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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 03.11.2006
Aktenzeichen: 2 Ws 550/06
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 304 Abs. 1
StPO § 305
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der Beschluss wird aufgehoben, soweit darin dem Angeklagten Rechtsanwalt L. als weiterer Pflichtverteidiger beigeordnet wird.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die hierin entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse.

Gründe:

I.

Mit der Beschwerde wendet sich der Angeklagte gegen die Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers.

Dem Angeklagten wird 20-facher Bandendiebstahl zur Last gelegt. Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bonn vom 15.6.2006, die sich auch gegen zwei weitere Mitangeklagte richtet, wurde durch Beschluss des Landgerichts Bonn vom 2.8.2006 zur Hauptverhandlung zugelassen. Die Hauptverhandlung soll am 17.11.2006 beginnen und ist zunächst auf 10 Hauptverhandlungstage angesetzt.

Durch den angefochtenen Beschluss vom 23.8.2006 hat der Kammervorsitzende dem Angeklagten - dessen Wunsch entsprechend - Rechtsanwalt S. als Pflichtverteidiger beigeordnet. Zudem hat er Rechtsanwalt L. aus C. als weiteren Pflichtverteidiger bestellt. Soweit der Angeklagte beantragt hatte, ihm ggf. als zweiten Pflichtverteidiger Rechtsanwalt Dr. K. beizuordnen, hat das Landgericht dem nicht entsprochen. Im Übrigen wird auf den angefochtenen Beschluss verwiesen. Hiergegen richtet sich die mit Verteidigerschriftsatz vom 6.9.2006 erhobene Beschwerde. Mit dem Rechtsmittel wird begehrt, die Bestellung des zweiten Pflichtverteidigers gänzlich aufzuheben, hilfsweise insoweit die Beiordnung von Rechtsanwalt L. aufzuheben und an seiner Statt Rechtsanwalt Dr. K. zu bestellen. Das Landgericht hat der Beschwerde durch Beschluss vom 7.9.2006 nicht abgeholfen. Die Generalstaatsanwaltschaft Köln hat zu dem Rechtsmittel Stellung genommen und beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben, soweit hierin Rechtsanwalt L. dem Angeklagten als Pflichtverteidiger beigeordnet wurde.

II.

Die nach § 304 Abs. 1 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde führt zur Aufhebung der Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers.

1.

Die Beschwerde ist zulässig.

Bestellung oder Abberufung eines Pflichtverteidigers sind gemäß § 304 Abs. 1 StPO anfechtbare Entscheidungen. Sie gehören nicht zu den nach § 305 StPO von der Anfechtung ausgeschlossenen Maßnahmen außerhalb der Hauptverhandlung (OLG Köln NStZ 1991, 248).

Der Angeklagte ist durch die Bestellung des zweiten Pflichtverteidigers auch beschwert. Die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist zwar eigentlich eine für den Angeklagten vorteilhafte Maßnahme, indes ist allgemein anerkannt, dass sie ausnahmsweise dann der Anfechtung unterliegt, wenn mit der Beschwerde Ermessensfehler bei der Auswahl des Pflichtverteidigers geltend gemacht werden (vgl. Senat B. v. 15.7.1988, 2 Ws 340/88 = StV 1989, 241, 242; OLG Frankfurt NJW 1972, 2055, 2056; StV 1989, 384; OLG Celle StV 1988, 100; OLG Düsseldorf VRS 100, 130, 132; Karlsruher Kommentar-Laufhütte, StPO, 5. Aufl. 2003, § 141, Rdn. 13). Mit seiner Beschwerde wirft der Angeklagte dem Landgericht unter anderem vor, die zugunsten von Rechtsanwalt L. getroffene Auswahlentscheidung sei ermessensfehlerhaft. Die hiernach zulässige Beschwerde führt dazu, dass der Senat die Entscheidung über die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers in vollem Umfang überprüft (vgl. Karlsruher Kommentar-Engelhardt, a.a.O., § 309, Rdn. 6).

2.

Die Beschwerde ist begründet. Die Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers erweist sich jedenfalls aus den Gründen ihrer Anordnung als nicht gerechtfertigt.

Bei der Beurteilung der Frage, ob einem Angeklagten ausnahmsweise ein weiterer Pflichtverteidiger beizuordnen ist, steht dem Vorsitzenden des erkennenden Gerichts ein weites Ermessen zu. Die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers kann insbesondere mit Rücksicht auf Umfang und Schwierigkeit der Sache, zur Gewährleistung des ordnungsgemäßen Verlaufs der Hauptverhandlung oder aus sonstigen Gründen prozessualer Fürsorge geboten sein (vgl. OLG Celle StV 1988, 379, 380; OLG Düsseldorf NStZ 1990, 47; OLG Frankfurt StV 1991, 9;HansOLG Hamburg StV 2000, 409, 410; OLG Karlsruhe StV 2001, 557, 558; Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl. 2006, § 141, Rdn. 1). Ob und inwieweit der Kammervorsitzende diese Voraussetzungen zu Recht angenommen hat, kann der Senat aufgrund des bestehenden Ermessens nur eingeschränkt überprüfen. Die Entscheidung des Kammervorsitzenden über die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers ist vor diesem Hintergrund jedoch aufzuheben, weil sie von ermessensfehlerhaften Erwägungen ausgeht.

Die Gründe, welche vom Kammervorsitzenden für die Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers angeführt wurden, sind nicht geeignet, ein sachliches Bedürfnis für die prozessuale Maßnahme zu begründen. Das Landgericht hat seine Entscheidung im Kern damit begründet, dass es Rechtsanwalt S. als ungeeignet zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Aufgaben eines Pflichtverteidigers ansieht. Mit der Bestellung des zweiten Pflichtverteidigers will der Kammervorsitzende einer Besorgnis Rechnung tragen, dass Rechtsanwalt S. im Laufe des Hauptverhandlung wegen erneuten Fehlverhaltens entpflichtet werden müsse. Die Annahme des Landgerichts, Rechtsanwalt S. sei zu einer ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Pflichtverteidigung nicht in der Lage, erweist sich aber als nicht gerechtfertigt. Soweit der Kammervorsitzende zur Begründung Verhaltensweisen des Verteidigers aufführt, die bereits Gegenstand der Senatsentscheidung in anderer Sache vom 12.5.2006 (2 Ws 188/06) waren, bleibt es bei der Wertung, dass diese aus Sicht des Gerichts störend oder ärgerlich gewesen sein mögen, allerdings in keinem Fall von erheblichem Gewicht waren und deshalb die ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens ernsthaft gefährdet hätten. Auch unter Berücksichtigung der nunmehr in Bezug genommenen weiteren Umstände aus dem Verfahren Landgericht Bonn 22 R 3/06 besteht für den Senat keine Veranlassung, diese Sichtweise zu ändern. Soweit es um eine Kontroverse betreffend die Zustellung der Anklageschrift in jenem Verfahren geht, stellt diese die ordnungsgemäße Durchführung der Hauptverhandlung nicht grundsätzlich in Frage. Soweit das Landgericht dem Verteidiger eine den Interessen des dortigen Angeklagten teilweise entgegenstehende Verteidigungsstrategie vorwirft, sieht der Senat aufgrund des vom Landgericht mitgeteilten Sachverhalts (Verhindern einer möglicherweise strafmildernd zu berücksichtigenden Einlassung des Angeklagten zur Sache) nicht die Grenze erreicht, ab der das erkennende Gericht aufgrund seiner Fürsorgepflicht gegenüber dem Angeklagten die Bestellung eines von diesem benannten Verteidigers des Vertrauens wegen offensichtlicher Ungeeignetheit zur sachgemäßen Verteidigung ablehnen könnte.

Ergänzend ist auf folgendes hinzuweisen: Weder in Bezug auf das Verfahren Landgericht Bonn 22 R 3/06 noch auf andere Verfahren beim Landgericht Bonn ist ersichtlich, dass die Rechtsanwalt S. vorgeworfene Konfliktverteidigung im Ergebnis tatsächlich zu maßgeblichen Verfahrensverzögerungen geführt hat. Dies spricht dafür, dass trotz der vom Landgericht in Bezug genommenen Verhaltensweisen Durchführung und Fortgang der Verfahren unter Beteiligung von Rechtsanwalt S. jedenfalls nicht grundlegend gefährdet sind. Das in einem Verfahren beim Landgericht Aachen gezeigte massive Fehlverhalten von Rechtsanwalt S. wird vom Senat als Entgleisung im Einzelfall angesehen, für deren Wiederholung keine hinreichenden Anhaltspunkte bestehen.

Soweit sich hiernach keine Ungeeignetheit von Rechtsanwalt S. ergibt und keine hinreichenden Ansätze für die Besorgnis, dass mit diesem Verteidiger die ordnungsgemäße Durchführung der Hauptverhandlung nicht gewährleistet werden kann, bestehen, ist die Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers aus Gründen der Verfahrenssicherung nicht geboten.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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