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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 02.11.2006
Aktenzeichen: 2 U 86/06 HB
Rechtsgebiete: InsO, AVB


Vorschriften:

InsO § 131
InsO § 133
AVB § 33 II
Die an ein Energieversorgungsunternehmen erbrachten fälligen Zahlungen zur Abwendung einer in Aussicht gestellten Sperre der Versorgungsleistungen unterliegt nicht aus dem Gesichtspunkt einer inkongruenten Deckung ("Druckzahlung") der Anfechtung.
Tenor:

Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers vom 10. Juli 2006 gegen das am 16. Juni 2006 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 18. Zivilkammer des Landgerichts Bonn - 18 O 4/06 - durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Der Kläger erhält Gelegenheit, hierzu bis zum 24. November 2006 Stellung zu nehmen.

Gründe:

1.

Die zulässige Berufung des Klägers hat keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Dem Kläger steht aufgrund der von ihm erklärten Anfechtung kein Anspruch auf Rückgewähr der von der Schuldnerin an die Beklagten insgesamt gezahlten 14.308,95 € zu.

a)

Entgegen der Annahme der Berufung kommt eine Anfechtung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 InsO nicht in Betracht. Insbesondere kann die Inkongruenz der erlangten Befriedigung nicht damit begründet werden, die Insolvenzschuldnerin habe unter dem Druck einer in Aussicht gestellten Sperre der Versorgungsleistungen an die Beklagte gezahlt (vgl. dazu auch Senat, Beschluss vom 31. August 2006, 2 U 3/06; Senat, Beschluss vom 7. September 2006, 2 W 19/06). Die von der Berufung herangezogene Entscheidung des LG Stade (ZVI 2005, 274) steht im Widerspruch zu der gesetzlichen Regelung in § 131 InsO. Die von dem Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätzen zur Anfechtung einer während der "kritischen" Zeit im Wege der Zwangsvollstreckung erlangten Sicherung oder Befriedigung sind vorliegend nicht einschlägig.

Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut (§ 131 Abs. 1 InsO) kommt es für die Frage der Inkongruenz entscheidend darauf an, ob dem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt worden ist, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte (vgl. auch HK/Kreft, InsO, 4. Auflage 2006, § 131 Rn. 7). Dagegen ist es insoweit nicht entscheidend, dass der Gläubiger "Druck" auf den Schuldner ausgeübt hat. Vielmehr kann eine unter "Druck" erlangte Leistung auch eine kongruente Befriedigung gewähren. So hat beispielsweise der Bundesgerichtshof die Zahlung eines Sequesters auf fällige Rechnungen nach Androhung einer Stromsperre durch das Elektrizitätsunternehmen nicht als inkongruente Deckung eingestuft und damit einer Anfechtung nach § 30 Nr. 2 KO (nunmehr § 131 InsO) unterworfen. Vielmehr ist er von einer Anfechtung der erlangten Leistung nach § 30 Nr. 1 2. Alt. KO (nunmehr § 130 InsO) ausgegangen, obwohl der Stromversorger dem Sequester keine andere Wahl gelassen hat, als dem Verlangen nach Abdeckung der Rückstände nachzukommen oder auf eine weitere Stromlieferung zu verzichten und den Betrieb einzustellen (BGHZ 97, 87 [96]).

Selbst bei einer Befriedigung, die der Gläubiger im Zusammenhang mit einer Zwangsvollstreckungsmaßnahme erhalten hat, führt der hierdurch "ausgeübte Druck" nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht bereits zu der Annahme der Inkongruenz. Inkongruent ist eine Leistung vielmehr nur dann, wenn sie von dem Dreimonatszeitraum des § 131 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 InsO erfasst wird (vgl. z.B. BGH, WM 2002, 1193 [1194]); außerhalb dieses Zeitraums liegt eine kongruente Deckung vor (vgl. z.B. BGH, ZIP 2003, 1506 [1508]). Die Inkongruenz leitet der Bundesgerichtshof hierbei unter Bezugnahme auf das Gesetzgebungsverfahren aus der zeitlichen Vorziehung des insolvenzrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes und der damit verbundenen Zurückdrängung des Prioritätsprinzips sowie aus der Erwägung her, dass nach Eintritt der Krise und der damit verbundenen materiellen Insolvenz eine Ungleichbehandlung nicht mehr durch den Einsatz staatlicher Zwangsmittel insolvenzfest erzwungen werden soll (BGHZ 136, 309 [311 ff.] = NJW 1997, 1445 [1446]; BGHZ 157, 242 = NZI 2004, 201 [202]; BGH, NZI 2002, 378; BGH, NZI 2003, 93 [94]; BGH, NZI 2003, 320; BGH, NZI 2004, 690 [691]; vgl. auch HK/Kreft, InsO, 4. Auflage 2006, § 131 Rn. 15; Gerhardt/Kreft, Aktuelle Probleme der Insolvenzanfechtung, 9. Auflage 2005, Rn. 351 f.). Die Anfechtung wegen Inkongruenz ist damit auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen "Druck" durch - für sich zulässige - Maßnahmen der Einzel- oder Gesamtvollstreckung ausgeübt wird (Kirchhof, ZInsO 2004, 1168 [1171]; Kreft, DStR 2005, 1192 [1233]). Ansonsten sind die unter "Druck" erfolgten Befriedigungen und Sicherungen als kongruent zu bewerten, die unter Umständen nach § 130 InsO anfechtbar sind (Kirchhof, ZInsO 2004, 1168 [1171]).

Soweit von der Rechtsprechung eine Anfechtung einer unter "Druck" erfolgten Deckungshandlung als inkongruent bejaht worden ist, war nicht "die Ausübung des ""Drucks"" maßgebend, sondern jeweils der Umstand, dass der Gläubiger die konkrete Befriedigung oder Sicherung nicht, nicht zu der Zeit oder nicht in der Art verlangen konnte. So hat das OLG Rostock in der auch von der Berufung zitierten Entscheidung (ZInsO 2004, 933) die Inkongruenz deshalb bejaht, weil die Behörde die Erteilung der begehrten Zustimmung nicht von einer Zahlung abhängig machten durfte, da die Genehmigung nur unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen versagt werden durfte, die indes nicht vorlagen.

Der Bundesgerichtshof (LM Nr. 1 zu § 30 KO = BB 1952, 868) hat eine inkongruente Deckung für den Fall angenommen, in dem zur Sicherung der Forderungen eines Stromversorgungsunternehmens ein Sicherungsübereignungsvertrag abgeschlossen wurde. Auch insoweit hatte der Gläubiger etwas erlangt, was er nicht in der gewährten Art beanspruchen konnte. Der Stromlieferant besaß nur einen Anspruch auf Vorauszahlung in Höhe des höchsten monatlichen Rechnungsbetrages oder auf Hinterlegung einer Sicherheit, war indes nicht berechtigt, wie geschehen, die weitere Lieferung von der Gewährung einer anderen Sicherheit, nämlich von dem gesonderten Abschluss eines Sicherungsübereignungsvertrages hinsichtlich der von der Schuldnerin produzierten Gasöfen abhängig zu machen.

Unter Beachtung dieser Ausführungen kann vorliegend nicht von einer Inkongruenz der streitbefangenen Zahlungen ausgegangen werden. Auch von der Berufung wird nicht geltend gemacht, dass die Beklagte die jeweils erbrachten Zahlungen auf die Zahlungsrückstände aus dem Versorgungsvertrag nicht oder nicht zu der Zeit fordern durfte. Daher war es der Beklagten auch nicht verwehrt, die rückständigen Beträge durch die Mitarbeiter einkassieren zu lassen. Zudem ist, worauf das Landgericht zutreffend hinweist, ein Versorgungsunternehmen unter Beachtung von § 33 Abs. 2 AVBEltV bzw. § 33 Abs. 2 AVBWasser grundsätzlich berechtigt ist, im Falle des Zahlungsverzuges die Versorgung unter näher bestimmten Voraussetzungen einzustellen. Eine solche Einstellung der Versorgung als Ausübung des Zurückbehaltungsrechts ist kein Monopolmissbrauch. Das Versorgungsunternehmen handelt auch nicht schon deshalb rechtsmissbräuchlich, weil dem Kunden durch die Einstellung Schwierigkeiten entstehen. Vielmehr müssen besondere Umstände hinzukommen, welche die Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts als Verstoß gegen die guten Sitten oder als unzulässige Rechtsausübung erscheinen lassen (Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer, Kommentar zu den Allgemeinen Versorgungsbedingungen, 1984, § 33 AVBV Rn. 51 m.w.N. aus der Rechtsprechung).

b)

Eine Anfechtung der erbrachten Zahlungen nach § 130 InsO hat das Landgericht mit zutreffenden Erwägungen verneint. Hiergegen wendet sich die Berufung nicht. Die streitbefangenen Zahlungen erfüllen ebenso wenig den Anfechtungstatbestand des § 133 Abs. 1 InsO. Vorliegend wird auch von dem Kläger nicht geltend gemacht, dass die Schuldnerin die Zahlungen an die Beklagte mit dem Vorsatz vorgenommen hat, diese Gläubigerin zu bevorzugen und zugleich eine Benachteiligung der übrigen Gläubiger in Kauf zu nehmen.

2.

Die Annahme der Berufung des Klägers ist trotz fehlender Erfolgsaussicht ebenso wenig aus einem der Gründe des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 oder Nr. 3 ZPO gegeben. Der vorliegende Rechtsstreit hat keine grundsätzliche Bedeutung, und eine Entscheidung des Senats ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten. Die maßgeblichen Rechtsfragen sind durch die vorstehend von dem Senat herangezogenen obergerichtlichen Entscheidungen hinreichend geklärt. Im übrigen basiert die Beurteilung des Streitfalls auf einer Würdigung der Besonderheiten des konkreten Einzelfalls.

Gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO gibt der Senat dem Kläger Gelegenheit, zu der beabsichtigten Zurückweisung des Rechtsmittels innerhalb der in der Beschlussformel bezeichneten Frist Stellung zu nehmen.

Ende der Entscheidung

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