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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 06.01.2006
Aktenzeichen: 2 Ws 619/05
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 51 Abs. 1
StGB § 67 Abs. 4 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

2 Ws 619/05

In der Maßregelvollstreckungssache

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bonn gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bonn (55 StVK 483/05) vom 21. November 2005, durch den die Anrechnung verbüßter Untersuchungshaft auf das letzte Strafdrittel angeordnet worden ist, durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Doleisch von Dolsperg sowie die Richter am Oberlandesgericht Scheiter und Dr. Weber

am 6. Januar 2006

beschlossen:

Tenor:

1. In Abänderung der angefochtenen Entscheidung wird es abgelehnt, die von dem Verurteilten in dem Verfahren 33 Js 701/01 StA Bonn erlittene Untersuchungshaft von 111 Tagen auf das letzte Strafdrittel aus der durch Urteil des Landgerichts Bonn vom 27.02.2002 - Az 23 W 12/01 - verhängten Freiheitsstrafe von vier Jahren anzurechnen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Verurteilte.

Gründe:

I.

Das Landgericht Bonn verurteilte den Beschwerdegegner am 27.02.2002 - rechtskräftig seit diesem Tage - wegen schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und ordnete daneben wegen Drogenabhängigkeit seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an. Der Beschwerdegegner befand sich nach vorläufiger Festnahme am 08.11.2001 vom 09.11.2001 bis zum 26.02.2002 (111 Tage) in Untersuchungshaft und danach bis zum 05.06.2002 (99 Tage) in sog. Organisationshaft. Ab dem 06.06.2002 bis zum 06.05.2005 wurde die Maßregel in den Rheinischen Kliniken Bedburg-Hau vollzogen. Nachdem die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Kleve mit Beschlüssen vom 17.12.2002, 05.06.2003, 15.09.2003, 05.02.2004, 10.08.2004 und 17.02.2005 jeweils die Fortdauer der Unterbringung angeordnet hatte, ordnete sie wegen Aussichtslosigkeit der weiteren Behandlung mit Beschluss vom 19.05.2005 den Abbruch der weiteren Vollstreckung der Maßregel an. Zugleich lehnte die Strafvollstreckungskammer die Aussetzung der Reststrafe aus dem Urteil vom 27.02.2002 zur Bewährung ab und ordnete die Überführung des Beschwerdegegners in den Strafvollzug an, in dem dieser sich seit dem 09.06.2005 befindet.

Am 13.09.2005 zog der Beschwerdegegner seine Zustimmung zu der mit Schreiben vom 11.07.2005 von ihm beantragten vorzeitigen Entlassung zurück, so dass eine Entscheidung der nunmehr zuständigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bonn über eine Reststrafenaussetzung unterblieb. In dem Schreiben vom 11.07.2005 hatte der Beschwerdegegner ferner die Auffassung geäußert, er habe sich aufgrund des Vorwegvollzugs der Maßregel letztlich länger in Unfreiheit befunden als es bei Verbüßung der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe der Fall gewesen wäre. Die Staatsanwaltschaft hat daraufhin gemäß § 458 Abs. 1 StPO gerichtliche Entscheidung dahin beantragt, dass die erlittene Untersuchungshaft auf das letzte Drittel der durch den Maßregelvollzug nach § 67 Abs. 4 S.1 StGB zu 2/3 erledigten Freiheitsstrafe nicht anzurechnen sei.

Durch den angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bonn entschieden, dass die Untersuchungshaft auf das letzte Strafdrittel anzurechnen sei. Unter Zugrundelegung dieser Auffassung wäre die Strafe am 14.02.2006 vollstreckt, andernfalls am 26.06.2006, wobei jeweils die Anrechnung der von dem Beschwerdegegner in Organisationshaft verbrachten Zeit von 99 Tagen auf das letzte Strafdrittel außer Streit steht.

Gegen die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer hat nach am 23.11.2005 erfolgter Zustellung die Staatsanwaltschaft unter dem 28.11.2005 sofortige Beschwerde eingelegt und diese unter dem 30.11.2005 begründet. Der Beschwerdegegner hat hierzu rechtliches Gehör erhalten.

II.

Die gemäß §§ 462 Abs. 1 und 3 S.1, 458 Abs. 1 StPO statthafte und auch sonst zulässige sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

Entgegen der Auffassung der Strafvollstreckungskammer kommt die Anrechnung der Untersuchungshaft auf das letzte Strafdrittel nicht in Betracht.

In der Rechtsprechung ist die Frage, in welcher Reihenfolge auf eine vom Verurteilten zu verbüßende Freiheitsstrafe gem. § 51 Abs. 1 S.1 StGB anzurechnende Untersuchungshaft und gem. § 67 Abs. 4 S.1 StGB anzurechnender vorweggenommener Maßregelvollzug anzurechnen sind, allerdings umstritten.

Der Senat hat hierzu mit Beschluss vom 31.07.1998 - 2 Ws 386/98 - die Auffassung vertreten, dass Untersuchungshaft in der Weise zu berücksichtigen ist, wie sie auch vollzogen worden ist, nämlich als bis zur Rechtskraft des Urteils, mithin vor einer Strafhaft oder einem Maßregelvollzug erfolgte Freiheitsentziehung. Zur Begründung seiner Auffassung hat der Senat in dieser Entscheidung ausgeführt :

"Soweit die Strafvollstreckungskammer die vom Beschwerdeführer erlittene Untersuchungshaft von 184 Tagen, die - da keine gegenteilige gerichtliche Anordnung nach § 51 Abs. 1 Satz 2 StGB getroffen worden ist - kraft Gesetzes auf die Freiheitsstrafe anzurechnen ist (§ 51 Abs. 1 Satz 1 StGB), "im Rahmen der ersten beiden Drittel der verhängten Freiheitsstrafe" berücksichtigt hat, entspricht das im Ergebnis der Regelung in § 67 Abs. 4 StGB. Danach wird, wenn - wie hier die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB - eine Maßregel ganz oder zum Teil vor der Strafe vollzogen wird, die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet, "bis 2/3 der Strafe erledigt sind".

Für die danach zu treffende Feststellung des 2/3-Zeitpunkts, wie er insbesondere in § 57 Abs. 1 StGB für die Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung von Bedeutung ist, ist die nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB anzurechnende Untersuchungshaft in der Form zu berücksichtigen, wie sie auch vollzogen worden ist, nämlich, als bis zur Rechtskraft des Urteils, mithin vor einer Strafhaft oder einem Maßregelvollzug erfolgter Freiheitsentzug. Dieser verkürzt die noch zu verbüßende Freiheitsstrafe von Anfang an (vgl. Pfz. OLG Zweibrücken NStZ 1996, 357; OLG Frankfurt NStZ 1993, 252, 253; LG Wuppertal StV 1996, 329, 330). Entsprechend wird auch für die Berechnung des 2/3-Zeitpunkts nach § 57 StGB die Untersuchungshaft wie verbüßte Strafhaft behandelt (§ 57 Abs. 4 StGB).

Daraus folgt, daß die Freiheitsstrafe auf die der Vollzug der Maßregel nach § 67 Abs. 4 StGB anzurechnen ist, schon um die anrechenbare Untersuchungshaft erledigt ist. Erst infolge des sich zeitlich anschließenden Beginns des Vorwegvollzugs der Maßregel kann sich die Strafe durch dessen Anrechnung weiter erledigen (OLG Frankfurt a.a.O.).

Dieses Verständnis des § 67 Abs. 4 StGB, der gegenüber § 51 StGB eine Sonderregelung darstellt (Stree in Schönke/Schröder, StGB, 25. Auflage, § 51 Rdn. 2 a), entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers, wie er in dem Wortlaut der Vorschrift (Anrechnung "bis 2/3 .... erledigt sind").

Die Beschränkung der Anrechnung des Maßregelvollzugs ist erfolgt, um bei dem Verurteilten unter dem Druck eines noch nicht erledigten Teils der Strafe die Bereitschaft zu stärken, am Erfolg der Behandlung mitzuwirken, damit das letzte Drittel der Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann (vgl. BT Drucks. 10/2720, S. 13). Nach der Entlassung aus dem Maßregelvollzug sollen Teilanrechnung und Reststrafenaussetzung den Verurteilten zu einer Lebensführung bewegen, die den Erfolg seiner Behandlung nicht gefährdet (BVerfG NJW 1995, 2405, 2406). Bei dem in § 67 Abs. 4 StGB von der Anrechnung ausgenommenen Strafrest handelt es sich um jenes Drittel, mit dessen Aussetzung zur Bewährung nach § 57 Abs. 1 StGB der Verurteilte bei guter Sozialprognose rechnen kann.

Mit dieser vom Gesetzgeber in § 67 Abs. 4 StGB getroffenen Zuordnungsentscheidung, die vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden angesehen worden ist (BVerfG NJW 1995, 1080 f und NStZ 1994, 578), wäre nicht vereinbar, wenn - wie wegen des Verbots des Übermaßes vertreten wird (so: Stree in Schönke/Schröder, BGB 25. Aufl., § 67 Rdn. 3 a.E; Tröndle, StGB, 48. Auflage, § 67 Rnd. 5 a a.E.; OLG Düsseldorf StV 1996, 47) - anrechenbare Untersuchungshaft "beim nicht von Absatz 4 erfaßten Teil der Strafe anzurechnen" wäre (Stree, in Schönke/Schröder a.a.O.). Wäre nämlich das von der Anrechnung des Maßregelvollzugs ausgenommene letzte Strafdrittel bereits durch Berücksichtigung von Untersuchungshaft aufgebraucht, würde die mit der Regelung in § 67 Abs. 4 StGB angestrebte Motivation des Verurteilten, an der eigenen Rehabilitation mitzuwirken, entfallen (Pfz. OLG Zweibrücken a.a.O.).

Das verfassungsrechtlich begründete Verbot des Übermaßes steht der von der Strafvollsteckungskammer vorgenommenen Berücksichtigung der Untersuchungshaft nicht entgegen (anders: OLG Düsseldorf Rpfl. 1996, 82; vgl. auch LG Wuppertal a.a.O., wonach der Gleichbehandlungsgrundsatz und der allgemeine Gerechtigkeitsgedanke es erfordern, den Umfang der nach § 67 Abs. 4 StGB anrechenbaren Dauer des Maßregelvollzugs nicht dadurch zu beschränken, daß vor der Anrechnung nach § 67 Abs. 4 StGB diejenige nach § 51 StGB vorgenommen wird).

Zunächst einmal ist festzustellen, daß Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG, der die Unverletzlichkeit der Freiheit der Person garantiert, es nicht gebietet, bei der Frage der Anrechnungsreihenfolge nach §§ 51 Abs. 1, 67 Abs. 4 StGB - unter Außerachtlassung anderer Erwägungen - stets die dem Verurteilten günstigste Variante zu wählen (BVerfG, NStZ 1998, 77). Auch hat das Bundesverfassungs-gericht in dieser Entscheidung über eine Verfassungsbeschwerde, der ein gleichgelagerter Sachverhalt, nämlich Anrechnung der Zeit der Untersuchungs- und Organisationshaft auf die ersten beiden Drittel der Freiheitsstrafe und dann erst des Maßregelvollzugs bis zu 2/3 der Strafe, zugrunde lag, ausgeführt, daß, was den gewählten Anrechnungszeitpunkt erlittener Untersuchungshaft anbetrifft, dadurch verfassungsmäßige Grenzen nicht überschritten werden, mögen auch "gute Gründe dafür sprechen, eine andere als die im hiesigen Fall von den Strafvollstreckungsgerichten vertretene Lösung zu wählen", wobei auf LG Stade, Recht und Psychiatrie 1995, S. 95 m. Anm. Volckart ebd. S. 63 ff.; OLG Düsseldorf Rpfl. 1996, S. 82; LG Wuppertal StV 1996, S. 329, aber auch Pfz. OLG Zweibrücken NStZ 1996 S. 357 Bezug genommen wird. Damit hat das Bundesverfassungsgericht verneint, daß im Regelfall eine Anrechnung vollstreckter Untersuchungshaft- (und Organisations)haft auf die Strafe vor Anrechnung der Dauer des Maßregelvollzugs nach § 67 Abs. 1 StGB mit dem Verbot des Übermaßes nicht vereinbar ist."

An dieser Auffassung hält der Senat nach nochmaliger Prüfung fest. Der vorliegende Fall gibt keine Veranlassung, hiervon abzuweichen.

Der Senat hat zwar in seiner späteren Entscheidung vom 29.12.1999 - 2 Ws 585/99 - eine andere Anrechnungsreihenfolge für richtig gehalten und Untersuchungshaft auf das letzte Strafdrittel angerechnet. Darin lag allerdings keine Abkehr von der früheren Rechtsprechung, worauf in der Entscheidung ausdrücklich hingewiesen worden ist.

Der Senat hat damals ausgeführt :

"Der vorliegende Fall gibt dem Senat zu einer erneuten grundsätzlichen Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Auffassungen keinen Anlass. Er hat bereits in der Entscheidung vom 31. Juli 1998 (2 Ws 386/98) ausgeführt, dass die von ihm vertretene Auffassung hinsichtlich der Anrechnungsreihenfolge unter besonderen Umständen das Verbot des Übermaßes berühren und deshalb im Einzelfall eine andere Reihenfolge geboten sein kann."

Ein der Fallgestaltung, wie sie der Entscheidung vom 29.12.1999 zugrunde lag, vergleichbarer Sachverhalt ist vorliegend jedoch nicht gegeben.

Während seinerzeit der Zweck der Maßregel von vornherein nicht erreicht werden konnte und der Untergebrachte fast ein Jahr ohne Behandlungsmöglichkeit und ohne die Chance der Motivierung zur Mitarbeit an der eigenen Behandlung untergebracht war, hat im vorliegenden Fall die Strafvollstreckungskammer bei den Fristenüber-prüfungen gemäß § 67 e StGB entsprechend den jeweiligen ärztlichen Stellung-nahmen der Rheinischen Kliniken Bedburg-Hau, in denen Erfolgsaussichten für die Therapie bejaht wurde, die Fortdauer der Unterbringung über einen Zeitraum von Dezember 2002 bis Februar 2005 angeordnet und erst im Mai 2005 - nach rund 2 1/2-jähriger Behandlungsdauer - den weiteren Vollzug der Maßregel wegen Aussichtslosigkeit abgebrochen. Der Beschwerdegegner hat die Unterbringung auch selbst nicht als sinn-oder zwecklos angesehen, sondern sogar noch nach deren Beendigung mehrfach, u.a. mit Schreiben vom 16.05.2005 an die Staatsanwaltschaft zum Ausdruck gebracht, dass die Behandlung ihm bei der Bekämpfung seiner Drogenabhängigkeit geholfen habe. Bei dieser Sachlage kann es nicht als Verstoß gegen das Übermaßverbot angesehen werden, dass der Beschwerdegegner noch Strafhaft von weiteren 111 Tagen verbüßen muß.

Bei anderer Betrachtungsweise könnte ein - anders als der Beschwerdegegner - therapieunwilliger Verurteilter es sonst darauf anlegen, Untersuchungshaft von einem Drittel zu provozieren, um durch deren Anrechnung auf den letzten Strafrest deren vollständige Erledigung zu erreichen. Eine solche Besserstellung gegenüber einem grundsätzlich therapiewilligen Verurteilten ist verfehlt; ihr darf nicht durch die von der Strafvollstreckungskammer vertretene Anrechnungsreihenfolge Vorschub geleistet werden.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 465 StPO (vgl. KK-Franke , StPO, 5. Aufl., § 473 Rn 5).

Ende der Entscheidung

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