen und dessen Aussageverhalten. Die Verwendung des Begriffes "wir" bei der Schilderung der geschäftlichen Aktivitäten wird hierfür lediglich als "bezeichnend" angesehen. Dieser Anhaltspunkt macht die Schlussfolgerung des Landgerichts allerdings für den Senat plausibel, so dass unter diesen Gesichtspunkt eine erneute Vernehmung des Zeugen nicht geboten ist.

Nachvollziehbar sind auch die Ausführungen des Landgerichts, dass nicht plausibel erklärt worden sei, warum für den Geschäftsbetrieb der Beklagten neben dem bereits geleasten Voyager, also einem gerichtsbekannt großen Fahrzeug mit viel Ladevolumen, zusätzlich noch der Privatwagen Twingo benötigt worden wäre. Demgegenüber verweist die Beklagte lediglich auf die Erklärung des Zeugen, sie sei mit dem Voyager alleine nicht ausgekommen. Er - der Zeuge - habe vielmehr der Beklagten den Twingo immer wieder für Geschäftsfahrten zur Verfügung stellen müssen. Allein diese Erklärung ist indes nicht geeignet, die berechtigten Zweifel des Landgerichts auszuräumen. Vielmehr bleibt nach wie vor unklar, warum es vor dem Abschluss des Kaufvertrages trotz der großen Ladefläche des Voyager überhaupt notwendig gewesen sein sollte, für das Geschäft auch den Twingo zur Verfügung zu stellen.

Schließlich spricht - wie das Landgericht überzeugend dargelegt hat - auch das von dem Zeugen geschilderte Verhalten nach der Entgegennahme des angeblich erhaltenen Geldes in Höhe von 10.400,-- DM gegen die Richtigkeit seiner Bekundungen. Hätte der Zeuge einen mit dem Kaufpreis der Höhe nach identischen Betrag im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Abschluss der Kaufverträge auf sein Konto eingezahlt, wäre diese allerdings ein starkes Indiz dafür, dass der Kaufpreis tatsächlich geflossen wäre. Auf ein solches Indiz vermögen sich indessen der Zeuge und die Beklagte nicht zu stützen. Es hat zwar unstreitig Bareinzahlungen auf das Konto des Zeugen gegeben. Diese erfolgten jedoch erst deutlich später (29.12.2000 sowie 29.01.2001) und darüber hinaus im unterschiedlichen Teilbeträgen in Höhe von 8.000,-- sowie 1.600,-- DM. Dass es sich bei diesen Einzahlungen um Teilbeträge des Kaufpreises gehandelt hätte, lässt sich alleine aus der Einzahlung nicht ersehen, liegt vielmehr fern.

cc) Da es sich mithin bei den Kaufverträgen um vom Schuldner mit einer nahestehenden Person (§ 138 InsO) geschlossene entgeltliche Verträge handelte, durch welche die Gläubiger des Schuldners - des Zeugen D. - mangels eines Bargeschäftes unmittelbar benachteiligt wurden, würde die Anfechtung nur unter den Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Satz 2 AnfG ausscheiden. Dessen Voraussetzungen hat jedoch die insoweit darlegungs- und beweispflichtige Beklagte nicht dargetan.

b) Da die Klageforderung bereits gemäß § 11 in Verbindung mit § 3 Abs. 2 AnfG begründet ist, kann im Ergebnis offen bleiben, ob die Anfechtung auch auf § 3 Abs. 1 AnfG gestützt werden kann. Hierauf hat das Landgericht seine Entscheidungen ergänzend gegründet.

c) Soweit der Kläger darüber hinaus in seiner Berufungserwiderung unter Hinweis auf die §§ 142 und 133 InsO die Ansicht vertritt, eine Anfechtbarkeit ergebe sich auch dann, wenn man dem Vorbringen der Beklagten folge, d.h., wenn ein Bargeschäft vorliegt, gibt dies Anlass zu folgenden klarstellenden Bemerkungen:

Vorliegend steht nicht eine Anfechtung nach der Insolvenzordnung, sondern eine solche nach dem Anfechtungsgesetz in Rede. Während nach der ausdrücklichen Regelung in § 142 InsO ein Bargeschäft eine Anfechtung wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung gemäß § 133 Abs. 1 InsO nicht ausschließt, fehlt es an einer entsprechenden Vorschrift in dem Anfechtungsgesetz. Vor diesem Hintergrund wird in der Literatur die Auffassung vertreten, bei einem Bargeschäft scheide ein Anfechtung nach dem Anfechtungsgesetz insgesamt aus (vgl. Paulus in Kübler/Prütting, InsO, Band II Stand: September 2003, Anh I, § 3 AnfG, Rn. 3; Nerlich/Niehus, AnfG, 2000, § 3 Rn. 8 auch mit Nachweisen der Gegenauffassung). Näher liegt es jedoch nach Auffassung des Senats, bei einem Bargeschäft auch nach dem Anfechtungsgesetz eine Anfechtung bei Vorliegen der Voraussetzungen einer vorsätzlichen Gläubigerbenachteiligung gemäß § 3 Abs. 1 AnfG zuzulassen. Auch wenn bei einem Bargeschäft eine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung von vorneherein ausscheidet, kann es hierbei zu einer mittelbaren Gläubigerbenachteiligung kommen, die sowohl für eine Anfechtung gemäß § 133 Abs. 1 InsO als auch für eine Anfechtung gemäß § 3 Abs. 1 AnfG nach allgemeiner Meinung genügt (vgl. nur Nerlich/Niehus, AnfG, 2000, § 3 Rn. 10). So hat auch der Bundesgerichtshof zu § 3 AnfG a.F. eine Veräußerung zu einem angemessenen Preis wegen mittelbarer Gläubigerbenachteilung nach dem Anfechtungsgesetz als anfechtbar angesehen, wenn der Erlös nicht mehr für die Gläubigerbefriedigung zur Verfügung steht (vgl. BGH NJW-RR 1988, 827 [828]). Dass der Gesetzgeber durch die Einfügung der in erster Linie der Klarstellung dienenden Vorschrift des § 142 InsO und durch das Unterbleiben der Einfügung einer entsprechenden Vorschrift in das Anfechtungsgesetz Bargeschäfte generell - trotz des Vorliegens der Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AnfG - von einer Anfechtung nach dem Anfechtungsgesetz ausschließen wollte, ist nicht ersichtlich.

Auch wenn hiernach § 3 Abs. 1 AnfG trotz Vorliegens eines Bargeschäfts anwendbar wäre, kann der für eine Anfechtung nach dieser Vorschrift erforderliche Benachteiligungsvorsatz des Schuldners und die Kenntnis des Anfechtungsgegners hiervon aber nicht bereits daraus hergeleitet werden, dass beiden die drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners bekannt gewesen ist und die von dem Schuldner weggegebene Leistung - hier: das Eigentum an dem PKW und dem Anhänger - den Gläubigern nicht mehr zur Verfügung steht. Vielmehr kommt es darauf an, ob der Schuldner die erlangte Gegenleistung den Gläubigern entziehen wollte und dies dem Anfechtungsgegner bekannt gewesen ist (vgl. auch BGH, WM 1993, 1653 [1654]). Wenn hiernach der Zeuge D. den Kaufpreis tatsächlich erhalten und beabsichtigt hätte, den Kaufpreis ganz oder teilweise zur Befriedigung seiner Gläubiger zu verwenden, würde eine Anfechtung gegenüber der Beklagten wegen der Übereignung des PKWs und des Anhängers in entsprechendem Maße ausscheiden. Eine ganz andere Frage wäre dann, ob die Verwendung der Gegenleistung durch den Schuldner ihrerseits anfechtbar wäre.

2. Die Annahme der Berufung ist auch nicht trotz fehlender Erfolgsaussicht aus den Gründen des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO veranlasst. Der vorliegende Rechtsstreit hat keine grundsätzliche Bedeutung, und eine Entscheidung des Senats ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten. Die Beurteilung des Streitfalls beruht nur auf einer Würdigung des Vorbringen zu den konkreten Umständen des vorliegenden Einzelfalls. Bei den Ausführungen unter 1.c) handelt es sich um lediglich ergänzende Bemerkungen, die für die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung der Beklagten nicht entscheidungserheblich sind.

3. Gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO gibt der Senat der Beklagten unter Hinweis auf die beabsichtigte Zurückweisung und die hierfür maßgeblichen Gründe Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb der in der Beschlussformel bezeichneten Frist.

4. Der Beklagten und Berufungsklägerin wird die mit Schriftsatz vom 27. November 2003 nachgesuchte Prozesskostenhilfe zur Durchführung des Berufungsverfahrens versagt, weil ihre Berufung unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 ZPO) bietet.

Ende der Entscheidung

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