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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 04.11.2005
Aktenzeichen: 2 Ws 517/05
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 273 Abs. 3
StPO § 302 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

2 Ws 517/05

In der Strafsache

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten vom 22.09.2005 gegen den Beschluß der 2. großen Jugendkammer des Landgerichts Aachen vom 13.09.2005 - 92 Ns 38/05 - durch den die am 25.02.2005 eingelegte Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Aachen vom 23.02.2005 - Az 37 Ls 145/04 - als unzulässig verworfen worden ist, durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Doleisch von Dolsperg sowie die Richter am Oberlandesgericht Scheiter und Dr. Schmidt

am 4. November 2005

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Angeklagten verworfen.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Aachen vom 23.02.2005 - 34 Ls 145/04 - wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in 3 Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch von Schutz-befohlenen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 2 Monaten verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Protokoll der Hauptverhandlung weist im Anschluß an Verkündung von Urteil und Bewährungsbeschluß aus :

"Der Angeklagte erklärt nach Rechtsmittelbelehrung :

Ich bin mit dem Urteil einverstanden.

Der Verteidiger erwidert : Wir werden noch eine Woche warten.

Der Vorsitzende hält vor, dass der Angeklagte Rechtsmittelverzicht erklärt habe.

Der Verteidiger erklärt : Mein Mandant weiß nicht, was Rechtsmittel bedeutet.

Daraufhin wird dem Angeklagten nochmals Rechtsmittelbelehrung erteilt. Er wird u.a. auch nochmals befragt, ob er in einer weiteren Instanz noch einmal vor Gericht erscheinen möchte, oder mit dem Urteil einverstanden sei.

Der Angeklagte erklärt : Ich bin mit dem Urteil einverstanden.

Der Verteidiger erklärt : Wir werden noch eine Woche warten."

Einen Vermerk, dass die beurkundeten Erklärungen des Angeklagten verlesen und von dem Angeklagten genehmigt worden sei, enthält das Protokoll nicht.

Gegen das Urteil hat der Beschwerdeführer durch Verteidigerschriftsatz vom 24.02.2005 - am 25.02.2005 bei dem Amtsgericht Aachen eingegangen - Rechtsmittel eingelegt.

Das Landgericht Aachen hat dieses - als Berufung aufgefaßte - Rechtsmittel durch Beschluss vom 13.09.2005 als unzulässig verworfen und zur Begründung ausge-führt, der Beschwerdeführer habe ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung im Anschluß an die Urteilsverkündung wirksam auf die Einlegung eines Rechtsmittels verzichtet. Gegen diese seinem Verteidiger am 23.09.2005 zugestellte Entscheidung hat der Angeklagte durch Schriftsatz seines Verteidigers vom 22.09.2005, bei dem Landgericht Aachen am 23.09.2005 eingegangen, sofortige Beschwerde eingelegt.

II.

Die gem. § 322 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 i.V.m. § 311 StPO statthafte und auch zulässig eingelegte sofortige Beschwerde ist unbegründet.

Das Landgericht ist zu Recht von einem wirksamen Rechtsmittelverzicht ausgegangen, der die Berufung wirkungslos macht.

Der Senat hat zunächst keine Bedenken, die - zweimalige - Erklärung des Beschwerdeführers, er sei mit dem Urteil einverstanden, ihrem Sinngehalt nach als Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels im Sinne des § 302 Abs. 1 StPO aufzufassen. Es handelt sich insoweit um eindeutige, vorbehaltlose und ausdrückliche Erklärungen.

Voraussetzung für die Wirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts ist des weiteren, dass der Erklärende verhandlungsfähig war. Auch in dieser Hinsicht bestehen hier keine Bedenken, da der Angeklagte sich ausweislich des Protokolls ausführlich zur Person und zur Sache eingelassen und ein Geständnis abgelegt hat.

Der Verzicht ist auch formgerecht erklärt worden. Er kann in der Hauptverhandlung unmittelbar nach der Urteilsverkündung erklärt und im Protokoll beurkundet werden (BGHSt 18, 257,258; KK-Ruß, StPO, 5.Aufl., § 302 Rn 9; Meyer-Goßner, StPO, 48.Aufl., § 302 Rn 19 je m.w.N.)

Allerdings sind hier die Beurkundungsförmlichkeiten des § 273 Abs. 3 StPO nicht beachtet worden, weil nicht vermerkt worden ist, dass die Erklärungen des Angeklagten verlesen und sodann von diesem genehmigt worden sind. Das hat zur Folge, dass das Protokoll in diesem Punkt nicht die weitgehende Beweiskraft des § 274 StPO genießt, wohl aber - wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat - ein Beweiszeichen darstellt, das den Rechtsmittelverzicht beweisen kann, aber nicht notwendig beweisen muß (BGH a.a.O).

Die Darstellung des Angeklagten, er habe erklärt, er wisse nicht, was ein Rechtsmittelverzicht bedeute, und er gebe insoweit daher keine Erklärung ab, findet im Protokoll - dessen Berichtigung nicht beantragt worden ist - keinerlei Stütze. Es ist daher entsprechend der vom Landgericht eingeholten dienstlichen Äußerung des Vorsitzenden des Jugendschöffengerichts davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer die zweimalige Erklärung, mit dem Urteil einverstanden zu sein, so abgegeben hat, wie sie protokolliert worden ist.

Die darüber hinausgehende, weitere Darstellung des Angeklagten, er habe die Vorstellung gehabt, in Haft genommen zu werden, falls er auf das Befragen des Vorsitzenden keine Erklärung abgebe, ist nicht nachvollziehbar und damit unglaubhaft, weil die protokollierte Erklärung vor dem Hintergrund gefallen ist, dass unmittelbar zuvor eine Bewährungsstrafe verhängt worden war.

Soweit der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 13.09.2005 - in zunehmendem zeitlichem Abstand von der Hauptverhandlung - die Behauptung aufgestellt hat, durch "drängendes und sehr forsches Auftreten des Herrn Vorsitzenden" aus Angst vor Konsequenzen zu einer Erklärung gedrängt worden zu sein, deren Tragweite er nicht überblickt habe, kann der Senat von einem derartigen Sachverhalt nicht ausgehen. Die persönlichen Verhältnisse des Angeklagten, der als Kraftfahrer für den N. Hilfsdienst behinderte Kinder befördert (hat) und damit eine verantwortungsvolle Tätigkeit ausgeübt hat, deuten nicht darauf hin, dass seine Geisteskräfte zur Erfassung der Prozeßsituation nicht ausgereicht haben.

Einem Rechtsmittelverzicht kann zwar die Wirksamkeit versagt werden, wenn er etwa auf Irreführung oder gar "Drohung" zurückzuführen ist (vgl BGHSt 17,14; 46,257; Meyer-Goßner a.a.O., Rn 22 m.w.N.) Derartige Umstände müssen aber erwiesen sein, woran es hier - ersichtlich - fehlt. Mit dem schlichten Vorbringen, die dienstliche Äußerung des Vorsitzenden des Jugendschöffengerichts sei falsch und die eigene Darstellung sei richtig, kann der Beschwerdeführer nicht durchdringen.

Nicht behebbare Zweifel an der Richtigkeit des Vorbringens gehen zu Lasten des Rechtsmittelführers ((KK-Ruß, a.aO., Rn 13).

Der Senat kann daher nicht davon ausgehen, dass dem Beschwerdeführer in einer dem Gebot fairer Verhandlungsführung widersprechenden Weise eine vorschnelle und unüberlegte Verzichtserklärung abverlangt worden ist. Zu den Grundsätzen, die nach der Rechtsprechung des BGH insoweit zu beachten sind, gehört es, dass einem Angeklagten, der in der Hauptverhandlung im Beisein eines Verteidigers erschienen ist, vor Abgabe eines Rechtsmittelverzichts regelmäßig Gelegenheit geboten werden muß, sich mit seinem Verteidiger zu besprechen bzw. der Verteidiger die Möglichkeit haben muß, seinen Mandanten zu beraten. Danach wird ein endgültiger Verzicht solange zu verneinen sein, wie der Angeklagte und sein Verteidiger - oder einer von beiden - zu erkennen geben, dass sie miteinander noch erörtern wollen, ob ein bindender Rechtsmittelverzicht erklärt werden soll (vgl BGHSt 18,257,260). An einem solchen Verhalten des Angeklagten bzw. seines Verteidigers fehlt es im vorliegenden Fall : die Verteidigung macht selbst nicht geltend, dass entweder der Angeklagte oder der Verteidiger im Hinblick auf die widersprechenden Erklärungen zur Frage des Rechtsmittelverzichts um eine Unterbrechung der Hauptverhandlung gebeten hätte, wie es nahegelegen hätte, um über das weitere Prozedere zu beraten. Darauf, dass gem. § 297 StPO bei der Rechtsmitteleinlegung der Wille des Beschuldigten maßgeblich ist, hatte ausweislich des Protokolls bereits der Vorsitzende des Schöffengerichts in der Hauptverhandlung hingewiesen.

Schließlich geht auch der Einwand der Verteidigung fehl, es sei entgegen der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen vom 3.3.2005 - GSSt 1/04 - (NJW 05,1440) das Erfordernis einer qualifizierten Rechtsmittelbelehrung nicht beachtet worden.

Es wird hierbei übersehen, dass die Entscheidung des Großen Senats die Wirksam-keit eines Rechtsmittelverzichts unter den Besonderheiten einer Urteilsabsprache zum Gegenstand hat. Es fehlt indes jeder Anhaltspunkt dafür, dass dem gegen den Angeklagten verhängten Urteil eine Urteilsabsprache zugrunde gelegen hat.

Der Senat bemerkt abschließend noch folgendes: Gegen die Annahme, dass der Angeklagte in verfahrensrechtlich bedenklicher Weise an seinem Rechtsmittel-verzicht festgehalten wird, spricht auch, dass er - auch auf Anfrage durch den Vorsitzenden der Berufungsstrafkammer nicht - das Ziel seines Rechtsmittels nicht benannt hat. Ein solches ist vor dem Hintergrund, dass der geständige Angeklagte in der Hauptverhandlung Reue gezeigt hat und bereit schien, die Folgen seines Tuns auf sich zu nehmen, angesichts der maßvoll erscheinenden Bewährungsstrafe auch nicht ohne weiteres erkennbar; einen Gegenantrag zum Antrag der Staats-anwaltschaft, an dem sich ggfs. das Ziel eines Rechtsmittels ablesen ließe, hat der Verteidiger in seinem Schlußvortrag nicht gestellt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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