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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 07.01.2009
Aktenzeichen: 2 Ws 641/08
Rechtsgebiete: StPO, GVG


Vorschriften:

StPO § 125 Abs. 2
StPO § 126 Abs. 2 S. 4
StPO § 229 Abs. 2
StPO § 304
StPO § 309 Abs. 2
GVG § 30 Abs. 1
GVG § 30 Abs. 2
GVG § 76 Abs. 1 S. 2
GVG § 122
GVG § 122 Abs. 2 S. 1
Zur Wahrung des Gebots des gesetzlichen Richters ist erforderlich, dass über Haftfragen - abgesehen von dem gesetzlich geregelten Fall der Haftprüfung bei der Urteilsfällung (§§ 268 b und 120 Abs. 1 S. 2 StPO) - stets außerhalb der mündlichen Verhandlung nur durch die Berufsrichter entschieden wird (Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung des Senats, SenE vom 13.2.1998, NStZ 98, 419).
2 Ws 640/08 2 Ws 641/08

Tenor:

Die Beschwerde der Angeklagten I. K. gegen den Beschluss der 5. großen Strafkammer des Landgerichts K. vom 18.11.2008 wird auf deren Kosten verworfen.

Der Beschluss vom 7.10.2008 betreffend den Angeklagten S. K. wird aufgehoben. Insoweit wird das Verfahren zur erneuten Entscheidung über die Aufrechterhaltung des Haftbefehls an das Landgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens betreffend S. K. und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

I.

Beide Angeklagten sind am 6.11.2007 vorläufig festgenommen worden und befinden sich aufgrund der Haftbefehle des Amtsgerichts K. vom 7.11.2007 seit diesem Tag in Untersuchungshaft. Die Anklage der Staatsanwaltschaft K. vom 17.4.2008 wirft ihnen gemeinschaftlichen Mord vor. Seit September 2008 findet die Hauptverhandlung vor der 5. großen Strafkammer des Landgerichts K. statt. Weitere Hauptverhandlungstermine sind noch bis zum Februar 2009 vorgesehen. Der Senat hat mit Beschlüssen vom 2.9.2008 und 15.9.2008 die Fortdauer der Untersuchungshaft über 9 Monate hinaus angeordnet.

Mit Beschluss vom 7.10.2008 hat die Strafkammer unter Beteiligung der Schöffen die Fortdauer der Untersuchungshaft hinsichtlich des Angeklagten S. K. angeordnet. Im Hauptverhandlungstermin vom 2.12.2008 hat der Angeklagte S. K. Haftbeschwerde eingelegt, der die Kammer durch den im Hauptverhandlungstermin vom 11.12.2008 verkündeten Beschluss nicht abgeholfen hat.

Durch Schriftsatz ihres Verteidigers vom 31.10.2008 hat die Angeklagte I. K. außerhalb der mündlichen Verhandlung Haftprüfung beantragt. Die Strafkammer hat daraufhin am 12.11.2008 ohne Beteiligung der Schöffen einen nichtöffentlichen Haftprüfungstermin durchgeführt und mit Beschluss vom 18.11.2008 die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Der gegen diesen Beschluss durch Verteidigerschriftsatz vom 9.12.2008 eingelegten Beschwerde hat die Kammer ohne Beteiligung der Schöffen durch Beschluss vom 16.12.2008 nicht abgeholfen.

Beide Angeklagten meinen, es bestehe nach aktuellem Verfahrensstand kein dringender Tatverdacht gegen sie. Die Angeklagte I. K. lässt weiter rügen, dass die angefochtene Entscheidung ohne Beteiligung der Schöffen ergangen ist. Hierin liege ein Verstoß gegen den Grundsatz des gesetzlichen Richters. Die Sache sei deshalb an das Landgericht zurückzuverweisen. Hilfsweise sei sie zu verschonen.

II.

Die Beschwerden sind nach § 304 StPO zulässig, die Beschwerde der Angeklagten I. K. ist nicht begründet. Die Beschwerde des Angeklagten S. K. hat insoweit Erfolg, als die Sache zur erneuten Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft an das Landgericht zurückzuverweisen ist.

1.

Die Strafkammer hat zu Recht über den Haftprüfungsantrag der Angeklagten I. K. ohne Beteiligung der Schöffen entschieden. Soweit der Senat in der Entscheidung vom 13.2.1998 - 2 Ws 717/97-, veröffentlicht in NStZ 98, 419 - zum Ausdruck gebracht hat, er neige dazu, dass nach Beginn der Hauptverhandlung die Schöffen in und außerhalb in der Hauptverhandlung an Entscheidungen über Haftfragen zu beteiligen seien, hält er daran nicht fest.

Auch zwischen Beginn und Ende der Hauptverhandlung sind nur die Berufsrichter mit der Haftsache befasst.

Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 30.4.1997 (BGHSt 43, 91) ausgeführt, die Praxis der Oberlandesgerichte, bei erstinstanzlichen Verfahren in der Besetzung mit fünf Berufsrichtern entsprechend der Handhabung bei den Schöffengerichten und Strafkammern in Haftfragen in der Hauptverhandlung mit fünf Berufsrichtern und außerhalb der Hauptverhandlung mit drei Berufsrichtern zu entscheiden, trage dem Erfordernis des gesetzlichen Richters nicht Genüge. Wenn darauf abgestellt werde, ob der Antrag in oder außerhalb der mündlichen Verhandlung gestellt werde, werde es den Verfahrensbeteiligten in die Hand gegeben, zu bestimmen , in welcher Besetzung über die Haftfrage entschieden werde. Im Übrigen würde dieser Weg ohnehin versagen, wenn zu einer Haftfrage mehrere Anträge, teils in, teils außerhalb der mündlichen Hauptverhandlung gestellt würden. Es sei mit Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG nicht zu vereinbaren, wenn zwei unterschiedlich besetzte Spruchkörper mit möglicherweise unterschiedlichen Mehrheitsverhältnissen nebeneinander für die Entscheidung der gleichen Haftfragen zuständig seien, ohne dass eine hinreichende Vorausbestimmung des gesetzlichen Richters möglich sei. Bei zweifelhaften Sach- und Rechtsfragen bestehe zudem die Gefahr divergierender Entscheidungen.

Eine verfassungskonforme Auslegung der Zuständigkeitsvorschrift des § 122 GVG für die Strafsenate der Oberlandesgerichte erfordere daher, dass während des gesamten Zeitraums von Beginn bis Ende der Hauptverhandlung nur ein Spruchkörper in einer einheitlichen Besetzung zur Entscheidung der Haftfrage berufen sein könne.

Für die Beteiligung der Schöffen bei den Amtsgerichten und Landgerichten stellt sich das Problem in gleicher Weise. Nach § 30 Abs. 1 GVG nehmen beim Schöffengericht die Schöffen auch an den im Laufe einer Hauptverhandlung zu treffenden Entscheidungen teil, die in keiner Beziehung zur Urteilsfällung stehen und auch außerhalb der mündlichen Verhandlung erlassen werden können. Nach § 30 Abs. 2 GVG werden die außerhalb der Hauptverhandlung erforderlichen Entscheidungen von dem Richter beim Amtsgericht erlassen. § 76 Abs. 1 S. 2 GVG sieht für die Strafkammern vor, dass die Schöffen an Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung nicht mitwirken. Dass bei den Strafkammern für die Entscheidungen in der Hauptverhandlung § 30 Abs. 1 GVG entsprechend heranzuziehen ist, unterliegt keinem Zweifel. Damit ergeben sich verschiedene Entscheidungsgremien je nach dem, ob in oder außerhalb der mündlichen Verhandlung entschieden wird. Eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschriften kann daher nur dahingehend erfolgen, dass entweder die Berufsrichter - wie vor Beginn und nach Ende der Hauptverhandlung - auch während der Hauptverhandlung, gleichgültig ob diese stattfindet oder unterbrochen ist, allein über die Haftfragen entscheiden oder dass über die Haftfragen stets außerhalb der mündlichen Verhandlung ohne Beteiligung der Schöffen entschieden wird.

Für die Strafsenate der Oberlandesgerichte hat der Bundesgerichtshof die Frage, welche Besetzung zur Entscheidung berufen sei, dahingehend entschieden, dass stets das Hauptverhandlungsgremium zu entscheiden habe. Es sei sachgerecht, den Spruchkörper, der die bisherige Hauptverhandlung durchgeführt habe und zu bewerten haben werde, auch über die Haftvoraussetzungen, insbesondere die Frage des Fortbestehens des dringenden Tatverdachts, entscheiden zu lassen. In der Entscheidung ist aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Frage der Besetzung für Haftentscheidungen während der Hauptverhandlung nur für die Strafsenate der Oberlandesgerichte, nicht aber die Schöffengerichte und Strafkammern zu beurteilen sei.

Tatsächlich bestehen auch gravierende Unterschiede, die eine andere Beurteilung erfordern.

Schon bei der Entscheidungskompetenz ist zu berücksichtigen, dass die Strafsenate gemäß § 122 Abs. 2 S. 1 GVG in der Besetzung mit fünf Berufsrichtern über die Eröffnung des Hauptverfahrens entscheiden, so dass alle Richter bereits zu Beginn der Hauptverhandlung die notwendige Sachkenntnis haben. Diese fehlt den Schöffen zu einem frühen Zeitpunkt der Hauptverhandlung. Sie müssten zunächst durch Aktenvortrag in die Einzelheiten des Verfahrens und der bisherigen Beweisergebnisse eingeführt werden, was jedenfalls nicht der Intention des Gesetzes entspricht, nach der sie ihren Eindruck aus der mündlichen Verhandlung gewinnen sollen.

Entscheidend ist aber, dass anders als bei den Senaten der Oberlandesgerichte, die nur mit Berufsrichtern besetzt sind, die Hinzuziehung von Schöffen zu Haftentscheidungen außerhalb der mündlichen Verhandlung auf praktische Schwierigkeiten stößt.

Laienrichter gehen i.d.R. anderweitigen Berufstätigkeiten nach. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie zu beliebigen Zeitpunkten außerhalb der Hauptverhandlung ihre beruflichen Verpflichtungen niederlegen und zu einer Haftentscheidung, die in der Regel keinen Aufschub duldet, anreisen können. Das Problem wird dadurch verschärft, dass sich die Möglichkeit zur Unterbrechung der Hauptverhandlung immer mehr verlängert hat. Nach § 229 Abs. 2 StPO darf die Hauptverhandlung inzwischen, wenn sie an zehn Tagen stattgefunden hat, bis zu einem Monat unterbrochen werden. Es können daher zwischen den Verhandlungsterminen lange Zeiten entstehen, in denen eine Einbindung der Schöffen schwierig oder etwa bei Urlaubsabwesenheit unmöglich ist. Zudem gibt es bei den Schöffen, anders als bei Berufsrichtern, keine Vertretungsregelung. Ist nur ein Schöffe nicht erreichbar, kann die Hauptverhandlungsbesetzung nicht entscheiden. In dringenden Fällen kann zwar der Vorsitzende gemäß § 125 Abs. 2 StPO den Haftbefehl erlassen oder gemäß § 126 Abs. 2 S. 4 StPO aufheben oder außer Vollzug setzen. Das führt allerdings dazu, dass wegen der Verhinderung eines Schöffen die anderen mit der Sache vertrauten Berufsrichter nicht an der Entscheidung mitwirken können. Im Übrigen ist die Inanspruchnahme von Schöffen auf das Maß des Zumutbaren zu beschränken (§ 54 Abs. 1 Alt. 2 GVG).

Sprechen aber die besseren Gründe und insbesondere Praktikabilitätserwägungen dagegen, die Schöffen an Haftentscheidungen außerhalb der mündlichen Verhandlung zu beteiligen, ist zur Wahrung des Gebots des gesetzlichen Richters erforderlich, dass über Haftfragen - abgesehen von dem gesetzlich geregelten Fall der Haftprüfung bei der Urteilsfällung (§§ 268 b und 120 Abs. 1 S. 2 StPO) - stets außerhalb der mündlichen Verhandlung nur durch die Berufsrichter entschieden wird. Diesem vom Hanseatischen Oberlandesgericht (NStZ 1998, 99) vertretenen und vom Bundesverfassungsgericht (NStZ 1998, 418) gebilligten Standpunkt, schließt sich der Senat an (so auch OLG Jena StV 1998, 101; Schultheis in Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage, § 126 Rdn. 10; Siolek in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Auflage, § 30 GVG Rdn. Rdn. 21 ff; a.A. Meyer-Goßner, StPO, 51. Auflage, § 126 Rdn. 8; Hilger in Löwe-Rosenberg a.a.O. § 125 StPO Rdn. 16).

2.

Da die Strafkammer über die Haftbeschwerde des Angeklagten S. K. unter Beteiligung der Schöffen entschieden hat, ist die Entscheidung insoweit aufzuheben und an das Verfahren an das Landgericht zurückzuverweisen. Zwar hat das Beschwerdegericht grundsätzlich nach § 309 Abs. 2 StPO die Sache anstelle des Erstgerichts selbst zu entscheiden. Die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung sind aber dann gegeben, wenn sich die angefochtene Entscheidung nicht als Erkenntnis des dafür vorgesehenen Spruchkörpers darstellt und der Mangel im Beschwerdeverfahren nicht in dem Sinne auszugleichen ist, dass das Beschwerdegericht rechtlich voll an die Stelle des an sich zur Entscheidung berufenen Spruchkörpers treten kann (BGH NJW 1992, 2775). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der der Senat folgt, obliegt die Prüfung des dringenden Tatverdachts bei laufender Hauptverhandlung in erster Linie dem Tatgericht. Dadurch wird der Prüfungsumfang des Senats beschränkt. Die Wertung des Tatgerichts ist einer Nachprüfung durch den Senat als Beschwerdegericht nur in begrenztem Umfang zugänglich. Das Beschwerdegericht hat keine unmittelbare Kenntnis vom Ergebnis der Beweiserhebungen. Das Tatgericht seinerseits ist nicht zu einer umfassenden Darstellung der Würdigung der bisher erhobenen Beweise verpflichtet. Das Beschwerdegericht kann deshalb in die Haftentscheidung nur eingreifen und diese durch eine abweichende eigene ersetzen, wenn deren Begründung zum dringenden Tatverdacht grobe Fehler aufweist, die es schlechterdings als unvertretbar erscheinen lassen, das Weiterbestehen des dringenden Tatverdachts zu bejahen ( BGH, Beschluss vom 19.12.2003 - StB 21/03 -; vom 2.9.2003 - StB 11/03 -; Senat , Beschlüsse vom 09.01.2004 - 2 Ws 6/04 -, vom 16.01.2006 - 2 Ws 617/05 - und vom 27.10.2008 - 2 Ws 506/08 - ).

Grobe Fehler in der Bewertung des dringenden Tatverdachts sind aber auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens beider Angeklagter nicht erkennbar.

Der Senat bejaht, wie sich aus den bisherigen Entscheidungen zur Untersuchungshaft der Angeklagten ergibt, den dringenden Tatverdacht aus den in der Anklage dargelegten Gründen. Dass die bisherige Beweisaufnahme Gesichtspunkte ergeben hätte, die bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung den dringenden Tatverdacht entfallen ließen, ist nicht ersichtlich. Zu den Aussagen der Zeugen A., P. und D. hat die Strafkammer Stellung genommen. Eine grob fehlerhafte Bewertung der Beweissituation ergibt sich daraus nicht.

Daraus folgt zum einen, dass die Beschwerde der Angeklagten I. K. in der Sache keinen Erfolg hat. Zum anderen ergibt sich daraus, dass der Senat betreffend den Angeklagten S. K. in der Sache nicht entscheiden kann.

Ende der Entscheidung

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