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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 06.03.2002
Aktenzeichen: 27 UF 122/01
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 242
BGB § 1579
BGB § 1578 a
BGB § 1610 a
BGB § 1579 Nr. 7
ZPO § 713
ZPO § 92 Abs. 2
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 543 Abs. 1 a.F.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

27 UF 122/01

Verkündet am 06.03.2002

In dem Rechtsstreit

hat der 27. Zivilsenat des Oberlandesgericht Köln als Familiensenat auf die mündliche Verhandlung vom 6. Februar 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Koall und die Richter am Oberlandesgericht Schmitz und Dr. Küpper

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Siegburg vom 2. Mai 2001 (33 F 388/00) wie folgt abgeändert:

1. Der in dem Verfahren vor dem Amtsgericht - Familiengericht - Siegburg (33 F 59/94) geschlossene Vergleich vom 24.Januar 1996 wird dahin abgeändert, dass der Kläger der Beklagten ab August 2000 nachehelichen Unterhalt in Höhe von 1.500,00 DM monatlich zu zahlen hat.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die monatlichen Unterhaltszahlungen ab August 2000, soweit sie über den monatlichen Unterhalt von 1.500,00 DM hinaus gegangen sind, zurückzuzahlen.

3. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen tragen der Kläger zu 55 % und die Beklagte zu 45 %.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird nach § 543 Abs. 1 ZPO a.F. abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Im übrigen ist sie unbegründet.

1. Für die vom Kläger begehrte Abänderung des in dem Verfahren AG Siegburg 33 F 59/94 am 24.1.1996 geschlossenen Vergleichs sind die aus § 242 BGB abgeleiteten Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage maßgebend (vgl. BGHZ 85, 64, 73; NJW 1986, 2054; NJW 1992, 1621, 1622; NJW 1995, 1891, 1892; FamRZ 2001, 1687, 1689; Zöller/Vollkommer, ZPO 22. Aufl § 323 Rdn. 44). Danach verlangt der Kläger zu Recht die Abänderung des Vergleiches, weil nunmehr - anders als zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses voraussehbar - im Hinblick auf das Zusammenleben der Beklagten mit Herrn D. B. die Voraussetzungen für eine Verwirkung des Unterhaltsanspruches nach § 1579 Nr. 7 BGB vorliegen.

a) Ein "anderer Grund" im Sinne der genannten Vorschrift, aus dem die Inanspruchnahme des Verpflichteten grob unbillig sein kann, setzt einen Sachverhalt voraus, der dazu führt, dass die aus der Unterhaltspflicht erwachsene Belastung die Grenze des ihm Zumutbaren überschreitet. Dabei kann sich eine Unzumutbarkeit unabhängig von der Vorwerfbarkeit bestimmter Verhaltensweisen auch aus objektiven Gegebenheiten und Veränderungen der Lebensverhältnisse der früheren Ehegatten ergeben. Wenn der Unterhaltsberechtigte zu einem neuen Partner ein auf Dauer angelegtes Verhältnis aufnimmt, kann das Erscheinungsbild dieser Verbindung in der Öffentlichkeit unter Umständen dazu führen, dass die Fortdauer der Unterhaltsbelastung und des damit verbundenen Eingriffs in die Handlungsfreiheit und Lebensgestaltung für den Unterhaltspflichtigen unzumutbar wird (BGH NJW 1989, 1083, 1086 = FamRZ 1989, 487, 490; FamRZ 1995, 540, 542; NJW 1997, 1851, 1852 = FamRZ 1997, 671; FamRZ 2002, 23, 25; Gerhardt in: Wendl/Staudigl, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 5. Aufl., § 4 Rdn. 755; Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 7. Aufl. Rdn. 1120). Zur Annahme eines Härtegrundes i.S. v. § 1579 Nr. 7 BGB kann das Zusammenleben des Berechtigten mit einem neuen Partner dann führen, wenn sich diese Beziehung in einem solchen Maße verfestigt, dass damit gleichsam ein nichteheliches Zusammenleben an die Stelle der Ehe getreten ist. Nach welchem Zeitablauf - und unter welchen Voraussetzungen - dies angenommen werden kann, lässt sich nicht allgemeinverbindlich festlegen. Vor Ablauf einer gewissen Mindestdauer, die im Einzelfall kaum unter zwei bis drei Jahren liegen dürfte, wird sich in der Regel nicht verlässlich beurteilen lassen, ob die Partner nur "probeweise" oder ob sie auf Dauer in einer verfestigten Gemeinschaft zusammenleben und nach dem Erscheinungsbild der Beziehung in der Öffentlichkeit diese Lebensform bewusst auch für die weitere Zukunft gewählt haben. Ist diese Voraussetzung erfüllt, dann kann von dem Zeitpunkt an, in dem sich das nichteheliche Zusammenleben der neuen Partner als solchermaßen verfestigte Verbindung darstellt, die Bedeutung der Ehe als Grund für die fortdauernde unterhaltsrechtliche Verantwortung des Verpflichteten gegenüber seinem geschiedenen Ehegatten zurücktreten, und es kann für den Verpflichteten objektiv unzumutbar werden, den früheren Ehegatten unter derartig veränderten Lebensumständen gleichwohl weiterhin (uneingeschränkt) unterhalten zu müssen (BGH a.a.O.).

b) Eine derartige eheersetzende Gemeinschaft besteht zwischen der Beklagten und Herrn B.. Maßgebend ist dabei grundsätzlich das Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit (BGH a.a.O, zu den Indizien für eine solche Gemeinschaft im übrigen Kalthoener/Büttner/Niepmann Rdn. 1120.). Ob es ausreichen kann, wenn die Partner ihre Verbindung als dauerhaft ansehen, es aber verstehen, die Beziehung in der Öffentlichkeit geheimzuhalten (BGH NJW 1997, 1851, 1852), kann dahinstehen, da die Beklagte und Herr B. ihre Verbindung nicht geheimhalten. Ebenso wenig bedarf es der Feststellung, ob zwischen beiden sexuelle Kontakte bestehen oder bestanden haben. Denn diese sind nicht Voraussetzung für die Annahme einer eheersetzenden Gemeinschaft (OLG Hamm FamRZ 1981, 162, 163; FamRZ 1986, 1219, 1220; Kalthoener/Büttner/Niepmann Rdn. 1120).

Danach ist eine eheersetzende Gemeinschaft zwischen der Beklagten und Herrn B. schon aufgrund der unstreitigen und der von ihm bei seiner erstinstanzlichen Zeugenaussage (Bl. 102 - 105 a d.A.) bekundeten Umstände anzunehmen. Beide kennen sich seit einigen Jahren, nach der zeugenschaftlichen Aussage Herrn B.s seit September 1994. Er pflegt die an multipler Sklerose erkrankte Beklagte schon seit mehreren Jahren. Die Pflege und Betreuung ging bereits früher, als er noch im gleichen Hause, in dem sich die Wohnung der Beklagten befindet, in einer Wohnung seines Vaters lebte, so weit, dass er sich 1998 über einen Rechtsanwalt an seinen Dienstvorgesetzten wandte und ihn über die von ihm erbrachten Betreuungsleistungen informierte (Schreiben der Rechtsanwälte P. vom 5.8.1998, Bl. 49 f. d.A.). In dem Schreiben der Rechtsanwälte wird geschildert, dass Herr B. Einkäufe und Behördenangelegenheiten für die Beklagte erledige. Außerdem putze er ihre Wohnung und begleite sie zu ihren Kurorten. Diese Pflege- und Betreuungsleistungen erledige er in seiner Freizeit. Unstreitig nimmt er bis heute Dienstbefreiungen und Sonderurlaub in Anspruch, um die Beklagte pflegen zu können (Schreiben des G.präsidiums West vom 20.3.2000, Bl. 48 d.A.). Seit Anfang 2000 leben sie in der Wohnung der Beklagten zusammen. Grund dafür, dass sein Vater ihn aufgefordert hatte, seine Wohnung zu räumen, war nach der Bekundung Herrn B.s, dass er dem Vater mitgeteilt hatte, er wolle die Beklagte, mit der es in den vergangenen drei Jahren "rapide abwärts gegangen" sei, weiterhin betreuen. Er habe sich mit dem Vater überworfen, weil er sich - so die Vermutung Herrn B.s - beruflich öfters "unter Stress" befunden und in die diesbezügliche Probleme nicht den Vater, sondern die Beklagte als Vertraute einbezogen habe. Im Jahre 2000 verfestigte sich die Beziehung zwischen der Beklagten und Herrn B. nicht nur dadurch, dass er in die Wohnung der Beklagten einzog. Mit notariellem Vertrag vom 17.3.2000 (Bl. 33 - 41 d.A.) übertrug die Beklagte ihre Wohnung überdies auf Herrn B.. Dessen Gegenleistung bestand in der Einräumung eines lebenslänglichen Wohnungsrechts, wobei Herr B. die Nebenkosten der Wohnung zu tragen hatte, sowie in einer Pflegeverpflichtung; diese umfasste die Hilfe bei der Körperpflege, der Ernährung und der Mobilität. Einen Anspruch auf Pflegegeld trat die Beklagte an Herrn B. in diesem Vertrag ab. Mit notarieller Urkunde vom gleichen Tag (Bl. 43 - 47 d.A.) erteilte die Beklagte Herrn B. zudem eine "General- und Altersvorsorgevollmacht". Tatsächlich erbringt Herr B. eine Vollpflege, die auch auf die Körperpflege und das Be- und Entkleiden der in hohem Maße pflegebedürftigen Beklagten erstreckt. Er betreut die Beklagte - wie sie im Schriftsatz vom 24.10.2001 selbst eingeräumt hat - auch nachts; wenn sie zur Nachtzeit die Toilette aufsuchen will, weckt sie ihn durch Klingeln oder Rufen, damit Herr B. ihr auf dem Weg vom Bett zur Toilette und wieder zurück behilflich ist (Bl. 184 d.A.). Herr B. hat bei seiner erstinstanzlichen Vernehmung zur gemeinsamen Lebensgestaltung zudem angegeben, dass sie Mahlzeiten an Werktagen morgens und abends sowie an den Wochenenden oder freien Tagen gemeinsam einnähmen. Es sei richtig, dass er einen großen Teil seiner Freizeit dafür verwende, für die Beklagte dazusein.

Das dargestellte äußere Erscheinungsbild dieser Beziehung macht das Bestehen einer festen Verbindung besonders augenfälllig. Eine derart umfassende Betreuung und Zuwendung, wie sie der Beklagten durch Herrn B. zuteil wird, gewähren einem Behinderten oder Kranken in aller Regel nur allernächste Angehörige, einem Erwachsenen zumeist nur der Ehepartner (so in einem vergleichbaren Fall OLG Hamm FamRZ 1986, 1219, 1220). Danach ist das Vorliegen einer eheersetzenden Gemeinschaft, die dem Kläger eine Unterhaltsverpflichtung im bisherigen Umfang unzumutbar werden lässt und die deshalb als Verwirkungstatbestand nach § 1579 Nr. 7 BGB zu werten ist, zu bejahen. Diese bestand auch bereits zu Beginn des Klagezeitraumes im August 2000. Die Beziehung hatte sich bis dahin schon seit mindestens zwei bis drei Jahren zu einer ehegleichen Gemeinschaft verfestigt, was etwa daraus hervorgeht, dass Herr B. seinen Dienstherrn im Jahre 1998 über die von ihm erbrachten umfangreichen und intensiven Pflege- und Betreuungsleistungen in Kenntnis gesetzt hatte, um eine weitergehende Dienstbefreiung zu erhalten. Im Hinblick auf die außergewöhnliche Verfestigung der Gemeinschaft durch die Übertragung der Wohnung auf Herrn B. und die Erteilung der General- und Altersvorsorgevollmacht im März 2000, hätte der Senat im übrigen keine Bedenken, die von der Rechtsprechung in der Regel geforderte Mindestdauer der Gemeinschaft von zwei bis drei Jahren vorliegend abzukürzen (vgl. OLG Köln NJW-RR 2000, 371 = FamRZ 2000, 290 - gemeinsamer Hauskauf).

c) Nach § 1579 BGB ist der Unterhaltsanspruch im Falle der Verwirkung zu versagen, herabzusetzen oder zeitlich zu begrenzen, soweit die Inanspruchnahme des Verpflichteten grob unbillig wäre. Bei der hiernach vorzunehmenden Billigkeitsprüfung (dazu Gerhardt in: Wendl/Staudigl § 4 Rdn. 617 ff.; Kalthoener/Büttner/Niepmann Rdn. 1135 ff.) ist zugunsten der Beklagten neben der langen Ehedauer von über fünfundzwanzig Jahren vor allem die Beeinträchtigung durch ihre schwere Erkrankung zu berücksichtigen. Der von dem Kläger begehrte vollständige Wegfall der Unterhaltspflicht wäre daher unbillig. Andererseits fällt zu Lasten der Beklagten ins Gewicht, dass sich dadurch, dass Herr B. die laufenden Kosten der Wohnung trägt, ihr Unterhaltsbedarf verringert hat. Außerdem erhält die Beklagte ein monatliches Pflegegeld nach Pflegestufe I in Höhe von 400,00 DM, wobei angesichts der Schwere der Erkrankung zumindest auf mittelfristige Sicht eine Einordnung in Pflegestufe II mit einer Erhöhung des Pflegegelde auf 800,00 DM erfolgen dürfte. Dieses Pflegegeld ist im Rahmen der Billigkeitsprüfung abweichend von §§ 1578 a, 1610 a BGB bedürftigkeitsmindernd zu berücksichtigen. Infolge der Übernahme der Pflege durch Herrn B. ist der Pflegeaufwand für die Beklagte weitgehend entfallen. Es kann nicht zu Lasten des Klägers gehen, dass die Beklagte an Herrn B. über die Übertragung ihrer Wohnung hinaus den Anspruch auf Pflegegeld abgetreten hat. Unter Abwägung der gegenseitigen Interessen erscheint eine Herabsetzung des monatlichen Unterhaltes auf 1.500,00 DM angemessen.

d) Die Beklagte war auf den entsprechenden Antrag des Klägers ferner zu verurteilen, Unterhaltszahlungen, die der Kläger während des vorliegenden Abänderungsverfahrens über den monatlichen Betrag von 1.500,00 DM hinausgeleistet hat, zurückzuerstatten (vgl. BGH NJW 1998, 2433, 2434 = FamRZ 1998, 951). Da der entsprechende Antrag des Klägers wegen fehlender Angabe der geleisteten Unterhaltsbeträge als Leistungsantrag nicht hinreichend bestimmt wäre und folglich keinen vollstreckungfähigen Inhalt hätte, hat der Senat den Antrag als Feststellungsantrag ausgelegt.

2. Die Revision war entgegen der Anregung des Beklagten nicht zuzulassen (§ 546 Abs. 1 Nr. 1 und 2 ZPO). Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Es sind keine Rechtsfragen betroffen, die noch nicht oder nicht klar entschieden sind und die wichtige Problemkreise betreffen, zu denen divergierende Ansichten vertreten werden oder vertretbar sind (vgl. Zöller/Gummer § 546 Rdn. 35). Der Senat weicht mit seiner Entscheidung auch nicht von der höchstrichterlichen Rechtsprechung ab.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 2, 97 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Berufungsstreitwert: bis 35.000,00 DM

Ende der Entscheidung

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