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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 22.07.2003
Aktenzeichen: 2 Ws 442/03
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 304 Abs. 1
StPO § 140 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
2 Ws 442/03 59 Js 200/03 StA Köln

OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

In der Strafsache

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Köln

auf die Beschwerde der Angeklagten

gegen den Beschluss des Vorsitzenden der 5. kleinen Strafkammer des Landgerichts Köln vom 30. Juni 2003 - 155 - 91/03 - durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Doleisch von Dolsperg, die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Ahn-Roth und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Schmidt

am 22. Juli 2003

beschlossen:

Tenor:

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

Der Angeklagten wird für das Berufungsverfahren Rechtsanwalt T in L als Pflichtverteidiger beigeordnet.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die der Angeklagten hierin entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse (§ 467 Abs. 1 StPO analog).

Gründe:

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme zu dem Rechtsmittel folgendes ausgeführt:

I.

Durch Urteil des Amtsgerichts Köln - 528 Ds 151/03 - vom 07.05.2003 ist gegen die Angeklagte wegen Diebstahls eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, verhängt worden (Bl. 16 ff d.A.). Gegen dieses Urteil hat die Angeklagte mit Schreiben vom 12.05.2003, eingegangen bei Gericht am 13.05.2003, Berufung eingelegt (Bl. 23 d.A.).

Mit Schreiben vom 12.06.2003 hat die Angeklagte beim Amtsgericht Köln die Beiordnung eines Pflichtverteidigers beantragt. Sie hat diesen Antrag damit begründet, sie leide seit ihrem 11. Lebensjahr unter Anorexie, Bulimie und Depressionen und sie habe das Gefühl, sie werde deswegen immer wieder delinquent (Bl. 30 f d.A.).

Mit Verfügung des Landgerichts Köln vom 30.06.2003 ist dieser Antrag mit der Begründung abgelehnt worden, die Beiordnung eines Pflichtverteidigers sei nach der Strafprozessordnung leider nicht möglich (Bl. 32 d.A.).

Der hiergegen am 10.07.2003 eingelegten Beschwerde der Angeklagten hat das Gericht mit Verfügung vom 13.07.2003 nicht abgeholfen. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, die Voraussetzungen für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers lägen nach wie vor nicht vor (Bl. 36 d.A.).

II.

Die Beschwerde ist gemäß § 304 Abs. 1 StPO zulässig. Sie ist auch begründet. Die Strafkammer hat den Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers zu Unrecht abgelehnt.

Gemäß § 140 Abs. 2 StPO ist ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeiten der Sach- und Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Angeklagte nicht selbst verteidigen kann.

Die Tat ist schwer, wenn die zu erwartende Rechtsfolge einschneidend ist. Dies ist der Fall, wenn eine längere Freiheitsstrafe droht. Die Rechtsprechung hat sich dahin verfestigt, dies bei einer Straferwartung um 1 Jahr Freiheitsstrafe anzunehmen. Auch bei geringeren Strafen, die für sich noch nicht ausreichen, kann die Verurteilung notwendig sein, wenn Schwierigkeiten der Sach- oder Rechtslage oder Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten hinzukommen (Karlsruher Kommentar, 4. Auflage, 1999, § 140 RN 21).

Die Verteidigungsfähigkeit des Angeklagten richtet sich nach seinen geistigen Fähigkeiten, seinem Gesundheitszustand und den sonstigen Umständen des Falles. § 140 Abs. 2 StPO ist bereits dann anzuwenden, wenn an der Fähigkeit zur Selbstverteidigung erhebliche Zweifel bestehen (Meyer-Goßner, StPO, 46. Auflage, 2003, § 140 RN aaO RN 30). Derartige Gebrechen führen je nach Grad der Behinderung zur Pflicht, einen Verteidiger zu bestellen (Karlsruher Kommentar, aaO, RN 24).

Die Norm des § 140 Abs. 2 StPO ist verfassungskonform auszulegen. Sie ist immer dann anzuwenden, wenn der Rechtsanspruch des Angeklagten auf ein faires Verfahren verletzt würde, wenn er nicht durch einen Verteidiger unterstützt wird (Karlsruher Kommentar, aaO, RN 25).

Gemessen an diesen Anforderungen ist die Beiordnung eines Pflichtverteidigers vorliegend gerechtfertigt und geboten.

Die Angeklagte ist in der Zeit von 1996 bis 2002 sechsmal wegen Diebstahls geringwertiger Sachen strafrechtlich in Erscheinung getreten. Sämtliche Taten hat sie als Jugendliche oder Heranwachsende begangen. Ob diese Taten und die gleichgelagerte Tat, die Gegenstand des aktuell gegen sie geführten Strafverfahrens das Ergebnis ihrer Krankheit ist, wie es in einem Schriftsatz der C e.V., welcher im Rahmen einer Betreuungsweisung in der Vergangenheit mit der Angeklagten beschäftigt war, vorgetragen worden ist, wird einer ausführlichen Erörterung in der Hauptverhandlung bedürfen. Gleiches gilt auch für die in diesem Zusammenhang möglicherweise dann zu prüfende Frage einer verminderten Schuldfähigkeit. Ob die Angeklagte eine derartige Erörterung mit dem dafür gebotenen Sachverstand wird führen können, ist fraglich.

Vor diesem Hintergrund lassen es die Gesamtumstände - die Höhe der erkannten Freiheitsstrafe von 6 Monaten, die rechtlichen Schwierigkeiten und die Persönlichkeit der zur Tatzeit 21 Jahre alten Angeklagten - als geboten erscheinen, ihr einen Pflichtverteidiger beizuordnen.

Dem stimmt der Senat mit der Maßgabe zu, dass zwar nicht die Höhe der drohenden Strafe, wohl aber die möglicherweise bestehende Notwendigkeit, zur Schuldfähigkeit ein psychiatrisches Gutachten einzuholen, und die daraus resultierende Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Verteidigung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheinen lässt.

Ende der Entscheidung

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