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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 15.06.2007
Aktenzeichen: 2 Ws 272/07
Rechtsgebiete: IRG


Vorschriften:

IRG § 57
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

2 Ws 272/07

In der Strafvollstreckungssache

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 26.4.2007 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Aachen vom 10.4.2007, Az. 33 e StVK 88/07, mit dem es abgelehnt worden ist, die weitere Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil der Audiencia Provincial der Balearen, 2. Kammer, Palma de Mallorca vom 3.7.2003, Urteil Nr. 80/03, in Verbindung mit dem Beschluss des Landgerichts Köln vom 4.11.2005, Az. StVK 660/05, nach Verbüßung der Hälfte der Strafe zur Bewährung auszusetzen

am 15.6.2007

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer wurde durch Urteil der Audiencia Provincial der Balearen in Palma de Mallorca am 3.7.2003 wegen sexuellen Angriffs mit Geschlechtsverkehr und sexuellen Angriffs ohne Geschlechtsverkehr zum Nachteil der damals 17-jährigen D H und B L I zu einer Freiheitsstrafe von 18 Jahren verurteilt. Er hat sich in Spanien in der Zeit vom 3.8.2002 bis zum 30.4.2006 in Haft befunden, zunächst in Untersuchungshaft, später in Strafhaft. Nachdem das Landgericht Köln durch Beschluss vom 4.11.2005 die Vollstreckung aus diesem Urteil für zulässig erklärt und hierbei eine Freiheitsstrafe von 15 Jahren festgesetzt hat, wird die Haft seit dem 1.5.2006 in Deutschland vollstreckt. Durch Beschluss vom 4.10.2006, Az. 61 StVK 523/06, hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hagen zudem angeordnet, dass die in Spanien erfolgte Freiheitsentziehung im Verhältnis von 1:2 auf die verhängte Strafe anzurechnen ist. Hiernach hatte der Verurteilte am 6.6.2006 die Hälfte seiner Strafe verbüßt, 2/3 der Strafe werden am 5.10.2008 verbüßt sein, die Endstrafe ist auf den 6.10.2013 notiert.

Der Verurteilte begehrt die Aussetzung der weiteren Freiheitsstrafe nach Verbüßung der Hälfte zur Bewährung. In seinem Halbstrafengesuch vom 22.11.2006 hat er zur Begründung ausgeführt, es müsse ihm zugute kommen, dass er Erstverbüßer sei. Er habe sich im Vollzug tadellos geführt. Im Falle einer Entlassung verfüge er über gesicherte persönliche und soziale Verhältnisse. Den Kontakt zu seiner - allerdings geschiedenen - Ehefrau halte er nach wie vor aufrecht. Darüber hinaus sei er Empfänger von Versorgungsbezügen. Zu berücksichtigen sei zudem, dass es sich bei den von ihm begangenen Taten um einmalige Verfehlungen gehandelt habe. Diese seien zudem unter Alkoholeinfluss erfolgt. Die Höhe der in Spanien verhängten Freiheisstrafe sei nicht tatangemessen. Der Leiter der Justizvollzugsanstalt Aachen hat eine bedingte Entlassung in seiner Stellungnahme vom 8.2.2007 befürwortet. In der von der Strafvollstreckungskammer am 10.4.2007 durchgeführten Anhörung hat der Verurteilte zu seinen persönlichen Verhältnissen noch mitgeteilt, dass eine vom Polizeipräsidenten in L als seinem Dienstherrn im Jahre 2005 erfolgte Zurruhesetzung wegen Dienstunfähigkeit zwischenzeitlich vom Verwaltungsgericht Köln aufgehoben worden sei.

Die Strafvollstreckungskammer hat eine bedingte Entlassung des Verurteilten durch den angefochtenen Beschluss abgelehnt. Gegen den am 25.4.2007 zugestellten Beschluss hat der Verurteilte durch seinen Verteidiger am 26.4.2007 sofortige Beschwerde erhoben. In der Begründung zur sofortigen Beschwerde vom 18.5.2007 wird erneut auf die nach Auffassung des Verurteilten außergewöhnliche Strafhöhe des spanischen Urteils hingewiesen. Soweit die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hagen im Beschluss vom 4.10.2006 möglicherweise eine für den Verurteilten günstige Anrechnung der in Spanien erlittenen Haft vorgenommen habe, so könne dies im Rahmen der nunmehr zu treffenden Entscheidung nicht zu seinen Ungunsten berücksichtigt werden. Der Verurteilte hat zudem auf den Umstand hingewiesen, dass der Halbstrafenzeitpunkt bereits seit über 1 Jahr verstrichen sei. Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die nach § 454 Abs. 3 S. 1 StPO statthafte, form- und fristgerecht (§ 311 Abs. 2 StPO) eingelegte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die Strafvollstreckungskammer hat das Halbstrafengesuch des Verurteilten zu Recht zurückgewiesen. Die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Strafrestes bereits zum frühest möglichen Zeitpunkt gemäß § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB liegen nicht vor.

Nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB kann das Gericht eine zeitige Freiheitsstrafe nach Verbüßung der Hälfte zur Bewährung aussetzen, wenn aufgrund einer Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit des Verurteilten und seiner Entwicklung während des Strafvollzugs besondere Umstände vorliegen, die eine Aussetzung zur Bewährung rechtfertigen. Neben einer positiven Sozialprognose müssen Umstände von solchem Gewicht vorliegen, dass diese einen Verzicht auf die in der Strafvollstreckung liegende Reaktion auf ein Fehlverhalten zulassen. Zudem darf die Strafaussetzung nicht als unangebracht erscheinen (Schönke/Schröder-Stree, StGB, 27. Aufl., § 56, Rdn. 28). Die besonderen Umstände brauchen hierbei keinen Ausnahmecharakter zu haben und sie müssen nicht kumulativ für jedes einzelne Kriterium (Tat, Persönlichkeit, Entwicklung während des Strafvollzugs) festgestellt werden. Sie müssen allerdings im Vergleich mit gewöhnlichen, durchschnittlichen, allgemeinen oder einfachen Milderungsgründen ein besonderes Gewicht aufweisen (Schönke/Schröder-Stree, a.a.O., § 57, Rdn. 23 b; Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl., § 57, Rdn. 29). Anders als bei der Aussetzung des Strafrestes nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe (§ 57 Abs. 1 S. 1 StGB) fließen in die Bewertung auch Gesichtspunkte der Schuldschwere (vgl. Gribbohm, in: Leipziger Kommentar, StGB, 11. Aufl., § 57, Rdn. 54; Lackner/Kühl, StGB, 25. Aufl., § 57, Rdn. 20), der Generalprävention (BGHR StGB § 57 Abs. 1 "Versagung 1") und der Verteidigung der Rechtsordnung (vgl. OLG München NStZ 1987, 74) mit ein.

Dieser durch § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB vorgegebene Maßstab findet für die hier vorzunehmende Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung Anwendung. Zwar ist die Freiheitsentziehung aufgrund eines Übernahmeersuchens durch Vollzug der Exequaturentscheidung nur der Form nach Strafvollstreckung, ihrem Wesen entsprechend jedoch Rechtshilfe. Dennoch gelten für die Aussetzung des Strafrests, wenn die deutsche Vollstreckungsbehörde nach der Bewilligung der Rechtshilfe die Vollstreckung einer freiheitsentziehenden Maßnahme aus einem ausländischen Urteil durchführt, nach Art. 9 Abs. 3 ÜberstÜbk und § 57 Abs. 2 Satz 2 IRG die Vorschriften des Strafgesetzbuches (Senat B. v. 9.11.2001, 2 Ws 449/01; OLG Hamm B.v. 19.1.2004, 2 Ws 22/04; OLG Düsseldorf B v. 8.11.2005, III - 3 Ws 445/05 = NStZ-RR 2006, 217 f.). Selbst wenn man davon abweichend zugunsten des Verurteilten vom Grundsatz der Meistbegünstigung ausgehen würde, ihm mithin das im Vergleich von Spanien und Deutschland günstigste Strafaussetzungsrecht zugute kommen lassen wollte (vgl. Schomburg/Hackner, in: Schomburg u.a. Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, § 57, Rdn. 8 ff.), so ist nicht ersichtlich, dass das spanische Recht Regelungen enthält, die dem Verurteilten zum jetzigen Zeitpunkt günstiger sind. Schlußendlich liegt auch kein spanisches Ersuchen nach § 57 Abs. 6 IRG vor.

Auf dieser Grundlage ist zugunsten des Verurteilten eine Aussetzung der Restfreiheitsstrafe zur Bewährung nach hälftiger Strafverbüßung nicht zu rechtfertigen:

Zur Bewertung der vom Verurteilten begangenen Tat ist festzustellen, dass sich diese als schwerwiegend erweist. Der Verurteilte hat in der Tatnacht bewusst die besondere Situation der beiden jungen Frauen ausgenutzt, die sich ihm eigentlich für eine Heimfahrt zum Hotel anvertraut hatten und von daher auf ihn angewiesen waren. Die beiden Tatopfer waren noch minderjährig. Der Verurteilte hat bei seinen Taten Gewalt angewendet und weitere Gewaltanwendung angedroht. Er hat mit beiden Frauen neben weiteren sexuellen Handlungen den Oralverkehr durchgeführt. Damit hat der Verurteilte schwere Straftaten begangen und seine Opfer in hohem Maße geschädigt. Bereits die Tatumstände und die Tatbegehung lassen von daher eine Strafaussetzung zum frühest möglichen Zeitpunkt als unangemessen erscheinen. Soweit der Verurteilte auf eine Alkoholisierung bei Tatbegehung hingewiesen hat, sieht der Senat hierin keinen besonderen Umstand, der eine andere Gewichtung des Unrechtsgehalts rechtfertigen könnte.

Darüber hinaus ergeben sich auch keine besonderen persönlichen Umstände, welche die Strafaussetzung zur Bewährung im jetzigen Zeitpunkt zulassen. Die vom Verurteilten in diesem Zusammenhang angeführten Gesichtspunkte mögen zwar eine günstige Sozialprognose begründen, ihnen kommt aber nicht das Gewicht besonderer Umstände i.S. § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB zu. Dies gilt namentlich für das bislang nicht zu beanstandende vollzugliche Verhalten des Verurteilten sowie die von ihm dargelegten sozialen und wirtschaftlichen Lebensumstände für den Fall einer Entlassung. Unter weiterer Berücksichtigung des Umstandes, dass der Verurteilte Erstverbüßer ist, können diese Gesichtspunkte zwar die Erwartung eines zukünftig straffreien Lebens rechtfertigen. Dies allein reicht aber nicht, um dem Verurteilten eine frühest mögliche Entlassung zu ermöglichen. Er erfüllt damit keine besonderen Anforderungen, welche über diejenigen hinausgehen, die bei jeder Strafaussetzung zur Bewährung vorliegen müssen.

Besondere Umstände ergeben sich auch nicht unter Berücksichtigung der in Spanien verhängten Strafe. Allerdings trifft es zu, dass die verhängte 18-jährige Freiheitsstrafe weit über dem im Deutschland für vergleichbare Taten zu erwartenden und überhaupt zulässigen Strafmaß liegt. Diese Strafe musste in Deutschland nach § 54 Abs. 1 IRG in die zeitliche Höchstrafe von 15 Jahren umgewandelt werden. Eine Korrektur der ausländischen Strafzumessung war im Rahmen des Exequaturverfahrens nicht möglich (vgl. dazu Schomburg/Hackner a.a.O., § 54 IRG, Rdn. 17 ff.). Dies hindert es nach Auffassung des Senats (vgl. Beschluss vom 9.11.2001, 2 Ws 449/01) indes nicht, diesen Umstand zugunsten des Verurteilten im Rahmen der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung zu berücksichtigen. Seine Berücksichtigung führt jedoch zu keinem für den Verurteilten günstigeren Ergebnis. Dies ergibt sich aus folgender Kontrollüberlegung: Auch bei einer Strafzumessung nach Maßgabe des deutschen Rechts hätte der Verurteilte für die von ihm begangenen schweren Taten mit einer erheblichen Freiheitsstrafe rechnen müssen, die sich - unter Berücksichtigung der für und gegen den Verurteilten sprechenden Gesichtspunkte - in einer Größenordnung zwischen 7 und 10 Jahren bewegen dürfte. Der Verfolgte befindet sich mittlerweile seit knapp 5 Jahren in Haft, so dass auch nach deutschen Strafzumessungserwägungen mittlerweile allenfalls ein 2/3-Zeitpunkt, möglicherweise aber auch erst der Halbstrafenzeitpunkt erreicht wäre. Aufgrund der für den Verurteilten günstigen Anrechnungsentscheidung des Landgerichts Hagen vom 4.10.2006 ist mithin ein Vollstreckungsstand erreicht, der sich von demjenigen nach deutschem Recht nicht wesentlich unterscheidet. Aus diesem Grunde kann der Verfolgte nunmehr aus der Verhängung der sehr hohen spanischen Strafe keinen besonderen Umstand i.S. § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB für sich mehr herleiten.

Der Senat verkennt nicht, dass der Verurteilte bereits seit über 1 Jahr den Halbstrafenzeitpunkt überschritten hat und etwa die Hälfte zum 2/3-Zeitpunkt bereits verstrichen sind. Dies kann grundsätzlich ein Umstand sein, der zugunsten des Verurteilten spricht (Senat B. v. 9.11.2001, 2 Ws 449/01). In der Gesamtwürdigung der genannten, für und gegen den Verurteilten sprechenden Gesichtspunkte erscheint es gleichwohl nicht gerechtfertigt, mit Rücksicht darauf bereits zum jetzigen Zeitpunkt eine Strafaussetzung zur Bewährung auszusprechen. Der Senat weist jedoch darauf hin, dass rechtzeitig vor Eintritt des 2/3-Zeitpunktes die nach § 454 Abs. 2 Nr. 2 StPO erforderliche Begutachtung veranlasst werden sollte, so dass zeitnah mit dem Erreichen dieses Zeitpunktes eine erneute Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung möglich ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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