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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 10.02.2004
Aktenzeichen: 2 Ws 704/03
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO §§ 111b ff.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN Beschluss

2 Ws 704/03

In der Strafsache

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Landgerichts Köln vom 15.12.2003 (109 - 15/02) durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Doleisch von Dolsperg sowie die Richter am Oberlandesgericht Scheiter und Dr. Schmidt

am 10.02.2004

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde wird verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die hierin entstandenen Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse.

Gründe:

I.

Die Staatsanwaltschaft Köln hat gegen den Angeklagten am 16.07.2002 die öffentliche Klage erhoben. Darin wird ihm vorgeworfen, durch 17 selbständige Handlungen (nämlich im Rahmen von 17 von ihm zu verantwortenden "Werkverträgen" mit deutschen Firmen), jeweils tateinheitlich und gemeinschaftlich handelnd

- als Verleiher jeweils gewerbsmäßig Ausländer, die eine erforderliche Genehmigung nach § 284 Abs.1 Satz 1 des 3. Buches des SGB nicht besitzen, entgegen § 1 AÜG einem Dritten ohne Erlaubnis überlassen zu haben,

- gewerbsmäßig einem anderen zu einer in § 92 Abs.2 AuslG bezeichneten Handlung, nämlich unrichtige oder unvollständige Angaben zu machen oder zu benutzen, um für sich oder einen anderen eine Aufenthaltsgenehmigung zu beschaffen, angestiftet oder ihm dazu Hilfe geleistet zu haben und dafür einen Vermögensvorteil erhalten und wiederholt oder zugunsten von mehreren Ausländern gehandelt zu haben, wobei er zusammen mit den früheren Mitangeklagten L und I, die inzwischen rechtskräftig verurteilt wurden, in neun Fällen als Mitglieder einer Bande handelte, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat;

- in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt zu haben, dass er durch Unterlassen der gesetzlich gebotenen Aufklärung einen Irrtum erregte, wobei er gewerbsmäßig handelte und einen Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeiführte,

Verbrechen und Vergehen, strafbar gemäß § 15 Abs.1 und 2 AÜG, § 92 b Abs.1, § 92 a Abs.1 Nr.1 und 2, § 92 Abs. 2 AuslG, § 263 Abs.1, 3 Nr.1 und 2, §§ 52, 53, 25 Abs.2 StGB. Er und die früheren Mitangeklagten T L und J I sollen - verkürzt dargestellt - ungarischen Arbeitskräften die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland unter der unzutreffenden Angabe verschafft haben, es handele sich um Arbeitnehmer, die bei ungarischen Firmen beschäftigt seien und im Rahmen der am 17.02.1989 in Kraft getretenen deutsch-ungarischen Regierungsvereinbarung über die Entsendung ungarischer Arbeitnehmer auf der Grundlage von Werkverträgen zur Ausführung solcher Werkverträge mit deutschen Firmen in diesen Firmen arbeiteten. Tatsächlich soll es sich dabei um die illegale Überlassung "billiger" ungarischer Arbeitskräfte an deutsche Arbeitgeber gehandelt haben. Hierdurch wäre die Verpflichtung zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen in Deutschland entstanden, die der Angeklagte nicht abgeführt hat.

Am 21.09.2001 hat das Amtsgericht Köln (505 Gs 2672 - 2674/01) Arrestbefehle gegen den Angeklagten in Höhe von 11.083.735,00 DM, Verantwortliche der Fa. D, vertreten durch den Angeklagten, in Höhe von 5.539.444,00 DM und gegen Verantwortliche der Fa. Dr. N und Partner, vertreten durch den Angeklagten, in Höhe von 5.544.290,00 DM erlassen. Aufgrund dieser Arrestbefehle wurden im Inland jeweils ein Konto der Fa. D und der Fa. Dr. N und Partner sowie Forderungen aus (angeblichen) Werkverträgen, zwei PKW des Angeklagten und Ansprüche aus einer Reihe von Lebensversicherungen gepfändet. Darüber hinaus wurden im Wege der internationalen Rechtshilfe Immobilien des Angeklagten in Ungarn gepfändet; außerdem sind geleaste Kraftfahrzeuge in Ungarn sichergestellt worden. Die Staatsanwaltschaft geht in ihrer Anklage davon aus, dass ein Beitragsschaden in Höhe von 2.157.088,32 € vorliegt und in Höhe von 3.510.014,88 € ein Wertverfall anzuordnen sein wird.

Die 9. große Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Köln hat mit Beschluss vom 07.08.2002 die Anklage zugelassen, das Hauptverfahren eröffnet, weiter beschlossen, dass die "erlassenen Haftbefehle an die Anklageschrift angepasst (werden) und aus den Gründen ihres Erlasses aufrecht erhalten bleiben", und die Haftfortdauer bezüglich des Angeklagten Dr. N angeordnet. Die Hauptverhandlung begann am 21.08.2002. Am 21.11.2002 beschloss die Kammer, die Hauptverhandlung wegen weiter erforderlicher, zeitaufwändiger Ermittlungen auszusetzen. Zugleich damit wurde der Haftbefehl gegen den Angeklagten gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt.

In der Folgezeit wurden eine Reihe von Zeugen durch Beamte der Zollfahndung vernommen. Weitere Zeugen haben es abgelehnt, sich vom Zoll vernehmen zu lassen. Der Versuch, die Zeugen durch Beamte der Staatsanwaltschaft zu vernehmen, wurde nicht unternommen. Eine Vernehmung durch die Kammer erfolgte nicht, weil diese "durch eine Vielzahl von parallel laufenden Hauptverhandlungen in Haftsachen für so etwas keine Zeit hatte" (Beschluss vom 15.12.2003, Bl. 4951 d. A.)

Durch Beschluss vom 15.04.2003 hatte die Kammer den Haftbefehl und die Arrestbefehle auf Antrag des Angeklagten aufgehoben. Sie begründete das damit, dass die weitere Aufrechterhaltung dieser Maßnahmen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoße. Die Kammer sei durch andere Verfahren so weit belastet, dass eine Förderung dieses Verfahrens jedenfalls bis zum Herbst 2003 nicht möglich sei. Eine Entlastung durch Maßnahmen des Präsidiums sei nicht absehbar. Der Senat hat diese Entscheidung durch Beschluss vom 18.06.2003 (2 Ws 343 + 344/03) bezüglich der Aufhebung des Haftbefehls bestätigt, weil jedenfalls keine Haftgründe mehr vorlagen, bezüglich der Arrestbefehle aber aufgehoben, weil nach der zum Zeitpunkt der Senatsentscheidung wahrscheinlich erscheinenden Wiederaufnahme der Hauptverhandlung im Herbst 2003 noch nicht von Unverhältnismäßigkeit auszugehen war.

Entgegen den Erwartungen des Senats wurde die Hauptverhandlung im Herbst 2003 nicht fortgesetzt. Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Kammer daraufhin die Arrestbefehle erneut aufgehoben und dabei ausgeführt:

"Nach dem derzeitigen Stand der Dinge kann in der Sache Dr. N wegen der Belastung der Kammer auf längere Zeit keine Hauptverhandlung stattfinden.

Zum einen sind bei der Kammer derzeit drei Haftsachen anhängig, die vorrangig zu verhandeln sind...

Zum anderen hat der Präsident des Landgerichts mitgeteilt, dass der Vorsitzende und ein Beisitzer der Kammer ab dem 1.1.2004 der 9. großen Strafkammer nicht mehr angehören werden. Da mit dem weichenden Vorsitzenden der letzte Know-how-Träger in Sachen Dr. N nicht mehr zur Verfügung steht, hat eine völlige Neueinarbeitung durch die Mitglieder der 9. großen Strafkammer zu erfolgen. Das kostet viel Zeit.

...

Die Kammer hat davon abgesehen, erneut beim Präsidenten des Landgerichts eine Ableitung der Sache auf eine andere Kammer zu beantragen. Dies deswegen, weil sie sich mit dem Blick auf dessen Entscheidungsverhalten in solchen Dingen sicher ist, dass eine Übertragung des Verfahrens auf eine andere Strafkammer mit dem Argument verweigert wird, dass kein Richterpersonal vorhanden sei."

Nachdem die Staatsanwaltschaft gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt hat, hat der Senat die Vollziehung der Entscheidung bis zum 13.02.2004 ausgesetzt. Der neue Vorsitzende der Kammer hat dem Senat mitgeteilt, dass eine Hauptverhandlung in dieser Sache aufgrund vorrangiger Haftsachen und im Hinblick auf die erforderliche Vorbereitung nicht vor Herbst 2004 in Betracht komme. Auch dieser Termin hänge davon ab, dass bei der Kammer nicht weitere, vorrangig zu erledigende Haftsachen eingingen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Landgericht hat die Arrestbefehle zu Recht aufgehoben.

1. Der Senat hat bereits in seiner Entscheidung vom 18.06.2003 darauf hingewiesen, dass das Fehlen entsprechender Bestimmungen im Zusammenhang mit der Sicherstellung von Gegenständen (§§ 111b ff. StPO) nicht bedeutet, dass insoweit der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht gelten würde. Dieser bindet vielmehr alles staatliche Handeln und beherrscht damit das gesamte Strafverfahren (BVerfGE 23, 127, 133; 32, 373, 379; Pfeiffer, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozess, 5. Aufl., 2003, Einl. Rdnr. 30f.). Daraus folgt nicht nur, dass ein Arrestbefehl geeignet und erforderlich sein muss, die Gegenstände und Vermögenswerte des Angeklagten, deren Verfall oder Einziehung in Betracht kommt, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu sichern. Es ergibt sich daraus vielmehr auch, dass dieser rechtskräftige Abschluss nicht durch Umstände, die aus der Sphäre des Staates kommen, unnötig verzögert werden darf, weil sonst nämlich eine durch die Sache nicht mehr gebotene und damit unverhältnismäßige Belastung des Betroffenen entsteht.

2. Von einer unnötigen Verfahrensverzögerung, die zur Unverhältnismäßigkeit der Arreste führt, ist nunmehr mit dem Landgericht auszugehen. Es sind weder Umstände aus der Person des Angeklagten, noch die besondere Schwierigkeit der Sache, die einem Abschluss zumindest des erstinstanzlichen Verfahrens bis zum Frühjahr 2004, der aus Sicht des Senats noch hinzunehmen gewesen wäre, entgegenstehen. Die Verzögerung beruht vielmehr allein darauf, dass die zuständige Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts das Verfahren seit November 2001 nicht mehr gefördert hat - und aufgrund ihrer dem Senat bekannten Belastungssituation auch nicht weiter fördern konnte - und das Landgericht Köln sich auch jetzt aufgrund der angespannten Personalsituation nicht in der Lage sieht, durch Bildung einer Hilfsstrafkammer die Möglichkeit zu schaffen, diese Sache kurzfristig zu verhandeln. Bis zu dem frühest möglichen Verhandlungsbeginn Ende September 2004 wird dann ein Stillstand des Verfahrens seit der Aussetzung der Hauptverhandlung im November 2002 von 22 Monaten vorliegen. Innerhalb dieses Zeitraums wäre es ohne weiteres möglich gewesen, das Verfahren auch unter Berücksichtigung der von der Kammer im November 2002 noch für erforderlich gehaltenen Ermittlungen abzuschließen, wenn die hierfür notwendigen personellen Ressourcen von der Justizverwaltung zur Verfügung gestellt worden wären. Angesichts der bekanntermaßen gerade auch in Zivilsachen angespannten Personalsituation beim Landgericht Köln war dies dem Landgericht aus eigenen Kräften nicht möglich.

3. Eine andere Beurteilung der Frage der Verhältnismäßigkeit ergibt sich auch nicht daraus, dass die Arrestbefehle in Höhe von 2.157.088,32 € der Absicherung von Ansprüchen der Sozialversicherungsträger dienen. Es gibt keinen Grund, die Frage der Verhältnismäßigkeit insoweit großzügiger zu beurteilen (ebenso OLG Düsseldorf StV 2003, 547f.; LG Landshut wistra 2003, 199f.; Hellerbrand, Wistra 2003, 201206; Rönnau, StV 2003581, 584 jeweils m. w. N.). Zwar haben die Sozialversicherungsträger keinerlei Einfluss auf die Umstände, die nunmehr zur Aufhebung des Arrestes führen. Indes hatten sie seit Erlass der Arrestbefehle im September 2001 mehr als zwei Jahre Gelegenheit, selbst die Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Angeklagten zu betreiben. Sie konnten von vorneherein nicht darauf vertrauen, dass die Arrestbefehle über einen so langen Zeitraum Bestand haben würden und sind deshalb jetzt auch nicht besonders schutzwürdig.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 StPO.

Ende der Entscheidung

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