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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 21.12.2006
Aktenzeichen: 43 Hes 31/06
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 112 Abs. 2 Nr. 2
StPO § 112 Abs. 2 Nr. 3
StPO § 121
StPO § 121 Abs. 1
StPO § 121 Abs. 2
StPO § 121 Abs. 3 S. 2
StPO § 122
StPO § 154 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der zuletzt durch Beschluss des Landgerichts Köln vom 14.11.2006 - 108-28/06 - aktualisierte Haftbefehl des Amtsgerichts Köln vom 22.05.2005 - 506 Gs 483/05 - wird aufgehoben.

Gründe:

I.

Der Angeklagte befand sich aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Köln vom 22.05.2005 unter der Beschuldigung der Vergewaltigung in besonders schwerem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil der Zeugin T. L. (Tatzeitraum Ende April bis 21.05.2005) zunächst in der Zeit vom 22.05.2005 bis zum 06.06.2005 und dann erneut ab dem 30.06.2005 in Untersuchungshaft. Die weitere Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Köln vom 27.06.2005, mit dem der vom Amtsgericht am 06.06.2005 zunächst aufgehobene Haftbefehl auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft wiederhergestellt worden war, verwarf der Senat mit Beschluss vom 24.08.2005 - 2 Ws 357/05-.

Im Haftprüfungsverfahren nach §§ 121 f StPO verschonte der Senat den Angeklagten mit Beschluss vom 20.12.2005 - 43 HEs 35/05-229- vom Vollzug der Untersuchungshaft unter Auflagen. In diesem Beschluss führte der Senat u.a. aus :

"Mit der Anordnung der Außervollzugsetzung erübrigt sich eine Entscheidung zur Frage des § 121 Abs. 1 StPO. Dazu sei allerdings bemerkt, dass sich das Verfahren trotz des Gewichts der gegen den Beschuldigten erhobenen Vorwürfe mittlerweile relativ lange hinzieht. Das gilt namentlich mit Blick auf die Begutachtung der Zeugin L., deren Notwendigkeit sich bereits aus dem rechtsmedizinischen Gutachten vom 07.07.2005 ergab, worauf der Senat in seiner Entscheidung vom 24.08.2005 hingewiesen hatte.

Die Staatsanwaltschaft wird im Hinblick auf die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, der auch bei ausgesetzten Haftbefehlen gilt, ohne Verzögerung um eine unverzügliche Anklageerhebung bemüht sein müssen."

Die psychiatrische Untersuchung der Geschädigten durch die Sachverständige Dr. K. war am 10.01.2006 abgeschlossen. Der mit der anschließenden aussagepsychologischen Untersuchung der Geschädigten beauftragte Sachverständige Prof. Dr. T. reichte sein Gutachten unter dem 29.03.2006 ein.

Nach Eingang des Gutachtens ist dem Verteidiger bis zum 16. Mai Akteneinsicht gewährt worden. In der Zwischenzeit ist nach einem Vermerk vom 11.05.2006 mit der Fertigung der Anklageschrift begonnen worden.

Ab dem 19.06.2006 ergaben sich Hinweise auf - mit neuerlichen Misshandlungen einhergehende - erneute Kontakte zwischen der Geschädigten und dem Angeklagten, dem im Rahmen der Haftverschonung durch den Senat ein Kontaktverbot auferlegt worden war. Diese Entwicklung nahm die Staatsanwaltschaft zum Anlaß, mit der Erhebung der Anklage zuzuwarten und die Geschädigte erneut zu vernehmen (vgl die Vermerke vom 05.07. und 01.08.06). In der Abschlussverfügung vom 06.09.2006 stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren wegen der im Zeitraum der Haftverschonung zwischen Juni und August 2006 begangenen erneuten Straftaten nach § 154 Abs. 1 StPO vorläufig ein und beschränkte die Anklage vom selben Tage auf Vorwürfe der Vergewaltigung, der Geiselnahme, der Nötigung, der Bedrohung sowie der gefährlichen und schweren Körperverletzung in einer Vielzahl von Fällen im Tatzeitraum vom 05.02. bis zum 21.05.2005, die im wesentlichen bereits Gegenstand des Haftbefehls vom 22.05.2005 waren.

Auf den in der Anklage gestellten Antrag hin setzte das Landgericht den Haftbefehl vom 22.05.2005 mit Beschluss vom 14.11.2006 wieder in Vollzug und erweiterte ihn zugleich entsprechend dem Inhalt der Anklageschrift, auf die wegen der einzelnen Taten und deren Hergang verwiesen wird.

Aufgrund des neugefassten Haftbefehls vom 14.11.2006 wurde der Angeklagte am 28.11.2006 wieder in Untersuchungshaft genommen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Akten mit dem Antrag vorgelegt, gem. §§ 121, 122 StPO Haftfortdauer zu beschließen.

II.

Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, die Fortdauer der Untersuchungshaft zu beschließen, kann nicht entsprochen werden. Der Haftbefehl ist aufzuheben (§ 121 Abs. 2 StPO).

1. Allerdings liegen die allgemeinen Voraussetzungen der Untersuchungshaft vor :

a) Der Angeklagte ist der ihm im Haftbefehl des Landgerichts vom 14.11.2006 zur Last gelegten Taten dringend verdächtig. Insoweit wird auf die Ausführungen in den Entscheidungen des Senats vom 24.08. und vom 20.12.2005 und außerdem auf die in der Anklageschrift vom 06.09.2006 angegebenen Beweismittel Bezug genommen..

b) Ebenso sind - und zwar in mehrfacher Hinsicht - Haftgründe anzunehmen.

Zunächst besteht der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr, § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO. Insoweit wird auf die Ausführungen des Landgerichts Köln im Beschluss vom 14.11.2006 - 128-28/06 - verwiesen. Dazu ist ergänzend festzustellen, dass der Angeklagte nach der glaubhaften Aussage der Zeugin L. diese im Sommer 2006 dazu aufgefordert hat, mit ihm die das Strafverfahren gegen den Angeklagten betreffenden Akten durchzugehen. Sie sollte sich Zeugenaussagen anschauen und ihr Aussageverhalten mit dem Ziel "trainieren", dass er von den gegen ihn gerichteten Vorwürfen entlastet wird.

Es besteht auch der Haftgrund der Fluchtgefahr, § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Die Fluchtgefahr ergibt sich daraus, dass sich der Angeklagte bereits am 22.11.2006 einer Festnahme durch Polizeibeamte erfolgreich entzogen hat. Erst nach umfangreichen Ermittlungsmaßnahmen am 28.11.2006 konnte er schließlich in einer Wohnung in L. bei dem Versuch, über einen Balkon erneut zu flüchten, festgenommen werden.

Schließlich ist der subsidiäre Haftgrund der Wiederholungsgefahr (§ 112a Abs. 1 StPO) aus den im Beschluss des Landgerichts Köln vom 20.12.2006 angeführten Gründen gegeben.

2. Gleichwohl ist die Aufhebung des Haftbefehls gemäß § 121 Abs. 2 StPO anzuordnen, weil die Aufrechterhaltung des Vollzugs der Untersuchungshaft über sechs Monate nicht länger gerechtfertigt ist.

Die Berechnung der Frist des § 121 Abs. 1 StPO ist von der Staatsanwaltschaft mit Vermerk vom 30.11.2006 zutreffend dahin vorgenommen worden, dass sie am 03.12.2006 geendet hat. Ein neuer Fristenlauf ist durch die Erweiterung des Haftbefehls durch das Landgericht nicht bewirkt worden. Denn der Haftbefehl vom 14.11.2006 enthält keine "neuen Taten" im Sinne des - weit auszulegenden, vgl Meyer-Goßner, StPO, 49.A., § 121 Rn 11 - Tatbegriffs im Sinne von § 121 Abs. 1 StPO. Die neu bekannt gewordenen Vorwürfe aus dem Zeitraum ab Juni 2006 sind nicht angeklagt und auch nicht Gegenstand des erweiterten Haftbefehls vom 14.11.2006.

Nachdem sich der Angeklagte demnach bereits bis zur Haftverschonung am 23.12.2005 fast 6 Monate in Untersuchungshaft befunden hatte, hätte er nur erneut in Untersuchungshaft genommen werden können, wenn wichtige Gründe im Sinne von § 121 Abs. 1 StPO ein Urteil bisher nicht zugelassen hätten. Das ist nicht jedoch nicht der Fall.

Die Ermittlungen waren mit Eingang des aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. T. Ende März 2006 abgeschlossen. Ermittlungen wegen der Straftaten, die Gegenstand des Haftbefehls vom 22.05.2005 sind, haben danach nicht mehr stattgefunden. Zu diesem Zeitpunkt war die Sache mithin anklagereif. Auch unter Berücksichtigung dessen, dass der Verteidigung zu den Gutachten noch Akteneinsicht zu gewähren war, hätte die Anklage jedenfalls noch im April 2006 erstellt werden können und müssen.

Nachdem der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 20.12.2005 daraufhingewiesen hatte, dass die Staatsanwaltschaft im Hinblick auf die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, der auch bei ausgesetzten Haftbefehlen gilt, ohne Verzögerung um eine unverzügliche Anklageerhebung werde bemüht sein müssen, ist die Anklageerhebung indes ohne sachliche Rechtfertigung bis zum 6. September - und damit um mehr als vier Monate - verzögert worden.

Insbesondere ist kein sachlicher Grund darin zu sehen, dass die Staatsanwaltschaft im Hinblick auf die zwischenzeitlich bekannt gewordenen weiteren Straftaten des Angeklagten aus dem Zeitraum ab Juni 2006 mit einer abschließenden Entscheidung zugewartet hat. In Haftfällen darf eine Anklageerhebung grundsätzlich nicht von der Durchführung weiterer Ermittlungen abhängig gemacht werden, die Taten betreffen, die nicht Gegenstand des Haftbefehls sind. In diesem Zusammenhang ist nochmals hervorzuheben, dass nach der Rechtsprechung des BVerfG - wie auch der des Senats - der Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen auch für ausgesetzte Haftbefehle gilt (vgl BVerfG, Beschluss vom 29.11.2005 - 2 BvR 1737/05 -, StV 2006, 87; Senat, Beschluss vom 6. Juli 2004 - 2 Ws 301/04 -, StV 2005, S. 396 <397>).

Wegen der neuen Straftaten etwa erforderliche Nachvernehmungen der Geschädigten und sonstige Ermittlungen hätten ohne weiteres nach Anklageerhebung während des Zwischenverfahrens durchgeführt werden können.

Die verspätete Anklageerhebung hat dazu geführt, dass die Sache nicht mehr innerhalb der Sechsmonatsfrist des § 121 Abs. 1 StPO abgeurteilt werden kann. Hätte - wie es möglich und erforderlich gewesen wäre - die Staatsanwaltschaft im April 2006 Anklage erhoben, hätte die Hauptverhandlung, die nunmehr erst ab dem 08.02.2007 vor der 8. großen Strafkammer des Landgerichts Köln stattfinden soll, jedenfalls noch im September 2006 beginnen und das Verfahren vor Ablauf der 6-Monats-Frist, deren Lauf mit dem Beginn der Hauptverhandlung nach § 121 Abs. 3 S.2 StPO geruht hätte, abgeschlossen werden können.

Eine Aufrechterhaltung des Haftbefehls unter - erneuter - Haftverschonung ist ausgeschlossen, weil die Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO für eine Fortdauer der Untersuchungshaft nicht erfüllt sind.

Ende der Entscheidung

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