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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 17.09.2007
Aktenzeichen: 2 Ws 480/07
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 40
StPO § 230 Abs. 2
StPO § 304 Abs. 1
StPO § 465 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Beschwerde des Angeklagten vom 28.8.2007 wird der Haftbefehl der 1. kleinen Strafkammer des Landgerichts Köln vom 28.8.2007 (Az. 151 - 93/07) aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

I.

Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Köln vom 5.4.2007 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Kokain in nicht geringer Menge in 6 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden. Ihm ist die Bewährungsauflage erteilt worden, jeden Wohnungswechsel binnen 10 Tagen zu den Gerichtsakten anzuzeigen und unverzüglich freiwillig das Land zu verlassen. In den Urteilsgründen heißt es, dem Angeklagten sei nachdrücklich deutlich gemacht worden, dass das weitere Verbleiben in der Bundesrepublik oder eine weitere illegale Einreise unverzüglich den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nach sich ziehen werde.

Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft, die in erster Instanz eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren beantragt hatte, Berufung eingelegt.

Die Ladung des Angeklagten zur Berufungshauptverhandlung ist öffentlich zugestellt worden.

Nachdem der Angeklagte im Termin zur Hauptverhandlung vor der 1. kleinen Strafkammer des Landgerichts Köln am 28.8.2007 nicht erschienen war, ist gegen ihn gemäß § 230 Abs. 2 StPO ein Haftbefehl erlassen worden.

Gegen den Haftbefehl hat die Verteidigerin des Angeklagten mit Schriftsatz vom selben Tag Beschwerde eingelegt und beantragt, den Haftbefehl aufzuheben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, der Angeklagte habe keine Kenntnis von dem Termin gehabt, da er der Weisung, die Bundesrepublik zu verlassen, unmittelbar nach Beendigung der Hauptverhandlung nachgekommen sei. Sein Ausbleiben sei daher entschuldigt. Außerdem sei die öffentliche Zustellung der Ladung unwirksam, weil das Landgericht sich nicht aller zumutbaren und möglichen Mittel bedient habe, um den Aufenthalt des Angeklagten zu erforschen. So sei weder beim Bundesverwaltungsamt - Ausländerzentralregister - noch bei ihr als Verteidigerin des Angeklagten Nachfrage nach dessen derzeitigem Aufenthalt gehalten worden.

Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde zu verwerfen. Der Angeklagte sei ordnungsgemäß geladen worden. Die öffentliche Zustellung sei wirksam. Es sei vorher Nachfrage beim Ausländeramt der Stadt Köln gehalten worden. Außerdem sei die Polizeibehörde um die Ermittlung des Aufenthalts gebeten worden. Eine Anfrage beim Bundesverwaltungsamt sei nicht erfolgversprechend gewesen, da der Angeklagte sich illegal in der Bundesrepublik aufgehalten habe. Anhaltspunkte dafür, dass der Verteidigerin der Aufenthalt des Angeklagten bekannt gewesen sei, habe es ebenfalls nicht gegeben.

Die Auflage, das Land zu verlassen, entschuldige den Angeklagten nicht. Da die Staatsanwaltschaft die Verhängung einer höheren Strafe beantragt und keinen Rechtsmittelverzicht erklärt habe, habe der Angeklagte nicht davon ausgehen können, dass kein Rechtsmittel eingelegt werde. Aus der zusätzlichen Weisung, jeden Wohnungswechsel binnen 10 Tagen bekannt zu geben, habe er zudem ersehen können, dass das Gericht seine weitere Anwesenheit erwarte.

II.

Die Beschwerde ist nach § 304 Abs. 1 StPO zulässig und in der Sache auch begründet, da die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO nicht gegeben waren.

Nach § 230 Abs. 2 StPO kann ein Haftbefehl nur dann ergehen, wenn der Angeklagte ordnungsgemäß geladen und sein Ausbleiben nicht entschuldigt ist.

1.

Eine ordnungsgemäße Ladung des Angeklagten ist zwar erfolgt. Die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung der Ladung gemäß § 40 StPO lagen vor. Das Gericht hat vor Anordnung der öffentlichen Zustellung mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln den Aufenthalt des Zustellungsadressaten zu ermitteln, wobei ein strenger Maßstab anzulegen ist (Maul in Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Auflage, § 40 Rdn. 7). Diesen Anforderungen hat das Landgericht aber genügt. Eine ladungsfähige Anschrift des Angeklagten war nicht bekannt. Eine am 27.4.2007 erfolgte Anfrage der Staatsanwaltschaft Köln beim Ausländeramt der Stadt Köln hat ergeben, dass der Angeklagte nicht greifbar ist. Auch die um die Aufenthaltsermittlung gebetene Kriminalpolizei hat am 8.5.2007 mitgeteilt, der derzeitige Aufenthaltsort des Angeklagten sei nicht bekannt. Er sei nach seiner Haftentlassung nicht für das Stadtgebiet Köln zur Anmeldung gelangt. Das sei beim Angeklagten bislang auch noch nie der Fall gewesen. Unter diesen Umständen bedurfte es einer weiteren Nachfrage beim Bundesverwaltungsamt - Ausländerzentralregister - , die bei Ausländern vor Anordnung der öffentlichen Zustellung ansonsten regelmäßig zu erfolgen hat, nicht. Der Angeklagte ist schon am 6.7.2004 durch das Amtsgericht Köln (Az. 643 Ls 236/04) wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz verurteilt worden, weil er ohne Visum mit falschen Papieren in die Bundesrepublik eingereist ist. Am 10.6.2004 ist er nach Albanien abgeschoben worden und später illegal wieder eingereist. Aus dem früheren Verfahren ist zudem bekannt, dass er mit gefälschten Personalpapieren unter unterschiedlichen Namen auftritt. Es spricht deshalb alles dafür, dass er bemüht ist, seine Identität und seinen Aufenthalt zu verschleiern. Dass er unter diesen Umständen nicht im Ausländerzentralregister geführt wird, liegt auf der Hand.

Das Landgericht konnte auch nicht davon ausgehen, dass der Verteidigerin nach der Haftentlassung des Angeklagten dessen aktuelle Anschrift bekannt war. Dass dies tatsächlich der Fall war, lässt sich im Übrigen nicht feststellen, denn die Verteidigerin hat keine Anschrift mitgeteilt, sondern nur vorgetragen, der Angeklagte sei unmittelbar nach Beendigung der Hauptverhandlung der Bewährungsauflage nachgekommen, die Bundesrepublik zu verlassen.

2.

Das Ausbleiben des Angeklagten im Termin zur Berufungshauptverhandlung war aber nicht unentschuldigt.

Maßgebend ist, ob dem Angeklagten wegen seines Ausbleibens unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls billigerweise ein Vorwurf gemacht werden kann (BVerfG StraFo 2007, 22). Als Entschuldigungsgründe können alle Umstände in Betracht kommen, die den Angeklagten am Erscheinen hinderten oder die es bei Abwägung der widerstreitenden Interessen oder Pflichten als unzumutbar erscheinen lassen, dass er zu einem Gerichtstermin erscheint (Gössel in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Auflage, § 329 Rdn. 35).

Ein rechtskräftig ausgewiesener Ausländer, der das Land verlassen hat, ist entschuldigt, wenn er zu der nach dem Ausweisungstermin liegenden Hauptverhandlung nicht erscheint (BayObLG StV 2001, 339; OLG Düsseldorf StV 1983, 193; LR-Gössel § 230 Rdn. 23, § 329 Rdn. 42): Dasselbe gilt, wenn ein Ausländer zur Vermeidung seiner drohenden Ausweisung und Abschiebung freiwillig die Bundesrepublik verlassen hat (Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen StraFo 2005, 381). Von einem vergleichbaren Sachverhalt ist vorliegend auszugehen. Dem Angeklagten ist durch das Amtsgericht nicht nur die Bewährungsauflage erteilt worden, unverzüglich das Land zu verlassen. Wie sich aus den Urteilsgründen ergibt, ist ihm auch nachdrücklich deutlich gemacht worden, dass sein weiteres Verbleiben in der Bundesrepublik unverzüglich den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nach sich ziehen werde. Ein Hinweis dahingehend, dass er vor seiner Ausreise zunächst abwarten müsse, ob die Staatsanwaltschaft Berufung einlege, ist nach Aktenlage nicht erfolgt. Aus der Auflage, jeden Wohnungswechsel binnen 10 Tagen zu melden, konnte der Angeklagte nicht auf eine derartige Einschränkung schließen. Diese Auflage erscheint auch fragwürdig, da der Angeklagte in der Vergangenheit in Deutschland keinen festen Wohnsitz hatte.

Es ist zwar nicht erwiesen, dass er tatsächlich nach seiner Verurteilung die Bundesrepublik verlassen hat, wie seine Verteidigerin vorträgt. Verbleibende Zweifel an der Entschuldigung wirken sich aber nicht zu Lasten des Angeklagten aus, sondern das Gericht muss sich davon überzeugen, dass kein Entschuldigungsgrund vorliegt (Ruß in Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Auflage, § 230 Rdn. 11, § 329 Rdn. 9; Brunner in KMR 46. EL § 329 Rdn. 19).

Wenn demnach zugunsten des Angeklagten davon auszugehen ist, dass er ausgereist ist, war es ihm auch nicht zuzumuten, sich bei der Ausländerbehörde um eine kurzfristige Betretenserlaubnis zu bemühen. Eine solche Mitwirkungspflicht des Angeklagten besteht nicht. Es ist in einem solchen Fall vielmehr Sache der Strafverfolgungsbehörde zu klären, ob der Durchsetzung eines staatlichen Strafanspruchs oder dem öffentlichen Interesse an einem Aufenthalt des Ausländers außerhalb des Bundesgebietes der Vorrang einzuräumen ist (BayObLG a.a.O.).

Unter den gegebenen Umständen ist daher davon auszugehen, dass der Angeklagte der Hauptverhandlung im Berufungsverfahren nicht unentschuldigt ferngeblieben ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 465 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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