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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 30.09.2003
Aktenzeichen: 4 UF 158/03
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 520 Abs. 1
ZPO § 520 Abs. 3 Satz 1
ZPO § 520 Abs. 3 Satz 2
ZPO § 621 e
ZPO § 621 e Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 621 e Abs. 3
BGB § 1666
BGB § 1666 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
4 UF 158/03

OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

In der Sorgerechtssache

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln als Familiensenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Schrübbers sowie die Richter am Oberlandesgericht Pamp und Blank

am 30. September 2003

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin vom 23.07.2003 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Rheinbach vom 14. Juli 2003 - 18 F 45/02 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragsgegnerin.

Gründe:

Das von der Antragsgegnerin eingelegte "zulässige Rechtsmittel" ist die befristete Beschwerde gemäss §§ 621 e, 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Die befristete Beschwerde ist zulässig, insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden (§ 621 e Abs. 1, 3 ZPO). Zwar hat die Antragsgegnerin das Rechtsmittel an das Amtsgericht Rheinbach gerichtet (vgl. Bl. 217 GA). Dieses war für die befristete Beschwerde nicht der richtige Adressat. Allerdings ist die Akte mit der unterzeichneten Rechtsmittelschrift beim zuständigen Oberlandesgericht am 1. August 2003 und damit noch rechtzeitig innerhalb der für die befristete Beschwerde geltenden Beschwerdefrist eingegangen, da der angefochtene Beschluss der Antragsgegnerin am 22.07.2003 zu Händen ihres Verfahrensbevollmächtigten zugestellt worden ist (vgl. Bl. 213 GA).

Die Berufungsbegründung entspricht auch noch den Anforderungen der §§ 621 e Abs. 3, 520 Abs. 1 und 3 Satz 1 ZPO. Da für die befristete Beschwerde § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO nicht gilt, sind die für das Berufungsverfahren einschlägigen Bestimmungen über den notwendigen Inhalt einer Berufungsschrift auf das Verfahren der befristeten Beschwerde nur bedingt anwendbar. Die knappe Form der Beschwerdebegründung lässt noch die von der Antragsgegnerin geltend gemachte Beschwer erkennen. Für die Zulässigkeit der befristeten Beschwerde erscheint es ausreichend, dass die Antragsgegnerin mit der Beschwerde die Verletzung des Rechts dahin rügt, dass das Familiengericht die Voraussetzungen des § 1666 BGB zu Unrecht angenommen hat und dies knapp mit der Einsichtsfähigkeit der Antragsgegnerin in ihre Krankheit begründet hat. Ob diese Begründung in der gewählt knappen Form in sich schlüssig und ausreichend nachgewiesen ist, ist Frage der Begründetheit der Beschwerde und nicht ihrer Zulässigkeit.

Die zulässige befristete Beschwerde hat aber in der Sache keinen Erfolg. Das Familiengericht hat zu Recht der Antragsgegnerin die elterliche Sorge für ihren Sohn J. I. entzogen und die Vormundschaft des Kreisjugendamtes des Rhein-Sieg-Kreises angeordnet.

Die Maßnahme ist jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt erforderlich, um eine Gefährdung des körperlichen, geistigen und seelischen Wohls des Kindes abzuwenden. Eine Gefährdung des Kindeswohls liegt dann vor, wenn die begründete Besorgnis besteht, dass bei Nichteingreifen des Gerichts das Wohl des Kindes beeinträchtigt wird oder eine gegenwärtige, in einem solchen Maße vorhandene Gefahr besteht, dass sich bei der weiteren Entwicklung des Kindes eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt. Dabei entsteht die begründete Besorgnis in aller Regel aus Vorfällen in der Vergangenheit. Aufgrund des gesamten Verhaltens des Sorgeberechtigten muss Anlass zur Besorgnis bestehen. Die zu besorgende erhebliche Schädigung, die mit ziemlicher Sicherheit vorauszusehen sein muss, macht es erforderlich, in dem konkreten Fall das Kindeswohl zu definieren (vgl. Palandt-Diederichsen, BGB 62. Aufl. 2002, § 1666 Rn. 16 - 18 m. w. N.), und zwar unter Beachtung des Zwecks der Reglung des § 1666 BGB. Entsprechend dem Inhalt der elterlichen Sorge enthält die Vorschrift die Konkretisierung des staatlichen Wächteramtes von Artikel 6 Abs. 2 Satz 2 GG und die Ermächtigung für staatliche Eingriffe in die Personen- und Vermögenssorge der Eltern im Interesse eines möglichst effektiven Schutzes des Kindes. Dabei ist eine verfassungskonforme Auslegung dieser Norm geboten. In den Kern der Personensorge darf entsprechend den Regelungen in § 1666 BGB unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Kinder auch bei unverschuldetem Versagen der Eltern von der Familie getrennt werden können, nur bei striktester Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingegriffen werden. Es gehört nicht zum staatlichen Wächteramt, für eine den Fähigkeiten des Kindes best mögliche Förderung zu sorgen; vielmehr gehören die Eltern und deren sozioökonomischen Verhältnisse grundsätzlich zum Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes (vgl. Palandt-Diedrichsen, a. a. O. Rn. 1, 18).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Senat zu der Auffassung gekommen, dass eine Gefährdung des Kindeswohles vorliegt. Dies ergibt sich aufgrund des auch für den Senat überzeugenden familienpsychologischen Gutachtens der Sachverständigen Frau Diplom-Psychologin A vom 31.12.2002 (Bl. 75 ff. GA) und ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 10.04.2003 (Bl. 173 f. GA). Das seelische Wohl von J. I. ist wegen eines krankheitsbedingten teilweisen Erziehungsunvermögens der Kindesmutter gefährdet. Unbestritten leidet die Kindesmutter an einer schweren Depression und einer diagnostizierten Persönlichkeitsstörung. Dies äußerte sich für die Vergangenheit im Wesentlichen in Antriebsarmut, rasch wechselnden und wenig zu steuernden Emotionen und Stimmungsschwankungen mit hysterischen Anteilen sowie in inneren Spannungszuständen. Dies hat dazu geführt, wie der Sachverständige auch für den Senat überzeugend ausführt, dass J. I. die Krankheit der Mutter als emotionale Instabilität und als ein unberechenbares, von verbaler und teils auch körperlicher Gewalt geprägtes Verhalten erlebt hat. In der Vergangenheit war Folge der Krankheit der Antragsgegnerin, was auch unbestritten geblieben ist, dass in Phasen, in denen es der Kindesmutter schlecht ging und sie sich mit ihrer Mutterrolle überfordert fühlte, die Antragsgegnerin dazu neigte, ihre Emotionen gegenüber ihrem Sohn nicht genug zu kontrollieren und sich daher ungerecht und verletzend ihm gegenüber verhielt. Dies hat auch bereits zu vom Sachverständigen festgestellten Schäden bei J. I. geführt. Es ist zu einer erheblichen emotionalen Verunsicherung des Kindes gekommen, die sich bereits in Verhaltensauffälligkeiten zeigt. Trotz guter intellektueller Entwicklung hat J. I. starke Konzentrationsschwierigkeiten, eine niedrige Frustrationstoleranz und Probleme, Emotionen angemessen zu verarbeiten.

Dies alles bestreitet die Antragsgegnerin für die Vergangenheit nicht. Sie bringt mit ihrer Beschwerdeschrift allerdings vor, dass die sachverständigerseits getroffenen Feststellungen für die Zukunft nicht mehr gelten würden. Durch ihren Verfahrensbevollmächtigten lässt sie in der Beschwerdebegründung (Bl. 217, 218 GA) im Wesentlichen vortragen, dass sie glaubhaft gemacht habe, dass sie nunmehr mit offenen Augen ihre Krankheit betrachte. Von einer Vernachlässigung des Kindes könne keine Rede mehr sein. Sie sei durchaus in der Lage, ihren Sohn vor Gefahren zu bewahren. Diese Angaben werden jedoch in keiner Weise konkret belegt. Auch der Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 26.08.2003 bringt trotz des zwischenzeitlich ergangenen Senatsbeschlusses vom 25.08.2003, in welchem die Ansicht des Senates zur Erfolgsaussicht der Beschwerde dargelegt worden ist (vgl. Bl. 256 - 258 GA), keine neuen Erkenntnisse. Es wird lediglich wiederholt, dass sich die Antragsgegnerin nunmehr zu ihrer Krankheit bekennt und sich in therapeutischer Behandlung befinde. Sie nehme regelmäßig die ihr verschriebenen Medikamente, so dass sie in der Lage sei, ihr uneheliches Kind ordnungsgemäß zu versorgen (Bl. 267 GA).

Diese Einlassung der Antragsgegnerin ist nicht geeignet, die Gefahren, die das Familiengericht für das Kindeswohl gesehen hat, mit der Folge zu entkräften, dass die elterliche Sorge bei der Kindesmutter verbleiben könne. Daran ändert auch nichts, dass der Verfahrenspfleger des Kindes ein Belassen des Kindes bei der Kindesmutter befürwortet. Auch der Verfahrenspfleger wiederholt völlig unkritisch den Vortrag der Antragstellerin, dass die krankheitsbedingten Gründe zur Aufhebung des Sorgerechtes der Antragsgegnerin nicht mehr bestünden, da diese im Anhörungstermin glaubhaft versichert habe, inzwischen krankheitseinsichtig geworden zu sein und sich sachgerecht behandeln zu lassen. Dies allein rechtfertigt noch nicht die Annahme, dass sich die erhebliche Gefährdung des Kindeswohles, die in der Vergangenheit jedenfalls bestanden hat, dermaßen reduziert hat, dass eine andere als die amtsgerichtliche Entscheidung vertretbar erscheint. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Sachverständigen, die in sich für den Senat schlüssig und naheliegend sind, eine Therapie nicht sofort greift, sondern eine gewisse Behandlungsdauer erfordert, um einen Behandlungserfolg zu zeitigen. Da die Antragsgegnerin hierzu nichts weiter äußert, muss davon ausgegangen werden, dass die in der Vergangenheit bestehende seelische Gefährdung von J. I. weiter fortbesteht mit der Folge, dass das Sorgerecht nicht bei der Mutter verbleiben kann.

Erhebliche Zweifel an der Einsichtsfähigkeit der Antragsgegnerin zeigen sich auch darin, dass diese nicht bereit ist, mit dem Jugendamt zusammen zu arbeiten. Vielmehr entzieht sie sich selbst der Mitarbeit mit dem Jugendamt und verbirgt ihren Sohn vor diesem. Gemeinsam mit ihrer eigenen Mutter hat sie sich weitgehend isoliert und scheint nach Überzeugung des Senates gerade nicht in der Lage, im Interesse des Kindeswohles dahingehend zu handeln, dass dieser endlich einen ruhenden Lebensmittelpunkt findet.

Erst wenn tatsächlich feststeht, dass sich die Kindesmutter über längere Zeit in therapeutische Behandlung begibt und die krankheitsbedingten Erziehungsdefizite weitgehend behoben sind, kann es eventuell gewagt werden, die elterliche Sorge auf die Kindesmutter wieder zurückzuübertragen.

Liegt aber aufgrund der manifestierten Verhaltensauffälligkeit der Antragsgegnerin ein Sorgerechtsmissbrauch vor und kann derzeit nicht erwartet werden, dass sich die krankheitsbedingte Erziehungsunfähigkeit der Antragsgegnerin in naher Zukunft wandelt, sieht der Senat das einzige Mittel, um der Gefahr zu begegnen, darin, der Antragsgegnerin das Sorgerecht zu entziehen und die Vormundschaft des Kreisjugendamtes anzuordnen.

Aus dem gesamten Verhalten der Antragsgegnerin ist ersichtlich, dass sie derzeit nicht einsichtsfähig ist zu erkennen, was für das Wohl ihres Kindes am besten ist. Dabei spielt es keine Rolle, dass diese Einsichtsunfähigkeit möglicherweise unverschuldet ist.

Die vom Familiengericht vorgenommene Entziehung des Sorgerechts ist verhältnismäßig. § 1666 Abs. 2 BGB räumt dem Gericht hinsichtlich der zu treffenden Maßnahme ein Auswahlermessen ein (vgl. Bayrisches ObLG FamRZ 1999, 318, 320). Unter Würdigung der gesamten dargelegten Umstände kann der erwähnten Gefahr mit hinreichender Sicherheit derzeit nur durch eine Trennung des Kindes von der Antragsgegnerin begegnet werden. Eine teilweise Entziehung der elterlichen Sorge ist im Hinblick auf das Krankheitsbild der Antragsgegnerin nicht ausreichend. Zu beachten wird allerdings sein, dass der Kontakt zwischen der Antragsgegnerin und ihrem Sohn in möglichst großem Umfang aufrecht erhalten bleibt, damit eine Entfremdung zwischen Mutter und Kind möglichst nicht eintritt. Sobald nämlich sicher feststeht, dass sich der Gesundheitszustand der Kindesmutter stabilisiert haben wird, sieht der Senat derzeit jedenfalls keine konkreten Anhaltspunkte dafür, der Kindesmutter weiterhin das Sorgerecht zu entziehen.

Andererseits wird die Antragsgegnerin ein großzügiges Umgangsrecht aber nicht dahin ausnutzen dürfen, um den Sohn gegen das Jugendamt oder andere mit seiner Erziehung befasste Personen negativ einzunehmen oder gar das Kind dem Zugriff mit seiner Erziehung befasster Dritter zu entziehen. Für diesen Fall müsste die Antragsgegnerin mit einer weitgehenden Einschränkung des Umgangsrechtes rechnen. Dies würde weder in ihrem noch im Kindesinteresse liegen.

Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass nach der derzeitigen Sachlage die familiengerichtliche Entscheidung zu Recht getroffen ist, mit der Folge, dass die Beschwerde der Antragsgegnerin zurückzuweisen war.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 13 a Abs. 1 Satz 2 FGG.

Beschwerdewert: 3.000,00 € (§ 30 Abs. 3, Abs. 2 KostO).

Ende der Entscheidung

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