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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 21.03.2004
Aktenzeichen: 2 Ws 110/04
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 252
StPO § 52
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

2 Ws 110/04

In der Strafsache

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Aachen vom 23.01.2004 gegen den Beschluß des Landgerichts Aachen vom 08.01.2004 - 61 KLs 51 Js 456/97-29/02 - durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Doleisch von Dolsperg sowie die Richter am Oberlandesgericht Scheiter und Dr. Schmidt

am 21. März 2004

beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.

Die Anklage der Staatsanwaltschaft Aachen vom 17.07.2002 - Az 51 Js 456/97 - wird zugelassen und das Hauptverfahren vor dem Landgericht Aachen eröffnet.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Angeschuldigten. Gründe:

I.

Mit der unter dem 17.07.2002 erhobenen Anklage wirft die Staatsanwaltschaft Aachen den beiden Angeschuldigten gemeinschaftliche schwere räuberische Erpressung vor, Verbrechen gem. §§ 253 Abs. 1, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1, 25 Abs. 2 StGB.

Die Angeschuldigten sollen am 09.01.1997 gemeinsam mit einem bisher unbekannt gebliebenen dritten Täter mit Sturmhauben maskiert in die Filiale des M.-Marktes an der B. Straße/ L. in V.-Q. eingedrungen sein. Einer der drei Täter soll mit einem mitgeführten Schrotgewehr einen Schuß auf die Fensterscheibe eines Büros, in dem die Zeugin L. saß, abgegeben haben. Zwei Täter sollen die daraufhin in den Verkaufsraum geeilte Zeugin E. an die Kasse gezogen und mit Schlägen auf den Hinterkopf und den Worten "Kasse auf" zu deren Öffnung veranlasst haben. Die Täter entnahmen daraus 4.700 DM und flüchteten sodann zunächst zu Fuß, später mit dem in der Nähe abgestellten PKW des Angeschuldigten M..

Als Beweismittel hat die Staatsanwaltschaft neben Zeugen die Niederschrift der polizeilichen Vernehmung des Zeugen N. H. vom 20.12.1999 angegeben, der bei seiner richterlichen Vernehmung am 27.03.2001 im Hinblick darauf, dass es sich bei dem Angeschuldigten M. um den Ehemann seiner Schwester, also um seinen Schwager handelt, von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat. Nach einem Vermerk der Staatsanwaltschaft vom 08.11.2001 hat der Zeuge N. H. später seine Bereitschaft erklärt, seine polizeiliche Aussage vom 20.12.1999 nunmehr doch vor dem Ermittlungsrichter zu wiederholen. Bevor es dazu kam, verstarb der Zeuge N. H. am 05.12.2001.

Die 1. große Strafkammer des Landgerichts Aachen hat durch Beschluß vom 08.01.2004 die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt.

Gegen diese, am 22.01.2004 zugestellte Entscheidung, auf die wegen der Einzelheiten ergänzend Bezug genommen wird, richtet sich die am 23.01.2004 bei dem Landgericht Aachen eingegangene sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft. Die Akten sind dem Senat von der Generalstaatsanwaltschaft - die dem Rechtsmittel beigetreten ist - mit dem Antrag auf Zulassung der Anklage und Eröffnung des Hauptverfahrens vorgelegt worden.

II.

Das Rechtsmittel ist gemäß § 210 Abs. 2 StPO statthaft und form- und fristgerecht ( § 311 Abs. 2 StPO) eingelegt worden und hat in der Sache Erfolg.

Die Angeschuldigten sind der ihnen zur Last gelegten Tat hinreichend verdächtig, so dass gem. § 203 StPO die Eröffnung des Hauptverfahrens anzuordnen ist, und zwar unter unveränderter Zulassung der Anklage, da die rechtliche Würdigung des Tatgeschehens als schwere räuberische Erpressung gem. §§ 253 Abs. 1, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1, 25 Abs. 2 StGB keinen Bedenken begegnet.

Die Kammer hat zur Begründung ihrer abweichenden Entscheidung im wesentlichen darauf abgestellt , dass ohne die Aussage des Zeugen N. H. nach dem sonstigen Ermittlungsergebnis der für die Eröffnung des Hauptverfahrens nach § 203 StPO erforderliche hinreichende Tatverdacht nicht bejaht werden könne. Die Aussage des Zeugen N. H. hat das Landgericht als unverwertbar angesehen, weil ihre Verlesung nach § 252 StPO unzulässig sei.

Dieser Auffassung pflichtet der Senat insoweit bei, als das Ermittlungsergebnis jedenfalls bei Verlesung und Verwertung der polizeilichen Aussage des Zeugen N. H. zur Annahme von hinreichendem Tatverdacht hinsichtlich der den Angeschuldigten zur Last gelegten Tat ausreicht. Dieser besteht bei vorläufiger Tatbewertung in der Wahrscheinlichkeit der späteren Verurteilung, wobei für den Grundsatz "in dubio pro reo" noch kein Raum, eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit nicht erforderlich ist und nicht die gleiche Wahrscheinlichkeit wie beim dringenden Tatverdacht nach den §§ 112, 126 a StPO verlangt wird (vgl. Senat 21.05.93 - 2 Ws 189/93 -; Meyer-Goßner, StPO, 46.A., § 203 Rn 2 m.w.N.). Mag der Aussage des verstorbenen Zeugen N. H. auch nur eingeschränkter Beweiswert zukommen, so ist doch unter Berücksichtigung aller in der Anklage zusammengetragenen Beweismöglichkeiten bei vorläufiger Bewertung die Erwartung gerechtfertigt, dass die Angeschuldigten aufgrund einer Hauptverhandlung hinsichtlich der ihnen in der Anklage vorgeworfenen Tat verurteilt werden.

Die Aussage des Zeugen N. H. - auf die es mithin entscheidend ankommt - darf zu Beweiszwecken verlesen werden. Dem steht das Verbot des § 252 StPO nicht entgegen. Gegen die anderslautende Auffassung des Landgerichts spricht bereits der Wortlaut des Gesetzes, das das Verbot der Protokollverlesung davon abhängig macht, dass der Zeuge von seinem Zeugnisverweigerungsrecht erst in der Hauptverhandlung Gebrauch macht. Der Zeuge H. hat jedoch - anders als in der vom Landgericht angezogenen Entscheidung des OLG Celle in NJW 68, 415 - die Aussage nicht in der Hauptverhandlung verweigert.

Allerdings kann für die Anwendung von § 252 StPO genügen, dass der (zur Hauptverhandlung geladene) Zeuge vor der Hauptverhandlung eindeutig und bestimmt erklärt hat, dass er von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen wolle (vgl. KK-Diemer, StPO, 5.A., § 252 Rn 21; LR-Gollwitzer, StPO, 25.A., § 252 Rn 15) .

Ob im vorliegenden Fall die vor dem Ermittlungsrichter am 27.03.2001 erklärte Aussageverweigerung geeignet war, um ein Verwertungsverbot zu begründen, erscheint zweifelhaft. Denn der Zeuge hat die Aussage nicht im Hinblick auf eine bevorstehende Hauptverhandlung verweigert, und ob er diese Haltung auch in einer späteren Hauptverhandlung eingenommen hätte, bleibt offen.

Ob allgemein der Wille eines zur Zeugnisverweigerung berechtigten Menschen, nicht auszusagen, auch nach dessen Tod zu berücksichtigen ist (vgl. OLG Celle aaO, zustimmend LR-Gollwitzer aaO Rn 12 a), was ebenfalls nicht unzweifelhaft ist, weil der Pflichtenwiderstreit, vor dem das Gesetz bewahren will, bei einem verstorbenen Zeugen nicht mehr entstehen kann (vgl. BGHSt 22,35 = NJW 68,559), muß der Senat nicht entscheiden. Denn ein Zeuge, der seine Aussage verweigert hat, ist an diese Erklärung verfahrensrechtlich nicht gebunden; er kann sie widerrufen und sich - bis zur Hauptverhandlung - jederzeit frei entschließen, eine Aussage zu machen (vgl. BGH NJW 61,1484; NJW 2000,596; LR-Dahs, aaO § 52 Rn 38).

Vorliegend ist nach dem Vermerk der Staatsanwaltschaft vom 08.11.2001 - über diesen inhaltliche Richtigkeit in der Hauptverhandlung ggfs Feststellungen zu treffen sind, falls daran Zweifel bestehen sollten - davon auszugehen, dass der Zeuge N. H. seine zunächst erklärte Aussageverweigerung widerrufen hat und zur Aussage bereit war.

Die Auffassung der Strafkammer, dass der Zeuge H. den Entschluß, nunmehr doch auszusagen, förmlich in einer protokollierten und unterzeichneten Erklärung hätte abgeben müssen, vermag der Senat nicht zu teilen. Sie findet im Gesetz keine Stütze.

Die Zulässigkeit des Widerrufs einer Aussageverweigerung ist gesetzlich nicht geregelt, weil sich diese Befugnis nach Wesen und Zweck des Zeugnisverweigerungsrechtes von selbst versteht. § 252 StPO dient allein den persönlichen Belangen des Zeugen und bezweckt nicht den Schutz des Angeklagten vor der Verwertung eines konfliktbeladenen und daher in seinem Wert vielleicht fraglichen Beweismittels. Wenn ein Zeuge, der seine Weigerung widerrufen hat, vor der Hauptverhandlung verstorben ist, liegt mithin keine Notwendigkeit vor, auf seine polizeiliche Aussage bei der Wahrheitsforschung zu verzichten (vgl. BGH aaO ). Anders als bei der Gestattung der Verwertung einer bei nichtrichterlichen Vernehmung gemachten Aussage durch den Zeugen, der in der Hauptverhandlung sein Zeugnisverweigerungsrecht geltend macht und über die Folgen des Verzichts auf das Verwertungsverbot gesondert belehrt werden muß (BGHSt 45, 206, 207), hat es auch keiner Belehrung über die Folgen des Widerrufs der Aussageverweigerung bedurft. Denn der Zeuge ist über sein Zeugnisverweigerungsrecht richterlich belehrt worden und die Belehrung wirkt fort.

Nach alledem konnte dem Rechtsmittel der Erfolg nicht versagt werden.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben entsprechend § 465 StPO die Angeschuldigten zu tragen.

Ende der Entscheidung

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