Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 01.06.2006
Aktenzeichen: 2 U 50/06
Rechtsgebiete: InsO


Vorschriften:

InsO § 92
Zur Abgrenzung von Gesamtschaden und Individualschaden, wenn ein Mitarbeiter der Insolvenzschuldnerin eine Vielzahl von Gläubigern der Schuldnerin betrügerisch schädigt.
Tenor:

Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Beklagten zu 3) vom 13. April 2006 gegen das am 21. März 2006 verkündete Urteil des Einzelrichters der 27. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 27 O 258/05 - durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Der Beklagte zu 3) erhält Gelegenheit, hierzu bis zum 19. Juni 2006 Stellung zu nehmen.

Gründe:

1.

Die zulässige Berufung des Beklagten zu 3) hat keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Das Vorbringen in der Berufung vermag keine von dem landgerichtlichen Urteil abweichende Entscheidung zu rechtfertigen. Entscheidungserhebliche Rechtsfehler im Sinne der § 513 Abs. 1 1. Alt. ZPO in Verbindung mit §§ 546, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO werden von der Berufung nicht dargetan. Auch der Senat vermag keine Rechtsfehler zu Lasten des Beklagten zu 3) zu erkennen.

a)

Ohne Erfolg rügt die Berufung, der Einzelrichter habe fehlerhaft die Prozessführungsbefugnis des Klägers bejaht. Der Klageerhebung steht § 92 InsO nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift erhält der Insolvenzverwalter die Befugnis, Ansprüche der Insolvenzgläubiger gegen einen Dritten auf Ersatz eines Schadens während der Dauer des Insolvenzverfahrens einzuziehen. Dass diese Ansprüche gemeinsam vom Insolvenzverwalter zur Masse gezogen werden, ist dann gerechtfertigt, wenn es sich um einen Gesamtschaden handelt, also um einen solchen, den die Gläubiger gemeinschaftlich erlitten haben. Das schädigende Verhalten muss zu einer Verminderung der Aktivmasse, also des Schuldnervermögens, oder zu einer Erhöhung der Passivmasse, also der Schulden des Insolvenzschuldners vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens geführt und damit bewirkt haben, dass die Gläubiger eine geringere Quote erhalten (vgl. nur BGHZ 143, 246 [251]; BGH, NZI 2003, 434 [435]; Bork, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Auflage 2000, S. 1333 Rn. 1 ff.). Insoweit müssen nicht alle Gläubiger geschädigt sein. Es reicht vielmehr aus, dass nur ein Teil betroffen ist. In diesem Falle muss für diese Gläubiger eine Sondermasse gebildet werden, aus der ausschließlich die geschädigten Gläubiger zu befriedigen sind (Bork, aaO, S. 1337 Rn. 10; Kübler/Prütting/Lüke, InsO, Stand März 2006, § 92 Rn. 24; Uhlenbruck/Hirte, InsO, 12. Auflage 2003, § 92 Rn. 16).

Die Regelung in § 92 InsO dient der Durchsetzung der gleichmäßigen Befriedigung aller Insolvenzgläubiger. Der Insolvenzverwalter macht die Schadensersatzansprüche unter Ausschluss der Gläubiger geltend, indem er Wiederauffüllung der Masse verlangt, damit er nach Erfüllung dieses Anspruchs die Quote ausschütten kann, die ohne das schädigende Ereignis zur Verfügung gestanden hätte. Zudem soll verhindert werden, dass einzelne Gläubiger sich zum Nachteil der anderen durch einen gesonderten Zugriff Vorteile verschaffen (BGH, NZI 2003, 434 [436]; Nerlich/Römermann/Wittkowski, InsO, Stand Sept. 2005, § 92 Rn. 3).

Nicht von dieser Vorschrift erfasst werden indes diejenigen Nachteile, die der einzelne Insolvenzgläubiger durch das Verhalten des Dritten erlitten hat (BGH, NZI 2003, 434 [436]). Diese Individualschäden kann und muss nach der gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung (BGHZ 126, 181 [201] = NJW 1994, 2200; BGHZ 138, 211 = NJW 1998, 2667 = NZI 1998, 38; vgl. auch OLG Karlsruhe, NZI 2002, 630) und der nahezu einhelligen Auffassung in der Literatur (vgl. z.B. Braun/Kroth, InsO, 2. Auflage 2004, § 92 Rn. 8; HK/Eickmann, InsO, 4. Auflage 2006, § 92 Rn. 5; Kübler/Prütting/Lüke, aaO, § 92 Rn. 49; MünchKomm/Brandes, InsO, 2001, § 92 Rn. 36; Schmidt/Pohlmann, InsO, 2006 § 92 Rn. 49; Uhlenbruck/Hirte, InsO, 12. Auflage 2003, § 92 Rn. 9 ff.) der Gläubiger auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin gegenüber dem Dritten weiterhin selbst geltend machen.

Zu den individuell geltend zu machenden Schäden können auch die Ansprüche des Insolvenzgläubigers wegen verspäteter Insolvenzantragstellung gehören. Insoweit unterscheidet die Rechtsprechung zwischen den Altgläubigern, dies sind diejenigen Gläubiger, die bereits bei Eintritt der Insolvenzantragspflicht einen Anspruch gegen den Schuldner hatten, und den Neugläubigern, nämlich denjenigen, die erst nach Eintritt der Insolvenzantragspflicht durch Vertragsschluss einen Anspruch erworben haben.

Die Altgläubiger können ausschließlich den Quotenschaden ersetzt verlangen, wenn und soweit die auf ihre Forderungen entfallende Insolvenzquote durch zwischenzeitliche Masseschmälerungen geringer ausfällt, als sie bei rechtzeitiger Antragstellung ausgefallen wäre (vgl. BGHZ 126, 181 [191] = NJW 1994, 2220 [2222]). Dieser Schaden ist ein typischer Anwendungsfall des § 92 InsO und kann daher ausschließlich von dem Insolvenzverwalter verfolgt werden (vgl. nur Schmidt/Pohlmann, aaO, § 92 Rn. 45). Dagegen können die Neugläubiger nach der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGHZ 126, 181 [190 ff.] = NJW 1994, 2220 [2222]; BGH, NJW 1995, 398 [399]) und der herrschenden Meinung im Schrifttum (vgl. die Nachweise bei Schmidt/Pohlmann, aaO, § 92 Rn. 46) nicht nur ihren Quotenschaden ersetzt verlangen, sondern darüber hinaus auch den Kontrahierungsschaden geltend machen, das heißt, sie können sich darauf berufen, dass sie sich auf ein Rechtsgeschäft mit dem Schuldner gar nicht mehr eingelassen hätten, wenn der Insolvenzantrag rechtzeitig gestellt worden wäre. Ein solcher Neugläubiger ist damit so zu stellen, wie er ohne den Vertragsabschluss stünde (BGH, NJW 1995, 398 [399]).

b)

Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen hat der Kläger als Neugläubiger einen Individualschaden erlitten. Er beruft sich auf eine verspätete Insolvenzantragstellung und seine damit verbundenen Stellung als Neugläubiger, indem er geltend macht, bei rechtzeitiger Antragstellung hätte er mit der Schuldnerin die hier streitbefangenen Verträge vom 15. Juli 2004 und 30. Juli 2004 nicht abgeschlossen, und es wäre nicht zu der Investition der 30.000,00 € gekommen. Grundlage einer entsprechenden Schadensersatzforderung des Klägers kann sowohl § 826 BGB als auch § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 283 StGB bzw. § 283d StGB sein. Letztere Vorschrift stellt nicht nur eine Schutznorm dar, sondern erweitert den Täterkreis im Komplex der Insolvenzstraftaten (vgl. Fritsche, DZWIR 2003, 345).

Dass auf jeden Fall zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt die Insolvenzreife der Gesellschaft vorlag, wird auch von der Berufung nicht in Frage gestellt. Sie geht davon aus, dass die Gesellschaft bereits zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt nicht in der Lage war, die "gegen sie gerichtete Ansprüche aus dem Gesellschaftsvermögen zu befriedigen".

Entgegen der Berufung liegt die Schädigung nicht in einer Verkürzung der Masse. Maßgeblich ist damit nicht der Umstand, dass der Beklagte zu 3) im Zusammenwirken mit den übrigen verantwortlich handelnden Personen, die hinter der N AG standen, die Durchsetzbarkeit der Forderungen gegen die Gesellschaft dadurch gefährdet haben, dass diese von vornherein eine betrügerische Entziehung der Haftungsmasse geplant haben. Ob und in welchem Umfange auch andere Gläubiger einen entsprechenden Individualschaden gegen den Beklagten zu 3) geltend machen können, ist für die Beurteilung des vorliegenden Rechtsstreits ohne Bedeutung. Tatbestandlicher Anknüpfungspunkt für das Vorliegen eines Gesamt- oder Individualschadens im Sinne der vorstehend aufgezeigten Rechtsprechung ist zudem nicht die Anzahl der Ansprüche gegen die Insolvenzschuldnerin. Das Bestehen mehrerer oder sogar vieler Individualschäden führt nicht dazu, dass nunmehr von einem Gesamtschaden im Sinne der vorstehenden Rechtsprechung auszugehen ist. Es gibt keine Gesamtschäden der Neugläubiger in Bezug auf den Vorwurf der Insolvenzverschleppung. Die Neugläubiger erleiden ihren Schaden nicht gemeinschaftlich durch eine Verminderung des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens (OLG Karlsruhe, NZI 2002, 630). Das schadensbegründende Verhalten ist vielmehr jeweils der einzelne Vertragsschluss. Dieses Verhalten schädigt nur den jeweiligen Vertragspartner der Insolvenzschuldnerin, nicht alle Neugläubiger gemeinschaftlich durch eine Reduzierung der Masse. Der Schaden kann auch nicht durch Auffüllen der Masse und Verteilung über die Quote ersetzt werden, was zugleich bedeutet, dass der Insolvenzverwalter den Anspruch gar nicht allein berechnen kann (vgl. Bork, aaO, S. 1343 Rn. 21).

Daraus folgt, dass der Kläger auch nicht auf den Abschluss des Insolvenzverfahrens warten muss, bevor er seinen Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses geltend machen kann. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens entfaltet keine Sperrwirkung für diese Ansprüche (Bork, aaO, S. 1344 Rn. 22). Vielmehr kann der Kläger - wie hier geschehen - von dem Ersatzpflichtigen den vollen Schaden unter Einbeziehung einer möglichen Quote allerdings Zug um Zug gegen Abtretung seiner Ansprüche gegen die Masse ersetzt verlangen (vgl. allgemein Kübler/Prütting/Lüke, aaO, § 92 Rn. 50; Schmidt/Pohlmann, aaO, § 92 Rn. 51; Uhlenbruck/Hirte, aaO, § 92 Rn. 14).

c)

Ohne Bedeutung ist der Einwand der Berufung, die 7. große Strafkammer des Landgerichts "habe deutlich gemacht, dass vieles dafür spreche, dass es sich bei der Fallgestaltung, um einen sog. Gesamtschaden handelt, zu dessen Geltendmachung gem. § 92 InsO nur der Insolvenzverwalter befugt sei." Dem Senat sind weder zu dem Strafverfahren noch zu dem Adhäsionsverfahren nähere Einzelheiten bekannt. Daher kann der Senat nicht beurteilen, auf Grund welcher Feststellungen die Strafkammer letztlich zu diesem Ergebnis gelangt ist. Ausweislich des vorgelegten Protokolls der Sitzung der Strafkammer vom 17. August 2005 betraf die von der Strafkammer vorgenommene Wertung nicht alle Gläubiger der Schuldnerin, sondern bezog sich ausschließlich auf den dortigen Adhäsionskläger, der sein Schadensersatzbegehren auf Überweisungen im April und Mai 2003 stützte. Zudem hat die Strafkammer die für den vorliegenden Rechtsstreit maßgebliche Rechtsfrage gerade offen gelassen. So heißt in dem Protokoll (Bl. 316 d.GA.):

"Denn es stellt sich wegen der Regelung in § 92 InsO die Frage, ob der Adhäsionskläger zur Geltendmachung des von ihm erhobenen Schadensersatzanspruches vorliegend überhaupt die erforderliche Prozessführungsbefugnis besitzt. Insoweit handelt es sich um eine schwierige insolvenzrechtliche Rechtsfrage, bezüglich derer keine gefestigte Rechtsprechung gibt, so dass sich der Antrag zur Erledigung im Strafverfahren nicht eignet. Es bedarf hier nämlich der Prüfung, ob vorliegend ein Gesamtschaden oder ein Individualschaden in Rede steht oder ob insoweit konkurrierende Ansprüche vorliegen. ... Im letzteren Fall läge, jedenfalls wenn es sich, wofür vieles spricht, auch bei dem Adhäsionskläger um einen sog. Altgläubiger handelt, ein sog. Gesamtschaden vor, zu dessen Geltendmachung gemäß § 92 InsO nur der Insolvenzverwalter befugt ist.".

Die von der Berufung weiterhin angesprochene Frage, in welchem Umfange der Kläger aus dem Vollstreckungstitel später eine Befriedigung erreichen kann, ist für die Beurteilung der Begründetheit des Rechtsmittels nicht entscheidend.

2.

Die Annahme der Berufung ist trotz fehlender Erfolgsaussicht ebenso wenig aus einem der Gründe des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 oder Nr. 3 ZPO gegeben. Der vorliegende Rechtsstreit hat keine grundsätzliche Bedeutung, und eine Entscheidung des Senats ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten. Über die hier maßgeblichen Rechtsfragen besteht in der obergerichtlichen Rechtsprechung kein Streit. Im übrigen basiert die Beurteilung des Streitfalls auf einer Würdigung der Besonderheiten des konkreten Einzelfalls.

Gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO gibt der Senat dem Beklagten zu 3) Gelegenheit, zu der beabsichtigten Zurückweisung der Rechtsmittel innerhalb der in der Beschlußformel bezeichneten Frist Stellung zu nehmen.

Ende der Entscheidung

Zurück