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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 18.02.2005
Aktenzeichen: 2 Ws 540/04
Rechtsgebiete: NS-AufhG, StPO


Vorschriften:

NS-AufhG § 1
NS-AufhG § 6
StPO § 359
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

- 2 Ws 540/04 -

In dem Wiederaufnahmeverfahren

hat der 2.Strafsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Aachen gegen den Beschluss der 1.großen Jugendkammer des Landgerichts Aachen vom 01.10.2004 - 91 KLs 15/04 -, durch den auf Antrag der Antragsteller die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend das Urteil des Standgerichts in Aachen vom 13.09.1944 zugelassen wurde, unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin am Oberlandesgericht Doleisch von Dolsperg, der Richterin am Oberlandesgericht Dr. Ahn-Roth und des Richters am Oberlandesgericht Scheiter

am 18. Februar 2005

beschlossen:

Tenor:

I.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.

Der Wiederaufnahmeantrag wird als unzulässig verworfen.

II.

Gerichtskosten werden für das gesamte Verfahren nicht erhoben.

Ihre eigenen notwendigen Auslagen tragen die Antragsteller selbst.

Gründe:

I.

Am 12. September 1944 waren zur Verteidigung gegen herannahende alliierte Truppen Einheiten der Wehrmacht in die Stadt Aachen eingerückt. Am 13. September 1944 waren die beiden damals 14-jährigen Aachener Jugendlichen K. S. und J. H. in Aachen unterwegs.

Auf der P.straße wurden K. S. und J. H. zusammen mit einer Gruppe von Erwachsenen durch Wehrmachtsangehörige unter dem Vorwurf des Plünderns festgenommen und zum V.platz verbracht. Dort wurde ein von Angehörigen eines der 116. Panzerdivision unterstellten Regimentes gebildetes Standgericht eingesetzt, vor das nur die beiden Jugendlichen gestellt wurden, während die erwachsenen Personen freigelassen wurden. K. S. und J. H. wurden wegen Plünderns zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde unmittelbar danach durch Erschießen vollstreckt.

Ein im Jahre 1951 auf Strafanzeige der Eltern von K. S. und des Vaters von J. H. von der Staatsanwaltschaft Aachen eingeleitetes Ermittlungsverfahren (Az 6 Js 1742/50) wurde nach Vernehmung mehrerer Zeugen (Zivilpersonen und Wehrmachtsangehörige) eingestellt. In der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Aachen vom 13.11.1952 wird ausgeführt, dass weder die Mitglieder des Standgerichts hätten ermittelt, noch der Tatbestand, der dem Urteil zugrunde gelegt worden sei, habe festgestellt werden können. Ein Todesurteil gegen Jugendliche wegen Plünderns sei nach damaligem Recht zulässig gewesen, so dass der - damals noch lebende - Führer des Exekutionskommandos das Urteil für rechtmäßig habe halten können, der im übrigen bei Befehlsverweigerung mit Gefahr für sein eigenes Leben habe rechnen müssen.

Mit "Anträgen auf Rehabilitierung" vom 25.,26. und 28.08.2003 wandten sich Angehörige von K. S. und J. H. an die Staatsanwaltschaft Aachen. Darin wird - in unterschiedlichen Formulierungen - sinngemäß eine "rechtliche Klärung über Schuld und Unschuld" durch die Staatsanwaltschaft erstrebt; die Jungen hätten sich "nichts zu Schulden kommen lassen, was die Todesstrafe gerechtfertigt hätte"; beide Jungen seien "auch nach damaligem Recht unschuldig" gewesen.

Nachdem die Angehörigen unter dem 02.02.04 in einer Sachstandsanfrage um Mitteilung gebeten hatten, "wann seitens der Staatsanwaltschaft mit einem Wiederaufnahmeantrag an das Landgericht zu rechnen sei", erteilte die Staatsanwaltschaft Aachen unter dem 11.02.2004 folgende Bescheinigung :

Die Verurteilung zum Tode des K. S. und des J. H. durch ein am 13.09.1944 in Aachen konstituiertes Standgericht ist gemäß § 1 Satz 1 des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege (NS-AufhG) aufgehoben.

Die Bescheinigung wurde den Antragstellern mit folgendem Begleitschreiben übersandt :

Die auf Ihre Anträge vorgenommene Prüfung hat zu der Feststellung geführt, dass die Verurteilung Ihrer Angehörigen zum Tode ... gemäß § 1 Satz 1 NS-AufhG aufgehoben ist.

Diese Feststellung beruht entscheidend auf dem Umstand, dass die seinerzeit 14-jährigen Jungen gemeinsam mit erwachsenen mutmaßlichen Plünderern auf frischer Tat betroffen wurden, letztere aber offenbar mit ihrem Leben davon gekommen sind.

Eine solch willkürliche Reaktion - Tötung von Kindern; Laufenlassen von Erwachsenen - auf ein dem Grunde nach strafwürdiges Verhalten schließt die Annahme aus, dass die Verurteilung der Kinder zum Tode noch der Rechtspflege Diente. Vielmehr ist mit den Händen zu greifen, dass es sich um bloße Willkür im Dienste eines Willkürregimes handelte, die allein der Aufrechterhaltung der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft diente.

Die Erteilung der beigefügten Bescheinigung beruht auf § 6 Abs.1 S.1 NS-AufhG.

Damit entfällt zugleich ein Bedürfnis für die in Ihrem Schreiben vom 02.02.2004 begehrte Wiederaufnahme des Verfahrens.

Mit Schreiben vom 27.02.2004 baten die Antragsteller um ergänzende Feststellungen. Da die Jungen nicht geplündert hätten, hätten sie als völlig unschuldig zu gelten. Des weiteren möge die Verantwortlichkeit des Kommandeurs der 116. Panzerdivision ("Windhunddivision"), des Grafen von S., für die standrechtliche Aburteilung von Plünderern festgestellt werden.

Mit Antwortschreiben vom 01.03.04 führte die Staatsanwaltschaft Aachen aus, dass die von den Antragstellern aufgeworfenen Fragen für die bereits erfolgte Feststellung der Aufhebung des Urteils ohne Belang seien; es könne dahinstehen, ob die Jungen tatsächlich geplündert hätten; zu einer weitergehenden Prüfung bestehe kein Anlaß. Das gelte auch für die Rolle des Grafen von S., dessen etwaige Verantwortlichkeit für den Tod der Jungen nur einer historischen Betrachtung, jedoch keiner justiziellen Prüfung zugänglich sei.

Mit Anwaltsschriftsatz vom 06.08.2004 beantragten drei Angehörige der beiden getöteten Jugendlichen, nämlich zwei Schwestern des K. Sch. sowie ein Bruder des J. H., bei dem Landgericht Aachen die Wiederaufnahme des Verfahrens mit dem Ziel, die beiden hingerichteten Jugendlichen unter Aufhebung der Urteile freizusprechen. Der Antrag ist im wesentlichen auf die Aussage des Augenzeugen K. gestützt, der sich erst im September 2003 gemeldet habe und bekunden könne, dass die beiden Jungen sich nicht an Plünderungen beteiligt hätten.

Nach Anhörung der Staatsanwaltschaft, die dem Antrag unter Hinweis auf die bereits bescheinigte Aufhebung der Urteile entgegentrat, ließ das Landgericht Aachen durch den angefochtenen Beschluß die Wiederaufnahme des Verfahrens mit der Begründung zu, dass mit dem vereinfachten Verfahren nach dem NS-AufhG den betroffenen Angehörigen nicht die von ihnen erstrebte weitergehende Rehabilitation - Freispruch statt Verfahrenseinstellung - abgeschnitten werden dürfe. Im übrigen stelle der Zeuge K. ein neues Beweismittel dar, das gem. § 359 Nr.5 StPO zur Begründung eines Freispruchs geeignet sei.

Gegen diese Entscheidung hat die Staatsanwaltschaft Aachen am 07.10.2004 sofortige Beschwerde eingelegt, die unter dem 18.10.2004 näher begründet worden ist.

Dem Rechtsmittel, dem die Generalstaatsanwaltschaft Köln beigetreten ist, liegt im wesentlichen die Rechtsauffassung zugrunde, dass das Verfahren nach dem NS-AufhG ein vereinfachtes Wiederaufnahmeverfahren darstelle, das die Anwendung der §§ 359 ff StPO ausschließe.

In einem mit Presseerklärung vom 08.12.04 der Öffentlichkeit bekannt gemachten Schreiben hat der Generalstaatsanwalt in Köln die (völlige) Rehabilitation der beiden hingerichteten Jugendlichen betont und ausgeführt, dass der Vorwurf der Beteiligung an Plünderungen nicht belegbar sei und es sich deswegen verbiete, über strafwürdiges Verhalten der beiden Jungen weiterhin Mutmaßungen anzustellen.

Die Antragsteller verteidigen demgegenüber den angefochtenen Beschluss und die darin vertretene Rechtsauffassung des Landgerichts, die mit weiteren Schriftsätzen vertieft worden ist.

Der Senat hat die Antragstellerinnen zu 1. und 2. - der Antragsteller zu 3. hat sein Ausbleiben entschuldigt - am 19.01.2005 persönlich angehört.

II.

1.

Die - fristgerecht eingelegte - sofortige Beschwerde ist gem. § 372 S.1 StPO statthaft. Der Beschluss, durch den gem. § 368 StPO die Wiederaufnahme eines durch "rechtskräftiges Urteil" abgeschlossenen Verfahrens zugelassen wird, kann durch die Staatsanwaltschaft stets angefochten werden (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 47.Aufl., § 372 Rn 4).

2.

Das Rechtsmittel ist begründet. Den Antragstellern ist der Weg des Wiederaufnahmeverfahrens nach §§ 359 ff StPO infolge der Aufhebung der Urteile nach dem Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege vom 01.09.1998 - BGBl I 1998,2501, geändert durch Art. 1 G v. 23.07.02 - BGBl I 2002, 2714 = NS-AufhG nicht mehr eröffnet.

Grundsätzliche Voraussetzung eines jeden Wiederaufnahmeverfahrens ist ein durch "rechtskräftiges Urteil abgeschlossenes Verfahren" (vgl. nur KK-Schmidt, StPO, 5.Aufl. Vor § 359 Rn 10).

An dieser Voraussetzung - nämlich einem "Anfechtungsgegenstand" - fehlt es infolge der Aufhebung der Urteile. Wie aus dem Gesetzeswortlaut folgt (vgl. § 1 NS-AufhG: "Durch dieses Gesetz werden...aufgehoben" ) tritt die Aufhebungswirkung von Gesetzes wegen ein. Die Bescheinigung gem. § 6 NS-AufhG, durch die die Staatsanwaltschaft auf Antrag feststellt, "ob ein Urteil aufgehoben ist", hat nur deklaratorische Wirkung. Gegen ein nicht mehr existentes Urteil kann gedanklich-begrifflich ein Wiederaufnahmeverfahren nicht mehr stattfinden.

3. Die von den Antragstellern hiergegen erhobenen, vom Landgericht geteilten Bedenken greifen nicht durch.

a) Die Antragsteller vertreten die Auffassung, das NS-AufhG sei auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar; aus § 2 Ziff. 2 NS-AufhG sei herzuleiten, dass Urteile eines vor dem 15.02.1945 eingerichteten Standgerichtes nicht unter das Gesetz fallen.

Diese Auffassung geht fehl. Nach der Gesetzessystematik des NS-AufhG enthält § 1 eine Generalklausel, die die Aufhebung letztlich eines jeden nach dem 30.01.1933 ergangenen Urteils beinhaltet, sofern es nur "unter Verstoß gegen elementare Gedanken der Gerechtigkeit nach dem 30.Januar 1933 zur Durchsetzung oder Aufrechterhaltung des nationalsozialistischen Unrechtsregimes aus politischen, militärischen, rassischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen ergangen" ist. § 2 NS-AufhG bildet nur Regelbeispiele, die "der möglichst weitgehenden Konkretisierung der Generalklausel dienen, um die rein deklaratorische Feststellung gem. § 5 zu erleichtern" (vgl. BT-Drucksache 13/10013 S. 8 )

Dass die Aufhebung allein auf die Generalklausel des § 1 NS-AufhG gestützt sein kann, ergibt sich eindeutig aus der Gesetzesnovelle vom 23.07.2002, durch die die Anlage gem. § 2 Ziff.3 NS-AufhG um verschiedene Strafbestimmungen erweitert worden ist.

In der Begründung des Gesetzentwurfes heißt es unter A. Problem (vgl. BT-Drucksache 14/8276) :

Die Betroffenen müssen sich bislang, um die Bestätigung der Aufhebung ihres Urteils zu erhalten, einer Einzelfallprüfung durch die Staatsanwaltschaft unterziehen. Das wird teilweise als unzumutbar durch die Betroffenen empfunden".

Aufgrund dieser Erwägungen ist der Kreis der "Regelbeispiele" erweitert worden.

Für eine Einengung des Anwendungsbereiches des Gesetzes geben dessen Entstehungsgeschichte, Systematik und Wortlaut nichts her.

b) Die Staatsanwaltschaft Aachen ist zutreffend davon ausgegangen, dass das Standgerichtsurteil vom 14.09.1944 zwar nicht unter eines der in § 2 NS-AufhG genannten Regelbeispiele fällt, aber zweifelsfrei nach der Generalklausel des § 1 NS-AufhG als aufgehoben anzusehen ist. Es handelt sich bei der standrechtlichen Verurteilung der beiden Jugendlichen um einen nur äußerlich in das Gewand eines "Urteils" gekleideten, unter Verletzung elementarer Menschenrechte begangenen Akt der Willkür, mit dem aus militärischen Gründen die Aufrechterhaltung der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft bezweckt war.

Der Senat fügt - in Übereinstimmung mit dem Schreiben des Generalstaatsanwalts in Köln vom 08.12.2004 - ausdrücklich hinzu, dass nach den Ermittlungen in dem seinerzeit durch die Staatsanwaltschaft Aachen geführten Verfahren ein greifbarer Anhaltspunkt für den Vorwurf der Beteiligung der beiden Jugendlichen an Plünderungen fehlt. Vielmehr ist - wie in der mündlichen Anhörung eingehend erörtert - davon auszugehen, dass aus menschenverachtender Gesinnung an den Jugendlichen ein Exempel statuiert werden sollte, ohne dass das der Verhängung der Todesstrafe entgegenstehende jugendliche Alter bei der "Urteilsfindung" geprüft und berücksichtigt worden und ohne dass es auch nur darauf angekommen wäre, gegen die beiden Jugendlichen irgendeinen Beweis in der Hand zu haben.

c) Das staatsanwaltliche Verfahren ist insoweit nicht zu beanstanden, als die Anträge der Angehörigen vom 25.,26.und 28.08.2003 als Anträge auf Erteilung einer Bescheinigung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 NS-AufhG behandelt worden sind. Hätten die Angehörigen von vorneherein die Wiederaufnahme des Verfahrens gem. den §§ 359 ff StPO beantragt, wäre dafür angesichts der Regelungen des NS-AufhG kein Raum gewesen.

d) Den Antragstellern ist darin Recht zu geben, dass sie die von ihnen erstrebte Rehabilitation ihrer Angehörigen durch ein freisprechendes Urteil nicht erreichen können. Nach § 1 Satz 2 NS-AufhG werden die den aufgehobenen Entscheidungen zugrundeliegenden Verfahren lediglich eingestellt.

Der Gesetzgeber hat sich aber dafür entschieden, dem Genugtuungsbedürfnis der Angehörigen durch einen "gesetzgeberischen Schlussstrich" Rechnung zu tragen (vgl. BT-Drucksache 13/10013 S. 6 sub 2.)

Die Strafprozeßordnung genießt gegenüber dem NS-AufhG keinen wie auch immer gearteten Vorrang. Der Gesetzgeber ist auf einfachgesetzlicher Ebene frei, die Wiederaufnahmemöglichkeiten nach den §§ 359 ff StPO einzuschränken. Das ist durch das NS-AufhG geschehen, mag dies im Wortlaut auch nicht zum Ausdruck kommen.

(so auch SK-Frister/Deiters, StPO, Stand Dez. 2000, Vor § 359 Rn 35 : "Die unter das NS-AufhG fallenden Verurteilungen sind unabhängig von den Umständen des Einzelfalles aufgehoben" und - für die früheren Landesgesetze zur Beseitigung oder Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Strafrechtspflege - LR-Gössel, StPO, Stand 01.05.1997, vor § 359 Rn 181 : "Noch heute werden gelegentlich Wiederaufnahmeanträge gestellt, die in Wahrheit darauf abzielen, das Urteil aus diesem Grunde (=Nachweis der Beeinflussung einer Entscheidung durch nationalsozialistisches Unrechtsdenken) aufzuheben. Ein Verfahren nach den §§ 359 ff findet dann nicht statt. Die Urteilsaufhebung nach den Wiedergutmachungsgesetzen geht vor" ).

e) Aus § 5 NS-AufhG lässt sich die Anwendbarkeit der §§ 359 ff StPO nicht herleiten. Mit dieser Bestimmung sollen lediglich weitergehende Wiedergutmachungsregelungen anwendbar bleiben, zu denen das Wiederaufnahmeverfahren nach den §§ 359 ff StPO nicht zählt.

f) Ebenso wenig greift das ZuständigkeitsergänzungsG vom 07.08.1952 (BGBl I S.407). Nach dessen § 18 Abs.1 Satz 1 kann ein Verfahren, das durch Urteil eines Wehrmachtsgerichtes rechtskräftig abgeschlossen ist, zugunsten des Verurteilten nach den Vorschriften der StPO wieder aufgenommen werden. Diese Regelung ist für den Anwendungsbereich des NS-AufhG überholt : die infolge Aufhebung des Urteils entfallene, für eine Wiederaufnahme zwingende Voraussetzung eines Anfechtungsgegenstandes wird durch das ZustErgG nicht ersetzt.

g) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen dieses Ergebnis vermag der Senat nicht zu erkennen.

aa) Die Antragsteller haben keinen verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf eine gerichtliche Entscheidung.

Die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG wird durch das NS-AufhG nicht beeinträchtigt. Die Aufhebung der Strafurteile von Gesetzes wegen macht die Anrufung der Gerichte entbehrlich; die Feststellungsbescheinigung der Staatsanwaltschaft hat - wie ausgeführt - nur deklaratorische Bedeutung.

Soweit aus Art. 19 Abs. 4 GG das Gebot der Effektivität des Rechtsschutzes gegenüber strafrechtlichen Eingriffsakten hergeleitet wird (vgl. KMR-Eschelbach, StPO, Stand Okt.2002, Vor § 359 Rn 19 f), wird dem durch die gesetzliche Aufhebung von Urteilen nach dem NS-AufhG jedenfalls nicht weniger wirkungsvoll Rechnung getragen als durch eine Einzelfallprüfung im Wiederaufnahmeverfahren durch die Gerichte mit ungewissem Ausgang.

Ebenso wenig wird das Recht auf den gesetzlichen Richter, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, dadurch verletzt, dass der Gesetzgeber die Prüfung, ob eine strafrechtliche Entscheidung im Einzelfall aufgehoben ist, nicht den Gerichten, sondern der Staatsanwaltschaft übertragen hat. Wird die Bescheinigung erteilt, ist ein Antragsteller nicht beschwert. Wird sie versagt, besteht Einigkeit darüber, dass gegen eine solche ablehnende Entscheidung , bei der es sich um einen Justizverwaltungsakt handelt, nach §§ 23 Abs. 2, 25 Abs. 1 Satz 1 EGGVG die Oberlandesgerichte angerufen werden können (SK aaO Rn 36), der Zugang zu den Gerichten für diesen Fall also gewährleistet ist.

bb) Auch werden weder das Gewaltenteilungsprinzip ( vgl. Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG) noch das aus Art. 92 GG hergeleitete Rechtsprechungsmonopol dadurch verletzt, dass Urteile der hier in Rede stehenden Art nicht durch die Gerichte, sondern durch einen legislativen Akt aufgehoben werden. Urteile, die offenbares Unrecht darstellen, sind nicht durch eine unabhängige, rechtsprechende Gewalt legitimiert. Der Grundsatz der Bindungswirkung der Legislative an gerichtliche Entscheidungen gilt hier nicht. Der Gesetzgeber muß Unrechtsurteile nicht respektieren und ist nicht von Verfassungs wegen gehalten, für ihre Überprüfung im Einzelfall ein gerichtliches Verfahren zur Verfügung zu stellen (vgl. BT-Drucksache 13/10013 S.7 und Rudolph, Die vergessenen Opfer der NS-Justiz, NJW 99, 102,103). Aus der in der Verfassung stillschweigend angelegten "Allzuständigkeit des Gesetzgebers" folgt seine Befugnis, jeden beliebigen Gegenstand an sich zu ziehen und gesetzlich zu regeln; das schließt die Zulässigkeit von Regelungen, wie sie im NS-AufhG getroffen wurden, ein (vgl. hierzu Herzog in Maunz/Dürig, Komm. zum GG, Art. 20; II. Rn 57. ff.; V. Rn 78. ff).

cc) Dass die Angehörigen - anders als im Wiederaufnahmeverfahren - keinen Freispruch erreichen können, sondern es nach § 1 Satz 2 NS-AufhG lediglich zu einer Verfahrenseinstellung kommt, muß als Wille des Gesetzgebers hingenommen werden. Der Senat würdigt das von den Antragstellern bei der mündlichen Anhörung überzeugend vorgetragene Anliegen ausdrücklich, vermag aber eine Verletzung der Menschenwürde der Angehörigen - Art.1 Abs.1 GG - nicht darin zu sehen, dass ihnen die Chance auf ein freisprechendes Urteil nicht eingeräumt werden kann.

Der Gesetzgeber hat durchaus gesehen, dass "durch eine gesetzliche Aufhebung die Gefahr besteht, dass es in Einzelfällen zu Ungerechtigkeiten kommen kann, indem die grundsätzlich erforderliche Abwägung der subjektiven wie objektiven Umstände der den Verurteilungen zugrunde liegenden Geschehensabläufe nicht erfolgt." (BT-Drucksache aaO, S.6).

Der Gesetzgeber durfte sich aber - verfassungsrechtlich unbedenklich - mehr als 50 Jahre nach Kriegsende im Interesse einer bundeseinheitlichen Regelung sowie im Interesse der Herstellung des Rechtsfriedens für eine "Schlußstrichlösung" entscheiden, die dem Genugtuungsbedürfnis der Angehörigen ausreichend Rechnung trägt.

Er war auch im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung in Art. 3 Abs. 1 GG nicht gehalten, eine Regelung zu treffen, nach der Angehörige, die Wiederaufnahmegründe nach § 359 StPO geltend machen können, zum Wiederaufnahmeverfahren mit der Möglichkeit eines freisprechenden Urteils zugelassen würden, während Angehörige, die Wiederaufnahmegründe nicht vorbringen können, sich auf Urteilsaufhebung und Verfahrenseinstellung nach dem NS-AufhG als Rehabilitation minderer Qualität verweisen lassen müssen.

dd) Auch aus der - nach dem NS-AufhG nicht geboten gewesenen - Begründung für die Feststellungsbescheinigung kann von Verfassungs wegen die Zulässigkeit des Wiederaufnahmeantrages nicht hergeleitet werden. Nach der Rspr. des BVerfG gilt der Grundsatz, dass sich eine Beschwer nur aus dem Entscheidungstenor ergeben kann (vgl. BVerfGE 28,151<160>).

Kann hiernach ein Rechtsmittel nicht auf die Begründung einer Entscheidung gestützt werden, kann für die hier zu beantwortende Frage nach der Statthaftigkeit des Wiederaufnahmeantrages nichts anderes gelten.

Im übrigen hätte Berücksichtigung zu finden, dass die beanstandeten Formulierungen in dem Begleitschreiben der Staatsanwaltschaft Aachen vom 11.02.2004 durch das Schreiben des Generalstaatsanwalts in Köln vom 08.12.2004 gegenstandslos geworden sind, eine vollständige Rehabilitation erfolgt und damit eine etwaige (rechtliche) Beschwer der Antragsteller entfallen ist.

Der Senat verkennt allerdings nicht, dass eine tatsächliche Beschwer für die Antragsteller besteht. Sie haben in der mündlichen Anhörung zu Recht darauf hingewiesen, dass die getöteten Jugendlichen durch die Inschrift auf der von der Stadt Aachen am Bunker Saarstraße aufgestellten Gedenktafel als Plünderer dargestellt werden. Der Senat weist nachdrücklich daraufhin, dass bereits der Generalstaatsanwalt klargestellt hat, dass sich jegliche Vermutungen über strafwürdiges Verhalten verbieten und die beiden Jugendlichen vollständig rehabilitiert sind. Dem wird Rechnung zu tragen sein. Die Inschrift erscheint so nicht hinnehmbar.

Nach dem Gesagten musste die angefochtene Entscheidung allerdings aufgehoben und der Wiederaufnahmeantrag als unzulässig verworfen werden.

Die Nichterhebung von Gerichtskosten beruht auf § 21 Abs. 1 Satz 3 GKG n.F., der aufgrund der Besonderheiten des Falles zur Anwendung kommt. Den Antragstellern darf die Durchführung dieses ersichtlich wegen des obsoleten Begleitschreibens der Staatsanwaltschaft zu Gunsten ihrer getöteten Angehörigen angestrengten Verfahrens - soweit gesetzlich möglich - kostenmäßig nicht zugerechnet werden.

Die Kostenentscheidung im übrigen beruht auf § 473 Abs. 6 Nr. 1, Abs. 1 StPO. Der Wiederaufnahmeantrag wird gem. § 365 StPO wie ein Rechtsmittel behandelt (vgl. KK-Frank, aaO, § 473 Rn 14), so dass die Antragsteller ihre eigenen notwendigen Auslagen zu tragen haben.

Ende der Entscheidung

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