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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 07.11.2007
Aktenzeichen: 4 UF 111/07
Rechtsgebiete: ZPO, FGG, BGB, SGB XIII, VwGO


Vorschriften:

ZPO § 114
ZPO § 128 Abs. 1
ZPO § 620 c
ZPO § 621 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 621 a Abs. 1
ZPO § 621 e
FGG § 13 a Abs. 1 Satz 2
FGG § 53 a
FGG § 53 b
BGB § 1666
BGB § 1666 a
SGB XIII § 42
VwGO § 113 Abs. 1 Satz 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
4 UF 110/07 4 UF 111/07

Tenor:

1.

Die bei Gericht am 08.06.2007 eingegangene Beschwerde der Antragsgegner vom 04.06.2007 gegen den ihnen am 29. Mai 2007 zugestellten Sorgerechtsbeschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Bonn vom 22.05.2007 - 46 F 84/07 - wird zurückgewiesen.

2.

Die bei Gericht am 11. Juni 2007 eingegangene sofortige Beschwerde der Antragsgegner vom 06.06.2007, mit welcher sie den Nichterlass der von ihnen beantragten einstweiligen Anordnung auf Kindesherausgabe angreifen, wird als unzulässig verworfen.

3.

Die Antragsgegner tragen die Kosten der Beschwerdeverfahren.

4.

Der Antrag der Antragsgegner, ihnen zur Durchführung der Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird mangels der gemäß § 114 ZPO erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussicht der Beschwerden zurückgewiesen.

Gründe:

1.

Die gemäß § 621 e ZPO zulässige - insbesondere frist- und formgerecht eingelegte - befristete Beschwerde der Antragsgegner, mit welcher sie sich dagegen wehren, dass ihnen bezüglich ihrer Kinder L und E das Sorgerecht insgesamt entzogen und dem Antragsteller als Amtsvormund übertragen worden ist, ist unbegründet.

Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung und ohne erneute Anhörung der Beteiligten und der betroffenen Kinder im schriftlichen Verfahren entscheiden, nachdem der Sachverhalt in erster Instanz umfänglich aufgeklärt worden ist, dem Senat dieser darüber hinaus aufgrund des Vorverfahrens 4 UF 129/05 umfänglich bekannt ist und zudem dem Senat die häusliche familiäre Situation der Antragsgegner aufgrund zweier Fernsehberichte des WDR, welche die Senatsmitglieder gesehen haben, vor Augen steht. Das Verfahren in Familiensachen, unter anderem nach § 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO - Regelung der elterlichen Sorge bzw. eines Teilbereichs der elterlichen Sorge für ein Kind -, bestimmt sich gemäß § 621 a Abs. 1 ZPO grundsätzlich, wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt, nach den Vorschriften des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG). Danach ist eine mündliche Verhandlung in Sorgerechtsverfahren nicht unbedingt erforderlich. Dies ergibt sich unter anderem auch aus den Vorschriften der § 53 a und 53 b FGG. Dort ist die mündliche Verhandlung für das Zugewinnausgleichs- und das Versorgungsausgleichsverfahren geregelt. Dagegen bestimmt § 50 a FGG lediglich, dass in Verfahren über die Personen- und Vermögenssorge für ein Kind die Eltern anzuhören sind. Die Anhörung dient vor allem der Sachaufklärung, aber auch der Sicherstellung des rechtlichen Gehörs. Dabei hat die grundsätzlich freigestellte mündliche Verhandlung der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht die Funktion und Bedeutung des § 128 Abs. 1 ZPO, wie das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ohnehin nicht den strengen Regeln des zivilprozessualen Verfahrens folgt (vgl. BGH NJW-RR 2000, 877 m.w.N.). So sind Sachanträge weitgehend freigestellt und das Gericht ist in aller Regel an die gestellten Anträge nicht gebunden.

Nach Auffassung des Senates bedarf der Sachverhalt keiner weiteren Sachaufklärung. Die Beteiligten hatten im vorliegenden Verfahren ausreichend Gelegenheit, umfänglich zum Sachverhalt vorzutragen. Zudem ist die Sach- und Rechtslage vor dem Familiengericht in zwei mündlichen Verhandlungen am 14.05.2007 (vgl. Sitzungsprotokoll Bl. 102 - 104 GA) und am 21.05.2007 (vgl. Sitzungsprotokoll Bl. 113 - 115 GA) ausführlich erörtert und verhandelt worden. Im übrigen geben die zu den Akten gereichten Urkunden, auf die wegen der näheren Einzelheiten Bezug genommen wird, den Sach- und Streitstand im Einzelnen umfassend und für den Senat anschaulich wieder. Damit ist aber in ausreichendem Maße insbesondere den Antragsgegnern rechtliches Gehör gewährt worden. Hiervon haben sie auch Gebrauch gemacht.

Es liegen dem Senat auch keine Anhaltspunkte vor, dass sich der in dem angegriffenen Beschluss vom Familiengericht festgestellte Kindes- und Elternwille entscheidend geändert hätte. Dieser ist dem Senat insbesondere auch aus dem Verfahren 4 UF 129/05 OLG Köln bekannt. In seinem Senatsbeschluss vom 28.10.2005, der den Beteiligten bekannt ist und von diesen auch zu einzelnen rechtlichen Gesichtspunkten zitiert wird und auf welchen der Senat zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wegen der Einzelheiten Bezug nimmt, hat der Senat im Einzelnen die sehr starken Familienbande in der Familie der Antragsgegner gewürdigt und den unbedingten Kindeswillen, in der Familie zu verbleiben, im einzelnen dargelegt und auf seine Beachtlichkeit hin untersucht. Die Beurteilung der Kindeswohlfrage war vorliegend unter Berücksichtigung der Entwicklung der familiären Situation neu zu beurteilen.

Die Beschwerde der Kindeseltern hat in der Sache keinen Erfolg, da das Familiengericht bezüglich der Kinder L und E zu Recht das Sorgerecht insgesamt entzogen und den Antragsteller zum Amtsvormund bestellt hat. Bezüglich dieser beiden Kinder ist diese Maßnahme gemäß §§ 1666, 1666 a BGB erforderlich. Die Maßnahme ist nicht unverhältnismäßig, da weniger einschneidende sorgerechtliche Maßnahmen nach Auffassung des Senats nicht erfolgversprechend erscheinen, um der bestehenden Kindeswohlgefährdung begegnen zu können.

Da nach der derzeitigen Prognose eine Rückführung von E und L in die Familie T aller Voraussicht nach kurzfristig nicht ansteht und der Lebensunterhalt, die Versorgung und die Erziehung der Kinder erhebliche Kosten verursachen werden, erscheint auch nach Auffassung des Senates die Übertragung der Vermögenssorge zur Geltendmachung der hiermit verbundenen materiell-rechtlichen Rechtsansprüche geboten.

Die Familiensituation bei den Antragsgegnern und die besondere Persönlichkeitsstruktur der Kinder L und E, mit denen sich die Beschwerde befasst, macht die umfassende Sorgerechtsentziehung zwingend erforderlich. Dabei verkennt der Senat nicht, wie er bereits in seiner Entscheidung vom 28.10.2005 - 4 UF 129/05 OLG Köln - deutlich und ausführlich hervorgehoben hat, dass eine Entscheidung des Familiengerichts, nach der die Trennung der Kinder von ihren Eltern vollzogen wird, mit dem in Artikel 6 Abs. 2 und Abs. 3 GG gewährleisteten Elternrecht nur dann vereinbar ist, wenn ein schwerwiegendes - auch unverschuldetes - Fehlverhalten der Eltern und entsprechend eine erhebliche Gefährdung des Kindeswohles vorliegt, denen nicht anders als durch Entzug der elterlichen Sorge zu begegnen ist. Nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit der Eltern berechtigt den Staat, diese von der Pflege und Erziehung ihrer Kinder auszuschalten oder gar selbst diese Aufgabe zu übernehmen (vgl. BVerfGE 24, 119, 144 f. = NJW 1968, 2233). Das elterliche Fehlverhalten muss vielmehr ein solches Ausmaß erreichen, dass das Kind bei einem Verbleiben in der Familie in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist. Das aus Artikel 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantierte "natürliche Recht" der Eltern auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder soll grundsätzlich frei von staatlichen Einflüssen und Eingriffen nach eigenen Vorstellungen darüber, wie sie die Pflege und Erziehung ihrer Kinder gestalten und damit ihrer Erziehungsverantwortung gerecht werden wollen, ausgeübt werden. In der Beziehung zum Kind muss aber das Kindeswohl die oberste Richtschnur der elterlichen Pflege und Erziehung sein (vgl. BverfG NJW 1982, 1375). Wenn Eltern ihrer Verantwortung nicht gerecht werden (können), greift das Wächteramt des Staates nach Artikel 6 Abs. 2 Satz 2 GG ein. Dabei kann das Wohl des Kindes gefährdet sein, ohne dass die Eltern ein Schuldvorwurf trifft oder jedenfalls ihr Verschulden bewiesen werden kann: So können Eltern trotz bestem Willen und persönlichem Einsatz der Erziehungsaufgabe nicht gewachsen sein. Die in §§ 1666, 1666 a BGB getroffene Regelung dient dem Ziel, die gesetzlichen Voraussetzungen für einen möglichst umfassenden Schutz des Kindes zu schaffen. Dabei wird mit der Regelung des § 1666 a BGB klargestellt, dass die Trennung des Kindes von seinen Eltern nur zulässig ist, wenn andere Maßnahmen nicht ausreichen, um die Gefahr für das Kind abzuwenden. Dabei könne - so BVerfG a.a.O. - nur das nach Artikel 6 Abs. 2 und Satz 2 GG geschützte Kindeswohl und das gemäß Artikel 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantierte Elternrecht und nicht der erforderliche Aufwand bestimmend für die notwendigen Hilfen sein. § 1666 a Abs. 2 BGB verdeutlicht, dass der Entzug des gesamten Personensorgerechts nur in Betracht kommt, wenn mildere Mittel nicht ausreichen. Die strikte Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei Trennung des Kindes von der Familie ist somit oberstes Verfassungsgebot, nach dem sich die Familiengerichte bei der Auswahl der zu treffenden sorgerechtlichen Entscheidung zu richten haben (vgl. zu Vorstehendem: BverfG NJW 1982, 1379, 1380). Dabei gehört es nicht zum staatlichen Wächteramt, für eine den Fähigkeiten des Kindes bestmögliche Förderung zu sorgen. Vielmehr gehören die Eltern und deren sozioökonomischen Verhältnisse grundsätzlich zum Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes. Deshalb ist man sich einig darin, dass es jedenfalls für eine Trennung des Kindes von seinen Eltern allein nicht ausreicht, wenn das Kind woanders nur besser erzogen oder gefördert würde (vgl. Palandt/Diederichsen, BGB, 66. Aufl. 2007, § 1666 Rn. 15 m.w. Rechtsprechungsnachweisen). Hinzu kommen muss eine drohende Kindeswohlgefährdung.

Auch bei Anwendung dieser strengen Maßstäbe sind nach Auffassung des Senates in Übereinstimmung mit der Entscheidung des Familiengerichts bezüglich der Kinder L und E keine weniger einschneidenden Maßnahmen als die vollständige Entziehung des Sorgerechts geeignet, um einer weiteren Kindeswohlgefährdung zu begegnen. Insbesondere erscheint es dem Senat bezüglich dieser beiden Kinder nicht ausreichend, sie in der Familie zu belassen und den Kindeseltern, den Antragsgegnern, die persönliche Sorge lediglich in Teilbereichen zu entziehen, wie dies der Senat bezüglich E und weiterer Kinder in seiner Entscheidung vom 28.10.2005 veranlasst und das Familiengericht in der hier angegriffenen Entscheidung bezüglich der Kinder S, W, O, D, N, M, K, SD und J für ausreichend angesehen hat. Wie das Familiengericht meint der Senat, dass zwischen der besonderen Situation der einzelnen Kinder zu differenzieren ist und deren individuelle Persönlichkeitsstrukturen zu berücksichtigen sind, um zu einer differenzierten Beurteilung des Gefährdungspotentials zu kommen. So spielt die besondere Situation der Familie T als "Großfamilie" eine bedeutende Rolle, insbesondere auch im Hinblick auf die Tatsache, dass nunmehr mit den Kindern SD, geb. am 13.02.2006 und J T, geb. am 05.05.2007, zwei besonders junge Kinder zur Familie gehören, die der besonderen Betreuung der Kindeseltern bedürfen, was notgedrungen dazu führt, dass für die übrigen Kinder weniger Zeit bleibt. Dieser Umstand hat vor Allem bezüglich der Lage der Kinder L und E große Bedeutung, da diese aufgrund ihrer derzeitigen seelisch-geistigen Entwicklung besonderer Betreuung bedürfen, die in der Großfamilie nicht gewährleistet ist. Beiden Kindern droht beim Belassen in der Familie und Unterbleiben von kontinuierlichen sozialpädagogischen Betreuungsmaßnahmen, die nur bei einer Fremdunterbringung gewährleistet erscheinen, die fortschreitende seelisch-geistige Verwahrlosung.

Hinzu kommt, dass die Beziehung der Kindeseltern - wie sich aus dem insoweit unwidersprochen gebliebenen Jugendamtsbericht vom 12.03.2007 (Bl. 47 - 53 GA) ergibt - nicht mehr unbelastet ist und sich der Kindesvater weitgehend aus der Erziehungs- und Betreuungstätigkeit bezüglich seiner minderjährigen Kinder zurückgezogen hat, so dass die Belastung der Kindesmutter in der Großfamilie noch stärker geworden ist. Die Überforderung der Kindesmutter, die nicht nur die Last der Kindererziehung und -betreuung weitgehend alleine zu tragen hat, sondern die auch durch die gestörte Beziehung zu ihrem Ehemann belastet ist, wird damit überdeutlich.

Bezüglich L war der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 28.10.2005 - 4 UF 129/05 OLG Köln- zu der Überzeugung gelangt, dass die Entziehung des Personensorgerechts notwendig war, um eine Kindeswohlgefährdung zu vermeiden. Aufgrund der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. L1 in seinem damaligen Gutachten vom 03.03.2005 sowie seiner "fachlichen Stellungnahme" zum Wunsch der Kindeseltern auf Rückkehr von L vom 01.07.2004 und seiner Stellungnahme vom 08.06.2005 zu den Angriffen der Antragsgegner gegen dieses Gutachten war der Senat zu der Auffassung gelangt, dass zur Abwehr einer konkreten Kindesgefährdung die Personensorge insgesamt den Kindeseltern zu entziehen war. Nach den seinerzeitigen Feststellungen waren bei L erhebliche Entwicklungsstörungen festgestellt worden, die auf die fehlerhafte Erziehung der Eltern zurückzuführen sind. Wegen der näheren Einzelheiten verweist der Senat auf seine Ausführungen auf Seite 17 seiner vorgenannten Entscheidung, die allen Beteiligten bekannt ist.

An dieser Situation hat sich, nachdem L in die Familie zurückgekehrt war, jedenfalls zum Guten nichts geändert. Vielmehr haben sich seine Entwicklungsstörungen eher verfestigt. Eine zusätzliche Kindeswohlgefährdung war darüber hinaus dadurch eingetreten, dass L Anfang 2007 von seinem Bruder Q sexuell missbraucht worden war. Gerade dieser Umstand macht anschaulich, dass die Kindeseltern aufgrund der Vielzahl zu betreuender Kinder kaum in der Lage sind, konkrete Gefährdungssituationen innerhalb der Familie zu erkennen und rechtzeitig hierauf zu reagieren. Dies hat zur Folge, dass in erster Linie die besonderen Schutz bedürfenden schwächeren Mitglieder der Familie - wie z.B. E und L - im Familienverband nicht die ihrem geistig-seelischen Entwicklungsstand entsprechende notwendige Hilfe und Schutz erhalten. Insbesondere hat sich bei L herausgestellt, dass er weiterhin aggressiv gegenüber Lehrern und Mitschülern in der Schule sowie Betreuern der heilpädagogischen Tagesgruppe auftritt. Darüber hinaus fällt L zeitweilig durch seine verwahrloste sexualisierte Sprache und den Gebrauch von Fäkalschimpfworten auf. So ist L dringend darauf angewiesen, dass sein Leben strukturiert wird, was in der eigenen Familie schon aufgrund der fehlenden intellektuellen Fähigkeiten und Einsichten der Kindeseltern nicht geschehen kann. Aufgrund seiner Entwicklungsstörungen ist eine 1:1 -Betreuung dauerhaft sicherzustellen. Daher ist es auch nicht von ausschlagender Bedeutung, dass die besondere Gefahrenquelle "Q" durch die Herausnahme des Kindes aus der Familie beseitigt ist. Denn die Kindeswohlgefährdung von L liegt nicht allein in dieser besonderen Gefährdung begründet. Vielmehr besteht die dauerhafte Gefahr für L darin, dass seine seelisch-sittliche und verbale Verwahrlosung weiter fortschreitet, wenn nicht eine strukturierte Hilfe, die nur außerhalb der Familie geschehen kann, erfolgt. So zeigte sich L in der Vergangenheit extrem auffällig und musste für eine längere Zeit vom Unterricht suspendiert werden, da er sich und andere Kinder gefährdete. Auch sonstige sexualisierte Verhaltensweisen der Kinder L und E, wie sie im Jugendamtsbericht vom 12.03.2007 (Bl. 47 - 53 GA, hier Bl. 50 GA) geschildert werden, machen deutlich, dass es unbedingt erforderlich erscheint, L aus der Familie zu nehmen. Dass die Kindeseltern mit der Betreuung und Erziehung von L überfordert sind, sehen sie ansatzweise selbst, so haben sie noch durch ihren Verfahrenbeteiligten im Termin vom 14.05.2007, in dem sie anwesend waren, erklären lassen, dass die Ausweitung einer Vormundschaft für L um eine Vermögenssorge auf eine umfassende Amtsvormundschaft die Zustimmung der Eltern erfahre (vgl. Sitzungsprotokoll vom 14.05.2007, Bl. 102 - 104 GA, hier Bl. 104 GA ). Diese Einsichtsfähigkeit der Kindeseltern scheint heute nicht mehr zu bestehen, wie das vorliegende Beschwerdeverfahren zeigt. Gleichwohl ist der Senat der Auffassung, dass aus den vorgenannten Gründen die vom Familiengericht getroffene Maßnahme unumgänglich war.

Die Neigung der Kindeseltern, eigenes Versagen auf Dritte zu schieben, zeigt sich auch vorliegend - insbesondere in ihrem Vortrag im Beschwerdeverfahren -. So werfen sie die negative Entwicklung von L wie auch von E vor allem der "Konzeptionslosigkeit" des Jugendamtes in seinen erzieherischen Maßnahmen vor. Dabei verkennen sie vollständig, dass gerade ihr inkonsequentes Verhalten gegenüber ihren Kindern wie auch bei der Zusammenarbeit mit dem Jugendamt entscheidend dazu beigetragen hat, dass eine langfristig perspektivische Förderung der Kinder im Haushalt der Eltern nicht möglich ist. Diese gilt es nunmehr durch die getroffenen Sorgerechtsmaßnahmen zu sichern.

Gleiches gilt für E's Situation in der Familie. Schon in seiner Entscheidung vom 28.10.2005 - 4 UF 129/05 OLG Köln - hatte der Senat auf die schweren Entwicklungsstörungen von E hingewiesen. In dem dortigen Beschluss wurde festgestellt, dass E's Sprachvermögen nicht altersgerecht war. Im Zeitpunkt der damaligen Begutachtung lautierte E erst und ignorierte jegliche Ansprache. Sein Spielverhalten konnte nicht als altergerecht bezeichnet werden. Es lag eine allgemeine Entwicklungsverzögerung mit Auffälligkeiten in der Körperwahrnehmung, Bewegungskoordination und Sprachentwicklung wegen vermutlicher Förderdefizite vor. Grundsätzlich hatte er Freude am Erkunden seiner Umwelt und verfügt über eigene Handlungsmöglichkeiten. Er brauchte aber eine verlässliche Orientierung mit emotionalem Bindungsangebot und sozialem Vorbild (= soziale und emotionale Stabilität), die er in der Familie bis zur Begutachtung nicht genügend erfahren hatte und die, so ist der Senat der Überzeugung, auch bis heute nicht erfährt. Der Senat ist daher der Auffassung, dass die in dem vorgenannten Beschluss getroffenen Maßnahmen nicht ausreichend waren, um E's seelisch-geistige Entwicklung zu fördern. Die so geforderten Eltern haben versagt. Vielmehr hat sich E's Situation eher verschlechtert. Seine Entwicklungsdefizite können und werden von den Kindeseltern wohl auch nicht bestritten, wie sich zuletzt aus der Stellungnahme der Antragsgegner gemäß Schriftsatz vom 23.10.2007 (Bl. 408 ff. GA) ergibt. Auch hier wird allerdings wieder der Versuch unternommen, die vorhandenen Defizite Dritten in die Schuhe zu schieben, ohne die kritische Familiensituation auch nur ansatzweise zu hinterfragen. All dies bietet nicht die Gewähr dafür, dass die Kindeseltern im Hinblick auf E in der Zukunft einvernehmlich mit dem Jugendamt an einem Strang ziehen, um dessen Situation zu verbessern. Dabei mag durchaus auch das Jugendamt in der ein oder anderen Situation - so insbesondere bei der Inobhutnahme von E - unglücklich agiert und damit Vertrauen zerstört haben. Auch hier wird wiederum auf den Senatsbeschluss vom 28.10.2005 verwiesen. Es ist nicht zu verkennen, dass die Antragsgegner einerseits extensiv staatliche Hilfe begehren, andererseits aber nur eingeschränkt bereit sind, zu kooperieren. Es muss aber auch die besondere Situation der Großfamilie und die tatsächlich vorhandene Überforderung, insbesondere der Kindesmutter, erkannt werden, die gewisse Überreaktionen verständlich macht. Insoweit ist das professionelle Verständnis der Mitarbeiter des Jugendamtes gefordert. Es gilt in erster Linie, die Kindeseltern zur Mitarbeit zu motivieren. Dass hierfür ein langer Atem erforderlich ist, mag zutreffen. Gleichwohl ist es Aufgabe des Jugendamtes, die vorhandenen Ressourcen zu sichten und zu nutzen.

Auch wenn dies in der Vergangenheit dem Jugendamt nicht immer gelungen ist, hat dies keinen Einfluss darauf, dass die Entwicklungsdefizite bei E entscheidend durch die Unfähigkeit der Kindeseltern verursacht sind, entsprechend den schwierigen Erziehungsvorgaben bei E zu reagieren. Die Entwicklung E's zeigt, dass sich seine Entwicklungsstörungen verfestigt haben. Neben dem aggressiven Verhalten, welches dem Verhalten L's gegenüber Mitschülern und Betreuern ähnelt, fällt die sexualisierte Sprache und auch bereits sexualisiertes Verhalten bei E auf. Seit dem 01.08.2007 befindet sich E in stationärer Behandlung des Kinderneurologischen Zentrums der Rheinischen Kliniken C. In einem ärztlichen Zwischenbericht vom 01.10.2007 (Bl. 396 - 407 GA) wird durch die behandelnden Ärzte, Chefarzt Dr. I, Kinderärztin Dr. R und Diplom-Psychologin Dr. P festgestellt, dass sie E als ein auf der Beziehungs- und Verhaltensebene deutlich verstörtes und auch deprimiert wirkendes Kind erlebt haben. Seine psycho-soziale Anamnese ist belastet durch ein inkonsistentes Erziehungsverhalten der Eltern bei auch sehr hoher Geschwisterzahl und fehlendem Raum für individuelle Zuwendung und Vermittlung von Alltagsfähigkeiten (vgl. Seite 11 des Berichtes, Bl. 406 GA). Sein Verhalten ist geprägt durch permanent aggressiv-provokantes Agieren bei extrem hohem Zuwendungsbedarf. Im Stationsalltag zeigte sich E als ein extrem zuwendungsbedürftiges Kind. Er fordert permanente Aufmerksamkeit überwiegend über Negativverhalten in Form von sich zunehmend steigernden Provokationen und heftigen aggressiven Aktionen gegenüber anderen Kinder, die ein Eingreifen erforderlich machen. Grenzsetzungen und Frustrationen führen zu massiven Wutausbrüchen und aggressivem Agieren. Daneben gibt es kurzweilig auch immer wieder Phasen, in denen E eher ausgeglichen und positiv zugewandt wirkt. Nach den überzeugenden Feststellungen entsteht im Alltag deutlich der Eindruck, dass E bisher auch nicht basale Alltags- und Verhaltensregeln vermittelt wurden. Für seine gesunde seelisch-geistige Entwicklung sind, so ist der Senat mit den behandelnden Ärzten aufgrund deren überzeugender Begründung der Auffassung, stringente verhaltenstherapeutische Maßnahmen erforderlich mit unmittelbaren positiven Verstärkern bei Bewältigung auch kleiner positiver Alltagsdinge und Ignoranz mit neutralen Reaktionen bei Fehlverhalten. Weiter wird festgestellt, dass seine Beziehungsstörung und -ambivalenz sich auch bzw. gerade bei ungeteilter Zuwendung zeige, da er auch hier durch provokative Muster die Reaktionen der Erwachsenen und seine Wirksamkeit austestet und somit positive Einzelkontakte trotz großem Bedürfnis nach diesen nicht angemessen für sich nutzen und gestalten kann. Auf Zuwendung der Erwachsenen gegenüber anderen Kindern reagiert E sehr ungehalten und eifersüchtig. Die Kontakte zu anderen Kindern sind im Rahmen seiner kognitiven und verbal kommunikativen Grenzen sowie aufgrund seiner geringen Frustrationstoleranz mit abruptem aggressivem Agieren überwiegend konfliktbesetzt (vgl. Seiten 11, 12 des vorgenannten ärztlichen Zwischenberichtes, Bl. 406, 407 GA). Im Rahmen dieses festgestellten gravierenden Entwicklungsrückstandes benötigt E neben gezielten therapeutischen Angeboten auch eine intensive Alltagsförderung, die er in der eigenen Familie aufgrund der zuvor geschilderten besonderen Situation nicht erhalten kann. Aufgrund seiner Beziehungsstörung und Bedürftigkeit nach Zuwendung durch einen Erwachsenen erfordert der Umgang mit ihm sowohl einen liebevoll-konsequenten als auch einen hoch strukturierten verhaltenstherapeutischen Umgang mit ihm durch nur wenige Bezugspersonen, um ihm zunächst basale Alltags- und Verhaltensregeln zu vermitteln. Diese dringend erforderlichen Rahmenbedingungen kann E in seinem familiären Umfeld nicht finden. Die Herausnahme aus der Familie und der Sorgerechtsentzug war daher dringend geboten.

Damit musste die Beschwerde der Antragsgegner hinsichtlich der Sorgerechtsentscheidung des Familiengerichts bezüglich L und E ohne Erfolg bleiben.

Im Ergebnis hat die Beschwerde auch insoweit keinen Erfolg, als mit dem Beschwerdeantrag zu 3. die Feststellung begehrt wird, dass die Inobhutnahme von E T am 14.05.2007 rechtswidrig war. Bezüglich dieses Antrages erscheint schon äußerst zweifelhaft, ob im Rahmen eines FGG-Verfahrens ein solcher Fortsetzungsfeststellungsantrag überhaupt zulässig ist. Bei der Inobhutnahme nach § 42 SGB XIII handelt es sich um einen Verwaltungsakt, der auch nur im verwaltungsgerichtlichen Verfahren angreifbar ist (vergleiche insofern VG Aachen Juris, 2 K 158/02, Urteil vom 28.06.2005). Um gegen diesen vorzugehen, ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet und die Anfechtungsklage gegeben. Im Rahmen des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO gibt es insoweit auch die Möglichkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage, soweit hierfür ein Rechtsschutzbedürfnis besteht. Dieses ist aber jedenfalls dadurch entfallen, dass bezüglich E den Beschwerdeführern das Sorgerecht zu Recht entzogen worden ist und somit deren Klagebefugnis entfallen ist. Darüber hinaus fehlt es an einem Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Es ist nicht ersichtlich, dass die abgelaufene Inobhutnahme irgendwelche negativen Fortwirkungen für die Antragsgegner in die Zukunft hinein entfalten kann. Auch ein besonders gravierender Grundrechtseingriff, der ein besonderes Feststellungsinteresse rechtfertigen könnte, liegt nicht vor.

Diese Gesichtspunkte greifen jedenfalls auch für den Beschwerdeantrag zu 3., soweit man ausnahmsweise auch im FGG-Verfahren eine solche Antragstellung für zulässig erachten würde.

2.

Die sofortige Beschwerde der Antragsgegner gegen den Nichterlass einer einstweiligen Anordnung ist schon deswegen unzulässig, weil ein Regelungsbedürfnis infolge der Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr bestand. Das Familiengericht hatte zeitnah zu dem Antrag der Antragsgegner auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bezüglich der Herausgabe des Kindes E in der Hauptsache entschieden. Damit war das Bedürfnis für eine vorläufige Regelung des Sachverhaltes entfallen. Folgerichtig hat das Familiengericht auch nicht mehr über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung entschieden, da dieser Antrag gegenstandslos geworden war. Entsprechendes gilt auch für den Antrag zu 2. der Beschwerde nach § 621 e ZPO.

3.

Die Kostenentscheidung bezüglich beider Beschwerden folgt aus § 13 a Abs. 1 Satz 2 FGG.

4.

Aus den Ausführungen zu Ziffern 1 und 2 dieses Beschlusses folgt, dass mangels Erfolgsaussicht der eingelegten Beschwerden der Antrag der Antragsgegner auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückzuweisen war (§§ 14 FGG, 114 ZPO analog).

5.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren beträgt

a) für die Beschwerde nach § 621 e ZPO (§ 30 Abs. 3, 2 KostO) 6.000,00 €

und

b) für die sofortige Beschwerde nach § 620 c ZPO (§ 24 RVG) 1.000,00 €.

Ende der Entscheidung

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