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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 17.06.2003
Aktenzeichen: 4 WF 64/03
Rechtsgebiete: BRAGO, GKG, ZPO


Vorschriften:

BRAGO § 9 Abs. 2 Satz 1
BRAGO § 9 Abs. 2 Satz 2
BRAGO § 31 Abs. 1 Nr. 3
GKG § 25 Abs. 3
ZPO § 613
ZPO § 613 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
4 WF 64/03

OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

In der Familiensache

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln als Familiensenat auf die am 14. Mai 2003 bei Gericht eingegangene Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin vom 12. Mai 2003 gegen den Streitwertbeschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Bonn vom 11. April 2003 (49 F 58/02), soweit darin kein Gegenstandswert für die Anhörung zur elterlichen Sorge festgesetzt worden ist, am 17. Juni 2003

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

Die gemäß § 9 Abs. 2 Sätze 1 und 2 BRAGO, § 25 Abs. 3 GKG statthafte und auch im übrigen zulässige Streitwertbeschwerde der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin ist nicht begründet. Zu Recht und aus zutreffenden, im Nichtabhilfebeschluss vom 19. Mai 2003 näher erläuterten Erwägungen hat das Amtsgericht es abgelehnt, für die im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 24. Januar 2003 erfolgte Anhörung zur elterlichen Sorge betreffend die gemeinsamen Kinder M und N einen gesonderten Streitwert neben den festgesetzten selbständigen Werten für das Scheidungsverfahren, den Versorgungsausgleich und das Verfahren über den nachehelichen Unterhalt festzusetzen. Das Beschwerdevorbringen gibt zu einer Abänderung dieser Entscheidung, die die Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin aus eigenem Recht anfechten können (vgl. § 9 Abs. 2 Satz 2 BRAGO), keinen Anlass.

In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, welche gebührenrechtliche Folge an die Anhörung der Eltern zum Sorgerecht für gemeinsame Kinder im Rahmen eines Scheidungsverfahrens gemäß § 613 Abs. 1 Satz 2 ZPO i.d.F. des am 1. Juli 1998 in Kraft getretenen Kindschaftsrechtsreformgesetzes vom 16. Dezember 1997 (BGBl. I 2942) zu knüpfen ist. Teilweise wird aus dem Wortlaut von § 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO abgeleitet, dass bei einer Anhörung zur elterlichen Sorge eine Beweisgebühr nach deren Gegenstandswert selbst dann anfalle, wenn kein Verfahren zur Regelung der elterlichen Sorge anhängig ist (vgl. OLG Koblenz, FamRZ 2000, 626 = JurBüro 1999, 469; FamRZ 2001, 1930 = JurBüro 2001, 359; KG JurBüro 1999, 634; AG Rendsburg, FamRZ 1999, 1359; AG Euskirchen FamRZ 1999, 1683; OLG Köln [10. Zivilsenat] FamRZ 2000, 1383; Hartmann, Kostengesetze 32. Aufl., § 31 BRAGO, Rdn. 179 f.). Demgegenüber geht die inzwischen deutlich überwiegende Auffassung dahin, dass eine Anhörung zum Sorgerecht nach § 613 Abs. 1 Satz 2 ZPO jedenfalls dann, wenn - wie im Streitfall - kein Sorgerechtsverfahren anhängig ist, weder als solche die Beweisgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO auslöst noch den Gegenstandswert des Verbundverfahrens erhöht (vgl. OLG Brandenburg, FamRZ 2000, 1384; OLG Düsseldorf JurBüro 2001, 361; OLG Frankfurt, FamRZ 2001, 506; OLG Oldenburg, OLGR 2001, 93; OLG Hamm, Rpfleger 2001, 323; FamRZ 2001, 694; OLG Zweibrücken, Rpfleger 2001, 323; OLG Koblenz FamRZ 2001, 1389; OLGR 2001, 181; OLG Hamburg, OLGR 2001, 80; OLG Naumburg EzFamR aktuell 2001, 208; OLG Nürnberg FamRZ 2002, 1206; OLG Celle NdsRpfleger 2002, 331; Zöller/Philippi ZPO, 23. Aufl., § 613 Rdn. 15; Musielak/Borth, ZPO, 3. Aufl., § 613 Rdnr. 12; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 25. Aufl., § 613 Rdn. 6; Zimmermann, ZPO, 6. Aufl., § 613 Rdn. 3; Madert/Müller-Rabe, Kostenhandbuch Familiensachen B III Rdn. 29, C I Rdn. 22; Hofrath, JurBüro 1999, 7, 8; Müller-Rabe, FamRZ 2000, 137, 138 f.; Enders FuR 2000, 466, 467).

Der erkennende Senat, der die Streitfrage bislang (vgl. Beschluss vom 21. November 2000 - 4 WF 96/00 -, unveröffentlicht) offen lassen konnte, schließt sich nunmehr der letztgenannten Auffassung an.

Zwar mag der Wortlaut des § 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO auf den ersten Blick die Annahme nahe legen, dass im Falle der Anhörung der Ehegatten zur elterlichen Sorge gemäß § 613 Abs. 1 Satz 2 ZPO neben der Beweisgebühr nach dem Wert der Ehesache eine weitere Beweisgebühr bzw. eine Beweisgebühr nach dem um den Wert der Sorgerechtsangelegenheit erhöhten Streitwert entsteht. Denn nach § 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO erhält der Rechtsanwalt eine volle Gebühr "für die Vertretung im Beweisaufnahmeverfahren oder bei der Anhörung oder Vernehmung einer Partei nach § 613 der Zivilprozessordnung.....(Beweisgebühr)". Da § 613 Abs. 1 Satz 2 ZPO i.d.F. des Kindschaftsrechtsreformgesetzes die gesetzlich vorgeschriebene Anhörung der Parteien im Scheidungsverfahren auf die Frage der elterlichen Sorge erweitert hat, spricht die pauschale Bezugnahme auf § 613 ZPO zunächst dafür, dass die Gebühr des § 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO aus einem entsprechend erhöhten, also nicht auf den Wert der Scheidungssache beschränkten Streitwert entsteht. Zwingend ist diese allein am Wortlaut der Vorschrift ausgerichtete Auslegung aber nicht. Die allgemeine Verweisung auf § 613 ZPO lässt vielmehr auch Raum für ein - einschränkendes - Gesetzesverständnis, wonach für das Entstehen der Beweisgebühr alleine schon die Anhörung der Ehegatten zur Ehescheidung nach § 613 Abs. 1 Satz 1 ZPO maßgebend ist, ohne dass es insoweit auf die zusätzliche Anhörung zur elterlichen Sorge ankommt.

Dieses eingeschränkte Verständnis des gesetzlichen Regelungszusammenhangs von § 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO und § 613 Abs. 1 Satz 2 ZPO, bei dem es keiner Wertfestsetzung in Bezug auf das Sorgerecht bedarf, entspricht nach Auffassung des Senats auch dem Willen des Gesetzgebers. Er hat durch die Neufassung der §§ 1671 BGB, 623 ZPO im Rahmen des Kindschaftsrechtsreformgesetzes bewirkt, dass das Gericht über die Regelung der elterlichen Sorge im Scheidungsverfahren grundsätzlich nur noch auf Antrag einer Partei zu entscheiden hat. Soweit es in diesem Zusammenhang in Bezug auf die Neufassung von § 613 Abs. 1 ZPO in den Gesetzesmaterialien (BT-Drucksache 13/4899, S. 161) heißt, die Erweiterung der richterlichen Anhörung um die elterliche Sorge begründe "über die Gebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO hinaus keine weiteren anwaltlichen Gebührenansprüche und erhöht auch den Streitwert des Verfahrens nicht", kann aus dieser Formulierung - entgegen der insbesondere vom OLG Koblenz (vgl. FamRZ 2001, 1390, 1391) vertretenen Auffassung - gerade nicht gefolgert werden, die Anhörung der Ehegatten gemäß § 613 Abs.1 Satz 2 ZPO löse selbst bei Nichtanhängigkeit einer Folgesache zum Sorgerecht eine Beweisgebühr aus. Zwar mag die vorstehend zitierte Passage aus der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Kindschaftsrechtsreformgesetz auf den ersten Blick insofern missverständlich sein, als dort davon die Rede ist, die richterliche Anhörung zur elterlichen Sorge begründe "über die Gebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO hinaus" keine weiteren Gebührenansprüche. Aus der abschließenden Formulierung, die betreffende zusätzliche Anhörung erhöhe "auch den Streitwert des Verfahrens nicht", folgt jedoch unmissverständlich, dass das Vorgehen des Gerichts gemäß § 613 Abs. 1 Satz 2 ZPO kosten- und streitwertmäßig ohne Auswirkungen bleiben soll. Denn durch die Erweiterung der richterlichen Anhörung soll der Streitwert schlechthin nicht erhöht werden. Das macht aber vernünftigerweise nur Sinn, wenn durch die erweiterte Anhörung keine zusätzliche Anwaltsgebühr bzw. keine Gebühr nach einem entsprechend erhöhten Streitwert anfällt. Berücksichtigt man ferner, dass das Kindschaftsrechtsreformgesetz die bereits nach früherem Recht vorgesehene Anhörung der Ehegatten und die allein hierdurch schon ausgelöste Beweisgebühr unverändert übernommen hat, kann die betreffende Formulierung, über die Gebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO hinaus werde kein weiterer anwaltlicher Gebührenanspruch begründet, nur so verstanden werden, dass über die ohnedies anfallende Beweisgebühr für die Anhörung zur Scheidung hinaus keine weiteren Gebühren anfallen bzw. keine Beweisgebühr nach einem erhöhten Streitwert entsteht. Die Gegenauffassung hat demgegenüber zur Folge, dass in einer nicht anhängigen Sache eine Beweisgebühr anfällt. Das aber ist dem Gebührenrecht grundsätzlich fremd. Denn von nicht anhängigen Gegenständen können regelmäßig keine Gebühren gemäß § 31 BRAGO entstehen (vgl. Enders FuR 2000, 466, 467). Nichts spricht dafür, dass der Gesetzgeber, der erkennbar jegliche Streitwerterhöhung durch die Erweiterung der richterlichen Anhörungspflicht vermeiden wollte, durch den Regelungszusammenhang von § 613 Abs. 1 Satz 2 ZPO einerseits und § 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO andererseits einen Bruch mit allgemeinen gebührenrechtlichen Grundsätzen beabsichtigte. Das gilt um so mehr, als nach den Grundsätzen des Gebührenrechts eine Beweisgebühr grundsätzlich nicht ohne eine Prozessgebühr bzw. eine Verhandlungsgebühr entstehen kann (vgl. dazu Müller-Rabe, FamRZ 2000, 137, 139; Mock, JurBüro 1999, 469). Auch diese Konsequenz, die erkennbar dem hier in Rede stehenden gesetzgeberischen Willen zu wider läuft, spricht dafür, die Verweisung in § 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO lediglich auf § 613 Abs. 1 Satz 1 ZPO und nicht auch auf den zweiten Satz der Bestimmung zu beziehen. Dem kann nicht die Erwägung entgegen gehalten werden, die gerichtliche Anhörungspflicht gemäß § 613 Abs. 1 Satz 2 ZPO ziehe die "automatische Anhängigkeit" eines Sorgerechtsverfahrens nach sich, das stets eine Prozess-, Verhandlungs- und Beweisgebühr aus dem Wert der elterlichen Sorge auslöse (so aber Mock a.a.O.). Denn diese Auffassung ist mit der gesetzgeberischen Intention, den früheren Zwangsverbund in Bezug auf die elterliche Sorge gerade aufzulösen (vgl. auch § 623 Abs. 2 und 3 ZPO), schlechthin unvereinbar.

Schließlich ist bei der Auslegung von § 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO auch zu berücksichtigen, dass die Anhörung zur Ehesache (§ 613 Abs. 1 Satz 1 ZPO) im Hinblick auf denkbare Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen bloßer Anhörung einerseits und Beweisaufnahme andererseits in den Gebührentatbestand aufgenommen wurde (vgl. Madert/Müller-Rabe, Kostenhandbuch Familiensachen, C I Rn. 22 m.w.N.). Derartige Abgrenzungsschwierigkeiten bestehen bei einer Anhörung nach § 613 Abs. 1 Satz 2 ZPO, wenn kein Sorgerechtsverfahren anhängig ist, nicht. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll die Anhörung der Eltern zur Frage des Sorgerechts gewährleisten, dass die Eltern die künftige Gestaltung des Sorgerechts nicht aus vordergründigen Motiven im Scheidungsverfahren ausklammern, sondern zur Wahrung des Kindeswohls eine bewusste Entscheidung für den Fortbestand der gemeinsamen Sorge oder für den Wunsch nach einer gerichtlichen Regelung treffen. Das Gericht soll daher zu einem möglichst frühen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die Frage des Sorgerechts mit den Parteien erörtern, sie insbesondere über die rechtlichen Folgen ihrer jeweiligen Entscheidung, einen Antrag zu stellen oder hiervon abzusehen, aufklären und sie auf weitere Beratungsmöglichkeiten durch öffentliche oder freie Träger der Jugendhilfe hinweisen (vgl. BT-Drucksache 13/4899, S. 160 und 13/8511, S. 78). Die Anhörung nach § 613 Abs. 1 Satz 2 ZPO dient daher sowohl der Unterrichtung der Eltern als auch der Information des Gerichts über etwaige Umstände, die möglicherweise die Einleitung eines Sorgerechtsverfahrens von Amts wegen (§§ 1666, 1666 a BGB) gebieten. Von dieser Zielrichtung her besteht keine Nähe der Anhörung zu einer Beweisaufnahme.

Bei dieser Sachlage spricht alles dafür, von einem gesetzgeberischen Redaktionsversehen insoweit auszugehen, als bei der Neufassung von § 613 Abs. 1 ZPO im Kindschaftsrechtsreformgesetz der gebührenrechtliche Zusammenhang mit der - schon bestehenden - Vorschrift des § 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO übersehen wurde. Diesem Versäumnis ist durch entsprechende Auslegung des betreffenden Gebührentatbestands Rechnung zu tragen.

Ob diese einschränkende Auslegung auch dann gilt, wenn ein Sorgerechtsantrag gestellt worden ist, bedarf keiner Entscheidung; ein solcher Fall ist hier nicht gegeben.

Hiernach muss es bei der Entscheidung des Amtsgerichts, keinen gesonderten Streitwert zur elterlichen Sorge festzusetzen, bewenden.

Der Ausspruch zu den Kosten beruht auf § 25 Abs. 4 GKG.

Beschwerdewert: bis 300,00 €

Ende der Entscheidung

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