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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 26.05.2008
Aktenzeichen: 2 Ws 249/08
Rechtsgebiete: ZPO, StPO


Vorschriften:

ZPO § 171
ZPO § 178 Abs. 1 Nr. 3
ZPO § 182 Abs. 1 S. 2
ZPO § 418
StPO § 37 Abs. 1
1. In der gegenüber einer Suchtberatungsstelle abgegebenen "Einverständniserklärung", mit der bestätigt wird, dasss die Post an die Einrichtung geschickt werden soll, kann eine Bevollmächtigung der in der Einrichtung tätigen Personen zur Entgegennahme von Zustellungen liegen, die eine Zustellung nach § 171 ZPO ermöglicht.

2. Die Beweiskraft der Zustellungurkunde nach § 182 Abs. 1 S. 2 in Verb. mit 418 ZPO wird nicht in Frage gestellt, wenn in der Zustellungsurkunde vom Fall einer Ersatzzustellung nach § 37 Abs. 1 StPO in Verb. mit § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ausgegangen wird, bei zutreffender rechtlicher Bewertung aber eine Zustellung nach § 171 ZPO anzunehmen ist.

3. Von der Möglichkeit der öffentlichen Zustellung soll wegen der damit für den Zustellungsempfänger regelmäßig verbundenen Nachteile nur als "ultima ratio" Gebrauch gemacht werden.


Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Verurteilten verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Beschluß die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluß des Amtsgerichts A. vom 06.11.2007, mit dem die Strafaussetzung zur Bewährung aus dem Urteil des Amtsgerichts A. vom 22.03.2006 widerrufen wurde, wegen Versäumung der Beschwerdefrist als unzulässig verworfen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat das Landgericht dem Verurteilten nicht gewährt.

Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt:

I.

"Der Verurteilte wurde durch Urteil des Amtsgerichts A. vom 22. März 2006, rechtskräftig seit dem 30. März 2006, wegen Diebstahls in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung auf zwei Jahre - bis zum 29. März 2008 zur Bewährung ausgesetzt wurde. Dem Verurteilten wurde auferlegt, sich straffrei zu führen und jeden Wohnungswechsel dem Gericht mitzuteilen. Er wurde außerdem der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt. Seit Oktober 2006 entzog sich der Verurteilte dem Kontakt zur Bewährungshelferin. Er wurde in einer gerichtlichen Anhörung am 27. Februar 2007 zur Kontakthaltung mit der Bewährungshelferin ermahnt. Am 21. Februar 2007 suchte er die Bewährungshelferin auf, befand sich seit dem 25. Juli 2007 in einer stationären Entgiftung in den Westfälischen Kliniken M. und gab an, hiernach nach Köln verziehen zu wollen. Seine Wohnung in A. hatte er bereits gekündigt. Der Verurteilte brach die Entgiftung ab und hielt sich hiernach ohne festen Wohnsitz zunächst in Köln, dann wieder in A. auf. Er war nach August 2007 weder für die Bewährungshilfe A. noch die Bewährungshilfe Köln erreichbar und erst ab Ende Oktober 2007 postalisch über das Café R., K.platz 15 in A. erreichbar. Er hatte der Einrichtung gegenüber schriftlich erklärt: "Hiermit bescheinige ich ... geb. am ..., dass meine Post an die Suchthilfe A., Kontakt-Café, K.platz 15, geschickt werden soll. Ich erkläre mich hiermit bereit, werktäglich im Kontakt-Café der Suchthilfe A. nach eingegangener Post für mich zu fragen." Das Postfach hat zumindest bis Mitte März 2008 bestanden. Der Widerrufsbeschluss wurde dem Verurteilten seitens des Kontakt-Cafés ausgehändigt.

Mit Beschluss vom 06. November 2007 widerrief das Amtsgericht A. die eingeräumte Bewährung und stellte den Beschluss dem Verurteilten am 04. Dezember 2007 im Café R. zu. Der Verteidiger des Verurteilten erhob für den Verurteilten hiergegen am 19. Dezember 2007 sofortige Beschwerde und beantragte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er machte geltend, der Verurteilte habe von dem Widerrufsbeschluss erst am "vergangenen Mittwoch" - dem 12. Dezember 2007 - Kenntnis erhalten, ein Widerrufsverfahrens sei ihm vorher unbekannt gewesen. Dem Beschluss sei eine Rechtsmittelbelehrung nicht beigefügt gewesen, so dass dieser von der kurzen Frist der sofortigen Beschwerde nicht informiert gewesen sei. Der Verteidiger legte ein ärztliches Attest vom 17. Dezember 2007 vor, in dem Dr. med. P. auch zu Auswirkungen einer Inhaftierung des Verurteilten Stellung nimmt.

II.

Die sofortige Beschwerde ist unzulässig.

Die am 19. Dezember 2007 beim Amtsgericht A. eingegangene sofortige Beschwerde ist verfristet, da der Widerrufsbeschluss dem Verurteilten am 04. Dezember 2007 bereits wirksam durch Übergabe an einen rechtsgeschäftlich Bevollmächtigten erfolgt ist. Die Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO war damit bereits mit Ablauf des 11. Dezember 2007 verstrichen.

Die von dem Verteidiger des Verurteilten geäußerten Zweifel, ob überhaupt ein Widerrufsbeschluss zugestellt worden sei, entbehren einer Grundlage. Zum einen ergibt sich entsprechendes aus der Zustellungsurkunde vom 04. Dezember 2007, zum anderen ergibt sich dies auch aus dem ärztlichen Attest vom 17. Dezember 2007, in dem zur Frage der Inhaftierung des Verurteilten Ausführungen gemacht werden; hierzu hätte es ohne den vorliegenden Widerruf nicht bedurft.

Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind nicht ersichtlich. Der Verurteilte war nicht ohne eigenes Verschulden gehindert, fristgerecht sofortige Beschwerde zu erheben. Dem Verurteilten hätte es nämlich angesichts der dem Café R. erteilten Postempfangsvollmacht oblegen, werktäglich sein Postfach zu leeren. Dies oblag ihm unabhängig von der gegenüber dem Café R. übernommenen Verpflichtung auch bereits deshalb, weil er damit rechnen musste, dass an diese Postanschrift auch Zustellungen vorgenommen werden, die Fristen in Gang setzen können. Wäre er dieser Verpflichtung nachgekommen, hätte er bereits deutlich vor dem 12. Dezember 2007 den Widerrufsbeschluss erhalten und hätte vor Ablauf der Beschwerdefrist sofortige Beschwerde erheben können. Hierzu war er jedoch bereits deshalb nicht in der Lage, weil er den Widerrufsbeschluss erst nach Ablauf der Beschwerdefrist zur Kenntnis genommen hat. Auf den ebenfalls vom Verurteilten geltend gemachten Umstand, dem Beschluss sei eine Rechtsmittelbelehrung bezüglich der sofortigen Beschwerde nicht beigefügt gewesen, kommt es angesichts der erstmaligen Kenntnisnahme am 12. Dezember 2007 nicht mehr an. Zwar ist gemäß § 44 Satz 2 StPO die Versäumung der Rechtsmittelfrist als unverschuldet anzusehen, wenn eine Belehrung unterblieben ist. Damit wird jedoch nur das Erfordernis des fehlenden Verschuldens aufgehoben, nicht aber das eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Belehrungsmangel und Fristversäumnis (vgl. Meyer-Goßner § 44 StPO Rdnr. 22, OLG Frankfurt, NStZ-RR 2007, 206f). Ein solcher ursächlicher Zusammenhang fehlt hier jedoch gerade, weil der Verurteilte auch bei Erhalt einer zutreffenden Rechtsmittelbelehrung nicht mehr fristgerecht die sofortige Beschwerde hätte erheben können und nicht durch die fehlende Rechtsmittelbelehrung über die Dauer einer (noch) laufenden Beschwerdefrist im Unklaren gelassen worden ist.

Es besteht kein Anspruch des Verurteilten, dass Widerrufsbeschluss oder Rechtsmittelbelehrung in fremder Sprache überlassen werden, da die Gerichtssprache die deutsche Sprache ist.

Insgesamt hat der Beschwerdeführer daher nicht schlüssig vorgetragen, dass er die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde ohne eigenes Verschulden versäumt hat. Mithin war auch der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unbegründet zu verwerfen."

Dem stimmt der Senat zu mit folgender Ergänzung :

1. Das (unbegründet gebliebene) Rechtsmittel ist dem Wortlaut nach ohne Einschränkung gegen die landgerichtliche Entscheidung gerichtet. Es ist jedoch bei sachgerechter Würdigung nur als sofortige Beschwerde gegen die Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand anzusehen. Denn im übrigen ist gegen die Entscheidung nach § 310 Abs. 2 StPO kein weiteres Rechtsmittel mehr statthaft, da das Landgericht als Beschwerdegericht entschieden hat und die Entscheidung keinen der in § 310 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 StPO aufgeführten Fälle betrifft.

2. Das Landgericht hat dem Verurteilten zurecht keine Wiedereinsetzung gewährt. Es ist zutreffend von der Wirksamkeit der am 04.12.2007 vorgenommenen Zustellung des Widerrufsbeschlusses des Amtsgerichts ausgegangen.

a) Nach der Zustellungsurkunde ist der Zusteller von dem Fall einer Ersatzzustellung nach § 37 Abs. 1 StPO in Verb. mit § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ausgegangen. Das ist insofern unrichtig, als die Zustellung in einer Gemeinschaftseinrichtung voraussetzt, dass der Zustellungsadressat - anders als der Verurteilte - in der Einrichtung auch wohnt (vgl. Zöller-Stöber, ZPO, 26. Aufl., § 178 Randnr. 20 ).

b) Bei richtiger rechtlicher Betrachtungsweise war jedoch ein Fall der Zustellung an Bevollmächtigte nach § 171 ZPO gegeben. Die von dem Verurteilten gegenüber der "Suchthilfe A." abgegebene "Einverständniserklärung" enthält u.a. die Formulierung : "Hiermit bestätige ich, dass meine Post an die Suchthilfe A. geschickt werden soll."

Darin liegt nach Auffassung des Senats eine sog. "Passivvertretung", die die in der Einrichtung tätigen Personen zur Entgegennahme von Zustellungen mit Wirkung für und gegen den Beschwerdeführer berechtigt. Die Bevollmächtigung mehrerer Personen - sog. Gesamtvertretung - ist rechtlich unbedenklich.

Bei Bevollmächtigung mehrerer Personen ist im Falle der Passivvertretung jeder Vertreter allein zur Entgegennahme von Zustellungen berechtigt (vgl. BGHZ 62, 173; Palandt-Heinrichs, BGB, 67. Aufl., § 167, Randnr. 14 m.w.N.)

c) Ein solches Verständnis der von dem Beschwerdeführer abgegebenen Erklärung ist sachgerecht. Einerseits wird das Interesse der Allgemeinheit an der Einhaltung formstrenger Zustellungsvorschriften nicht verletzt. Nach § 171 S.2 ZPO hat der Vertreter eine schriftliche Vollmacht vorzulegen. Diesem Erfordernis hätte hier durch Vorlage der Einverständniserklärung zwanglos Rechnung getragen werden können.

Andererseits sind eigene schutzwürdige Belange des Beschwerdeführers zu wahren, der sonst Gefahr liefe, dass Entscheidungen mangels anderweitiger Zustellungsmöglichkeiten nur im Wege öffentlicher Zustellung zugestellt werden könnten, wie es hier bereits in Aussicht genommen worden war. Öffentliche Zustellungen sind wegen ihrer nur fingierten Wirkung erfahrungsgemäß häufig mit Rechtsnachteilen für den Zustellungsadressaten verbunden, weil er von Zustellungen erst nach Verstreichen von Rechtsmittelfristen oder gar keine Kenntnis erlangt. Von der Möglichkeit der öffentlichen Zustellung soll deshalb nur als "ultima ratio" Gebrauch gemacht werden (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 50.Aufl., § 40 Randnr. 4). Auch dieser - im Interesse des Zustellungsadressaten geltende - Grundsatz legt es nahe, hier dem Weg der Zustellung nach § 171 ZPO den Vorzug zu geben.

d) Die Beweiskraft der Zustellungsurkunde nach § 182 Abs. 1 S.2 in Verb. mit 418 ZPO wird nicht in Frage gestellt. Die Beweiskraft betrifft nur die in der Urkunde bezeugten Tatsachen. Diese legt der Senat seiner Entscheidung uneingeschränkt zugrunde. Auf die aufgrund dieser Tatsachengrundlage vorgenommene rechtliche Einordnung des Zustellungsvorganges nach den §§ 166 ff ZPO erstreckt sich die Beweiskraft der Zustellungsurkunde nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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