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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 20.12.2002
Aktenzeichen: 4 WF 153/02
Rechtsgebiete: ZSHG, ZPO


Vorschriften:

ZSHG § 1
ZPO § 606
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

4 WF 153/02

In der Familiensache

pp.

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln als Familiensenat auf die am 19. November 2002 bei Gericht eingegangene, als sofortige Beschwerde zu behandelnde Beschwerde des Antragstellers vom 18. November 2002 gegen den ihm am 6. November 2002 zugestellten Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Brühl vom 29. Oktober 2002 (35 F 313/02), durch den der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe abgelehnt worden ist,

am 20. Dezember 2002

beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.

Dem Amtsgericht wird aufgegeben, über den Prozeßkostenhilfeantrag des Antragstellers unter Beachtung der Auffassung des Beschwerdegerichts neu zu entscheiden.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet. Eine Beschwerdegebühr wird nicht erhoben.

Gründe:

Das als sofortige Beschwerde zu behandelnde Rechtsmittel ist gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2, Hs. 1 ZPO statthaft und auch im übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht (§ 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO) eingelegt worden. In der Sache selbst hat es ebenfalls zumindest vorläufigen Erfolg, weil der Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe jedenfalls nicht aus den Erwägungen, die das Amtsgericht der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegt hat, abgelehnt werden kann.

Zutreffend ist das Amtsgericht zunächst davon ausgegangen, daß die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Brühl für das Scheidungsbegehren nur unter den Voraussetzungen des § 606 ZPO gegeben sein kann. Der im Nichtabhilfebeschluß vom 19. November 2002 zum Ausdruck gebrachten weiteren Annahme des Amtsgerichts, nach den Absätzen 1 und 2 dieser Vorschrift könne ein Gerichtsstand beim Amtsgericht Brühl positiv ausgeschlossen werden, vermag der Senat indes nicht zu folgen. Zwar ist die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Brühl nach § 606 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht gegeben. Die Vorschrift kommt nur zur Anwendung, wenn beide Ehegatten ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt im Bezirk des angerufenen Gerichts haben. Davon kann jedenfalls in Bezug auf den Antragsteller, der sich nach Aktenlage seit dem 1. Februar 2001 ununterbrochen in Haft befindet und durch Urteil des Landgerichts Siegen vom 17. Juli 2002 rechtskräftig zu einer Gesamt-Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt wurde, nicht ausgegangen werden. Die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Brühl ergibt sich aber aus § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO. Danach ist, wenn es bei Eintritt der Rechtshängigkeit an einem gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt beider Ehegatten (im Inland) fehlt, das Familiengericht ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk einer der Ehegatten mit den gemeinsamen minderjährigen Kindern den gewöhnlichen Aufenthalt hat. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen hier vor, weil der gewöhnliche Aufenthalt der Antragsgegnerin, bei der die vier gemeinsamen, neun bis fünfzehn Jahre alten Kinder der Parteien leben, sich jedenfalls derzeit noch in F.-M. und damit im Bezirk des vom Antragsteller angerufenen Amtsgerichts Brühl befindet:

Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts kann nicht angenommen werden, daß - auch - die Antragsgegnerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt dort derzeit nicht mehr hat. Allerdings hält die Antragstellerin, die nach § 1 Abs. 3 ZSHG ebenfalls in die Zeugenschutzmaßnahme aufgenommen wurde, sich zur Zeit nicht im Bezirk des angerufenen Gerichts auf. Das allein rechtfertigt indes nicht die Annahme, sie habe dort keinen gewöhnlichen Aufenthalt (mehr). Nach Ansicht des Senats ist der vorliegende Fall, in dem die Antragsgegnerin lediglich wegen der Aufnahme in die Zeugenschutzmaßnahme ihren letzten Wohnort verlassen mußte, der Sache nach mit der Situation eines unfreiwilligen Aufenthaltswechsels gleichzusetzen. Für diesen ist allgemein anerkannt, daß er nicht ohne weiteres einen gewöhnlichen Aufenthalt am neuen Aufenthaltsort begründet (vgl. Zöller/Philippi, ZPO 23. Aufl. § 606 Rdn. 26). Kann oder will der Betreffende später wieder an seinen vorherigen Aufenthaltsort zurückkehren und hält er sich nicht für unabsehbar lange oder doch zumindest längere Zeit (vgl. Zöller/Philippi aaO: mindestens zwei Jahre) am neuen Aufenthaltsort auf, bleibt es bei der Maßgeblichkeit des früheren Aufenthaltsortes.

Ausgehend davon, daß die Aufnahme der Antragsgegnerin in die Zeugenschutzmaßnahme der Vermeidung möglicher Repressalien Dritter gegenüber der Familie des Antragstellers im Hinblick auf dessen für Ende 2002 vorgesehene Zeugenaussage in einem laufenden Strafverfahren aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität dient, also nur vorübergehend angelegt scheint, ist nach Lage der Dinge nicht davon auszugehen, daß die Antragstellerin für unabsehbar lange Zeit oder doch jedenfalls für einen längeren Zeitraum des im Schrifttum für beachtlich gehaltenen Umfangs an ihrem derzeitigen - geheimen - Aufenthaltsort verbleiben wird und nach Abschluß der Maßnahme die Rückkehr an den früheren Aufenthaltsort von vornherein ausgeschlossen ist.

Bei dieser Auslegung des § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO läßt der Senat sich auch von der Erwägung leiten, daß die Regelungen des § 606 ZPO dem scheidungswilligen Ehegatten grundsätzlich in jedem Fall die Einleitung des Scheidungsverfahrens vor einem deutschen Gericht ermöglichen sollen (vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 1999, 1085, 1086 m. weit. Nachw.) und das schutzwürdige Interesse beider Parteien an der Geheimhaltung ihrer derzeitigen Anschrift auch im Zivilprozeß angemessen Berücksichtigung finden muß. Das gilt um so mehr, als ein anderweitiger Gerichtsstand für das Scheidungsbegehren hier nicht ersichtlich ist. Insbesondere kommt weder die Zuständigkeit des Amtsgerichts C. - T. nach § 606 Abs. 3 ZPO noch die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts am Sitz der für die Parteien zuständigen Zeugenschutzdienststelle, also des Amtsgerichts S., in Betracht. Das Amtsgericht C. - T. ist nach der Rangfolge der Zuständigkeiten in § 606 ZPO lediglich in letzter Linie und nur dann zuständig, wenn - was vorliegend nicht der Fall ist - die Parteien im Inland niemals zusammen gelebt haben und wenn auch keiner der Gatten im Inland lebt (vgl. Zöller/Philippi aaO Rdn. 36). Die Zuständigkeit des Amtsgerichts S. schließlich ist nicht gegeben, weil allein der Berechtigung beider Parteien, gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 ZSHG an Stelle ihres (wahren) Wohn- und Aufenthaltsortes die zuständige Zeugenschutzdienststelle zu benennen, nicht die Bedeutung beigemessen werden kann, daß der Sitz der Dienststelle auch tatsächlich dem Aufenthaltsort entspricht. § 10 Abs. 1 ZSHG soll die Erfüllung prozessualer Pflichten der zu schützenden Person in anderen gerichtlichen Verfahren wie etwa dem vorliegend beabsichtigten Scheidungsrechtsstreit erleichtern; die Vorschrift kann aber nicht in einem so weitgehenden Sinne verstanden werden, daß sie für den zu Schützenden einen besonderen Gerichtsstand am Sitz der Zeugenschutzdienstelle begründet. Da im übrigen nichts dafür ersichtlich ist, daß der tatsächliche - geheime - Aufenthaltsort beider Parteien sich im Bezirk des Amtsgerichts S. befindet und dieser Ort auch die weiteren Voraussetzungen des § 606 Abs. 1 Satz 1 ZPO erfüllt, scheidet die Zuständigkeit des Amtsgerichts S. auch aus diesem Grunde aus.

Das Amtsgericht hat - aus seiner Sicht zu Recht - die übrigen Voraussetzungen der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe, insbesondere auch der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers, noch nicht geprüft. Ihm war daher die weitere Sachprüfung vorzubehalten.

Der Ausspruch zu den Kosten beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO, Nr. 1956 des Kostenverzeichnisses Anlage 1 zum GKG.

Ende der Entscheidung

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