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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 26.09.2006
Aktenzeichen: 4 UF 138/06
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 620 Nr. 1
BGB § 1671
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Bonn vom 21.06.2006 unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Im Wege der einstweiligen Anordnung wird das Aufenthaltsbestimmungsrecht betreffend das Kind L X, geboren am 24.08.1990, auf den Antragsteller übertragen. Weiterhin wird ihm die Entscheidungsbefugnis übertragen, soweit schulische Angelegenheiten, insbesondere der Schulwechsel des Kindes von S nach C, betroffen sind.

Im Übrigen wird auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin die vorgenannte einstweilige Anordnung des Familiengerichts Bonn aufgehoben und der Antrag des Antragstellers ihm auch die Entscheidungsbefugnis zu übertragen, soweit passrechtliche Angelegenheiten betroffen sind, zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Gründe:

Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 621g, 620c ZPO zulässig. Denn das Gericht des ersten Rechtszuges hat nach mündlicher Verhandlung durch einstweilige Anordnung die elterliche Sorge geregelt. Dabei reicht auch die Regelung eines Teilbereichs der elterlichen Sorge, hier das Aufenthaltsbestimmungsrecht sowie die Entscheidungsbefugnis in schulischen Angelegenheiten, aus, um die Beschwerdemöglichkeit zu eröffnen (vgl. Zöller/Philippi, ZPO 25. Auflage, § 620c Rdn. 4 m.w.N.).

Die sofortige Beschwerde ist aber nur teilweise begründet, nämlich soweit sich die Antragsgegnerin dagegen wehrt, dass dem Antragsteller auch die Entscheidungsbefugnis in Passangelegenheiten des Kindes übertragen worden ist. Im Übrigen ist sie unbegründet.

Zu Unrecht macht die Antragsgegnerin mit der Beschwerde geltend, dass für den Erlass einer einstweiligen Anordnung kein Regelungsbedürfnis besteht. Dieses ergibt sich vielmehr daraus, dass sich die beiden Elternteile nicht darüber einigen können, wo sich ihre gemeinsame Tochter L zukünftigen aufhalten soll. Grundsätzlich ist diese Frage des Aufenthaltes des Kindes Teil der elterlichen Sorge. Können sich die gemeinsam sorgeberechtigten Kindeseltern nach anfänglicher Übereinstimmung über den Aufenthalt ihres gemeinsamen Kindes bei einem der Kindeseltern nunmehr nicht mehr darauf verständigen, bei welchem der beiden Elternteile das Kind verbleiben soll, besteht ein Regelungsbedürfnis für die einstweilige Anordnung zur vorläufigen Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes. Das Familiengericht hat in diesem Falle im Wege der einstweiligen Anordnung bis zur Entscheidung in der Hauptsache gemäß § 620 Nr. 1 ZPO darüber zu entscheiden, wo sich das Kind vorläufig aufhalten soll. Bei seiner Entscheidung ist das Familiengericht nicht an die ursprüngliche von den Kindeseltern übereinstimmend gewollte Aufenthaltsregelung gebunden. Diese in Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge ursprünglich gemeinsam getroffene einvernehmliche Regelung hat in diesem Falle keine Bestand mehr. Gemäß § 1671 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB hat die zutreffende Entscheidung sich allein am Kindeswohle zu orientieren, wie der Senat bereits früher in seinem Beschluss vom 15. November 2004 - 4 UF 169/04 - entschieden hat. Insoweit fehlt es den Kindeseltern an einem Mindestmaß an Übereinstimmung bzw. Kooperationsbereitschaft, das es gestatten würde, Beiden neben dem Sorgerecht im Übrigen auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht zur gemeinsamen Ausübung zu belassen.

Da vorliegend die Frage des Schulbesuchs von L unmittelbar mit der Frage, wo sich L in nächster Zukunft aufhalten soll, verbunden ist, war hierüber ebenfalls durch einstweilige Anordnung zu entscheiden.

Nach Auffassung des Senates dient es dem Kindeswohl am besten, wenn L zu ihrem Vater zieht, um dort die von ihr beabsichtigte weitere Schulausbildung durchführen zu können.

Bei einer am Kindeswohl orientierten Entscheidung hat dabei das Gericht gerade auch den geäußerten Kindeswillen entscheidend mit zu berücksichtigen. Hierbei sind der Wille des Kindes im Rahmen seines wohlverstandenen Interesses und das Interesse des um die Regelung nachsuchenden Elternteils gegeneinander abzuwägen. Bei der Entscheidung ist bedeutsam, ob die Einstellung des Kindes auf subjektiv beachtlichen oder verständlichen Beweggründen beruht.

Der von L gegenüber den Kindeseltern, dem Jugendamt und dem Familiengericht eindeutig und wiederholt geäußerte Wille, nach C zum Vater zu ziehen, um dort die beabsichtigte Schulausbildung in die Wege zu leiten, erscheint dem Senat so bedeutsam, dass eine dem Kindeswillen entgegenstehende Entscheidung zweifellos zum Nachteil des Wohles von L gereichen würde.

Zunächst vermag der Senat nicht die Befürchtungen der Kindesmutter zu teilen, dass L nicht in der Lage ist, eigenverantwortlich ihren Willen zu äußern. L ist mittlerweile 16 Jahre alt. Allein das Alter spricht bereits dafür, dass L in der Lage ist, das Für und Wieder ihres Wechsels nach C abzuwägen und eine für sie richtige Entscheidung zu treffen. Gerade das Ergebnis ihrer Anhörung vor dem Familiengericht und die Gespräche zwischen ihr und der Vertreterin des Jugendamtes des S Kreises, Frau L (vgl. insoweit "Vermerk über die Erklärungen der Beteiligten im Termin vom 21.06.2006, Bl. 15 - 16 GA; Bericht des Jugendamtes des S Kreises vom 14.06.2006, Bl. 7 - 9 GA; Bericht des Jugendamtes des S Kreises vom 10.08.2006, Bl. 69, 70 GA) belegen in eindrucksvoller Weise, dass sich L mit ihrer Situation eingehend auseinander gesetzt und mit beachtlichen Gründen ihre Entscheidung getroffen hat.

Soweit die Antragsgegnerin meint, L wäre mit 16 Jahren nicht reif genug, um eine solche Entscheidung zu treffen, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Wunsch L's, nach C zu ziehen, einer vorübergehenden pubertätsbedingten Laune entsprungen ist. Vielmehr hat sie im Einzelnen dargelegt, dass die Entscheidung gerade aufgrund ihrer Probleme in S trotz ihrer Erkenntnis, hier möglicherweise ihren Freundeskreis zu verlieren, getroffen worden ist. Bei der Entscheidung haben mehrere Faktoren eine Rolle gespielt, so auch ihre psychische Entwicklung in der nahen Vergangenheit. Insoweit glaubt L, ihre Schulangst und ihre Essprobleme in C besser in den Griff bekommen zu können. So wehrt sich der Antragsteller auch nicht dagegen, dass sich L in C einer Psychotherapie unterzieht.

Die Tochter erscheint gerade nicht so unreif, wie die Antragsgegnerin meint, L sehen zu müssen. Für Ls Entscheidung nach C zu ziehen, mag daher auch eine Rolle spielen, dass sie sich von der Antragsgegnerin zu sehr bevormundet fühlt. Jugendliche im Alter von 16 Jahren brauchen ihre Freiräume. Ihnen muss das Gefühl vermittelt werden, eigenverantwortlich handeln zu können. Gerade die letzte Stellungnahme der Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren ergibt aber zur Überzeugung des Senates, dass die Antragsgegnerin nicht bereit ist, dies ebenso zu sehen. So weißt sie dort ausdrücklich darauf hin, dass L als 16jährige noch der besonderen Betreuung bedarf. Dem kann der Senat nicht folgen. Die Betreuungstätigkeit für eine Jugendliche im Alter von 16 Jahre ist nur noch in eingeschränktem Maße erforderlich. Etwas anderes ergibt sich vorliegend auch nicht aus Ls psychischer Belastung. Entscheidend wird sein, dass L zur Ruhe kommen kann und sich insgesamt verstanden fühlt.

Dieses Verständnis scheint sie derzeit bei der Antragsgegnerin nicht erkennen zu können. Dabei mag auch eine Rolle spielen, dass L stark unter den erheblichen Streitigkeiten zwischen ihren Eltern leidet. Besser verstanden zu wissen scheint sich L derzeit von ihrem Vater. Auch dies ist aus Ls Sicht durchaus verständlich. So hat er sich im Einzelnen Ls Problemen gestellt und versucht, Problemlösungen zu finden. Der Senat vermag nicht zu erkennen, dass er L zu ihrem Entschluss, nach C ziehen zu wollen, gedrängt oder ihre Entschlussfreiheit gar manipuliert hätte. Soweit die Antragsgegnerin hier Gegenteiliges vermutet, fehlen für diese Vermutungen jegliche konkreten Anhaltspunkte. Vielmehr dokumentieren sie wiederum deutlich, dass die Antragsgegnerin es kaum verwinden kann, wenn L andere, ihrem Willen entgegenstehende Entscheidungen trifft.

Insoweit wird es auch verständlich, dass sich L, seitdem sie nunmehr in C aufhältig ist, sich mit der Antragsgegnerin noch nicht in Verbindung gesetzt hat. Insofern sieht sie sich, wie es auch anlässlich ihrer Anhörung vor dem Familiengericht und in den Gesprächen mit dem Jugendamt zum Ausdruck gekommen ist, ständig einem Rechtfertigungsdruck ausgesetzt.

Aus dem letzten Jugendamtsbericht vom 10.08.2006 (Bl. 69 f. GA) ergibt sich im Übrigen, dass sich L in C wohlfühlt und eine Rückkehr nach S derzeit strickt ablehnt. Im Kindeswohlinteresse liegt es daher allein, dass die Antragsgegnerin nunmehr zunächst diesen Willen akzeptiert und alles daran setzt, dass L ohne Druck ihre Probleme lösen kann. Für die seelig-geistige Entwicklung von L wird es von erheblicher Bedeutung sein, dass die Kindeseltern ihre Streitigkeiten endlich einstellen und zu Ls Wohl zumindest einen Grundkonsenz bezüglich ihrer weiteren Zukunft finden.

Es wird dem Verfahren in der Hauptsache und der dort erforderlichen weiteren Sachaufklärung vorbehalten bleiben, ob es im Übrigen bei der gemeinsamen Sorge der Eltern verbleiben kann. Erforderlich hierfür ist eine Mindestkonsenz- und kooperationsbereitschaft der Eltern. Soweit eine solche nicht erreichbar sein sollte, ist zu prüfen, welche Auswirkungen die mangelnde Einigungsfähigkeit der Eltern bei einer Gesamtbeurteilung der Verhältnisse auf die Entwicklung und das Wohl des Kindes haben wird (vgl. BGH FamRZ 1999, 1646; OLG Karlsruhe FamRZ 2000, 111). Wird deutlich, dass sich das behauptete schlechte Verhältnis zwischen den Eltern negativ auf das Kindeswohl auswirkt und ist auch zu befürchten, dass sich zukünftig negative Auswirkungen ergeben könnten, kann es nicht bei der gemeinsamen elterlichen Sorge verbleiben, obwohl die in der gemeinsamen Sorge gesetzlich ausgeprägte besondere gemeinschaftliche Verantwortung der Eltern für ihr Kind auch in der getrennt lebenden Situation grundsätzlich dem Kindeswohl am besten entspricht, wenn keine besonderen Umstände dagegen sprechen. Zu beachten wird auch sein, dass sich L bisher grundsätzlich immer dafür ausgesprochen hat, dass es im Übrigen bei der gemeinsamen elterlichen Sorge verbleiben soll. Dies zeigt, dass sich L zu beiden Elternteilen gleichermaßen hingezogen fühlt und es durchaus begrüßt, wenn die Kindeseltern in Angelegenheiten, die ihre psychische und geistige Entwicklung und Erziehung betreffen, gemeinsam verantwortlich handeln. Auch hier wird deutlich, dass L durchaus in der Lage ist, eigenverantwortlich zu handeln und nicht bloß die Meinungen des einen oder anderen Elternteils wiedergibt. L trifft ihre eigenen Entscheidungen.

Auch sonstige Umstände stehen der Entscheidung des Senates nicht entgegen. Insbesondere rechtfertigt das Vorbringen der Antragsgegnerin in der Beschwerdeinstanz keine andere Entscheidung.

Soweit die Antragsgegnerin meint, die Klägerin fühle sich wohl in S und könne dort ihre Schulausbildung fortsetzen, steht diesem Vorbringen bereits das oben Ausgeführte entgegen. L hat deutlich und plausibel dargestellt, dass sie sich unter den derzeitigen Belastungen nicht vorstellen kann, in S zu leben.

Für eine Manipulation Ls durch den Kindesvater bestehen, wie oben bereits im Einzelnen dargelegt, keine konkreten Anhaltspunkte.

Der Umstand, dass der Antragsgegner L mit zweiten Wohnsitz in C angemeldet und für sie eine Bahncard besorgt hat, ergibt nichts Gegenteiliges. Beide Maßnahmen erscheinen dem Senat im Hinblick darauf, dass bis zur Einleitung dieses Sorgerechtsverfahrens L den Umgang mit ihrem Vater in C pflegte, schon aus wirtschaftlichen Gründen vernünftig.

Bedauerlich erscheint, dass L derzeit kaum Kontakt zu ihrem Freundeskreis in S halten kann. Diese Folge ihrer Entscheidung hat sie aber bewusst in Kauf genommen. Dass sie in C sozial isoliert würde, kann nicht erkannt werden.

Soweit die Antragsgegnerin befürchtet, der Antragsteller werde mit L und seiner übrigen Familie ins Ausland umziehen, mag diese Befürchtung in früheren Äußerungen des Antragstellers ihren Grund finden. Die Befürchtungen können aber derzeit dadurch entkräftet werden, dass der Senat kein Regelungsbedürfnis dafür sieht, dass der Antragsteller auch in Passangelegenheiten die alleinige Entscheidungsbefugnis übertragen bekommen soll. Nach Auffassung des Senates ist es allein notwendig, im summarischen einstweiligen Anordnungsverfahren eine Regelung bezüglich des generellen Aufenthaltes sowie des Schulbesuches von L zu treffen. Nicht notwendig erscheint es insoweit, vorläufige Regelungen darüber hinaus anzuordnen. Es ist dem Antragsteller bis zur Entscheidung in der Hauptsache durchaus zumutbar, etwaige Auslandsurlaubswünsche zurückzustellen oder in einzelnen Angelegenheiten eine gerichtliche Entscheidung nach § 1628 BGB herbeizuführen, falls eine Einigung mit der Antragsgegnerin nicht möglich ist.

Beide Elternteile werden sich zu vergegenwärtigen haben, dass das Ausmaß ihrer Kooperationsbereitschaft bezüglich wesentlicher Kindesbelange von entscheidendem Einfluss auf die Frage ihrer Erziehungsfähigkeit und damit darauf haben kann, wem - soweit erforderlich - die Personensorge allein zu übertragen ist. So wird die Kindesmutter zu überprüfen haben, ob sie nicht ihre Bereitschaft erklärt, L auch einen Auslandsurlaub mit dem Kindesvater zu gestatten. Der Kindesvater wird alles daran zu setzen haben, dass L den Umgang mit ihrer Mutter pflegen wird.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 13a Abs. 1 S. 1 FGG.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 500,00 € (§ 24 Abs. 1 S. 1 RVG).

Ende der Entscheidung

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