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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 02.10.2003
Aktenzeichen: 2 W 95/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1922
BGB § 1967
BGB § 2056
BGB § 2301
BGB § 2311
BGB § 2313
BGB § 2316
Bürgschaftsverbindlichkeiten sind bei der Berechnung des Nachlasswertes i.S.d. § 2311 Abs. 1 BGB so lange außer Betracht zu lassen, so lange offen ist, ob und in welcher Höhe der Bürger überhaupt in Anspruch genommen wird.
Oberlandesgericht Köln Gerichtsbescheid

2 W 95/03

Verkündet am: 02.10.2003

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss der Einzelrichterin der 3. Zivilkammer des Landgerichts Bonn vom 26. August 2003 - 3 0 283/03 - teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Tenor:

I. Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug unter Beiordnung von Rechtsanwalt W. aus Siegburg für folgende Klageanträge bewilligt:

1. die Antragsgegner als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Antragsteller 12.659,40 € nebst 5 % über dem Basiszinssatz liegender Zinsen ab dem 15. Juni 2003 zu zahlen,

2. im Wege der Stufenklage die Antragsgegner als Gesamtschuldner zu verurteilen,

a) dem Antragsteller Auskunft über den Nachlass nach dem am 18. August 2002 verstorbenen Herrn P. L., früher wohnhaft gewesen M.-F.-Straße xx, xxxxx B., durch Vorlage eines vollständigen, durch einen Notar aufgenommenen Nachlassverzeichnisses zu erteilen,

b) zu Protokoll an Eides statt zu versichern, dass sie nach bestem Wissen den Bestand des Nachlasses so vollständig angegeben haben, als sie dazu imstande sind.

II. Die Höhe der von dem Antragsteller ab dem 1. Oktober 2003 an die Landeskasse zu leistenden monatlichen Raten wird auf 30,00 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller möchte die Antragsgegner mit der beabsichtigten Klage unter anderem auf Zahlung eines Pflichtteils in Höhe von 12.659,40 Euro nebst Zinsen in Anspruch nehmen. Seinem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat das Landgericht in Höhe eines Betrages von 10.200,76 Euro und im Hinblick auf die übrigen Klageanträge stattgegeben. Hinsichtlich des darüber hinaus gehenden Zahlungsanspruchs hat das Landgericht die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung verneint und den Prozesskostenhilfeantrag zurückgewiesen. Der Nachlass belaufe sich unter Berücksichtigung der von dem Erblasser übernommenen Bürgschaft in Höhe von 71.580,00 Euro auf 81.606,05 Euro. Hiervon könne der Antragsteller 1/8, also 10.200,76 Euro beanspruchen. Da sich die Haftung aus der Bürgschaft jederzeit realisieren könne, solange die Hauptschuld bestehe, sei es nicht sachgerecht, eine solche Bürgschaftsverpflichtung bei der Bestimmung der Nachlassverbindlichkeiten gemäß § 1967 BGB außer Betracht zu lassen. Die Vorschrift des § 2313 BGB sei nicht einschlägig, da diese den Ansatz bedingter, ungewisser oder unsicherer Rechte regele. Sollte eine Inanspruchnahme aus der übernommenen Bürgschaft tatsächlich nicht erfolgen, stehe dem Antragsteller gegenüber den Antragsgegnern ein weiterer Ausgleichsanspruch bezogen auf diese Verbindlichkeit zu.

Mit seiner Beschwerde wendet sich der Antragsteller dagegen, dass das Landgericht bei der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs die von dem Erblasser übernommene Bürgschaft nachlassmindernd berücksichtigt hat.

II.

Die gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthafte, in rechter Frist (§§ 127 Abs. 2 Satz 3, 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO) eingelegte sofortige Beschwerde, der das Landgericht durch Beschluss vom 15. September 2003 nicht abgeholfen und über die gemäß § 568 Satz 1 ZPO der Einzelrichter des Beschwerdegerichts zu entscheiden hat, ist begründet. Das Landgericht hat zu Unrecht die Erfolgsaussicht (§ 114 ZPO) der beabsichtigten Zahlungsklage teilweise verneint.

1. Dem Antragsteller steht dem Grunde nach gegen die Antragsgegner gemäß § 2301 Abs. 1 BGB ein Pflichtteilsanspruch zu. Für die Berechnung der Höhe dieses Anspruches kommt es gemäß § 2311 Abs. 1 BGB zunächst auf eine zutreffende Berechnung des Nachlasswertes zur Zeit des Erbfalles an, der sich aus der Differenz zwischen den Nachlassaktiva und den Nachlasspassiva ergibt. Die Nachlassaktiva betragen unstreitig 237.755,05 Euro. Dem hat das Landgericht Nachlassverbindlichkeiten in Höhe von insgesamt 156.149,00 Euro (84.569,00 Euro unstreitige Nachlassverbindlichkeiten + 71.580,00 Euro Bürgschaft) gegenüber gestellt, so dass sich ein Nachlasswert in Höhe von 81.606,05 Euro errechnet (237.755,05 Euro - 156.149,00 Euro). Insoweit hat das Landgericht bei der Bestimmung der Nachlassverbindlichkeiten zunächst die von den Antraggegnern zusätzlich behaupteten Schulden bei der LEG (1.431,62 Euro), die Kosten der Entrümpelung (252,00 Euro) sowie die Kosten der Entsorgung Hausrat (270,00 €) zu Recht außen vor gelassen hat, weil diese Positionen von dem Antragsteller bestritten worden und gegebenenfalls im Rahmen einer Beweisaufnahme aufzuklären sind. Das Landgericht hätte jedoch nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand auch die Bürgschaft des Erblassers in Höhe eines Betrages von 71.580,00 € bei der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs des Antragstellers nicht als Passiva in die Nachlasswertberechnung miteinbeziehen dürfen. Die Nachlassverbindlichkeiten belaufen sich deshalb nur auf insgesamt 84.569,00 Euro , so dass sich ein Nachlasswert in Höhe von 153.186,05 Euro ergibt (237.755,05 Euro - 84.569,00 Euro).

a) Im Ausgangspunkt weist das Landgericht zutreffend darauf hin, dass von einem Erblasser übernommene Bürgschaftsverpflichtungen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge gemäß § 1922 BGB auf die Erben übergehen. Insoweit ist es auch unproblematisch und steht außer Streit, dass Bürgschaftsverpflichtungen eine Nachlassverbindlichkeit gemäß § 1967 BGB darstellen (vgl. nur Palandt/Edenhofer, BGB, 62. Aufl. 2003, § 1967 Rdn. 4). Demnach haften die Antragsgegner bei einer Inanspruchnahme aus der von dem Erblasser eingegangenen Bürgschaftsverpflichtung.

b) Hiervon zu unterscheiden ist jedoch die Frage, ob und wenn ja unter welchen Voraussetzungen eine Bürgschaftsverpflichtung bei der Bestimmung des Nachlasswertes gemäß § 2311 Abs. 1 BGB im Rahmen der Berechnung eines Pflichtteilsanspruches Berücksichtigung finden kann. Hieran bestehen keine Bedenken, wenn in dem Zeitpunkt, in dem ein Pflichtteilsberechtigter seinen Pflichtteilsanspruch gegen die Erben geltend macht, die Erben von dem Gläubiger des Erblassers und Hauptschuldners tatsächlich in Anspruch genommen werden oder die Inanspruchnahme unmittelbar bevorsteht. In diesem Fall ist das Nachlassvermögen entsprechend vermindert, so dass auch der Pflichtteilsberechtigte diese Verminderung im Rahmen seines Anspruchs hinzunehmen hat. Ist jedoch diese Inanspruchnahme durch den Gläubiger zweifelhaft, ist die Sonderregelung des § 2313 Abs. 2 BGB zu beachten. Hiernach gilt u. a. für zweifelhafte Verbindlichkeiten das Gleiche wie für Verbindlichkeiten, die von einer aufschiebenden Bedingung abhängig sind. Derartige Verbindlichkeiten bleiben gemäß § 2313 Abs. 1 Satz 1 bei der Feststellung des Wertes des Nachlasses außer Ansatz. Dies erscheint auch sachgerecht, da die Erben bei derartigen Verbindlichkeiten noch nicht aktuell belastet sind. Sie werden durch diese Regelung auch nicht unangemessen benachteiligt. Tritt nämlich die Bedingung ein bzw. wird die zunächst zweifelhafte Verbindlichkeit aktuell, hat gemäß § 2313 Abs. 1 Satz 3 eine der veränderten Rechtslage entsprechende Ausgleichung zu erfolgen. Diese Grundsätze gelten auch bei der Beurteilung von Bürgschaftsverbindlichkeiten. Diese sind bei der Berechnung des Nachlasswertes solange außer Betracht zu lassen, solange offen ist, ob und in welcher Höhe der Bürge überhaupt in Anspruch genommen wird (vgl. hierzu RG JW 1906, 114; OLG Kiel, OLGZ 7, 143; Münchner Kommentar zum BGB/Frank, 3. Auflage, 1997, § 2313 Rdnr. 6; Soergel/Diekmann, BGB, Stand Sommer 2002, § 2313 Rdnr. 8; J. Mayer in Bamberger/Roth, BGB, 2003, § 2313 Rdnr. 4). Soweit das Oberlandesgericht Düsseldorf eine Grundschuld den Regeln einer auflösend bedingten Verbindlichkeit unterstellt hat (vgl. OLG Düsseldorf, NJW-RR 1996, 727), bedarf es vorliegend keiner Entscheidung, ob dieser Auffassung zu folgen ist. Es besteht nämlich ein entscheidender Unterschied zwischen beiden Fallgestaltungen. Die Berücksichtigung einer Grundschuld als Verbindlichkeit des Nachlasses auch ohne aktuelle Inanspruchnahme lässt sich jedenfalls deshalb rechtfertigen, weil sich bei einer Verwertung des Grundstückes im Wege der Veräußerung oder der weiteren Belastung die Grundschuld eindeutig wertmindernd auswirkt (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.).

c) Vorliegend ist aber von den Antragsgegnern nicht dargetan worden, inwieweit zum jetzigen Zeitpunkt eine konkrete Inanspruchnahme aus der Bürgschaft aktuell droht. Die Behauptung, die Inanspruchnahme könne jederzeit erfolgen, ersetzt nicht die konkrete Darlegung von Umständen, die für eine solche Inanspruchnahme sprechen. Insbesondere wird von den Antragsgegnern nicht behauptet und ist auch sonst nicht ersichtlich, dass die Hauptschuldnerin ihre Darlehensverbindlichkeit nicht ordnungsgemäß tilgt. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass derzeit noch völlig ungeklärt ist, ob und wenn ja in welcher Höhe die Antragsgegner als Bürgen in Anspruch genommen werden. In diesem Fall ist es aber nicht gerechtfertigt, die Bürgschaftsverpflichtung bei der Berechnung des Nachlasswertes als Verbindlichkeit in Ansatz zu bringen. Erfolgt eine Inanspruchnahme der Antragsgegner, haben sie gemäß § 2313 Abs. 1 Satz 3 BGB Anspruch auf eine der veränderten Rechtslage entsprechende Ausgleichung gegen den Antragsteller. Soweit das Landgericht demgegenüber - gerade umgekehrt - auf die Möglichkeit des Antragstellers verweist, bei einer ausbleibenden Inanspruchnahme der Antragsgegner gegen diese einen Ausgleichsanspruch geltend zu machen, stellt es die Bürgschaftsverbindlichkeit zu Unrecht einer auflösend bedingten Verbindlichkeit gemäß § 2313 Abs. 1 Satz 2 BGB gleich.

2. Von dem sich rechnerisch hiernach ergebenden Nachlasswert in Höhe von 153.186,05 Euro kann der Antragsteller gemäß § 2303 Abs. 1 Satz 2 jedenfalls den mit der beabsichtigten Klage bezifferten Betrag von 12.659,40 Euro - nur insoweit hat er auch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt - beanspruchen.

a) Allerdings beträgt die Pflichtteilsquote entgegen der Ansicht des Antragstellers bei isolierter Anwendung der §§ 2303 Abs. 1 Satz 2, 1924 Abs. 1 und 4 BGB grundsätzlich nicht 1/8, sondern 1/10, weil insgesamt fünf Abkömmlinge zu berücksichtigen sind. Die von Frau E. B. - einer Tochter des Erblassers - am 1. August 1989 im Zusammenhang mit der Zahlung ihrer Eltern (des Erblassers und dessen Ehefrau) in Höhe von 50.000,00 DM abgegebene Erklärung stellt mangels notarieller Beurkundung (vgl. § 2348 BGB) keinen formgültigen Erbverzicht im Sinne des § 2346 Abs. 1 BGB dar, so dass auch die Vorschrift des § 2310 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht zur Anwendung kommt. Hiernach ist derjenige, der durch Erbverzicht von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen ist, bei der Bestimmung des Erbteils nicht mitzuzählen. Das Landgericht hat jedoch zu Recht darauf hingewiesen, dass vorliegend wegen der Zahlung an die Tochter E. B. die §§ 2316, 2050 ff. BGB zu berücksichtigen sind. Da die Tochter infolge der ausgleichspflichtigen Zahlung bereits mehr als ihr gesetzliches Erbteil erhalten hat, bleibt ihr Erbteil gemäß § 2056 Satz 2 BGB außer Ansatz. Bei gesetzlicher Erbfolge stünde dem Antragsteller deshalb eine Erbquote von 1/4 zu. Dies führt im Rahmen des § 2316 Abs. 1 BGB zu einer Pflichtteilsquote des Antragstellers von 1/8. Bei einem Nachlasswert von 153.186,05 Euro ergibt sich rechnerisch ein Pflichtteilsanspruch in Höhe von 19.148,26 Euro.

b) Auf den demnach schlüssig vorgetragenen Pflichtteilsanspruch des Antragstellers in Höhe von 19.148,26 Euro haben indessen die Antragsgegner bereits vorprozessual unstreitig ein Betrag in Höhe von 5.000,00 Euro gezahlt, so dass der Anspruch in dieser Höhe gemäß § 362 Abs. 1 BGB erloschen ist. Es verbleibt mithin ein restlicher Pflichtteilsanspruch in Höhe von 14.148,26 Euro, hinsichtlich dessen die Klage des Antragstellers hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Da der Antragsteller seinen Zahlungsantrag allerdings lediglich auf einen Betrag in Höhe von 12.659,40 Euro beziffert und auch nur insoweit Prozesskostenhilfe beantragt hat, ist der angegriffene Beschluss des Landgerichts nur in diesem Umfang abzuändern.

c) Über die Erfolgsaussichten der übrigen Klageanträge hat der Senat nicht zu befinden, da das Landgericht insoweit antragsgemäß Prozesskostenhilfe bewilligt hat. Gebunden ist der Senat auch an die Feststellungen des Landgerichts zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Antragstellers und der Auferlegung von monatlichen Raten in Höhe von 30,00 Euro, die von dem Antragsteller nicht angegriffen wird. In diesem Umfang ist deshalb der angegriffene Beschluss aufrechtzuerhalten. Mit der Neufassung des die Prozesskostenhilfe gewährenden Beschlusses ist insoweit keine inhaltliche Änderung des landgerichtlichen Beschlusses verbunden, es ist lediglich eine stärkere Orientierung an den von dem Antragsteller in dem Schriftsatz vom 28. Mai 2003 selbst formulierten Klageanträgen erfolgt. Der Senat hat zur Vermeidung von Unklarheiten in der Neufassung des Bewilligungsbeschlusses zugleich klargestellt, dass auch der von dem Antragsteller geltend gemachte Zinsanspruch hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Er findet seine Grundlage in § 288 BGB.

3. Eine Kostenentscheidung ist im Hinblick auf die Regelung des § 127 Abs. 4 ZPO nicht veranlasst. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen die vorliegende Entscheidung nach § 574 Abs. 2 und 3 ZPO sind nicht erfüllt.

Ende der Entscheidung

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