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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 16.01.2006
Aktenzeichen: 2 Ws 23/06
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 67e
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

2 Ws 23/06

In der Maßregelvollstreckungssache

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die sofortige Beschwerde des Untergebrachten gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Aachen vom 14.11.2005 - 33 StVK 716/05 K -, durch den es abgelehnt worden ist, die weitere Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aus dem Urteil des Landgerichts Duisburg vom 07.10.1997 ( 54 Kls 52 Js 743/96 - 7/97 -) zur Bewährung auszusetzen, unter Mitwirkung der Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Doleisch von Dolsperg sowie der Richter am Oberlandesgericht Scheiter und Dr. Weber

am 16. Januar 2006

beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens - an die Strafvollstreckungskammer des Land-gerichts Aachen zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Landgericht Duisburg verurteilte den Untergebrachten durch Urteil vom 07.10.1997 wegen räuberischer Erpressung und Körperverletzung in 2 Fällen sowie wegen Betäubungsmitteldelikten unter Einbeziehung früherer Verurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten. Außerdem wurde im Hinblick auf ein bei dem Untergebrachten vorliegendes Borderline-Syndrom seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Maßregel wird - unterbrochen durch die Verbüßung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil vom 07.10.1997 sowie früherer gegen ihn verhängten Strafen in der Zeit vom 08.07.1999 bis zum 25.09.2000 - seit dem 07.10.1997 vollstreckt, und zwar zunächst in den Rheinischen Kliniken Bedburg-Hau, seit dem 26.09.2000 in den Rheinischen Kliniken Düren.

Der Senat hat durch Beschlüsse vom 14.12.2001 - 2 Ws 542/01 - und vom 23.12.2002 - 2 Ws 648/02 - Beschwerden des Untergebrachten gegen die Ablehnung der Aussetzung des weiteren Vollzugs der Maßregel zur Bewährung verworfen. Bei den jährlichen Überprüfungen nach § 67 e StGB waren dem Untergebrachten seit 1998 Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Zuletzt wurde durch Beschluss vom 14.04.2005 auf Wunsch des Untergebrachten Rechtsanwalt Dr. L. aus R. zum neuen Pflichtverteidiger bestellt. Mit Verfügung vom 21.09.2005 bestimmte der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer Termin zur Anhörung des Untergebrachten auf den 02.11.2005, 9.30 in den Rheinischen Kliniken Düren. Der Pflichtverteidiger erhielt hiervon Nachricht. Mit Faxschreiben vom 01.11.2005 stellte der Pflichtverteidiger den - im einzelnen begründeten - Antrag, den Anhörungstermin zu verlegen und erschien zur Anhörung nicht. Im Termin wurde folgende Erklärung des Untergebrachten zu Protokoll genommen :

"Mir ist bekannt, dass mein Verteidiger heute nicht erscheinen wird. ... Er hat mir gesagt, das Gericht solle entscheiden, ob die Anhörung nun stattfinde, ich solle ggf. teilnehmen. Mir ist das auch relativ egal. Ich denke, dass mein Verteidiger das, was er zu sagen hat, auch aus der Ferne machen kann."

Die Anhörung wurde sodann durchgeführt und das hierüber gefertigte Protokoll dem Pflichtverteidiger zur evtl. Stellungnahme binnen 2 Wochen übersandt. Dieser wies mit Schriftsatz vom 09.11.2005 auf seinen nicht beschiedenen Verlegungsantrag vom 01.11.2005 hin und bat um Anberaumung eines neuen Anhörungstermins. Die Strafvollstreckungskammer traf daraufhin die angefochtene Entscheidung, in der ausgeführt ist, dass der Grundsatz des rechtlichen Gehörs durch Einräumung der Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme an den Pflichtverteidiger, auf dessen Anwesenheit der Untergebrachte verzichtet habe, gewahrt worden sei.

Gegen diese ihm am 28.11.2005 zugestellte Entscheidung hat der Pflichtverteidiger mit am 02.11.2005 bei dem Landgericht Aachen eingegangenem Faxschreiben vom selben Tage sofortige Beschwerde eingelegt, mit der er die Verletzung des rechtlichen Gehörs rügt.

II.

Das gemäß § 454 Abs.3 Satz 1 StPO statthafte, auch fristgemäß eingelegte und damit insgesamt zulässige Rechtsmittel hat in der Sache vorläufigen Erfolg.

Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer verletzt das Recht des Untergebrachten auf ein faires Verfahren.

Die Strafvollstreckungskammer hat zu Recht angenommen, dass dem Untergebrachten in entsprechender Anwendung von § 140 Abs. 2 StPO ein Pflichtverteidiger beizuordnen war. Die Beiordnung war auch aus verfassungs-rechtlichen Gründen (vgl hierzu BVerfG NJW 86,767,771; BVerfG Kammer-entscheidung des 2. Senats vom 13.11.2005 - 2 BvR 792/05) geboten, da der psychisch kranke Untergebrachte, der lediglich einen Hauptschulabschluß erreicht hat, über keine Berufsausbildung verfügt und seit etwa 1983 entwurzelt ist, angesichts des Gewichts der Entscheidung - er befindet sich inzwischen seit mehr als neun Jahren in Unfreiheit - und der komplizierten Sach- und Rechtslage zur effektiven Wahrnehmung seiner Recht nicht hinreichend in der Lage ist.

Mit der von Strafvollstreckungskammer selbst für notwendig erachteten Mitwirkung eines Pflichtverteidigers ist nicht zu vereinbaren, dass die mündliche Anhörung im Vollstreckungsverfahren ohne den Verteidiger durchgeführt worden ist. Zwar handelt es sich bei der Anhörung im Vollstreckungsverfahren nach § 454 Abs. 1 S.3 StPO, der nach § 463 Abs. 3 StPO auch bei Aussetzungsentscheidungen über die Vollstreckung von Maßregeln gilt, nicht um eine förmliche Vernehmung im Sinne der §§ 163 a, 168 c StPO, bei der dem Verteidiger die Anwesenheit gestattet ist. Jedoch gebietet es der im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Grundsatz des fairen Verfahrens, dem Verteidiger in entsprechender Anwendung der §§ 163 a, 168 c StPO auch bei der mündlichen Anhörung im Vollsteckungsverfahren die Teilnahme zu gestatten (vgl BVerfG NJW 93, 2301).

Dieses Recht hat die Strafvollstreckungskammer verletzt. Dabei kann dahin stehen, ob der Strafvollstreckungskammer der Schriftsatz des Pflichtverteidigers vom 01.11.2005 bei dem Anhörungstermin am 02.11.2005 vorlag, was möglicherweise nicht der Fall war, da der Schriftsatz am Abend des 01.11.2005, in Nordrhein-Westfalen ein gesetzlicher Feiertag, bei dem Landgericht eingegangen war. Auch kann offen bleiben, ob hinreichende Gründe für eine Verlegung des Termins vom 02.11.2005 gegeben waren, wofür allerdings einiges spricht, da der am 01.11.2005 durch eine Hauptverhandlung vor dem Landgericht Lübeck terminlich gebundene Pflichtverteidiger am nächsten Morgen kaum bis 9.30 nach Düren hätte anreisen können. In jedem Falle hätte dies aber an der Notwendigkeit der Anwesenheit eines Pflichtverteidigers nichts geändert, die für das gesamte Verfahren besteht. Die Frage, ob für die Anhörung ein anderer Pflichtverteidiger hätte bestellt werden können, stellt sich nicht, weil die Strafvollstreckungskammer diese - auch eher fern liegende - Möglichkeit nicht erwogen hat.

Die Strafvollstreckungskammer hätte bei dieser Sachlage - wie ohne weiteres möglich gewesen wäre und wie von dem Verteidiger mit Schriftsatz vom 09.11.2005 auch beantragt - eine neue Anhörung anberaumen müssen.

Davon war die Strafvollstreckungskammer nicht deswegen entbunden, weil der Untergebrachte bei der Anhörung zu erkennen gegeben hatte, dass er auf die Anwesenheit seines Verteidigers keinen Wert legte. Die Rechtsprechung misst einem - ausdrücklichen - Verzicht eines Verurteilten nur insoweit rechtliche Bedeutung zu, als er selbst auf eine Anhörung verzichtet; einem Verurteilten, der an der zu treffenden Entscheidung kein Interesse zeigt, wird die mündliche Anhörung nicht aufgedrängt (vgl BGH NJW 2000, 1663; Meyer-Goßner, StPO, 48.Aufl., § 454 Rn 30 m.w.N.).

Um eine derartige Fallgestaltung handelt es sich hier nicht.

Das Anwesenheitsrecht des Pflichtverteidigers wird durch Erklärungen, wie sie der Untergebrachte hier abgegeben hat, nicht berührt. Er ist Beistand, nicht Vertreter des Untergebrachten. Seine Aufgabe verlangt von ihm, das Verfahren in eigener Verantwortung und unabhängig von dem Untergebrachten zu dessen Schutz mitzugestalten (BGH JR 96,124; Senat 07.10.05 - 2 Ws 469/05-).

Die dem Pflichtverteidiger gebotene Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme genügte zur sachgerechten Wahrnehmung der Rechte des Untergebrachten nicht. Sie stellt eine Verkürzung seiner Rechte dar. Die ausreichende Gewähr für eine sachgerechte Stellungnahme bietet hingegen wegen der Chance, die Sache mit dem Gericht und weiteren Beteiligten - hier insbesondere den bei der Anhörung zu Dritt erschienenen Ärzten - zu erörtern, die mündliche Anhörung (vgl BVerfG NJW 93, 2301).

Die Sache ist daher zur erneuten Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen. Eine eigene Entscheidung des Senats kommt wegen der neu durchzuführenden mündlichen Anhörung nicht in Betracht.

Die Entscheidung über die Kosten ist der Strafvollstreckungskammer vorzubehalten. Es erscheint sachgerecht, die Kosten des Beschwerdeverfahrens von dem Erfolg des Rechtsmittels in der Sache abhängig zu machen.

Ende der Entscheidung

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