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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 09.01.2009
Aktenzeichen: 2 Ws 645/08
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 454 Abs. 1 S. 3
StPO § 456 a Abs. 2
StPO § 456 a Abs. 2 S. 1
StGB § 57
1. Der Senat hält an seiner früheren Rechtsprechung, nach der ein Antrag eines ausgewiesenen, im Ausland lebenden Verurteilten auf Reststrafenaussetzung unzulässig ist, solange der Verurteilte nicht wieder in die Bundesrepublik eingereist ist und dadurch eine Nachholung der Vollstreckung nach § 456 a Abs. 2 StPO möglich geworden ist, nicht fest. Die Gerichte sind bei Vorliegen der formellen Voraussetzungen zur Prüfung nach § 57 StGB verpflichtet. Die Vorschrift setzt die Anwesenheit des Verurteilten in der Bundesrepublik nicht voraus.

2. Von einer mündlichen Anhörung des Verurteilten gemäß § 454 Abs. 1 S. 3 StPO kann ohne Verletzung rechtlichen Gehörs abgesehen werden, wenn sie unmöglich oder dem Verurteilten unzumutbar ist, weil er infolge seiner Ausweisung nicht zu einer Anhörung nach Deutschland einreisen kann, ohne die Nachholung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe gemäß § 456 a Abs. 2 S. 1 StPO befürchten zu müssen.


2 Ws 644/08 2 Ws 645/08

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts B. vom 18.11.2008, durch den es abgelehnt worden ist, die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafen aus den Urteilen des Amtsgerichts H. vom 7.3.2001 und des Amtsgerichts W. vom 19.9.2005 zur Bewährung auszusetzen, wird auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.

Gründe:

I.

Der in Mazedonien geborene und im Jahre 1988 nach Deutschland geflohene Beschwerdeführer ist durch Ordnungsverfügung der Stadt W. vom 25.3.1996 ausgewiesen worden. Mitte August 1998 reiste er nach Mazedonien aus, änderte seinen Namen und kehrte am 15.9.1998 wieder in die Bundesrepublik zurück. Am 29.10.1998 heiratete er eine belgische Staatsangehörige, wohnte seitdem in Belgien und erlangte einen belgischen Pass. Im Juni 2000 wurde er in W. aufgegriffen und nach zweiwöchiger Abschiebehaft nach Belgien zurückgeführt. Spätestens am 25.7.2000 reiste er erneut nach Deutschland ein, wo er in Untersuchungshaft genommen wurde. Am 7.3.2001 verurteilte ihm das Amtsgerichts H. wegen Steuerverkürzung in 40 Fällen, Betruges in 34 Fällen und wegen unerlaubter Einreise in die Bundesrepublik in 2 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 5 Monaten. Er war in der Zeit von Januar 1995 bis Juni 2000 als illegaler Arbeitnehmerverleiher bzw. Subunternehmer unter Einsatz eigener Arbeitskräfte im Garten- und Landschaftsbau tätig gewesen, ohne seine steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Pflichten zu erfüllen. Der Gesamtschaden belief sich auf über 600.000 DM. Noch vor Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe wurde von der weiteren Vollstreckung nach § 456 a StPO abgesehen und der Verurteilte am 26.9.2001 nach Belgien abgeschoben.

Nachdem das Ausländeramt der Stadt W. ihm durch Bescheid vom 5.7.2002 den Aufenthalt in der Bundesrepublik gestattet hatte, reiste er erneut ein und wurde am 18.9.2003 festgenommen. Er verbüßte sodann die Freiheitsstrafe aus dem zuvor genannten Urteil zu zwei Dritteln. Die Vollstreckung der Reststrafe wurde durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts B. vom 29.1.2004 zur Bewährung ausgesetzt. Am 19.9.2005 wurde der Verurteilte durch das Amtsgericht W. wegen illegalen Aufenthalts in einem Fall, Steuerverkürzung in 14 Fällen und Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen in 7 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Er hatte in der Zeit von August 2004 bis Februar 2005 als sog. Kolonnenschieber von festen Beträgen, die er für "seine" Arbeiter erhielt, keine Steuern und Sozialabgaben entrichtet. Auch sein eigenes Einkommen versteuerte er nicht. Der Schaden belief sich auf rund 15.500 ?. Daraufhin wurde durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts B. vom 12.1.2006 die Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil vom 7.3.2001 widerrufen. Nachdem am 2.2.2006 zwei Drittel der Strafe aus der Verurteilung vom 19.9.2005 verbüßt waren und der Verurteilte durch Verfügung des Ausländeramtes des S.-T.-Kreises vom 8.2.2006 mit unbefristeter Wirkung aus der Bundesrepublik ausgewiesen worden war, sah die Staatsanwaltschaft erneut gemäß § 456 a StPO von der weiteren Vollstreckung ab und ließ den Verurteilten am 21.3.2006 nach Belgien überstellen.

Mit Schriftsatz seiner Verteidigerin vom 6.10.2008 beantragte der Verurteilte, die Restfreiheitsstrafen aus beiden Urteilen zur Bewährung auszusetzen. Er sei seit Juni 2007 belgischer Staatsangehöriger, habe sich durch den Betrieb eines Restaurants eine finanzielle Lebensgrundlage geschaffen und straffrei geführt. Er wolle gerne seine Kinder aus erster Ehe und seine Enkelkinder in Deutschland besuchen. Die Staatsanwaltschaften H. und W. haben einer Strafaussetzung widersprochen. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts B. hat durch Beschluss vom 18.11.2008 eine Strafaussetzung zur Bewährung abgelehnt, da dem Verurteilten keine günstige Prognose gestellt werden könne.

Gegen den am 27.11.2008 zugestellten Beschluss hat der Verurteilte durch Schriftsätze seiner Verteidigerin vom 4.12.2008, der am selben Tag beim Landgericht eingegangen ist, sofortige Beschwerde eingelegt. Er wendet sich gegen die negative Prognose und macht geltend, der Grundsatz des rechtlichen Gehörs sei verletzt worden, weil er entgegen § 454 StPO nicht angehört worden sei. Bei entsprechender Erlaubnis der Ausländerbehörde und der Staatsanwaltschaft sei er bereit, zu einer Anhörung zu kommen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist nach § 454 Abs. 3 S. 1 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, in der Sache aber ohne Erfolg.

Der Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung nach § 57 StGB ist zulässig. Der Senat hält an seiner früheren Rechtsprechung, nach der der Antrag unzulässig ist, solange der Verurteilte nicht wieder in die Bundesrepublik eingereist ist und dadurch eine Nachholung der Vollstreckung nach § 456 a Abs. 2 StPO möglich geworden ist, nicht fest. Die Gerichte sind bei Vorliegen der formellen Voraussetzungen zur Prüfung nach § 57 StGB verpflichtet. Die Vorschrift setzt die Anwesenheit des Verurteilten in der Bundesrepublik nicht voraus. Er hat auch ein Rechtsschutzinteresse an einer Entscheidung nach § 57 StGB, da die positive Legalprognose der Strafvollstreckungskammer Einfluss auf eine Entscheidung der Ausländerbehörde über eine Befristung der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 S. 3 AufenthaltsG oder eine Betretenserlaubnis nach § 11 Abs. 2 AufenthaltsG haben kann.

Der abgeschobene Verurteilte ist in diesem Fall aber verpflichtet, nachzuweisen, dass er sich nach der Abschiebung im Ausland sozial und wirtschaftlich integriert und einen Werdegang genommen hat, der es verantwortbar erscheinen lässt, zu erproben, ob er bei einer Rückkehr nach Deutschland keine Straftaten mehr begeht, denn nur er ist in der Lage, entsprechende Unterlagen beizubringen. Dazu gehört im Falle, dass die in der Bundesrepublik begangenen Straftaten durch wirtschaftliche Gründe motiviert waren, insbesondere der Nachweis einer gesicherten Existenzgrundlage.

Diesen Anforderungen genügen die vom Verurteilten bisher vorgelegten Unterlagen in keiner Weise. Allein der Nachweis, dass er eine Gaststätte betreibt, besagt nichts über seine Einkommensverhältnisse. Insbesondere ergibt sich aus dem Beleg "VOLLEDIG UITTREKSEL VAN EEN ONDERNEMING NATUURLIJKE PERSOON" als Unternehmensbeginn der 1.8.2004. Zu diesem Zeitpunkt begann er in der Bundesrepublik die Straftaten, die Gegenstand der Verurteilung durch das Amtsgericht W. vom 19.9.2005 waren. Der Betrieb des Restaurants kann daher kaum Anlass für eine günstige Prognose sein. Dass der Verurteilte weiterhin selbständig tätig ist, erhöht vielmehr die Gefahr, dass er diese Tätigkeit bei sich bietender Gelegenheit auch wieder ins angrenzende Bundesgebiet ausdehnt. Nach derzeitiger Sachlage schließt der Senat ebenso wie die Strafvollstreckungskammer, deren Entscheidung sich der Senat zu Eigen macht, schon im Hinblick auf das krasse Bewährungsversagen, eine günstige Prognose aus.

Der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer steht auch nicht der Einwand der Verletzung rechtlichen Gehörs entgegen. Die in § 454 Abs. 1 S. 3 StPO vorgeschriebene mündliche Anhörung ist nicht in jedem Fall zwingend. Neben den gesetzlich vorgesehenen Ausnahmen ist von einer mündlichen Anhörung auch dann abzusehen, wenn sie unmöglich oder dem Verurteilten unzumutbar ist, weil er infolge seiner Ausweisung nicht zu einer Anhörung nach Deutschland einreisen kann, ohne die Nachholung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe gemäß § 456 a Abs. 2 S. 1 StPO befürchten zu müssen (OLG Düsseldorf NStZ 2000, 333; OLG Karlsruhe StV 2005, 677; Appl in Karlsruher Kommentar, 6. Auflage, § 454 Rdn. 29; Meyer-Goßner, StPO, 51. Auflage, § 454 Rdn. 32; a.A. OLG Schleswig SchHA 2004, 243). Dass der Verurteilte dieses Risiko in Kauf nehmen wollte, lässt sich seinem bisherigen Vorbringen nicht entnehmen. Er macht seine Teilnahme an einer mündlichen Anhörung vielmehr von entsprechenden Genehmigungen des Ausländeramtes und der Staatsanwaltschaft abhängig. Solange er diese Genehmigungen nicht erlangt hat, ist eine Anhörung aber nicht durchführbar. Die Strafvollstreckungskammer, der eine entsprechende Bereitschaft zur Einreise zu einem Anhörungstermin nicht einmal angezeigt worden ist, hat daher ohne Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs entschieden.

Sollte der Verurteilte in einem neuen Verfahren anzeigen, entsprechende Genehmigungen erwirkt zu haben, wäre wegen des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs allerdings ein Anhörungstermin zu bestimmen.

Ende der Entscheidung

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