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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 08.07.2009
Aktenzeichen: 2 Ws 303/09
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 121
In Haftsachen darf die Sechs-Monats-Frist des § 121 StPO auch nicht annähernd ausgeschöpft werden, wenn die Anklage wenige Tage nach der Festnahme des Beschuldigten erhoben ist und die Sache in weniger als einem halben Tag verhandelt werden kann.
Tenor:

Der Haftbefehl des Amtsgerichts K. vom 18.01.2009 wird aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die darin dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer befindet sich aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts K. vom 18.01.2009 seit dem 18.01.2009 in Untersuchungshaft.

Dem Beschwerdeführer, gegen den seit dem Jahre 2006 eine rechtskräftige, bisher nicht vollstreckte Ausweisungsverfügung der Ausländerbehörde - Kreisverwaltung des Oberbergischen Kreises - besteht, liegt räuberischer Diebstahl in Tateinheit mit illegalem Aufenthalt im Bundesgebiet zur Last. Der aus dem Bundesgebiet im Jahre 2006 ausgewiesene, nach mehrfach verlängerter Duldung seit August 2008 nicht mehr im Besitz eines Aufenthaltstitels befindliche Beschwerdeführer soll am 18.01.2009 gegen 4:30 im Obdachlosenmilieu in einer U-Bahnhaltestelle am O in L dem Geschädigten eine Schachtel Zigaretten entwendet haben, in der der Geschädigte zwei 10-€-Scheine versteckt hatte. Als der Geschädigte den stark alkoholisierten Beschwerdeführer zur Rede stellte und die Zigarettenschachtel mit den Geldscheinen zurückforderte, soll der Beschwerdeführer seinen Hosengürtel abgenommen, um die Hand gebunden und dem Geschädigten damit gedroht haben, um ihn zu veranlassen, von ihm abzulassen, um sich so im Besitz des gestohlenen Gutes erhalten zu können, Verbrechen und Vergehen gem. §§ 252, 249 Abs. 1 StGB, § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG.

Wegen des Tatvorwurfs hat die Staatsanwaltschaft am 20.01.2009 Anklage zum Schöffengericht erhoben. Die am 29.01.2009 verfügte Zustellung der Anklage erfolgte am 04.02.2009. Nachdem dem Verteidiger bis zum 06.02.2009 Akteneinsicht gewährt worden war, eröffnete das Schöffengericht mit Beschluß vom 27.02.2009 das Hauptverfahren, ordnete die Fortdauer der Untersuchungshaft und bestimmte Termin zur Hauptverhandlung auf den 10.07.2009. Wegen Verhinderung des Verteidigers ist dieser Termin inzwischen auf den 17.07.2009 verlegt worden.

Nach Durchführung einer Haftprüfung vor dem Vorsitzenden des Schöffengerichts wurde der Haftbefehl mit Beschluß vom 20.05.2009 aufrechterhalten. Dagegen legte der Beschwerdeführer mit Verteidigerschriftsatz vom selben Tage Haftbeschwerde ein, mit der mit Blick auf den Zeitraum von mehr als vier Monaten zwischen der Eröffnungsentscheidung und der Hauptverhandlung die Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes sowie des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gerügt wurde. Die Haftbeschwerde wurde durch das Landgericht Köln mit Beschluß vom 25.05.2009 verworfen. Zur Frage der Verhältnismäßigkeit hat das Beschwerdegericht ausgeführt, der Angeklagte sehe einer die bisherige Dauer der Untersuchungshaft bei weitem übersteigende Freiheitsstrafe entgegen. Gegen diese Entscheidung hat der Beschwerdeführer mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 30.05.2009 weitere Beschwerde eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 09.06.2009 begründet. Die Sache könne in 90 Minuten verhandelt werden; sofern das Schöffengericht hierzu wegen Überlastung nicht zeitnah in der Lage sei, dürfe dies dem Angeklagten nicht zum Nachteil gereichen.

Der Vorsitzende des Schöffengerichts hat dem Senat auf Nachfrage, welche Gründe einer früheren Terminierung der Hauptverhandlung entgegengestanden haben, folgendes mitgeteilt :

Dr. X.. L xxxx

Xxxxx1

An das 07.07.2009

Oberlandesgericht

Kön

Per Fax: 0221-xxx

Betr. Strafsache T.

2 Ws 303/09

Nachstehend einige Fakten zur Gesamtsituation der Schöffenabteilung 613:

Im ersten Halbjahr 2009 hätten theoretisch 51 Sitzungstage stattfinden können, was natürlich nicht der Fall war.

Insgesamt sind aufgrund verschiedener Umstände 18. Sitzungstage ausgefallen durch Feiertage, Urlaub (6 Tage), Judica-Schulung der Richter, Geschäftsstellen- und Protokollkräfte sowie aufgrund der Tatsache, daß jeder Schöffenrichter jeden Monat einen Sitzungstag (6 Tage) ausfallen lassen muss, da nicht genügend Protokollkräfte zur Verfügung stehen.

Auf diese Weise blieben 33 Sitzungstage "netto" übrig.

Dem standen im 1. Halbjahr 2009 Neueingänge in Höhe von 96 Akten gegenüber, was im Vergleich zu den Vorjahren ein relativ hoher Wert ist. Von diesen 96 Neueingängen waren immerhin 19 Haftsachen, die teilweise schon relativ "betagt" bei Gericht eingingen.

Darunter befinden sich natürlich auch einige Umfangssachen, die beim Schöffengericht beim besten Willen nichts u suchen haben, aber nun einmal bei uns eingeklagt werden, weil die Strafgewalt als solche durchaus ausreicht, nicht aber die zur Verfügung stehenden Sitzungstage. Diese sind nun einmal das "Nadelöhr", durch das die Verfahren schlüpfen müssen.

Hinzu kommt, dass in den 33 Sitzungstagen 13 Delikte nach den §§ 177, 179 oder auch 181 bzw. 232 StGB verhandelt werden mussten, was durchaus in Ordnung ist, aber zur Folge hat, dass diese Verfahren naturgemäß als letzte an einem Tag verhandelt werden müssen, weil man nie weiß, wie viel Zeit man dafür braucht. Mit derartigen Verfahren kann man natürlich nicht erst um 14 Uhr anfangen, so dass auch dadurch die zur Verfügung stehende Zeit begrenzt wird.

Ergänzend sei noch erwähnt, daß die Abteilung 613 für die gesamten Strafrechtsentschädigungsverfahren im Landgerichtsbezirk Köln zuständig ist. Im ersten Halbjahr gingen hier 53 Verfahren ein.

Was nun den Angeklagten T. anbetrifft, hätte das Verfahren durchaus innerhlab der Sechsmonatsfirst durchgeführt werden können. Am angedachten Termin war der Verteidiger verhindert. Es erfolgte eine Einigung auf dem 17.07.2009

Gez.

II.

Die gem. § 310 Abs. 1 StPO zulässige weitere Beschwerde hat Erfolg.

1) Der Angeklagte ist allerdings der ihm zur Last gelegten Tat dringend verdächtig. Als Beweismittel steht nicht nur der Geschädigte - der zur Hauptverhandlung unter der angegebenen Anschrift bisher nicht geladen werden konnte - zur Verfügung. Der Vorfall ist vielmehr von den beiden einschreitenden Polizeibeamten unmittelbar beobachtet worden, die bei der Durchsuchung des Angeklagten in dessen Geldbörse zwei gefaltete 10 -€-Scheine fanden, was der Schilderung des Geschädigten entsprach.

2) Es besteht auch der Haftgrund der Fluchtgefahr gem. § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Der Angeklagte hat sich bis zu seiner Verhaftung zuletzt illegal und ohne festen Wohnsitz im Bundesgebiet aufgehalten. Für Ladungen dürfte er daher nicht erreichbar sein. Er verfügt über keinerlei sozialen Bindungen, ist mehrfach, auch einschlägig, vorbestraft und hat bereits Strafhaft verbüßt. Seine gesamten Lebensumstände machen es wahrscheinlicher, dass er sich dem Strafverfahren entzieht als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde.

3) Daneben dürfte - subsidiär - auch der Haftgrund der Wiederholungsgefahr gem. § 112 a StPO gegeben sein. Der räuberische Diebstahl ist eine Katalogtat gem. § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO. Der Angeklagte ist wegen einer solchen Tat im Jahre 2005 bereits einmal zu einer Jugendstrafe verurteilt worden, die er auch verbüßt hat. Angesichts der völligen Mittellosigkeit des Angeklagten muß befürchtet werden, dass er im Falle seiner Freilassung erneut Straftaten vergleichbar der Anlaßtat begeht, um an Geld zu gelangen. Da der einschlägig vorbestrafte Angeklagte zur Tatzeit wegen eines Körperverletzungsdeliktes auch noch unter Bewährung stand, ist eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zu erwarten.

4) Die weitere Untersuchungshaft ist jedoch unverhältnismäßig, so dass der Haftbefehl gem. § 120 Abs. 1 S.1 StPO aufzuheben ist. Dabei steht nicht im Vordergrund, dass die weitere Untersuchungshaft zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis stünde. Insoweit folgt der Senat dem Beschwerdegericht. Entscheidend ist, dass das Beschleunigungsgebot verletzt ist, das in Haftsachen stets zu beachten ist und das gesamte Strafverfahren erfaßt. . Nach der Rechtsprechung des BVerfG sind Haftsachen von Beginn an mit größtmöglicher Beschleunigung zu betreiben und haben grundsätzlich Vorrang vor der Erledigung anderer Strafsachen. Bei erheblichen Verstößen gegen das Beschleunigungsgebot kann es - auch vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist des § 121 StPO - die Aufhebung des Haftbefehls erfordern ( BVerfG NJW 2005,3485; NJW 2006, 672; StV 2006,251; StV 2007, 366).

Die Behandlung des vorliegenden Verfahrens wird diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht gerecht. Es handelt sich um einen einfach gelagerten Sachverhalt. Die Anklageschrift umfasst zwei Seiten, es sind drei Zeugen benannt. Die Verhandlung wird - selbst unter Berücksichtigung des Zeitbedarfs für das Dolmetschen - weniger als einen halben Tag in Anspruch nehmen. Es ist unter diesen Umständen nicht hinnehmbar, dass der Angeklagte seit Eröffnung des Hauptverfahrens deutlich mehr als vier Monate auf seine Hauptverhandlung warten und diese Zeit in Untersuchungshaft verbringen muß.

Der Senat verkennt nicht, dass sich das Schöffengericht nach der Zuschrift des Vorsitzenden an einer früheren Terminierung wegen Überlastung gehindert gesehen hat, der offenbar mit gerichtsorganisatorischen Maßnahmen nicht abgeholfen werden konnte. Das kann die Fortdauer der Untersuchungshaft aber nicht rechtfertigen. Das BVerfG hat in seiner Rechtsprechung (zu § 121 StPO) immer wieder daraufhingewiesen, dass es Sache des Staates ist, in Erfüllung der Justizgewährungspflicht für eine ausreichende personelle Ausstattung der mit Haftsachen befaßten Gerichte zu sorgen, damit insbesondere Haftsachen in angemessener Zeit verhandelt werden können (BVerfG NStZ 1994,93 und 553; NStZ 2006,668; ebenso die Rechtsprechung des BGH, vgl. BGHSt 38,43). Es muß außerordentlich bedenklich stimmen, dass in einem der größten deutschen Amtsgerichte jeder Schöffenrichter im Monat einen Sitzungstag ausfallen lassen muß, weil nicht genügend Protokollkräfte zur Verfügung stehen.

Ende der Entscheidung

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