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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 28.03.2008
Aktenzeichen: 2 Ws 136/08
Rechtsgebiete: StGB
Vorschriften:
StGB § 69 a |
Tenor:
Die Beschwerde wird auf Kosten des Angeklagten verworfen.
Gründe:
1. Die Generalstaatsanwaltschaft hat zu dem Rechtsmittel wie folgt Stellung genommen:
"Mit Beschluss vom 08.09.2006 hat das Amtsgericht W. dem Angeklagten die Fahrerlaubnis gemäß § 111 a Abs. 1 Ziff. 1 StPO vorläufig entzogen. Nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen sei der Angeklagte dringend verdächtig, sich wegen Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 StGB schuldig gemacht zu haben. Er habe am 03.08.2006 um 19.45 Uhr mit einem Pkw die K-Straße in L. befahren und dabei unter Alkoholeinfluss gestanden. Die Untersuchung der um 20.05 Uhr entnommenen Blutprobe habe einen Blutalkoholgehalt von 2,55 Promille im Mittelwert ergeben. Bei einem solchen Blutalkoholgehalt sei die sichere Führung des Kraftfahrzeugs ausgeschlossen. Aufgrund der am 14.09.2006 erhobenen Anklage hat das Amtsgericht W. mit Urteil vom 11.12.2006 gegen den Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 50,00 Euro festgesetzt. Ferner hat es dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und angeordnet, dass vor Ablauf von weiteren 16 Monaten dem Angeklagten keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf.
Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Revision, die Staatsanwaltschaft Köln Berufung eingelegt.
Mit Urteil vom 25.07.2007 hat die 3. kleine Strafkammer des Landgerichts K. auf die Berufung der Staatsanwaltschaft das Urteil des Amtsgerichts W. dahin abgeändert, dass es gegen den Angeklagten eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 50,00 Euro festgesetzt hat. Weiterhin hat es das angefochtene Urteil dahin abgeändert, dass die Verwaltungsbehörde angewiesen wurde, vor Ablauf von noch weiteren 8 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.
Auf die hiergegen seitens des Angeklagten eingelegte Revision hat das Oberlandesgericht Köln mit Beschluss vom 04.01.2008 das angefochtene Urteil mit seinen Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts K. zurückverwiesen.
Am 26.02.2008 hat der Angeklagte beantragt, die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis zum 25.03.2008 aufzuheben. Zu diesem Zeitpunkt sei die vom Landgericht K. am 25.07.2007 verhängte Sperrfrist verstrichen, wenn das Urteil des Landgerichts rechtskräftig geworden wäre. Dieser Umstand rechtfertige die Aufhebung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis zu diesem Zeitpunkt. Mit Beschluss vom 28.02.2008 hat die 1. kleine Strafkammer des Landgerichts K. den Antrag verworfen.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Angeklagten vom 06.03.2008, beim Landgericht K. eingegangen am selben Tag. Mit Beschluss vom 06.03.2008 hat das Landgericht K. der Beschwerde des Angeklagten nicht abgeholfen.
II.
Die gemäß § 304 Abs. 1 StPO zulässige Beschwerde (Schäfer, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Auflage, § 111a Rdnr. 86) ist unbegründet. Entgegen der Auffassung des Antragstellers rechtfertigt allein der Umstand, dass die Dauer der vorläufigen Entziehung die (ursprünglich) angeordnete Sperrfrist erreicht hat, die Aufhebung der Maßnahme nicht (Schäfer, a.a.O., Rdnr. 39; Meyer-Goßner, StPO, 50. Auflage, § 111a Rdnr. 11). Der Ablauf der Sperrfrist besagt nämlich nicht, dass der Betroffene danach wieder geeignet ist, Kraftfahrzeuge zu führen. Vielmehr wird in dem tatrichterlichen Urteil lediglich die Frist bestimmt, ab der frühestens die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis durch die Verwaltungsbehörde nach erneuter Eignungsprüfung in Betracht kommt. Die Verwaltungsbehörde ist also keineswegs verpflichtet, dem Angeklagten eine neue Fahrerlaubnis zu erteilen, wenn die Sperre abgelaufen ist. Sie kann oder muss eine neue Fahrerlaubnisprüfung verlangen (§ 11 ff. FeV), hat unter Umständen die Neuerteilung der Fahrerlaubnis von der Beibringung des Gutachtens einer amtlich anerkannten medizinisch-psychologischen Untersuchungsstelle abhängig zu machen (§ 11 f. FeV) und kann sie ablehnen, wenn der Bewerber sich nicht untersuchen lässt. Auch kann die Verwaltungsbehörde aus anderen Gründen die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis verweigern (§ 11 Abs. 8 FeV). Ärztliche Gutachten können insbesondere bei Betäubungsmitteln und Alkoholdelikten gefordert werden (§§ 13, 14 FeV). Ob der Verurteilte jemals wieder in den Besitz einer Fahrerlaubnis kommt, ist daher ungewiss. Auch verstößt das Berufungsgericht nicht gegen das Verschlechterungsverbot, wenn es trotz der zwischenzeitlichen vorläufigen Entziehung die gleiche Führerscheinsperre festsetzt wie das angefochtene Urteil mit der Folge, dass tatsächlich durch das Berufungsurteil eine Sperrfristverlängerung erfolgt (Schäfer, a.a.0.).
Zu Unrecht rügt der Beschwerdeführer einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot (Artikel 6 EMRK) mit der Begründung, die Staatsanwaltschaft habe unter Verstoß gegen Nr. 147 RiStBV Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts W. eingelegt. Die Staatsanwaltschaft wollte nicht - wie der Beschwerdeführer meint - mit ihrer erkennbar unbegründeten Berufung offensichtlich nur die von ihm eingelegte Sprungrevision "unterlaufen". Vielmehr hat die Staatsanwaltschaft in ihrer Berufungsbegründung nachvollziehbar dargelegt, dass entgegen der amtsgerichtlichen Verurteilung von einer vorsätzlichen Tatbegehung auszugehen ist. Auch wenn die 3. kleine Strafkammer des Landgerichts K. in seinem Urteil vom 25.07.2007 dieser Argumentation nicht gefolgt ist, so hat Sie doch die Geldstrafe von 60 Tagesätzen zu je 50,00 Euro auf 90 Tagessätzen zu je 50,00 Euro erhöht.
Dem schließt sich der Senat an und weist ergänzend auf Folgendes hin:
2. Die Gründe für die Aufhebung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis sind in § 111 a Abs. 2 StPO geregelt. Danach ist die vorläufige Anordnung der Maßregel aufzuheben, wenn - abgesehen von dem vorliegend nicht gegebenen Fall, dass das Gericht im Urteil die Fahrerlaubnis nicht entzieht - ihr Grund weggefallen ist, d.h. wenn dringende Gründe für die Annahme, dass die Fahrerlaubnis endgültig entzogen werden wird, nicht mehr bestehen, weil nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Feststellung des Eignungsmangels in der Hauptverhandlung wahrscheinlich ist.
Ein solcher Fall ist vorliegend nicht gegeben. Der Angeklagte ist bereits einschlägig vorbestraft. Durch Strafbefehl des Amtsgerichts K. vom 21.2.2005 ist gegen ihn wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr eine Geldstrafe verhängt und eine Sperre für die Fahrerlaubnis bis 20.9.2005 angeordnet worden. Damals war bei einer Trunkenheitsfahrt eine Blutalkoholkonzentration von 1,48 Prom. festgestellt worden. Bei dem dem vorliegenden Verfahren zu Grunde liegenden Vorfall hat die Blutalkoholuntersuchung einen Mittelwert von 2,55 Prom. ergeben. Erwähnenswert ist insoweit, dass der Arzt, der die Blutprobe entnommen hat, beim Angeklagten keine Ausfallerscheinungen festgestellt hat. In seinem Bericht hat er niedergelegt, Gang, plötzliche Kehrtwendung und Finger-Finger-Prüfung seien sicher, die Sprache deutlich, das Bewusstsein klar und der Denkablauf geordnet gewesen. Das lässt bei dem festgestellten relativ hohen Blutalkoholwert auf eine erhebliche Alkoholgewöhnung schließen. Dass der Angeklagte inzwischen Maßnahmen ergriffen hat, damit es nicht mehr zu einer erneuten Trunkenheitsfahrt im Straßenverkehr kommt, ist nicht ersichtlich. Er selbst hat sich zur Sache nicht eingelassen. Sein Verteidiger hat in der Hauptverhandlung vom 25.7.2007 angegeben, der Angeklagte sei seit Anfang des Jahres trocken. Insoweit hat der Verteidiger aber mit Schriftsatz vom 21.9.2007 ausführen lassen, diese Erklärung sei unverwertbar, weil der Angeklagte nicht ausdrücklich erklärt habe, dass er sie bestätigen wolle.
3. Der bloße Zeitablauf während des Berufungsverfahrens rechtfertigt die Aufhebung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nicht, denn das Berufungsgericht ist nicht gehindert, die gleiche Sperre wie das erstinstanzliche Gericht anzuordnen, auch wenn sie ohne Berufungseinlegung schon ihr Ende gefunden hätte. Wer gegen ein Urteil, in dem eine Sicherungsmaßregel nach § 69 StGB angeordnet worden ist, Berufung einlegt, muss damit rechnen, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis länger dauert ,als das Amtsgericht die Sperrfrist bemessen hat (OLG Düsseldorf NZV 1999, 389; OLG München DAR 1975, 132; 77, 49; OLG Hamm VRS 49, 111; OLG Frankfurt VRS 52, 413; Hentschel DAR 76,9; 88,91; KG VRS 69, 130; Nack in KK, StPO, 5. Aufl. § 111 a Rdn. 10; SK-Rudolphi § 111 a Rdn 19; Meyer-Goßner, StPO, 50. Auflage § 111 a Rdn 11 m.w.N.).
4. Auch während des Revisionsverfahrens ist die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach inzwischen h.M. nicht deshalb aufzuheben, weil die Verfahrensdauer die Dauer der Sperre übersteigt (KG VRs 53, 278; OLGe Düsseldorf VRs 64, 262; Frankfurt NStZ-RR 1998,76; Hamburg NJW 1981, 2590; Hamm VRs 69, 220; Karlsruhe VRs 53, 435; Koblenz VRs 71, 40; München NJW 1980 1860; Schleswig SchHA 84, 99[E/L]; Stuttgart VRs 63, 363; Löwe-Rosenberg-Schäfer, 25. Auflage § 111 a Rdn. 41; Meyer-Goßner a.a.O. Rdn. 12 m.w.N.; Nack in Karlsruher Kommentar; a.a.O. § 111 a Rdn. 11; KMR-Müller § 111 a Rdn 18; Grohmann DRiZ 1989, 138; a.A. OLG Köln, 1. Strafsenat VRS 57, 126; OLG Frankfurt DAR 1989, 311; SK-Rudolphi a.a.O. Rdn 20 m.w.N.).
Auf den Meinungsstreit kommt es vorliegend nicht an, da das Revisionsverfahren abgeschlossen ist und die nunmehr erneut über die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft zu entscheidende Strafkammer nicht gehindert ist, wieder eine Sperre anzuordnen. Denn maßgeblich für die Feststellung der Ungeeignetheit i.S.d. § 69 Abs. 1 StGB ist allein der Zeitpunkt der Urteilsfindung (BGH StV 1992, 64).
5. Eine Aufhebung der vorläufigen Maßregel ist auch nicht deshalb geboten, weil sich die Beendigung des Verfahrens durch die Aufhebung des Berufungsurteils und die Zurückverweisung der Sache an das Landgericht verzögert hat.
Ob eine ungewöhnlich lange Dauer der vorläufigen Entziehung des Fahrerlaubnis oder ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot Anlass geben kann, die vorläufige Maßregel aufzuheben, wird unterschiedlich gesehen. Es wird die Ansicht vertreten, dass Verfahrensverzögerungen keinen Vertrauensschutz des Betroffenen zu begründen vermögen, da die Maßnahme der Sicherung des Straßenverkehrs diene und deshalb ergriffen werden müsse, sobald und solange sie erforderlich sei (Löwe-Rosenberg a.a.O. § 111 a Rdn. 14; SK-Rudophi a.a.O. Rdn. 18). Nach obergerichtlicher Rechtsprechung kann bei groben Pflichtverletzungen und erheblichen Verzögerungen die Unzulässigkeit der Aufrechterhaltung einer einstweiligen Entziehung der Fahrerlaubnis eintreten (SenE StV 91, 248 und vom 26.2.2002 - 2 Ws 78/02 -; OLG Nürnberg StV 2006, 685; OLG Karlsruhe NStZ 2005, 402; OLG Düsseldorf NZV 2001, 354; vgl auch Meyer-Goßner a.a.O. Rdn. 10).
Dabei kann es sich im Hinblick auf den besonderen Sicherungszweck der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis aber nur um Ausnahmefälle handeln. Das BVerfG hat in einer Entscheidung vom 11.9.1989 - 2 BvR 1209/88 - (zitiert in der Entscheidung des OLG Düsseldorf NZV 1999, 389) ausgeführt:
"Bei Beachtung aller Umstände fällt hier die überragende Bedeutung des Sicherungszwecks der Maßnahme nach § 111 a StPO ins Gewicht, die - anders als etwa bei der zumeist nur verfahrenssichernden Funktion der Untersuchungshaft - die Allgemeinheit von vornherein, also auch vor einem rechtskräftigen Erkenntnis vor den Gefahren schützen soll, die von einem möglicherweise ungeeigneten Kfz-Führer ausgehen. Schließlich wird dem Beschwerdeführer ein Verhalten im Straßenverkehr zur Last gelegt, das die Frage nach der notwendigen Fähigkeit zur Selbstbeherrschung aufwirft ...
Vor diesem Hintergrund gewinnt die fachgerichtliche Auffassung Bedeutung, der Eignungsprüfung der Verwaltungsbehörde in einem möglichen Neuerteilungsverfahren könne nicht ohne weiteres vorgegriffen werden..."
Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass die vom Amtsgericht W. durch Urteil vom 11.12.2006 angeordnete Sperrfrist von 16 Monaten vor der auf den 10.4.2008 terminierten erneuten Berufungshauptverhandlung noch nicht abgelaufen sein wird. Auch die in dem aufgehobenen Berufungsurteil vom 25.7.2007 angeordnete Sperrfrist von weiteren 8 Monaten wäre im Falle der sofortigen Rechtskraft des Urteils gerade erst abgelaufen. Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Angeklagte durch die Verfahrensverzögerung unverhältnismäßig in seinem Recht auf ein rechtsstaatlich faires Verfahren verletzt wird. Diese Voraussetzung hat das OLG Frankfurt (NStZ-RR 1998, 76) selbst bei einer mehr als 30 Monate dauernden Entziehung und einer angeordneten Sperre von 6 Monaten nicht als erfüllt angesehen. In einem Fall wie dem vorliegenden würde der Angeklagte infolge des Rechtsmittelverfahrens besser stehen, als er bei Rechtskraft der erstinstanzlichen Entscheidung gestanden hätte, weil er wieder am Straßenverkehr teilnehmen könnte, ohne sich dem Prüfungsverfahren der Verwaltungsbehörde nach §§ 11, 13, 14 FeV unterziehen zu müssen. Das ist mit dem Sicherungszweck der Maßregel nicht vereinbar.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.
Ende der Entscheidung
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