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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 18.03.2005
Aktenzeichen: 2 Ws 32/05
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 112 Abs. 2 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

- 2 Ws 32/05 -

In der Strafsache

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die weitere Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss der 9. großen Strafkammer des Landgerichts Köln vom 16.11.2004 - 109 Qs 209/04 - unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin am Oberlandesgericht Doleisch von Dolsperg, der Richterin am Oberlandesgericht Dr. Ahn-Roth und des Richters am Oberlandesgericht Scheiter

am 18. März 2005

beschlossen:

Tenor:

Die weitere Beschwerde wird verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Staatskasse.

Gründe:

I.

Die Staatsanwaltschaft hat am 16.06.2004 bei dem Amtsgericht Köln den Erlass eines Haftbefehls gegen den Beschuldigten beantragt, der Schweizer Staatsbürger ist und in V/Schweiz lebt. Ihm werden verschiedene Straftaten zur Last gelegt, die in Zusammenhang mit Verfahren gegen weitere - deutsche - Beschuldigte stehen. In dem Haftbefehlsantrag wirft die Staatsanwaltschaft ihm Beihilfe zu einer Vorteilsannahme und zur Vorteilsgewährung, Untreue und Beihilfe zu einer Untreue vor. Das Amtsgericht hat am 16.07.2004 den Erlass eines Haftbefehls abgelehnt, da es keinen Haftgrund - weder Flucht - noch Verdunkelungsgefahr - feststellen konnte. Die dagegen eingelegte Beschwerde der Staatsanwaltschaft wurde vom Landgericht Köln mit Entscheidung vom 16.11.2004 verworfen, da auch die große Strafkammer die nötigen Voraussetzungen für einen Haftgrund verneint hat. Gegen diese Entscheidung wendet sich die weitere Beschwerde der Staatsanwaltschaft vom 23.11.2004, der die Generalstaatsanwaltschaft mit ihrer Stellungnahme vom 27.01.2005 beigetreten ist. Die Staatsanwaltschaft stützt ihr Rechtsmittel auf die Annahme von Flucht- und Verdunkelungsgefahr. Sie geht davon aus, dass der Beschuldigte schon angesichts des in Deutschland drohenden Strafverfahrens seinen Schweizer Wohnsitz - zumindest vorübergehend - verlassen und im Ausland Aufenthalt nehmen werde. Fluchtanreiz bestehe wegen einer drohenden Freiheitsstrafe. Eine Flucht ins Ausland sei für den Beschuldigten, der über erhebliches Fluchtkapital verfüge, problemlos zu verwirklichen, da er Immobilienbesitz im Ausland und vielfältige wirtschaftliche Beziehungen in verschiedene Länder habe. Im Übrigen könne auch deshalb ein "Sich-Entziehen" angenommen werden, weil der Beschuldigte als Schweizer Staatsbürger dem Verfahren nur zur Verfügung steht, wenn er sich freiwillig zur Hauptverhandlung nach Deutschland begibt. Es käme andernfalls zu einer unterschiedlichen Behandlung von derselben Straftat Verdächtigen, je nachdem, wo diese ihren Wohnsitz und welche Staatsangehörigkeit sie haben. Die wegen der fehlenden Auslieferungsfähigkeit bestehende Verfolgungslücke müsse - so meint die Staatsanwaltschaft - deshalb geschlossen werden, indem § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO entsprechend weit ausgelegt werde. Die Verdunkelungsgefahr stützt die Staatsanwaltschaft auf eine auf Täuschung ausgerichtete Lebensführung des Beschuldigten sowie die Einbindung in ein Beziehungsgeflecht, das Strukturen der organisierten Kriminalität aufweise. II.

Die gemäß § 304 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Die Vorinstanzen haben zu Recht den Erlaß eines Haftbefehls abgelehnt, da derzeit kein Haftgrund besteht.

Die Frage, ob hinsichtlich der zur Last gelegten Taten dringender Tatverdacht gegeben ist, kann deshalb offen bleiben.

Die Voraussetzungen des § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO liegen nicht vor.

Fluchtgefahr im Sinne dieser Vorschrift ist gegeben, wenn bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Annahme spricht, der Beschuldigte werde sich dem (weiteren) Strafverfahren entziehen, als für die Erwartung, er werde am Verfahren teilnehmen ( KK-Boujong, 5.Aufl., § 112 Rz. 15; Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 112 Rdnr. 17 m.w.N. ).

Unter keinem denkbaren Gesichtspunkt besteht bei Berücksichtung sämtlicher wesentlicher Umstände zum jetzigen Zeitpunkt eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Beschuldigte sich dem Verfahren entziehen wird.

Der Senat sieht keine konkreten Anhaltspunkte für eine Fluchtbereitschaft des Beschuldigten oder eine Fluchtvorbereitung seinerseits zum Verlassen seines Heimatlandes Schweiz. Der 67-jährige Schweizer hat sich - soweit ersichtlich - Zeit seines Lebens in der Schweiz aufgehalten und soll die ihm zur Last gelegten Taten überwiegend von der Schweiz aus begangen haben. Auch nachdem er Kenntnis von diesem Verfahren hatte, ist er in der Schweiz an seinem Wohnsitz geblieben. Sein derzeitiger Wohnsitz in V und seine Büroadresse in A sind den deutschen Strafverfolgungsbehörden seit etlichen Jahren bekannt. Der Beschuldigte war bisher immer - zuletzt mit Ladung in dem Verfahren des LG Köln - 107-3/04 - gegen F u.a. - unter diesen seit langem bekannten Anschriften erreichbar und hat sich den im Rechtshilfeverfahren durchgeführten Ermittlungsersuchen gestellt. Zwar hat er vielfältige Beziehungen ins Ausland, in das er auch wiederholt gereist ist, und ist Eigentümer eines Feriensitzes in Frankreich. Allein diese Umstände sind noch kein konkreter Hinweis darauf, dass er seinen Schweizer Lebensmittelpunkt aufgeben und sich vor den deutschen Behörden verbergen will. Auslandsreisen erfolgten jeweils - Gegenteiliges ist jedenfalls nicht erkennbar - im Rahmen geschäftlicher Tätigkeiten und üblicher Urlaubsaufenthalte und hielten sich - soweit ersichtlich - auch im üblichen zeitlichen Rahmen. Die von der Staatsanwaltschaft angeführten Indizien lassen zwar erkennen, dass der Beschuldigte aufgrund seiner finanziellen Mittel und Lebensumstände theoretisch ohne weiteres in der Lage wäre, einen neuen Lebensmittelpunkt im Ausland aufzubauen. Es fehlen indessen jegliche konkrete Anzeichen dafür, dass er dieses tatsächlich plant und Anstalten hierzu trifft. Schließlich liegt in dem Verhalten des im Ausland lebenden Beschuldigten kein "Sich -Entziehen" im Sinne des § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO.

Damit ist ein Verhalten gemeint, das den Erfolg hat, den Fortgang des Strafverfahrens dauernd oder wenigstens vorübergehend durch die Aufhebung der Bereitschaft des Beschuldigten zu verhindern, für Ladungen und Vollstreckungsmaßnahmen zur Verfügung zu stehen (Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 112 Rdnr. 18). Wann ein solches Verhalten bei ausländischen Tatverdächtigen, die an ihrem ausländischen Wohnsitz leben, gegeben ist, wird von den Obergerichten in Einzelfällen unterschiedlich gesehen ( vgl. beispielsweise OLG Karlsruhe, StV 1999, 36 und StV 2005, 33; OLG Frankfurt StV 1994, 581; OLG Saarbrücken, StV 1991,265; dagegen mit einer weiteren Auslegung des Sicht-Entziehens : OLG Hamm, StV 2005, 35 = NStZ-RR 2004,278; ähnlich OLG Stuttgart, StV 1999, 33 = NStZ 1998, 428 mit Anm. Lagodny; Senat vom 18.07.2002, NStZ 2003,219 = StV 2003, 416).

Ein bloß passives Verhalten eines im Ausland lebenden ausländischen Beschuldigten ohne jeden sonstigen Hinweis auf eine - zukünftig - fehlende Bereitschaft, sich dem deutschen Verfahren zu stellen, reicht nach Meinung des Senats - insoweit in Einklang mit jedenfalls der überwiegenden Meinung - nicht aus (vgl. zur h. M. BGH, STV 1990, 309; BGHSt 23,380; so auch OLG Frankfurt StV 1994, 581; OLG Bremen, NStZ-RR 1997,334; Böhm, NStZ 2001, 633, 636). In diesem Zusammenhang ist zwar unter der Fragestellung "Strafverfolgungslücke" insbesondere strittig, ob ein Beschuldigter sich dem Verfahrens des ausländischen Staates schon dann entzieht, wenn er sich in seinem Heimatland unter einer bekannten Adresse aufhält und sich entweder in dem Verfahren nicht äußert in der Gewissheit, nicht ausgeliefert werden zu können (angesprochen und offen gelassen in der Entscheidung des Senats vom 18.07.2002, NStZ 2003,219), oder wenn er erklärt, er werde sich dem in Deutschland laufenden Verfahren nicht stellen (so OLG Hamm, StV 2005,35 m.w.N.). Diese Streitfragen müssen hier nicht entschieden werden, da ein solcher Sachverhalt nicht vorliegt.

Im vorliegenden Fall hat der Beschuldigte bisher seine Bereitschaft zur Mitwirkung bei der Aufklärung der Straftaten gezeigt. So ist er den Ladungen der Bezirksanwaltschaft Zürich anlässlich des Rechtshilfeersuchens der deutschen Behörden umgehend gefolgt und hat insgesamt dreimal der Bezirksanwaltschaft zu ausführlichen Einvernahmen zur Verfügung gestanden. Dabei hat er jeweils umfänglich zur Sache ausgesagt und auch Schriftstücke zum Verbleib bei den deutschen Behörden übergeben. Nach der Durchsuchung seiner Büroräume, die ebenfalls von der Staatsanwaltschaft Köln veranlasst worden war, hat er sich - wenn auch mit zeitlicher Verzögerung -, durch seinen Rechtsanwalt mit der Herausgabe der sichergestellten Unterlagen an die deutsche Staatsanwaltschaft einverstanden erklärt. Allein seine Reaktion auf die Ladung als Zeuge in dem Verfahren gegen F u. a. vor dem Landgericht Köln (Az. 107-3/04), in der er sein Nicht-Erscheinen mit Krankheit entschuldigt hat, ist noch kein ausreichender Hinweis darauf, dass er sich einem in Deutschland gegen ihn laufenden Verfahren nicht stellen wird. Die damals zuständige Strafkammer sah sich nicht veranlasst, dieser Erklärung nachzugehen und sie zu überprüfen. So hat sie weder eine ärztliche Bescheinigung verlangt, noch hat sie den Beschuldigten auf dem Wege der Rechtshilfe in der Schweiz als Zeugen vernehmen lassen, wozu er sich bereit erklärt hatte.

Die Frage, ob er den deutschen Behörden als Beschuldigter eines Strafverfahrens zur Verfügung stehen wird, ist im Übrigen bisher weder mit ihm noch seinen Verteidigern erörtert worden. Bei seinen Vernehmungen in Zürich im Juli 2002 und Oktober 2002 ist diese Frage nicht angesprochen worden. Deshalb bestehen derzeit keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Beschuldigte der Ladung eines deutschen Gerichts zur Hauptverhandlung keine Folge leisten und sich einem Strafverfahren nicht stellen wird.

Eine Verdunkelungsgefahr als Haftgrund kommt aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung nicht in Betracht, auf die der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen verweist.

Nach alledem ist der Antrag auf Erlass eines Haftbefehls wegen Fehlens von Haftgründen zu Recht abgelehnt worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 StPO.

Ende der Entscheidung

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