Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 09.03.2007
Aktenzeichen: 2 Ws 58/07
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 119 Abs. 3
Zu den Voraussetzungen der Verlegung eines Untersuchungsgefangenen im Interesse der Aufrechterhaltung der Ordnung in der Justizvollzugsanstalt.
Tenor:

Die Beschwerde wird auf Kosten des Angeklagten verworfen.

Gründe:

I.

Der Angeklagte befindet sich seit dem 29.7.2005 mit einer kurzen Unterbrechung in Untersuchungshaft. Der Senat hat erstmals mit Beschluss vom 14.3.2006 - 42 HEs 3/06 - 20 - im Haftprüfungsverfahren gemäß §§ 121, 122 StPO Haftfortdauer angeordnet und die Fluchtgefahr u.a. damit begründet, dass der Angeklagte nach Angaben eines Mitgefangenen einen Fluchtversuch plante. Die Untersuchungshaft wurde zunächst in der Justizvollzugsanstalt Aachen vollstreckt. Der Angeklagte wurde durch Urteil des Landgerichts Aachen vom 26.10.2006, Az. 64 KLs 101 Js 1168/04 12/06, zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren und 6 Monaten wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Mit Schreiben vom 15.1.2007 teilte der Leiter der Justizvollzugsanstalt Aachen dem Landgericht Aachen mit, dass der Angeklagte aufgrund verschiedener vertraulich zu behandelnder Mitteilungen mehrerer Gefangener in Drogengeschäfte involviert sein solle. Darüber hinaus habe er versucht, einen Bediensteten in Misskredit zu bringen. Der Leiter der Justizvollzugsanstalt Aachen hat daher um die Anordnung gebeten, den Angeklagten in eine andere Haftanstalt zu verlegen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 15.1.2007 verwiesen (Bl. 1791 d.A.). Der Vorsitzende der 4. großen Strafkammer des Landgerichts Aachen hat daraufhin am 15.1.2007 die Verlegung des Untersuchungsgefangenen in die Justizvollzugsanstalt Köln angeordnet. Der Angeklagte wurde auch nach Köln verbracht. Gegen diese Maßnahme wendet sich die mit Verteidigerschriftsatz vom 18.1.2007 erhobene Beschwerde.

Der Senat hat mit Schreiben vom 5.2.2007 den Leiter der Justizvollzugsanstalt Aachen aufgefordert, die gegen den Angeklagten erhobenen Vorwürfe zu präzisieren. Der Leiter der Justizvollzugsanstalt Aachen hat mit Schreiben vom 8.2.2007 u.a. folgendes mitgeteilt: Es hätten sich im Hafthaus "zwei Lager" der Gefangenen gebildet, eines davon auf Seiten des Angeklagten, das andere gegen den Angeklagten. Der Angeklagte habe gegen einen ihm missliebigen Anstaltsbediensteten agitiert und Unterschriften gegen diesen gesammelt. Er habe zudem über einen anderen Gefangenen gezielt das nicht zutreffende Gerücht gestreut, der Bedienstete habe diesem Gefangenen Betäubungsmittel verkauft. Es habe die Gefahr eine Eskalation der Situation zwischen den beiden Gefangenenlagern oder zwischen dem Bediensteten und dem Angeklagten bestanden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 8.2.2007 Bezug genommen (Bl. 1818 f.). Der Angeklagte hat sich mit Verteidigerschriftsatz vom 21.2.2007 hierzu geäußert. Er hat die Vorwürfe abgestritten. Er habe nicht gegen einen Abteilungsbeamten agitiert, er habe keine Unterschriften gesammelt. Er habe sich lediglich beim Abteilungsbeamten S. über die Vorgehensweise bei der Essensausgabe beschwert. Im Übrigen sei im Dezember 2006 bei einem Mitgefangenen Marihuana gefunden worden. Dieser Mitgefangene habe angegeben, das Rauschgift gegen Bezahlung vom Bediensteten S. erhalten zu haben. Wenn dieser Mitgefangene nunmehr behaupte, er habe dieses Gerücht auf Veranlassung des Angeklagten gestreut, so sei dies unzutreffend. Wegen der weiteren mit der Beschwerde vorgebrachten Umstände wird auf den Schriftsatz vom 21.2.2007 verwiesen (Bl. 1824 ff. d.A.).

II.

Die nach § 304 Abs. 1 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Der Vorsitzende der Strafkammer hat im Ergebnis zu Recht die Verlegung des Angeklagten in die Justizvollzugsanstalt Köln angeordnet.

Gesetzliche Grundlage für die Gestaltung der Untersuchungshaft ist § 119 Abs. 3 StPO. Nach dieser Vorschrift und allgemeinen Verfassungsgrundsätzen dürfen dem Untersuchungsgefangenen nur solche Beschränkungen auferlegt werden, die der Zweck der Untersuchungshaft oder die Ordnung in der Vollzugsanstalt erfordern. Dabei ist der Tatsache Rechnung zu tragen, dass ein Untersuchungsgefangener noch nicht verurteilt und deshalb - unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls - allein den unvermeidlichen Beschränkungen unterworfen werden darf (BVerfG NJW 1976, 1311). Beschränkungen sind nur zulässig, wenn sie erforderlich sind, um eine reale Gefahr für die in § 119 Abs. 3 und 4 StPO genannten öffentlichen Interessen abzuwehren, und dies nicht mit weniger einschneidenden Maßnahmen erreicht werden kann (BVerfGE 35, 5, 10).

Die angefochtene Entscheidung hat keine Beschränkungen der Vollzugsgestaltung im Sinne von § 119 Abs. 3 StPO zum Gegenstand. Es wird lediglich eine Anstalt bestimmt, in der die im Falle des Beschwerdeführers zur Wahrung der Zwecke der Untersuchungshaft und der Ordnung in der Vollzugsanstalt gebotenen Beschränkungen besser gewährleistet sind, als in der Anstalt, in der er sich bisher befunden hat. Die Bestimmung einer anderen als der nach dem Vollstreckungsplan vorgesehenen Anstalt kann im Einzelfall aus besonderen Gründen erfolgen (Nr. 14 Abs. 3 UVollzO), wobei dem Haftrichter ein Ermessensspielraum zusteht. Der Untersuchungshäftling hat keinen Anspruch darauf, in einer Anstalt seiner Wahl untergebracht zu werden, auch nicht zum Zwecke der besseren Erreichbarkeit für Verwandte oder Freunde. Es besteht nur ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung (KK-Boujong § 119 StPO Rdnr. 8 m.w.N.).

Soweit das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 27.6.2006 (Az. 2 BvR 1295/05, NStZ 2007, 170, 171) GG im Zusammenhang mit der Verlegung eines Sicherungsverwahrten die besondere Bedeutung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 herausgestellt und Beeinträchtigungen in der Aufgabe der sozialen Bindungen und des persönlichen Lebensumfeldes gesehen hat, fallen diese Gesichtspunkte hier nicht ins Gewicht. Denn die Untersuchungshaft dient nicht der Resozialisierung des Gefangenen . Bei ihr steht neben den Haftzwecken die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung im Vordergrund. Angesichts der hohen Sicherheitsrisiken, die sich aus der besonderen Situation in der Untersuchungshaft, der inhomogenen Belegung, hohen Fluktuation und schwer einschätzbaren psychischen Verfassung der Gefangenen bei bekanntlich stark zunehmender Gewaltbereitschaft ergeben, kann den persönlichen Belangen des Untersuchungshäftlings nur sehr eingeschränkt Rechnung getragen werden.

Bei Anlegung dieser Maßstäbe ist die Verlegung des Beschwerdeführers nicht zu beanstanden:

Die Verlegung des Angeklagten erfolgte im Interesse der Aufrechterhaltung der Ordnung in der Justizvollzugsanstalt Aachen, vgl. § 119 Abs. 3 StPO. In diesem Sinne lässt auch § 66 UHaftVollzO zur Gewähr einer sicheren Verwahrung oder zur Verhinderung von Gewalttätigkeiten eine Verlegung des Untersuchungsgefangenen zu. Aufgrund der ergänzenden Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Aachen vom 8.2.2007 kann der Senat zwar nicht davon ausgehen, dass der Angeklagte in Drogengeschäfte "involviert" war. Soweit das Schreiben des Leiters der Justizvollzugsanstalt Aachen vom 15.1.2007 Veranlassung zu der Annahme gab, der Angeklagte habe selbst an Drogengeschäften aktiv mitgewirkt, ergibt sich hierauf aufgrund der Konkretisierung der Vorwürfe kein Hinweis. Nach der ergänzenden Stellungnahme vom 8.2.2007 steht für den Senat aber auch unter Berücksichtigung der Einlassung des Angeklagten fest, dass ein Mitgefangener einen Bediensteten zu Unrecht verdächtigt hat, Betäubungsmittel an Gefangene veräußert zu haben und dass es im Zusammenhang damit zu einer Lagerbildung gekommen ist, wobei der Angeklagte von einem Teil der Gefangenen als Rädelsführer bezeichnet wurde. Ob der Mitgefangene seine Verdächtigung auf Veranlassung des Angeklagten geäußert hat oder der Mitgefangene zu Unrecht den Angeklagten in die Sache hineingezogen und mitgeteilt hat, der Anklage habe ihn zu seiner Verdächtigung veranlasst, kann dahinstehen. Wenn der Angeklagte tatsächlich den Mitgefangenen in dieser Weise zu einer falschen Verdächtigung veranlasst haben sollte, stellt dies einen nicht hinnehmbaren Verstoß gegen die Ordnung in der Anstalt dar. Davon, dass die Darstellung des Angeklagten zutrifft und der Mitgefangene ihn zu Unrecht belastet hat, geht nur ein Teil der Mitgefangenen aus. Ein anderer Teil der Mitgefangenen hält den Angeklagten für den Anstifter der falschen Verdächtigung und bezeichnet ihn als "Rädelsführer im C-Flügel". Dass es zu dieser Lagerbildung gekommen ist, wird von dem Angeklagten nicht bestritten.

Eine solche Lagerbildung und Polarisierung in Bezug auf einen einzelnen Gefangenen stellt im Hinblick auf die Sicherheit in der Anstalt einen nicht haltbaren Zustand dar. Dies gilt ungeachtet des Umstandes, ob sich bereits konkrete Feindseligkeiten der Gefangenen untereinander eingestellt haben. Allein die Besorgnis, dass es zu solchen kommen kann, rechtfertigt Maßnahmen, zur Gefahrenabwehr. Ebenso kann es im Interesse eines geregelten Vollzugs nicht hingenommen werden, dass Bedienstete in die Auseinandersetzungen zwischen Gefangenen einbezogen werden, wie dies in der Justizvollzugsanstalt Aachen konkret geschehen ist.

Die Verlegung des Angeklagten in eine andere Anstalt war hiernach erforderlich und geeignet, um den geordneten Vollzug sicherzustellen. Durch die Herausnahme des Angeklagten hat die auf seine Person bezogene Lagerbildung in der dortigen Justizvollzugsanstalt beendet werden können, wie sich aus der Stellungnahme des Leiters der Justizvollzugsanstalt Aachen ergibt. Die Entscheidung des Strafkammervorsitzenden ist auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht zu beanstanden. Eine bloße Trennung der Gefangenen innerhalb der Justizvollzugsanstalt wäre - sofern sie organisatorisch überhaupt in Betracht käme - nach Kenntnis des Senats nicht in gleicher Weise wirkungsvoll, weil die Polarisierung im Zusammenhang mit dem angeblichen Fehlverhalten eines Bediensteten steht.

Die Justizvollzugsanstalt Köln ist örtlich nicht so weit von dem bisherigen Lebensmittelpunkt und dem Wohnort der Familie entfernt, dass die Anreise für dem Angeklagten nahestehende Personen nicht zumutbar wäre.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

Zurück