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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 28.05.2004
Aktenzeichen: 4 UF 150/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1671 Abs. 1
BGB § 1671 Abs. 2 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

4 UF 150/03

In der Sorgerechtssache

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln als Familiensenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Schrübbers sowie die Richterin am Oberlandesgericht Bourmer-Schwellenbach und den Richter am Oberlandesgericht Blank

am 28. Mai 2004

beschlossen:

Tenor:

Die befristete Beschwerde des Antragsgegners vom 16. Juli 2003 gegen die Sorgerechtsentscheidung im Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Bonn vom 11.6.2003 - 40 F 199/00 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsgegner.

Gründe:

Die gem. § 621 e Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte und auch im übrigen zulässige, insbesondere entsprechend §§ 517, 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO fristgerecht eingelegte und begründete sofortige Beschwerde des Antragsgegners hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht und aus zutreffenden Erwägungen hat das Amtsgericht das Sorgerecht für den Sohn X der Beteiligten zu 1.) und 2.) im Einklang mit den Stellungnahmen des Jugendamtes und den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. Dipl. Psychologe Q vom 30. Januar 2004 (Bl. 133 - 153 GA) auf die Antragstellerin übertragen und nicht dem teilweise gegenläufigen Antrag des Antragsgegners zum Aufenthaltsbestimmungsrecht entsprochen. Die Beschwerde, mit der der Antragsgegner nunmehr das alleinige Sorgerecht für sich beansprucht, ist daher unbegründet.

Gemäß § 1671 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB ist einem Elternteil auf seinen Antrag die elterliche Sorge allein zu übertragen, wenn zu erwarten ist, dass dies dem Wohl des Kindes am Besten entspricht. Für die Beurteilung des danach ausschließlich maßgebenden Gesichtspunkts des Kindeswohls kommt es vor allem darauf an, bei welcher Lösung das Kind voraussichtlich die besseren Entwicklungsbedingungen erhalten kann (Förderungsprinzip), wo sein Interesse an kontinuierlicher Entwicklung besser gewährleistet ist (Kontinuitätsprinzip), zu welchem Elternteil das Kind die tragfähigere Bindung hat, welcher Elternteil die Bindung zum anderen besser zu erhalten und zu fördern bereit ist (Bindungstoleranz) und welche Entscheidung dem Willen und den Neigungen des Kindes am Besten entspricht (vgl. zusammenfassend Schwab/Motzer, Handbuch des Scheidungsrechts, 4. Aufl. Teil III Nr. 117). Mit dem Familiengericht ist der Senat nach Durchführung der Beweisaufnahme der Auffassung, dass es in Anbetracht der diesbezüglichen Uneinigkeit der Eltern unter dem Gesichtspunkt der am wenigstens schädlichen Alternative dem Wohl des Kindes am Besten entspricht, der Antragstellerin das alleinige Sorgerecht zu übertragen.

Hierbei geht der Senat in Übereinstimmung mit dem Jugendamt (vgl. hierzu u.a. Schreiben des Jugendamtes vom 30.3.2004, Bl. 166 GA) davon aus, dass es derzeit dringend erforderlich ist, dass X zur weiteren Stabilisierung seiner Lebenssituation noch über geraume Zeit weiter in der derzeitigen Vollpflegegruppe im Heim verbleibt. Dies ist aber nur gewährleistet, wenn die Antragstellerin das alleinige Sorgerecht ausübt. Grundlage für diese Beurteilung des Senates ist die Erwartung, dass die Antragstellerin auch zukünftig entsprechend der Auffassung des Jugendamtes und der Beurteilung des Sachverständigen Prof. Dr. Q den Sohn X zur Behandlung seiner Verhaltensauffälligkeiten für die behandlungserforderliche Zeit - voraussichtlich etwa zwei Jahre - in der Vollpflegegruppe belässt. Sollte sie zwischenzeitlich bei unveränderter Sachlage gegen das Kindeswohl ihre Meinung über die notwendigen Erziehungshilfen ändern, müsste die Sachlage neu beurteilt werden.

Der sogenannte Kontinuitätsgedanke, der auf die Aufrechterhaltung der Einheitlichkeit, Gleichmäßigkeit und Stabilität der Lebens- und Erziehungsverhältnisse abzielt, ist entsprechend der obigen Einschätzung des Senates ausschlaggebend dafür, der Antragstellerin die Befugnis zu übertragen, über diese allein entscheiden zu können, damit Xs Heimunterbringung gewährleistet bleibt.

Nach Durchführung der Beweisaufnahme steht aufgrund der überzeugenden, ausführlichen, wissenschaftlich belegten und gegen keine Denkgesetze verstoßenden Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. Dipl. Psychologen Q in seinem Gutachten vom 30.1.2004 (Bl. 133 - 153 GA) für den Senat die Notwendigkeit der weiteren Heimunterbringung Xs fest. So hat der Sachverständige in dem vorgenannten Gutachten zum Sozialisationshintergrund Xs festgestellt, dass schon von Geburt an der Familienalltag von viel Streit dominiert wurde. Durch eine Fremdunterbringung Xs im ersten Lebensjahr bei einer "Tante" in N war der Aufbau einer frühen Mutter-Kind-Bindung erheblich gestört. Mit einer "Gewaltaktion" (und Unterstützung durch das Frauenhaus) wurden dann Mutter und Kind wieder vereint. Die Antragstellerin übernahm dann die Versorgung/Betreuung von X im Alltag. Dagegen hat X eine aktive Rolle seines Vaters, des Antragsgegners, in der Alltagsversorgung kaum erfahren. Es war immer die Antragstellerin, die die Alltagsverantwortung trug. Trotz der gespannten Verhältnisse wollte sich die Antragstellerin von dem Antragsgegner zunächst nicht trennen und nahm das für das Familienleben dominante Verhalten des Antragsgegners hin. Der Sachverständige führt dann weiter aus (vgl. Bl. 146 GA), dass - wie er aus der Exploration der Beteiligten erfahren habe - X so schon in früher Kindheit aggressives Verhalten gegenüber seiner Mutter gelernt habe. Dies ist für den weiteren Verlauf der Entwicklung Xs deswegen von Bedeutung, weil gerade die erzieherischen Schwierigkeiten, denen die Antragstellerin später nicht mehr Herr werden konnte, in solch aggressivem Verhalten Xs ihr gegenüber bestand. Als es dann dennoch zur Trennung der Beteiligten zu 1.) und 2.) kam, hatte X, wie der Sachverständige weiter ausführt, den Kontakt zum Vater zeitweise völlig verloren. Er war ausschließlich noch mit seiner Mutter, der Antragstellerin, zusammen, die jedoch durch berufliche Arbeit und ihre schwierige Identität als Ausländerin, sie ist Philippinin, sehr belastet war. In den sich daraus entwickelnden Erziehungsschwierigkeiten entstanden dann die aggressiven Verhaltensauffälligkeiten von X. Die Unterstützung der Mutter durch den Hort und die therapeutischen Hilfen für X reichten nicht, so dass X im August 2001 ins Kinderheim kam. Dort blieb er zunächst in einer Wohngruppe und war jedes Wochenende von Freitag bis Sonntag bei der Mutter. Angesichts der Zunahme der Konflikte wechselte X im August 2003 in die vollstationäre Gruppe und besuchte die Mutter seither nur noch vierzehntägig. Einerseits fühlte sich X im Heim teils gut unterstützt und nahm mit Interesse dortige Freizeitangebote wahr. Den Wechsel in die jetzige Gruppe erlebte er durchaus positiv. Andererseits besteht bei ihm durchaus der starke Wunsch nach Alltagskontakten mit seinen Eltern. So waren die Wochenendkontakte zu seiner Mutter belastet durch gegenseitige Schuldvorwürfe: Von der Mutter fühlte sich X im Stich gelassen; von X fühlte sich die Mutter aggressiv bedroht. Nur in den Ferien hatte X Kontakt zu seinem Vater, der in dieser Sondersituation als interessanter Freizeitkamerad erschien. Die Idee, in Zukunft beim Vater zu wohnen, nahm und nimmt X daher mit zunehmenden Interesse auf. Dabei spielt die neue Lebenssituation des Antragsgegners seit Sommer 2003 eine besondere Rolle. So berichtete X dem Sachverständigen (vgl. Bl. 148, 149 GA), dass der Antragsgegner jetzt eine neue Freundin habe. Auch die frühere Freundin B des Vaters kannte X gut. Er hatte sie zuletzt im Sommer 2003 gesehen. Mit der früheren Freundin B hat der Antragsgegner ein gemeinsames Kind O, auf das X gelegentlich gerne als Babysitter aufpasste. Weiter berichtete X dem Sachverständigen, er möge B, sie sei lustig und nett, eigentlich ganz o.k. Andererseits berichtete er, dass er es "doof" fände, das sein Vater immer wieder eine neue Freundin habe und sie sich dann viel gestritten hätten. Am schönsten wäre es für ihn, mit dem Vater alleine leben zu können. Andererseits brachte X zum Ausdruck, über verschiedene unterschiedliche Lebenssituationen durch den Sachverständigen befragt, dass er es genau so schön fände, bei der Mutter zu leben. Dagegen fanden die Möglichkeiten einer Heimunterbringung keine so gute Benotung, wobei allerdings die jetzige Heimunterbringung von X durchaus mit der Note 3 noch positiv bewertet wurde. Dieses Ergebnis zeigt zur Überzeugung des Senates unter Würdigung der eingehenden und sorgfältig erarbeiteten Feststellungen des Sachverständigen, dass X an sich nicht im Heim leben möchte, aber das Leben bei Vater oder Mutter für ihn gleichermaßen gut aussieht, wie er auch auf ausdrückliche Nachfrage bestätigt hat. Im Heim stört ihn vor allem, dass er hier zu viele Aufgaben hat (Küchendienst usw.). Auf Nachfrage des Sachverständigen hatte X allerdings erklärt, dass in der Gruppe 8 (jetzige Heimunterbringung) eigentlich alles ganz o.k. sei. Hier dürfe man mehr als in der Heimgruppe 5 (frühere Unterbringung).

Allerdings hat X in seinen letzten, an den Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners gerichteten Briefen doch sehr eindeutig den Wunsch geäußert, beim Antragsgegner und seiner neuen Lebensgefährtin mit deren drei Kindern wohnen zu wollen. Aus den Briefen wird deutlich, dass X die konsequente, auch mit Pflichten verbundene Erziehung in der Gruppe missfällt. Auf die Einhaltung übertragener Aufgaben wird geachtet. Deren Nichtbeachtung wird sanktioniert. Dagegen steht, wie sich aus dem Inhalt der überreichten Briefe ergibt, das weitgehend aufgabenfreie Leben beim Vater, wenn er sich bei diesem besuchsweise aufhält. Der Vater ist Freund - Freizeitkumpel - nicht aber der konsequente Erzieher, den X zur Zeit dringend benötigt. Durchaus verständlich wird daher auch sein wachsender Wunsch, dort zu leben, wo er glaubt, mehr Freiheiten zu haben. Dem Kindeswohl entspricht es aber nicht, diesem Wunsch zu entsprechen.

Mit dem Sachverständigen zieht der Senat den Schluss, dass X sich trotz des nunmehr immer dringlicher gewünschten Umzugs zum Vater mit einer Weiterführung der jetzigen Regelung arrangieren kann (vgl. Bl. 149 GA). Nach Auffassung des Senates wird einerseits deutlich, dass X lieber bei einem seiner Elternteile - hier vornehmlich dem Vater, weil die Mutter nicht gewillt ist, die erwarteten Freiheiten zugewähren - leben möchte als im Heim, andererseits ist aber klar erkennbar, dass den Verhaltensauffälligkeiten von X nur wirksam durch die Heimunterbringung begegnet werden kann. Die Antragstellerin hat dies erkannt und hieraus die Konsequenzen gezogen.

Der Antragsgegner ist dagegen nach Auffassung des Senates in Übereinstimmung mit den gutachterlichen Feststellungen (vgl. Bl. 145 ff GA) nicht in der Lage, seinem Sohn die notwendige Unterstützung für eine gedeihliche seelisch-geistige Entwicklung zu geben. Der Vater bietet nicht die gefestigte Persönlichkeit, die X genügend Halt verschaffen könnte, um seinen Verhaltensauffälligkeiten Herr zu werden. Schon die eigene Persönlichkeitsentwicklung des Antragsgegners zeigt, dass seine Erziehungsfähigkeit nur eingeschränkt bejaht werden kann. Seine eigene Kindheit selbst ist nicht unproblematisch verlaufen (vgl. hierzu die Ausführungen des Sachverständigen in seinem Gutachten auf Seiten 11 - 13, Bl. 143 - 145 GA). Sein Vater hatte ihn oft geschlagen, sogar körperlich misshandelt. Deshalb war er Ende der 70-iger Jahre für 6 Wochen in der Kinder-/Jugendpsychiatrie der Universität Köln. Etwa 1980 ist der am 10.10.1960 geborene Antragsgegner dann bei den Eltern ausgezogen und hat zwischen 1980 und 1989 mehrere eigene kleine Wohnungen bezogen. Nach dem Besuch der Grundschule machte er eine Maurerlehre und ging dann zur Bundeswehr, bei der er nach 6 Wochen mit Bezug auf den früheren Aufenthalt in der Kinder-/Jugendpsychiatrie entlassen wurde. Im Jahre 1989 lernte der Antragsgegner dann die Antragsstellerin bei einem Krankenhausbesuch in Bonn kennen, wo diese als Putzfrau arbeitete. Man zog zusammen. Aber schon zu Beginn der Beziehung gab es ständig Streit. Der Antragsgegner nannte die Antragstellerin gegenüber dem Sachverständigen "herrschsüchtig". Die Schwangerschaft mit X war nicht geplant. Aber gleichwohl wollte man das Kind. In den ersten zwei Jahren nach der Geburt war der Antragsgegner beruflich voll als Maurer tätig, danach hat er nie mehr eine volle Arbeitsstelle gefunden, nur verschiedene kürzere oder Zeitarbeitsjobs übernommen. Für die Versorgung des Säuglings war nur die Antragstellerin zuständig. Schon während der Schwangerschaft traten heftige Eheprobleme auf; eine längere Eheberatung in Bonn scheiterte. Schließlich bezog die Antragstellerin eine eigene Wohnung in C, wo X auch in den Kindergarten kam. Gelegentlich holte der Antragsgegner ihn hier ab und unternahm etwas mit ihm. Im Sommer 1998 lernte der Antragsgegner über eine Kontaktanzeige dann Frau B J kennen. Er zog schließlich mit ihr zusammen nach G in Norddeutschland, wo er zeitweise Arbeit bei VW in F fand. Als er jedoch arbeitslos wurde, kam es mehr und mehr zum Streit. Wie der Antragsgegner selbst ausführte, ging es immer wieder um Geld. Mit Frau J, die bereits zwei Kinder hatte, bekam der Antragsgegner ein weiteres Kind. Obwohl Frau J arbeitete, hatte sie auch ganz allein die Verantwortung für die Alltagsssorge für die Kinder. Nach der Geburt von O, Sohn von Frau J und vom Antragsgegner, kam es im August 2000 zunächst zu einer Trennung. Man versöhnte sich wieder und zog nach N ebenfalls in Norddeutschland. Aber auch hier traten wiederum Eheprobleme auf und man trennte sich mehrmals, endgültig wohl im Sommer 2003. Schon im August 2002 hatte der Antragsgegner Frau S M im Jugendamt kennengelernt. Die Beziehung verfestigte sich und seit Oktober 2003 hält sich der Antragsgegner wohl vorwiegend bei Frau M auf. Frau M hat drei Kinder. Überwiegend beschäftigt sich der Antragsgegner mit seinem Hobby, der Pflege und Zucht von Vögeln. Auf Nachfrage des Sachverständigen erklärte der Antragsgegner, dass er keinerlei Probleme mit X kenne und er daher dafür sei, dass X zu ihm und Frau M ziehe, die hiermit einverstanden sei. Der Antragsgegner hob dabei hervor, dass sich X hier in der neuen Umgebung sehr wohl fühlen werde. X habe hier auf dem Lande viele Auslaufmöglichkeiten, könne im Ort im Verein Fußball spielen und in der Nachbarschaft gebe es auch noch Kinder. Insbesondere würde sich X mit den drei Kindern von Frau M sehr gut verstehen. Diese Aussage vor dem Sachverständigen beruhte allerdings nur auf seinen Erfahrungen aus einer Woche Urlaub im Herbst 2003. Auch wenn X selbst in den o.g. Briefen auch derzeit schildert, dass er sich in dieser Umgebung wohl fühle, beruhen diese Erfahrungen immer nur auf kurzen Besuchsaufenthalten, ohne dass er hier das Alltagsleben erfahren hat. Den Vater lernte er dabei nur als " Freund ", nicht aber als konsequenten Erzieher kennen.

Der Lebenslauf des Antragsgegners zeigt, dass er selbst mehr mit seinen eigenen Problemen beschäftigt ist und keinesfalls gefestigt erscheint. Schwierigkeiten in der Bildung von festen Beziehungen treten immer wieder auf. Keineswegs ist der Lebensalltag des Antragsgegners stets so konfliktfrei gewesen, wie er dies jedenfalls für die jüngste Vergangenheit und Zukunft sehen will. Hier fällt besonders auf, dass der Antragsgegner bisher nicht in der Lage war, feste soziale Bindungen über einen längeren Zeitraum konfliktfrei aufrecht zu erhalten. Es kann daher gerade nicht davon ausgegangen werden, dass X, würde er beim Antragsgegner leben, in das für ihn dringend notwendige gefestigte soziale Umfeld kommen würde, welches ihm die notwendige konsequente Erziehung, aber auch Geborgenheit für eine positive seelisch-geistige Entwicklung bieten könnte. Dies sieht der Antragsgegner zwar nicht so. Dennoch ist der Senat aufgrund der im einzelnen begründeten Ausführungen des Sachverständigen zur Persönlichkeit des Antragsgegners davon überzeugt, dass dieser seinem Sohn nicht den notwendigen Halt geben kann. Der Antragsgegner ist wenig selbstkritisch. Dies hat der Sachverständige aufgrund des Ergebnisses der psychologischen Fragebogen-Teste festgestellt (vgl. Bl. 145 GA). So versuchte der Antragsgegner, dem Sachverständigen gegenüber bewusst sozial erwünscht zu antworten. Zur Selbstauskunft in Bezug auf seine Person äußerte der Antragsgegner, dass er sehr lebenszufrieden und sozial sehr hilfsbereit sei, sich ruhig/gelassen/selbstbeherrscht sehe und wenige Beschwerden habe. Dieses Selbstbild, das der Antragsgegner von sich hat, steht in einem gewissen Gegensatz zu den objektiven Feststellungen zu seinem bisherigen Lebenslauf. Probleme werden verdrängt statt aufgearbeitet. Unkritisch sieht der Antragsgegner die Entwicklung seines Sohnes und sein Verhältnis zu ihm. Entsprechend setzt sich der Antragsgegner in seiner Stellungnahme zum Sachverständigengutachten auch nicht mit den dort genannten Argumenten auseinander, sondern verharmlost die vorhandenen Schwierigkeiten. Es fehlt insbesondere die Einsicht des Antragsgegners, dass die bei X vorhandenen Defizite gerade auch im Verhältnis der Vater-Kind-Beziehungen ihre Ursprünge haben. Vordergründig meint er, dass allein ausschlaggebend sei, dass X bei ihm in einer Familiensituation aufwachsen könne, ohne dass der Antragsgegner auch nur kritisch hinterfragt, ob tatsächlich eine solche harmonische Familiensituation von ihm ermöglicht werden könnte. Objektiv spricht hiergegen schon die gesamte Lebenssituation des Antragsgegners in der Vergangenheit. Auch fehlt jede kritische Auseinandersetzung damit, wie er den bei X objektiv vorhandenen Defiziten begegnen möchte. Von daher verbietet sich auch nach Auffassung des Senates eine etwa 6-monatige Testphase, in welcher X beim Antragsgegner lebt , um das Zusammenleben zu erproben. X benötigt zur Zeit ein überschaubares, geordnetes Umfeld, das seine durchaus positive Entwicklung, die sich aus dem letzten Jugendamtsbericht ergibt ( vgl. Blatt 166 GA ), fördert.

So spricht der Kontinuitätsgrundsatz eindeutig für eine Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf die Antragstellerin und für ein Belassen Xs im Kinderheim. Der Kontinuitätsgrundsatz betrifft nicht nur die Person des Sorgeberechtigte sondern auch das übrige Umfeld (vgl. insoweit OLG Karlsruhe FamRZ 2001, 1634, 1635; Schwab-Motzer a.a.O. Rdn. 160), also die Stabilität und Kontinuität der gewohnten Lebensbedingungen (Umgebungskontinuität). Diese ist bei X besonders wichtig, wie sich aus seiner Persönlichkeitsentwicklung in der Vergangenheit ergibt. So haben Sachverständiger und Jugendamt festgestellt, dass im Heim die Persönlichkeitsentwicklung von X durchaus positiv verläuft (vgl. insoweit vor allem Schreiben des Jugendamtes vom 30.3.2004, Bl. 166 GA). In dem Schreiben des Jugendamtes vom 30.3.2004 wird festgestellt, dass X in den letzten drei Monaten eine positive Entwicklung genommen habe. Er lasse sich auf seine Lebensgruppe ein und fühle sich grundsätzlich dort wohl. Seine Leistungen und sein Verhalten in der Schule habe er verbessert. Seine Freizeit verbringe er gern mit sportlichen Aktivitäten. An seinem Problem des Übergewichts habe er erfolgreich unter ärztlicher Aufsicht gearbeitet, er habe 5 kg seit Januar 2004 abgenommen. Weiter wird festgestellt, dass X jetzt mit seiner Mutter respektvoller umgehe. Andererseits benötige X weiterhin Druck und Kontrolle, um diesen positiven Weg fortsetzen zu können. Sollte X diese Entwicklung festigen und die Antragstellerin ihr Erziehungsverhalten gegenüber X stabilisieren, könne mittelfristig an einer Rückführung zur Mutter gearbeitet werden. Dagegen könne eine Übersiedlung Xs zum Vater nicht als förderlich bezeichnet werden. Diese Einschätzung deckt sich - wie bereits ausgeführt - mit den wohl begründeten, aufgrund wissenschaftlich anerkannter Methoden erzielten Feststellungen des Sachverständigen, wonach der Antragsgegner allein als Verantwortlicher für den Alltag des Kindes bestimmt nicht in Frage komme. Die Antragstellerin komme gegenwärtig für die Übernahme der Alltagsverantwortung ebenfalls nicht in Frage. Dies sei ihre eigene Einsicht und auch die schon mit genügender Klarheit dokumentierte Einschätzung des Jugendamtes.

Für die nächste Zukunft ist es daher nach Überzeugung des Senates aufgrund der Sachverständigenfeststellungen die beste Lösung, dass X entsprechend dem Wunsch seiner Mutter weiter in der Vollpflegegruppe im Heim bleibt. Hier hat er sich gut eingelebt, eine gewisse Stabilisierung erfahren und hat dort auch gute Sozialkontakte entwickelt. Hier muss er zunächst einmal zur Ruhe kommen. Andererseits darf eine spätere andere Lösung nicht ausgeschlossen bleiben. Hierfür ist es nach Überzeugung des Senates erforderlich, dass die Eltern-Kind-Beziehungen durch umfangreiche Umgangskontakte verfestigt werden. X muss das Verhältnis zu seinen Eltern abklären und lernen ihnen, insbesondere der Mutter, Respekt entgegenzubringen. Andererseits müssen die Eltern, hier insbesondere auch die Antragstellerin, lernen, mit Xs Eigenheiten umzugehen. Der Vater muss lernen, X die Einsicht zu vermitteln, dass es für sein Wohl zur Zeit das Beste ist, seine positive Persönlichkeitsentwicklung im Heim zu festigen. Dies bedeutet für alle Seiten einen gewissen Entwicklungsprozess, der nur durch die hier gefundene Lösung mit Aussicht auf Erfolg bewirkt werden kann.

Zu Unrecht rügt daher die Beschwerde, das Amtsgericht habe dem Willen des Kindes zu wenig Bedeutung beigemessen. Der bekundeten Willensäußerung eines Kindes im Rahmen einer Sorgerechtsentscheidung kann nicht ohne weiteres allein ausschlaggebende Bedeutung beigemessen werden, wenn auch bei zunehmendem Alter des Kindes dessen Willen, hier also der Aufenthalt im väterlichen oder mütterlichen Haushalt, bedacht werden muss. Indes hat sich das Amtsgericht über die Willensbekundungen von X nicht ohne tragende Begründung hinweggesetzt, sondern die Äußerungen des Kindes im Rahmen der Einzelfallabwägung mit herangezogen und zutreffend entschieden, dass die Befolgung des Kindeswillen dessen Wohl nicht am Besten entspricht.

Nach Auffassung des Senates ist X nicht nochmals gem. § 50 b Abs. 1 FGG zu hören. Sowohl der Familienrichter wie auch der Sachverständige haben X angehört. Dem Senat liegen keine Erkenntnisse vor, dass eine nochmalige Anhörung des Kindes Neues erbringen könnte. Dies gilt auch in Ansehung der letzten beiden Briefe Xs ( Blatt 163 f., 168 f. GA ) an den Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners, die zu den Akten gereicht worden sind und auf die der Senat weiter oben bereits eingegangen ist. Mit dem Familienrichter und dem Sachverständigen geht der Senat davon aus, dass die Äußerungen des Kindes seinem tatsächlichen momentanen Willen entsprechen. Die Befolgung des Kindeswillens entspricht aber - wie oben aufgezeigt - nicht seinem Wohl am Besten. Das steht zur Überzeugung des Senates fest und bedarf daher keiner weiteren Anhörung.

Auch aus dem sogenannten Förderungsprinzip ergibt sich kein entscheidender Aspekt zugunsten der Übertragung des Sorgerechts auf den Antragsgegner. Derzeit sind nach den oben getroffenen Feststellungen beide Elternteile mit er Erziehung des Kindes allein überfordert. Sie bedürfen der eingehenden Unterstützung Dritter, die zur Zeit nur das Heim gewähren kann. Dies sieht die Mutter des Kindes, die Antragstellerin, ein, während sich der Antragsgegner mit allen Mitteln dagegen wehrt. Seine Einsichtsfähigkeit ist insoweit erheblich eingeschränkt. Auch dies ergibt sich aus der oben dargestellten Persönlichkeitsanalyse des Antragsgegners durch den Senat.

Auch die weitergehenden Rügen des Antragsgegners im Beschwerdeverfahren sind nicht stichhaltig. Zu Unrecht meint der Antragsgegner, der Gutachter habe nicht die Frage geklärt, welcher Verfahrensbeteiligte die elterliche Sorge ausüben solle. Dadurch, dass der Sachverständige eindeutig zum Ausdruck gebracht hat, dass es nach der derzeitigen Sachlage dem Wohle des Kindes am Besten entspricht, wenn es im Heim untergebracht ist und zwar in der bisherigen Form, ergibt sich eindeutig, dass es beim alleinigen Sorgerecht der Antragstellerin verbleiben muss. Denn nur sie gewährleistet aufgrund ihrer Einsichtsfähigkeit die weitere Heimunterbringung Xs auch für die Zukunft. Sollte sich hier ein unbegründeter Sinneswandel ergeben, müsste der Sachverhalt neu beurteilt werden.

Wenn der Antragsgegner mit der Beschwerde vorbringt, dass allein schon wegen Xs Alters von 14 Jahren auf dessen Willen entscheidend abzustellen ist, so kann auf das oben Gesagte verwiesen werden. Die vom Sachverständigen getroffenen Feststellungen ergeben eindeutig, dass vorliegend der Kindeswille gerade nicht entscheidend sein kann, weil die Befolgung dieses Willens seine gedeihliche seelisch-geistige Entwicklung gefährden würde. Das ist keine reine Vermutung des Sachverständigen oder des Gerichts sondern eine Tatsache. Diese wird durch Xs bisheriges Lebensschicksal eindeutig gestützt.

Dem Antragsgegner ist zuzugeben, das die Unterbringung eines Kindes in der eigenen Familie grundsätzlich als die beste Möglichkeit erscheint. Hiervon sind aber Ausnahmen sicherlich möglich. Eine solche Ausnahme ist hier gegeben, wie sich aus dem oben Gesagten ergibt. Insoweit kommt es auch nicht entscheidend auf eine mögliche Erziehungsfähigkeit von Frau M an. Ob die Beziehung zwischen dem Antragsgegner und Frau M sich verfestigen wird, ist keinesfalls sicher. Die jetzige Beziehung gewährleistet auch in keiner Weise eine konsequente Erziehung von X. Frau M hat selbst drei eigene Kinder zu versorgen. Bei der Alltagsbetreuung ist der Antragsgegner keine große Hilfe, wie der Sachverständige aufgrund seiner eingehenden Untersuchungen selbst festgestellt hat. Gegen diese Feststellungen hat sich der Antragsgegner auch nicht im einzelnen gewehrt. Konflikte in einer solchen Beziehung erscheinen fast unvermeidbar. Dies gilt insbesondere dann, wenn man die derzeitige Persönlichkeitsstruktur von X mit einbezieht. Bei X sind deutliche Verhaltensauffälligkeiten gegeben. Hiermit gilt es sich auseinander zu setzen. Dies bietet Konfliktstoff, auch wenn der Antragsgegner dies nicht wahr haben will.

Der Senat kann dem Antragsgegner auch nicht darin folgen, dass die Heimunterbringung notwendigerweise verhindere, dass X lerne, in einer Familie zu leben. Vielmehr wird es Sache der Eltern sein, durch häufigen Umgang mit X deutlich zu machen, dass sie an seiner Entwicklung interessiert sind und eine Verfestigung der Eltern-Kind-Beziehung erstrebt wird mit dem Ziel, dass X in absehbarer Zeit mit einem seiner beiden Elternteile zusammen leben kann. Hierfür gilt es, zusammen mit dem Kinderheim die Voraussetzungen zu erarbeiten. Hieran sollte der Antragsgegner mitarbeiten, anstatt die Erkenntnisse aus dem Gutachten einfach zu negieren und möglicherweise gar den derzeit nicht erfüllbaren Wunsch, jetzt schon bei ihm zu leben, zu fördern. Die Kindeseltern müssen die Notwendigkeit entdecken, zum Wohle ihres Sohnes die entsprechenden Einsichten bei ihm zu wecken.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Beschwerdewert: 900,-- €

Ende der Entscheidung

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