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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 21.11.2006
Aktenzeichen: 4 WF 159/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1603 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Kläger wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Brühl vom 11.8.2006 - 32 F 176/06 - abgeändert.

Den Klägern wird zur Durchführung ihrer Klage auf Zahlung von Kindesunterhalt ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin Dr. B in G bewilligt.

Gründe:

Die zulässige - insbesondere fristgerecht eingelegte - sofortige Beschwerde der Kläger (§ 127 Abs. 2 S. 2 ZPO) hat auch in der Sache Erfolg.

Die Kläger haben durch Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse glaubhaft gemacht, dass sie nicht in der Lage sind, die Kosten der Prozessführung aufzubringen.

Der beabsichtigten Klage kann auch nicht von vornherein die Erfolgsaussicht abgesprochen werden. Die minderjährigen Kläger begehren mit der beabsichtigten Unterhaltsklage von der Beklagten Zahlung von Kindesunterhalt in Höhe von 100 % des jeweiligen Regelbetrages der jeweiligen Regelbetragsverordnung abzüglich des anrechenbaren Kindergeldes. Damit machen sie lediglich gegenüber der Beklagten das Existenzminimum zur Deckung ihres Lebensbedarfes geltend.

Entgegen der Auffassung des Familiengerichts kann nicht ohne Weiteres die Leistungsfähigkeit der Beklagten verneint werden. Den Unterhaltspflichtigen - hier die Beklagte - trifft gegenüber seinen minderjährigen Kindern eine gesteigerte Unterhaltspflicht. Gemäß § 1603 Abs. 2 BGB hat er daher die Obliegenheit zur gesteigerten Ausnutzung seiner Arbeitskraft. Die gesteigerte Unterhaltspflicht nötigt den Unterhaltsverpflichteten zur Übernahme jeder ihm zumutbaren Arbeit, wobei zur Sicherung des Unterhalts minderjähriger Kinder auch Aushilfs- und Gelegenheitsarbeiten zumutbar sind und ein Orts- und Berufswechsel verlangt werden kann. Möglicherweise muss er zusätzlich zu seiner vollschichtigen Tätigkeit eine weitere Nebentätigkeit aufnehmen (so ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. zuletzt Urteil vom 26.9.2006 - 4 UF 70/06 OLG Köln = 31 F 225/05 AG Brühl -).

Für ihre fehlende bzw. eingeschränkte Leistungsfähigkeit ist die Beklagte darlegungs- und beweispflichtig. Eine verminderte Leistungsfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen ist nicht erkennbar. Im summarischen Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren kann nicht festgestellt werden, dass die Beklagte ausreichend glaubhaft gemacht hat, dass sie auch bei den von ihr zu fordernden umfassenden Bemühungen zur Suche nach einer Arbeitsstelle erfolglos geblieben wäre und daher die behauptete fehlende Leistungsfähigkeit ihr aus unterhaltsrechtlicher Sicht nicht vorwerfbar ist.

Ausreichende Bemühungen, eine neue Arbeitsstelle zu finden, sind nicht einmal ansatzweise dargelegt. Allein der Umstand, dass sich die Beklagte beim Arbeitsamt gemeldet hatte und nunmehr eine befristete Tätigkeit im Geringverdienerbereich erhalten hat, reicht für eine ausreichende Arbeitsplatzsuche nicht aus. Erwartet wird vielmehr eine intensive und konkrete Eigenbemühung. Konkrete Darlegungen dazu, was die Beklagte im Einzelnen unternommen hat und wie intensiv ihre Arbeitsplatzsuche war, sind nicht erkennbar. Ohne konkret feststellbare ausreichende Arbeitsplatzbemühungen kann auch nicht festgestellt werden, dass die Beklagte nicht vermittelbar wäre. Auch bei der auch heute noch gegebenen hohen Arbeitslosenquote kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass die Beklagte nicht vermittelbar wäre. Die Praxis beweist das Gegenteil. Der Senat weiß aus einer ganzen Reihe von Verfahren, dass selbst ungelehrte Arbeitskräfte durchaus in der Lage sind, eine Arbeitsstelle zu finden, die es ihnen ermöglicht, jedenfalls annähernd 100 % des Regelbetrages nach der Regelbetragverordnung zu zahlen.

Dabei kann auch nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass es der Beklagten als Frau unmöglich ist, eine solche Arbeitsstelle zu finden. Vom Grundsatz her sind an die Erwerbsbemühungen männlicher und weiblicher Unterhaltsverpflichteter die gleichem Anforderungen zu stellen. Der Senat weiß sicherlich um die Schwierigkeiten, bei der gegebenen Vorbildung der Beklagten entsprechende Verdienstmöglichkeiten zu erzielen. Indes kann nicht zugunsten der Beklagten eine tatsächliche Vermutung aufgestellt werden, dass sie unter keinen Umständen eine entsprechende Arbeitsstelle finden könnte.

Dabei ist bei der Prüfung der Erfolgsaussicht der Klage im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren zu beachten, dass es möglicherweise der Beklagten zumutbar ist, neben einer vollschichtigen Tätigkeit einer weiteren Nebentätigkeit nachzugehen, um letztlich das Existenzminimum ihrer minderjährigen Kinder sichern zu können. Auch hier meint der Senat, dass eine Gleichbehandlung von männlichen und weiblichen unterhaltsverpflichteten Elternteilen geboten erscheint. Wie der Senat bereits in der vorzitierten Entscheidung ausgeführt hat, folgt er nicht der Auffassung, die Ausübung einer Nebentätigkeit sei unter keinen Umständen zumutbar. Ob eine Nebentätigkeit zumutbar ist, ist Frage des Einzelfalles. Generell kann die Zumutbarkeit nicht verneint werden. Daher kann der vom OLG Frankfurt/M. in seiner Entscheidung vom 8.6.2006 - 1 UF 335/04 - entschiedene, anders gelagerte Einzelfall nicht verallgemeinert werden. Vielmehr ist es eine Abwägungsfrage, ob in concreto die Verpflichtung zur Ausübung einer Nebentätigkeit für den Unterhaltspflichtigen besteht oder nicht. Zu beachten sind dabei insbesondere die zwingenden Vorschriften nach dem Arbeitszeitgesetz. Auch kann vom Unterhaltspflichtigen nur verlangt werden, in einem solchen Ausmaß eine Nebentätigkeit auszuüben, wie seine Gesundheit hierdurch nicht beeinträchtigt wird. Nach Auffassung des Senats kann daher der Beklagten grundsätzlich durchaus zugemutet werden, bis zu 48 Stunden die Woche zu arbeiten.

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ergibt eine summarische Prüfung im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren, dass die vom Familiengericht verneinte hinreichende Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klage so pauschal nicht bejaht werden kann. Allgemeine Erfahrungsgrundsätze, dass die ungelernte Beklagte in ihrem Alter bei gehöriger Anstrengung unter Ausnutzung der ihr zumutbaren Arbeitskraft nicht genügend hinzuverdienen kann, gibt es nicht. Das Familiengericht wird in die Einzelfallprüfung einzutreten haben und im Einzelnen aufzuklären haben, welche Anstrengungen die Beklagte - nötigenfalls mit Hilfe Dritter - unternommen hat, um im Rahmen des ihr Zumutbaren erwerbstätig zu sein und welche Verdienstmöglichkeiten sie insoweit hätte. Die insoweit bei der Beklagten liegende Darlegungs- und Beweislast kann nicht dadurch auf die Kläger übertragen werden, dass ihnen die beantragte Prozesskostenhilfe verweigert wird und sie somit gezwungen wären, den Prozess selbst zu finanzieren.

Im Hinblick auf § 127 Abs. 4 ZPO ist eine Kostenentscheidung entbehrlich.

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