Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 18.01.2006
Aktenzeichen: 4 UF 209/04
Rechtsgebiete: BGB, GG


Vorschriften:

BGB § 1671 Abs. 2 Nr. 2
GG Art. 2
GG Art. 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

4 UF 209/04

In der Familiensache

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln als Familiensenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Schrübbers sowie die Richterin am Oberlandesgericht Bourmer-Schwellenbach und den Richter am Oberlandesgericht Blank

am 18. Januar 2006

beschlossen:

Tenor:

I.

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin (Kindesmutter) wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Brühl vom 22. September 2004 - 32 F 26/03 - abgeändert.

Der Antragsgegnerin wird das alleinige Personensorgerecht über das gemeinsame Kind der Beteiligten zu 1. und 2., E L, geb. am 03.03.1997, übertragen.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den vorgenannten Beschluss des Familiengerichts Brühl wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller. Im Übrigen verbleibt es für die erste Instanz bei der Kostenentscheidung des Familiengerichts in dem angegriffenen Beschluss.

II.

Der Antragsgegnerin wird zur Durchführung des eigenen Beschwerdeverfahrens wie auch zur Abwehr der Beschwerde des Antragstellers ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin M bewilligt.

Gründe:

I.

Die gemäß §§ 621 Abs. 1 Nr. 1, 621 e ZPO zulässige - insbesondere frist- und formgerecht eingelegte - befristete Beschwerde der Antragsgegnerin hat in der Sache Erfolg. Dagegen musste die zulässige befristete Beschwerde des Antragstellers erfolglos bleiben. Gemäß § 1671 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 war das Personensorgerecht auf die Kindesmutter zu übertragen.

Nach der Trennung der Kindeseltern entspricht dies dem Wohl des gemeinsamen Kindes E am Besten. Dem steht nicht entgegen, dass sich die Kindesmutter gemeinsam mit ihrem und des Antragstellers Sohn E wieder in ihrer Heimat in der Slowakei aufhält und dort verbleiben will.

Insbesondere verletzt die getroffene Entscheidung den Antragsteller in seinen Grundrechten aus Art. 6 GG nicht in unzumutbarer Weise.

Art. 6 Abs. 2 GG schützt die Eltern-Kind-Beziehung und sichert den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Dieses Freiheitsrecht dient in erster Linie dem Kindeswohl, das zugleich oberste Richtschnur für die Ausübung der Elternverantwortung ist. Allerdings bedarf das Elternrecht, das den Eltern gemeinsam zusteht, insbesondere auch für den Fall, dass die Eltern sich bei der Ausübung ihres Rechts nicht einigen können, der gesetzlichen Ausgestaltung. Dem dient § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB, der bestimmt, dass einem Elternteil auf Antrag die elterliche Sorge allein zu übertragen ist, wenn zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den einen Elternteil dem Wohl des Kindes am Besten entspricht (so BVerfG FamRZ 2003, 1731 m.w.N.).

Ein Regelungsbedürfnis ergibt sich ohne Weiteres aus dem Streit der Kindeseltern, ob das Kind in Deutschland beim Vater zu verbleiben hat oder ob es der Kindesmutter erlaubt ist, zusammen mit ihrem Sohn E in ihrer Heimat in der Slowakei zu leben. Diesbezüglich fehlt es den Kindeseltern an einem Mindestmaß an Übereinstimmung bzw. Kooperationsbereitschaft, das es gestatten würde, den Eltern ein gemeinsames Elternsorgerecht einzuräumen. Allein hieraus folgt schon, dass es nicht bei der familiengerichtlichen Entscheidung, den Kindeseltern das gemeinsame Sorgerecht zu belassen, verbleiben kann. Zudem haben sich die Parteien mittlerweile so weit auseinandergelebt, dass die Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge dem Kindeswohl entgegenstünde. Die gegebene Sachlage - insbesondere auch im Hinblick auf die relativ weite Entfernung zwischen den jeweiligen Wohnorten der Kindeseltern - gebietet es, das elterliche Personensorgerecht einem der beiden Kindeseltern alleine zu übertragen. Insofern erscheint es dem Senat wenig praktikabel, der Kindesmutter nur das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen und es im Übrigen bei der gemeinsamen elterlichen Sorge zu belassen.

Es ist allerdings umstritten, inwieweit es dem sorgeberechtigten Elternteil oder demjenigen, dem die Personensorge übertragen werden soll, gestattet ist, zusammen mit dem gemeinsamen Kind in sein Heimatland umzuziehen mit der Folge der dadurch bedingten tatsächlichen Beeinträchtigung des Umgangsrechtes des anderen Elternteils. Nach der weitest gehenden Auffassung wird die Befugnis des Personensorgeberechtigten bzw. des Elternteils, dem die Sorgeberechtigung übertragen werden soll, den Aufenthalt des Kindes zu bestimmen, durch das Umgangsrecht des anderen Elternteils grundsätzlich nicht beeinträchtigt. Nach einer vermittelnden Auffassung bedarf es der Gewichtung der Sorgerechtseignung des Elternteils und einer Abwägung der Gründe, Deutschland zu verlassen. Bei deutlich besserer Eignung des Elternteils, der ins Ausland ziehen will, müsse - so diese Auffassung - das Umgangsrecht als das "schwächere Recht" zurücktreten. Schließlich wird auch die Auffassung vertreten, dass der Umzug ins Ausland mit dem Kind im Zweifelsfall zu unterbleiben habe. Hier gerieten Umgangs- und Sorgerecht in ein Konfliktverhältnis. Die Vermutung des § 1626 Abs. 3 Satz 1 BGB spreche für die Kindeswohlschädlichkeit eines solchen Vorhabens, wenn die Ausübung des Umgangsrechtes auf Seiten des anderen Elternteils hierdurch wesentlich erschwert oder ganz vereitelt werde (vgl. zum Meinungsstreit OLG Zweibrücken NJW-RR 2004, 1588 m.w.N.).

Im Hinblick auf die vorzitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes ist der vermittelnden Auffassung zu folgen. Der Sorgeberechtigte genießt Freizügigkeit, die aber im Hinblick auf das Kindeswohl pflichtgebunden ist. Die entscheidende Frage ist, ob die Umsiedlung ins Ausland wichtige Kindesinteressen gefährdet, wobei der Kontinuität der Hauptbezugsperson die Diskontinuität der übrigen Lebensumstände gegenüber steht. Die persönliche Beziehung des Kindes zum Sorgeberechtigten ist in aller Regel so wichtig, dass die Entscheidung, wem der streitenden Elternteile das Sorgerecht zu übertragen ist, davon abhängt, ob das Verhältnis des Kindes zum in Deutschland verbleibenden Elternteil intakt ist und die Kindesinteressen durch den Umzug ins Ausland erheblich gefährdet werden. In die Kindeswohlabwägung ist auch der Umstand einzubeziehen, dass durch den Wegzug der Umgang mit dem nicht (mehr) sorgeberechtigten Elternteil sowie den weiteren wichtigen Bezugspersonen des Kindes erschwert wird. Zwar ist dies nur ein Gesichtspunkt unter anderen, jedoch hat er im Hinblick auf § 1626 Abs. 3 BGB besondere Bedeutung erlangt. Man wird verlangen müssen, dass der Sorgerechtsinhaber für seinen Wegzug triftige Gründe hat, die schwerer wiegen als das Umgangsinteresse von Kind und anderem Elternteil. Bei ausländischen Kindern oder solchen aus gemischt-nationalen Beziehungen, welche sich hier noch nicht (vollständig) integriert haben, kann eine Rückkehr des Personensorgeberechtigten in den heimischen Kulturkreis zusammen mit dem Kind eher dessen Wohl entsprechen, auch wenn dadurch der Kontakt zum anderen Elternteil sich lockert oder verloren zu gehen droht. Keinesfalls darf der Sorgeberechtigte bloß deshalb ins Ausland gehen, um das Umgangsrecht des anderen Elternteils zu vereiteln (so OLG Zweibrücken a.a.O. mit Hinweis auf Schwab-Motzer, HdB. des ScheidungsR, 4. Aufl., Kapitel III Rdnr. 237).

So erscheint vorliegend die Einschränkung des Elternrechts des Antragstellers gerechtfertigt. Dem Elternrecht des Antragstellers aus Art. 6 GG steht das Recht der Antragsgegnerin auf örtlich freizügige Lebensgestaltung und Freizügigkeit aus Art. 2 GG entgegen, das anderenfalls in unangemessener Weise tangiert würde. Das verfassungsrechtliche Prinzip der praktischen Konkordanz gebietet es, die Grundrechte beider Elternteile zu optimaler Wirksamkeit gelangen zu lassen und so einander zuzuordnen, dass jedes von ihnen weitestgehend Wirksamkeit erlangt. Das in Art. 6 Abs. 2 GG verbriefte Elternrecht des Antragstellers hat danach vorliegend hinter das persönliche Freiheitsrecht der Antragsgegnerin nach Art. 2 Abs. 1 GG zurückzutreten. Bei der Abwägung der Elterninteressen war zu berücksichtigen, dass Umgangskontakte zwischen Vater und Sohn auch nach dessen Übersiedlung in die Slowakei keineswegs ausgeschlossen sind ( vgl. OLG Zweibrücken a.a.O., 1590 ).

Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Antragsgegnerin ihr Grundrecht aus Art. 2 GG dazu missbraucht, um E dem Kindesvater vollständig zu entziehen. Die Antragsgegnerin hat durchaus beachtenswerte Gründe vorgetragen, die es rechtfertigen, dass sie wieder in ihre Heimat zurückzieht. Hier bestehen ihre sozialen Bindungen, in die E mit einbezogen ist. Dagegen hatte sie in Deutschland offenbar noch keine tiefgehende Verwurzelung erreicht. Gerade auch das Verhalten der Antragsgegnerin bis Januar 2003 zeigt, dass sie durchaus gewillt war, den Umgang zwischen E und dem Antragsteller zu fördern.

Die Übertragung des Sorgerechts auf die Kindesmutter entspricht hier dem Wohl des Kindes schon deshalb am Besten, weil dadurch einmal dessen stärkere gefühlsmäßige Bindung an die Antragsgegnerin als bislang betreuender Bezugsperson Rechnung getragen und insoweit Kontinuität gewahrt wird und zum Anderen der Kindeswille gebührende Beachtung findet.

Nachdem das Kind E durch Mitarbeiter des Zentrums für den internationalen Schutz der Kinder und Jugendlichen in Bratislawa am 16.11.2005 angehört worden ist ( wegen der näheren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Sozialberichts vom 16.11.2005, Blatt 269 ff GA, verwiesen ), steht aufgrund des Ergebnisses der Anhörung zur Überzeugung des Gerichtes fest, dass die gefühlsmäßigen Bindungen des Kindes in stärkerem Maße gegenüber der Antragsgegnerin als dem Antragsgegner bestehen. E lebt seit der Trennung der Eltern im Jahre 2002 mit einer kurzen Unterbrechung bei der Kindesmutter in I. Er hat sich hier weitgehend eingelebt und besucht eine slowakische Schule. E findet in der Slowakei in einem größeren Familienverband Geborgenheit und wird über gute familiäre Kontakte verfügen. Darüber hinaus ist - wie sich aus dem Vortrag der Beteiligten ergibt - auch weiterhin ein Kontakt zwischen E und seinen Großeltern väterlicherseits gegeben. Dagegen besteht der Kontakt zum Kindesvater derzeit nur sporadisch und beschränkt sich auf telefonische Kontakte. Damit steht aber objektiv fest, dass die gefühlsmäßigen Bindungen des Sohnes E ganz eindeutig stärker zur Kindesmutter hin tendieren als zum Kindesvater. Es kann sogar festgestellt werden, dass aufgrund der bisherigen Entwicklung E eine gewisse ängstliche Haltung gegenüber seinem Vater einnimmt. Das mag durch die letzte Begegnung mit dem Antragsteller im Januar 2003 begründet sein. Bis dahin hatten sich, so der unwidersprochene Vortrag der Kindesmutter, die Kindeseltern dahin geeinigt, dass E sich bei der Kindesmutter in der Slowakei aufhalten sollte und regelmäßige Umgangs- und Besuchskontakte des Antragstellers zu E bestehen sollten. Anlässlich eines solchen Besuches beim Kindesvater im Januar 2003 verweigerte der Antragsteller dann die Herausgabe von E an die Kindesmutter. Ausweislich der Kindesanhörung vom 16.11.2005 (vgl. Blatt 269-271 GA) hat dies E so empfunden, als ob er eingesperrt worden sei. Auch damals bestand bereits eine so enge Beziehung zur Antragsgegnerin, dass E wünschte, mit der Mutter gemeinsam wieder in die Slowakei zurückzukehren.

In der Slowakei bei der Mutter zu leben, entspricht im Übrigen auch heute dem Kindeswillen. E wird Anfang März dieses Jahres 9 Jahre alt. Im Hinblick auf das Alter kommt dem Kindeswillen schon erhebliches Gewicht zu.

Bei einer am Kindeswohl orientierten Entscheidung hat das Gericht neben solchen Gründen, die bereits für die getroffene Sorgerechtsentscheidung sprechen, auch den geäußerten Kindeswillen entscheidend mit zu berücksichtigen. Hierbei sind der Wille des Kindes im Rahmen seines wohl verstandenen Interesses und die widerstreitenden Interessen der um eine Regelung nachsuchenden Elternteile gegeneinander abzuwägen. Es ist zu prüfen, ob die Einstellung des Kindes auf subjektiv beachtlichen oder verständlichen Beweggründen beruht.

Vorliegend hat der Sohn E durchaus beachtliche Gründe, bei der Mutter in der Slowakei zu verbleiben. Wie sich aus seiner Anhörung ergibt, hat er sich weitgehend in I eingelebt. Er befindet sich hier in einem intakten Umfeld. Zu den Eltern mütterlicherseits hat er gute Kontakte. Auch schulisch ist er integriert. Darüber hinaus erscheinen die sozialen Strukturen, die er hier bei der Kindesmutter vorfindet, geeignet, seine seelisch geistige Entwicklung zu fördern.

Dass die Antragsgegnerin - in welcher Weise auch immer - weniger erziehungsgeeignet wäre als der Antragsteller, ist nicht erkennbar und auch nicht konkret dargetan. Die Kontinuität der Beziehung zur Antragsgegnerin als Hauptbezugsperson überwiegt in ihrer Bedeutung die Diskontinuität der übrigen Lebensumstände, die vor allem darin besteht, dass der Kontakt zum Vater und zu den Großeltern väterlicherseits erheblich eingeschränkt ist.

Sicherlich entspräche es dem Kindeswohl noch besser, wenn auch in Zukunft ein enger (Umgangs-)Kontakt zum Kindesvater bestünde. Hierbei ist aber zunächst zu berücksichtigen, dass das Vertrauensverhältnis zum Antragsteller derzeit aus den vorgenannten Gründen gestört ist und dass eine Annäherung zwischen Vater und Sohn erst wieder allmählich erfolgen muss. Hierzu wird auch der Antragsteller seinen Teil beizutragen haben. Es darf nicht unbeachtet bleiben, dass die Situation im Januar 2003 zu einer Eskalation der Streitigkeiten zwischen den Kindeseltern, in die E mit einbezogen wurde, geführt hatte.. Erst nachdem die Antragsgegnerin befürchtete, dass der Antragsteller E bei weiteren Besuchen in Deutschland bei sich behalten könnte, verhielt sich die Kindesmutter in Umgangsfragen gegenüber dem Antragsteller restriktiv. Der Antragsteller wird daher erst wieder ein Vertrauensverhältnis auch zwischen der Kindesmutter einerseits und ihm andererseits aufzubauen haben.

Auch eine klare Sorgerechtsentscheidung wie die vorliegende kann dazu führen, dass die Befürchtungen der Antragsgegnerin und auch diejenigen von E, dass es dem Antragsteller nur darum geht, E nach Deutschland zurückzuholen, in den Hintergrund treten. Um eine Annäherung zwischen den Kindeseltern sowie Vater und Sohn möglichst bald herbeizuführen, ist das Umgangsverfahren vor dem Familiengericht nunmehr alsbald zum Abschluss zu bringen ( vgl. zur Notwendigkeit einer Umgangsregelung BVerfG a.a.O. ).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 13 a Abs. 1 Satz 1 FGG für die erste Instanz und aus § 13 a Abs. 1 Satz 2 FGG für die zweite Instanz.

II.

Der Antragsgegnerin war ratenfreie Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Sie ist bedürftig und hat mit ihrer befristeten Beschwerde Erfolg.

Der Beschwerdewert beträgt 3.000,00 € ( § 30 Abs. 3, 2 KostO ).

Ende der Entscheidung

Zurück