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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 16.09.2004
Aktenzeichen: 2 Ws 215/04
Rechtsgebiete: StPO, BtMG, StGB


Vorschriften:

StPO § 81 g
StPO § 81 g Abs. 1
StPO § 304 Abs. 1
StPO § 305
StPO § 465
StPO § 467
BtMG § 29 a Abs. 1 Nr. 2
BtMG § 30 Abs. 1 Nr. 4
StGB § 63
StGB § 64
StGB § 66
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der angefochtene Beschluss des Landgerichts Aachen vom 07.04.2004 wird dahin abgeändert, dass der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Entnahme von Speichelproben nach § 81 g StPO, deren molekulargenetische Untersuchung auf DNA-Identifizierungsmuster und anschließende Speicherung in der DNA-Identifizierungsdatei abgelehnt wird.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die hierin entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe: I. Der Angeklagte, wurde mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Aachen vom 19.01.2004 vorgeworfen, in der Zeit von Sommer 2002 bis 10.06.2003 in H., A. und anderen Orts gemeinschaftlich mit anderen Betäubungsmittel in nicht geringer Menge unerlaubt eingeführt und durch dieselbe Handlung mit diesen unerlaubt Handel getrieben zu haben. Er soll bei verschiedenen Gelegenheiten in den Niederlanden größere Mengen Amphetamin und Ecstasy-Tabletten jeweils zu 1000 Stück von Mittätern erworben und diese anschließend in das Bundesgebiet unerlaubt eingeführt haben, wo er die Betäubungsmitteln gewinnbringend an Abnehmer weiterverkauft hat. Der nicht vorbestrafte Angeklagte hat die Tatvorwürfe eingeräumt. Er ist inzwischen am 19.07.2004 durch das Landgericht Aachen wegen unerlaubter Einfuhr in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 13 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden (§§ 29 a Abs. 1 Nr. 2; 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG). Das Urteil ist seit dem 19.07.2004 rechtskräftig. Auf den Antrag der Staatsanwaltschaft hat die nach Anklageerhebung zuständige 4. große Strafkammer des Landgerichts Aachen mit Beschluss vom 07.04.2004 angeordnet, dass dem Angeklagten Speichelproben nach § 81g StPO entnommen, diese zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters molekulargenetisch untersucht und anschließend gespeichert werden. Zur Begründung wird ausgeführt, die Begehung zahlreicher Straftaten über einen langen Zeitraum verbunden mit erheblichen Mengen von Rauschgift belege, dass von dem Angeklagten auch in Zukunft die Gefahr der Begehung weiterer einschlägiger Straftaten ausgehe. Die Maßnahme sei auch verhältnismäßig, da regelmäßig Fallgestaltungen in Betracht kommen, in denen eine DNA-Analyse zum Nachweis des unmittelbaren Kontakt des Täters mit Rauschgiften geeignet ist, wie beispielsweise in den sog. Kurierfällen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde des Angeklagten. Dieser macht geltend, eine Anwendung des § 81 g StPO auf Delikte, die nicht unter den Katalog fallen und lediglich die abstrakte Möglichkeit des Körperkontakts des Täters mit Drogen biete, sei unverhältnismäßig. Die Strafkammer hat dem Rechtsmittel durch Beschluss vom 21. April 2004 nicht abgeholfen. Der Senat hat am 19.05.2004 zur weiteren Sachaufklärung die Einholung eines Gutachtens des Landeskriminalamtes zu der Frage erbeten, ob bei Rauschgiftdelikten deliktstypisch DNA-Spuren hinterlassen werden, die gespeichert und später ausgewertet werden. Unter dem 15.07.2004 hat das Landeskriminalamt dazu Stellung genommen und dargelegt, dass bis zum 01.07.2004 von insgesamt bundesweit gespeicherten 58.511 Tatortspuren (aller Delikte) 288 Tatortspuren auf Betäubungsmitteldelikte entfallen; landesweit stehen den 11.687 insgesamt gespeicherten Tatortspuren 56 gespeicherte Tatortspuren nach dem BtMG gegenüber. II. Das Rechtsmittel ist gemäß § 304 Abs. 1 StPO statthaft und wird insbesondere nicht durch § 305 StPO ausgeschlossen. Da es sich bei der beanstandeten Entnahme von Körpermaterial des Beschwerdeführers zum Zwecke der Speicherung von Daten gem. § 81 g StPO um eine vorbeugende Maßnahme zum Zwecke der Beweissicherung in einem eventuellen künftigen Strafverfahren gegen den Angeklagten handelt, ist Gegenstand der Überprüfung durch den Senat nicht eine der Urteilsfällung vorausgehende Entscheidung des erkennenden Gerichts, das im Übrigen inzwischen bereits eine Entscheidung getroffen hat. In der Sache hat das Rechtsmittel Erfolg. Die angefochtene Entscheidung ist abzuändern und der zugrundeliegende Antrag der Staatsanwaltschaft zurückzuweisen, da die gesetzlichen Voraussetzungen für die Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters des Angeklagten nicht bejaht werden können. Die für die Anordnung erforderliche Negativprognose kann nach den im Urteil der großen Strafkammer vom 19.07.2004 niedergelegten Erkenntnissen nicht festgestellt werden. Die sonstigen Anordnungsvoraussetzungen wären allerdings gegeben. Es handelt sich bei den dem Angeklagten zur Last gelegten Verstößen nach dem BtMG um Verbrechen gemäß §§ 29 a Abs. 1 Nr. 2, 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG, mithin um Straftaten von erheblicher Bedeutung, wie sie § 81 g Abs. 1 StPO verlangt. Der Senat erachtet eine Anordnung nach § 81 g StPO für Delikte nach §§ 29 a Abs. 1 Nr. 2, 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG als verhältnismäßig. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wäre dann verletzt, wenn wegen der Art des Delikts eine Erforderlichkeit der Gewinnung und Speicherung eines DNA-Identifizierungsmusters verneint werden müßte, weil deliktstypisch keine Körperspuren am Tatort hinterlassen werden, die in künftigen Strafverfahren zum Zwecke der Identitätsfeststellung verwendet werden können (vgl. dazu die Anforderungen in der Gesetzesbegründung zu § 81 g StPO, BT-Drucksache 13/10791 S. 5; BVerfG vom 16.03.2001 - 2 BvR 138/01). Diese Beurteilung ist bei Rauschgiftdelikten umstritten ( vgl. ablehnend gegenüber einer Speicherung: z.B. LG Koblenz, StV 1999,141; LG Frankenthal, StV 2000, 609; zustimmend: LG Bautzen, NJW 2000,1207; LG Waldshut-Tiengen, StV 2001,10; KK/Senge, StPO, 5. Aufl., § 81 g, Rdn. 4; Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 81 g Anm. 7 m.w.N. ). Bereits aufgrund der Erfahrungen des Senats, die denen der 4. großen Strafkammer des Landgerichts Aachen entsprechen, sind gerade bei dem Handel mit Betäubungsmitteln etliche Fallkonstellationen denkbar, in denen der oder die Täter mit dem Rauschgift bzw. der Verpackung in Berührung gekommen sind und auswertbare Körperspuren hinterlassen haben, die bei späteren Straftaten zu einer schnelleren Täterüberführung beitragen können. Diese aus Einzelfällen gewonnene Erkenntnis wird durch das Zahlenmaterial des Landeskriminalamts gestützt. Die vorliegenden Zahlen, die bereits gelöschte Datensätze nicht mehr berücksichtigen, lassen erkennen, dass auch bei Betäubungsmitteldelikten in einer Vielzahl von Fällen der Täter am Tatort Körperspuren hinterläßt, die als Identifizierungsmaterial der Auswertung und Speicherung zugänglich sind. Bundesweit wurden an 288 BtMG-Tatorten Körperspuren hinterlassen, die für eine DNA-Analyse und Speicherung geeignet sind. Damit handelt es sich um eine nicht mehr zu vernachlässigende Zahl von Fällen, in denen verwertbare Spuren vorliegen. Ein vergleichbares Ergebnis zeigen die Landeszahlen für NRW, wonach in 56 Fällen (von insgesamt 11.687 Fällen, bei denen Tatortspuren hinterlassen wurden) körpereigene Tatortspuren nach einem BtMG-Delikt gesichert wurden. Diese schon unbeachtliche Zahl der Fälle zeigt, dass auch bei Betäubungsmitteldelikten der Täter deliktsspezifisch Identifizierungsmaterial am Tatort hinterlässt, so dass bei künftigen Straftaten dieser Art wiederum mit der Sicherstellung von Körperspuren am Tatort gerechnet werden kann, die nach der DNA-Analyse für eine Überführung geeignet sind. Gemäß § 81 g Abs. 1 StPO dürfen dem Beschuldigten, der einer Straftat von erheblicher Bedeutung, insbesondere eines Verbrechens verdächtig ist, jedoch nur dann Körperzellen entnommen und zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters molekular-genetisch untersucht werden, wenn wegen der Art oder der Ausführung der Tat, der Persönlichkeit des Beschuldigten oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, dass gegen ihn künftig erneut Strafverfahren wegen einer vorgenannten Straftat zu führen sind. Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen für diese sog. Negativprognose nicht erfüllt. Diese verlangt nämlich, dass aufgrund der in § 81 g Abs. 1 StPO genannten persönlichen, tatbezogenen oder sonstigen Kriterien Grund zu der Annahme besteht, dass gegen den Beschuldigten in der Zukunft erneut Strafverfahren wegen der Anlasstaten oder vergleichbarer Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sind. Es ist nicht erforderlich, eine konkrete Gefahr weiterer Straftaten durch den Beschuldigten festzustellen. Auch hat sich die Prognoseentscheidung nicht an den Kriterien der §§ 63, 64, 66 StGB zu messen (wie hier: OLG Karlsruhe in StV 02, 62). Maßstab ist vielmehr (vgl. BT-Drucks. 13/10791, S. 5) das Vorhandensein schlüssiger, verwertbarer und in der Entscheidung nachvollziehbar dokumentierter Tatsachen, auf deren Grundlage die richterliche Annahme der Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten von erheblicher Bedeutung belegt wird, für die das DNA-Identifzierungsmuster einen Aufklärungsansatz durch einen (künftigen) Spurenvergleich bieten kann (BVerfG,NStZ 01, 328 = NJW 01, 878 = StV 01, 145; OLG Karlsruhe aaO., 62; vgl. auch LG Frankfurt StV 01, 9; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 86 g Rdnr. 8). Hierzu bedarf es positiver, auf den Einzelfall bezogener Gründe für die Annahme der Wiederholungsgefahr (BVerfG, NStZ 01, 330). Zwar mögen bei Erlaß des angefochtenen Beschlusses aufgrund des in der Anklage vom 19.01.2004 formulierten Tatvorwurfs noch ausreichende Gründe vorgelegen haben, die zu einer Bejahung der Wiederholungsgefahr geführt haben. Aufgrund der am 19.07.2004 durchgeführten Hauptverhandlung ist die erkennende Strafkammer indes zu dem Ergebnis gelangt, dass zukünftig die Begehung vergleichbarer Taten durch den Angeklagten nicht wahrscheinlich ist. Es habe sich - so hat die Strafkammer in dem Urteil vom 19.07.2004 ausgeführt - "bei den vorliegend abzuurteilenden Straftaten um eine Episode seines Lebens" gehandelt, " die mit der Trennung von seiner ersten Ehefrau und dem Verlust seiner Arbeitsstelle einherging und inzwischen abgeschlossen ist. Der Angeklagte hat nunmehr eine neue Arbeitsstelle und ist eine neue Beziehung eingegangen; er hat den Konsum illegaler Drogen eingestellt. .... Der Angeklagte .. hat sich auch vorliegend zum erstenmal in Haft befunden und ist durch diese Erfahrung erheblich beeindruckt". Angesichts dieser Erkenntnisse der Strafkammer, die diese aufgrund eines persönlichen Eindrucks während der Hauptverhandlung gewonnen hat, bestehen keine ausreichenden Gründe für die Annahme, dass der Angeklagte in Zukunft wiederum erhebliche Straftaten wie die Anlasstaten oder vergleichbare Delikte begehen wird. Zwar hat der Angeklagte nach dem vorliegenden Urteil in dreizehn und damit in einer nicht unerheblichen Zahl von Fällen Betäubungsmittel illegal eingeführt und damit Handel getrieben. Doch hat es sich dabei um Straftaten gehandelt, die durch eine besondere persönliche Situation des Angeklagten verursacht worden sind. Diese negative Lebensphase soll nach den Erkenntnissen der Strafkammer nunmehr beendet sein; zudem hat der Angeklagte sich von dem Drogenkonsum abgewandt. Der Senat, der sich im Beschwerdeverfahren kein vergleichbar umfassendes Bild von der Persönlichkeit des Angeklagten machen kann, geht deshalb von der Beurteilung der Strafkammer aus. Danach fehlen aufgrund der jetzigen persönlichen Verhältnisse des Angeklagten hinreichende Gründe für die Annahme der Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten von erheblicher Bedeutung. Der angefochtene Beschluss war somit abzuändern und der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Entnahme von Körperzellen und deren Analyse und Speicherung abzulehnen. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 465, 467 StPO.

Ende der Entscheidung

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