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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 24.10.2003
Aktenzeichen: 2 Ws 574/03
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 112 Abs. 2 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

2 Ws 574/03

In der Strafsache

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die Beschwerde des Angeschuldigten gegen den Beschluss der 5. großen Strafkammer des Landgerichts Aachen vom 05.09.2003 (Az: 65 KLs 27 Js 274/02 - 6/03) unter Mitwirkung der Richterin am Oberlandesgericht Dr. Ahn-Roth, des Richter am Oberlandesgericht Scheiter und der Richterin am Amtsgericht Dr. Hottgenroth

am 24. Oktober 2003

beschlossen:

Tenor:

Der Haftbefehl und der Haftverschonungsbeschluß des Amtsgerichts Schleiden vom 14.02.2002 (Az 5 Gs 36/02) werden aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschwerdeführer hierin entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe:

I.

Gegen den Angeschuldigten besteht ein Haftbefehl des Amtsgerichts Schleiden vom 14.02.2002 (Az: 5 Gs 36/02), der durch Beschluß vom gleichen Tage unter Auflagen ( u.a. Meldeauflage, Unterlassung von Kontakten zu der Geschädigten, Stellung einer Kaution in Höhe von 5.000,- € ) außer Vollzug gesetzt wurde. Nach Leistung der Kaution wurde der am 14.02.2002 vorläufig festgenommene Angeschuldigte am 15.02.2002 aus der Haft entlassen und befindet sich seither auf freiem Fuß.

In dem Haftbefehl wird dem Angeschuldigten zur Last gelegt, die Tochter seiner Lebensgefährtin G. B., die am 23.04.1984 geborene D. D. am 13.02.2002 vergewaltigt zu haben. Wegen dieses - als Verbrechen nach § 177 Abs. 1 und 2 Nr.1 StGB gewerteten - Vorwurfs hat die Staatsanwaltschaft Aachen nach Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens zu der Aussage der Geschädigten am 15.05.2003 Anklage vor der 5. großen Strafkammer des Landgerichts Aachen erhoben. Die Strafkammer hat über die Zulassung der Anklage bisher nicht entschieden und am 25.06.2003 die Einholung eines neuen aussagepsychologischen Gutachtens beschlossen, mit dessen Erstattung - nachdem die neue Anschrift der inzwischen nach G. verzogenen Geschädigten erst ermittelt werden musste - nicht vor Dezember 2003 zu rechnen ist.

Die Strafkammer hat den Antrag des Angeschuldigten vom 25.08.2003 auf Aufhebung des Haftbefehls durch Beschluß vom 05.09.2003 zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Angeschuldigte mit seinem als sofortige Beschwerde bezeichneten Rechtsmittel vom 17.09.2003, dem die Strafkammer nicht abgeholfen hat.

Zur näheren Darstellung des Tatvorwurfs und des Haftgrundes wird auf den Haftbefehl, die Anklageschrift sowie den angefochtenen Beschluß Bezug genommen.

II.

Das Rechtsmittel, dessen Ziel (weiterhin) die Aufhebung des Haftbefehls ist, und bei dem es sich um eine gem. § 304 StPO statthafte, auch im übrigen zulässige einfache Beschwerde handelt, hat Erfolg.

Der Haftbefehl und der Haftverschonungsbeschluss sind aufzuheben, weil ein für die Untersuchungshaft erforderlicher Haftgrund nicht vorliegt, § 112 Abs. 2 StPO.

Zwar ist der Beschwerdeführer der ihm im Haftbefehl und in der Anklage zur Last gelegten Tat dringend verdächtig. Er räumt ein, mit der Geschädigten am 13.02.2002 Intimverkehr gehabt zu haben. Seine Einlassung, dies sei im Einverständnis der Geschädigten geschehen, ist nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen als Schutzbehauptung zu werten, die durch die Aussage der Geschädigten zu widerlegen sein wird. Soweit die Strafkammer zur Klärung der Glaubwürdigkeit der Zeugin die Einholung eines weiteres Gutachtens für erforderlich hält, ändert das an der Bejahung des dringenden Tatverdachts nichts, wovon die Strafkammer in dem angefochtenen Beschluß auch selbst ausgeht.

Ob sich aus der erneuten Begutachtung Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Geschädigten ergeben, die zu einer anderen Beurteilung des Tatverdachts Anlaß geben, kann jedoch letztlich offen bleiben. Denn es ist keine Fluchtgefahr gegeben.

Fluchtgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr.2 StPO ist gegeben, wenn bei Würdigung der Umstände des Einzelfalls eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Annahme spricht, der Beschuldigte werde sich dem Strafverfahren entziehen, als für die Erwartung, er werde sich dem Verfahren stellen (KK-Boujong, 5.A., § 112 Rz. 15; Meyer-Goßner, StPO, 46.A., § 112 Rdnr.17 m.w.N.).

Die Annahme der Fluchtgefahr darf nicht allein aus der Höhe der zu erwartenden Freiheitsstrafe abgeleitet werden; vielmehr sind die zu erwartenden Rechtsfolgen der Tat lediglich in Verbindung mit weiteren Umständen zu berücksichtigen (ständ. Rechtsprechung des Senats, vgl. zuletzt SenE vom 27.01.03 - 2 Ws 22/03 - m.w.N.).

Im vorliegenden Fall ist die Straferwartung nicht unerheblich. § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB sieht bei Vergewaltigung in einem besonders schweren Fall eine Freiheitsstrafe von nicht unter zwei Jahren vor.

Dem stehen aber die Lebensverhältnisse des Angeschuldigten entgegen und - vor allem - der Umstand, dass er in dem seit nunmehr 1 Jahr und 8 Monaten andauernden Zeitraum seiner Haftverschonung keinerlei Anstalten unternommen hat, sich dem Verfahren durch Flucht zu entziehen, obwohl er dazu Gelegenheit gehabt hätte.

Der jetzt 56 Jahre alte Angeschuldigte lebt seit Jahrzehnten fest verwurzelt in Deutschland. Er hatte bis Anfang 2002 32 Jahre lang eine Arbeitsstelle inne. Seine seither bestehende Arbeitslosigkeit ist aufgrund seines Alters und der Lage am Arbeitsmarkt für die Frage der Fluchtgefahr ohne Relevanz.

Greifbare Anhaltspunkte für die Besorgnis, dass der Angeschuldigte sich nach Italien absetzen könnte, fehlen. Über etwa noch bestehende familiäre oder sonstige Kontakte des Angeschuldigten in sein Heimatland ist nichts bekannt. Der Angeschuldigte lebt nach seinen vor der Haftrichterin gemachten Angaben von mtl. 400 € Arbeitslosenunterstützung und dürfte im übrigen mit seiner Lebenspartnerin G. B. "zusammenwirtschaften", die einer geregelten Arbeit nachgeht. Über finanzielle Mittel, die ihm eine Flucht und einen dauerhaften Aufenthalt in Italien ermöglichen könnten, dürfte der Angeschuldigte demnach nicht verfügen. Er entstammt auch nicht einem Milieu, das ihm ein "Untertauchen" erleichtern könnte.

Die Beziehung zu seiner Lebenspartnerin, die seit 1990 besteht, ist durch die Tat nicht zerbrochen. Es scheint vielmehr so, dass die (schon vor der Tat belastet gewesene) Beziehung zwischen der Geschädigten und ihrer Mutter zerbrochen ist, die den Angaben ihrer Tochter keinen Glauben schenkt, wie sie bei ihrer polizeilichen Vernehmung am 14.02.2002 ausgesagt hat. Frau B. hat im übrigen nach der Festnahme des Angeschuldigten umgehend für die Zahlung der Kaution gesorgt und lebt weiterhin mit dem Angeschuldigten in dessen Haus zusammen.

Unter Abwägung aller Umstände kann eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich der Beschwerdeführer dem Verfahren entziehen wird, mithin nicht festgestellt werden.

Ebenso wenig kann Wiederholungsgefahr nach § 112 a StPO als Haftgrund angenommen werden. Die Geschädigte - die sich schon zur Tatzeit nicht mehr ständig, sondern nur sporadisch im Haushalt ihrer Mutter und des Angeschuldigten aufgehalten hatte - ist zwischenzeitlich nach G. verzogen. Sie dürfte damit aus dem Umkreis des Angeschuldigten so weit entfernt sein, dass die Gefahr weiterer strafbarer sexueller Übergriffe nicht begründet ist. Dafür, dass der bisher nicht bestrafte Angeschuldigte sich anderen Personen als der Geschädigten in sexuell motivierter, strafrechtlich relevanter Absicht nähern könnte, fehlt es ebenso an Anhaltspunkten.

Auf die Frage, ob die Ermittlungen zu jedem Zeitpunkt mit der in Haftsachen - auch bei Haftverschonung - gebotenen Beschleunigung geführt worden sind und der Haftbefehl ggfs wegen Unverhältnismäßigkeit im Hinblick auf das nun schon 20 Monate andauernde Verfahren, das über die Anklageerhebung noch nicht hinausgelangt und dessen Abschluß nicht absehbar ist, nicht länger aufrechterhalten werden könnte, muß der Senat nicht eingehen, da es - wie dargelegt - bereits an einem Haftgrund fehlt.

Nach allem waren der Haftbefehl und der Verschonungsbeschluss auf die Beschwerde hin mit der sich aus entsprechender Anwendung des § 467 StPO ergebenden Kostenfolge aufzuheben.

Ende der Entscheidung

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