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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 27.11.2002
Aktenzeichen: 5 U 101/02
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 823
ZPO § 286
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

5 U 101/02

Verkündet am 27. November 2002

In dem Rechtsstreit

hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 6. November 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Rosenberger, die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Schmitz-Pakebusch und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Thurn

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 15. Mai 2002 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 11 O 106/01 - teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird unter Abweisung der Klage im übrigen verurteilt, an die Klägerin 2.565,66 Euro nebst 4 % Zinsen seit dem 1.1.2001 zu zahlen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin zu 69 % und die Beklagte zu 31 %, diejenigen der 2. Instanz die Klägerin zu 55 % und die Beklagte zu 45 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Beklagte implantierte der Klägerin am 12.8.1998 zwecks Brustvergrößerung beidseits Silikonkissen. In der Folgezeit stellte sich eine Kapselfibrose ein, so dass die Implantate entfernt werden mussten. Die Klägerin hat Rückzahlung des Honorars (6.000,- DM), Schmerzensgeld (mindestens 5.000,- DM) sowie Attestkosten (18,- DM) und eine Schadenspauschale (100,- DM) und Feststellung geltend gemacht, weil sie nicht über das eingetretene Risiko aufgeklärt worden sei.

Das Landgericht hat der Klage im wesentlichen stattgegeben, weil die Beklagte eine ordnungsgemäße Risikoaufklärung nicht bewiesen habe. Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung, mit der sie sich erstmals auch auf den Gesichtspunkt der hypothetischen Einwilligung beruft.

II.

Die Berufung ist nur teilweise gerechtfertigt.

1.

Die Beklagte schuldet nicht die Rückzahlung des ärztlichen Honorars. Insoweit ist keine Anspruchsgrundlage ersichtlich. Dass die Beklagte den Vertrag schlecht erfüllt hat, indem sie die Operation ohne einwirksame Einwilligung durchführte, lässt den Vergütungsanspruch nicht entfallen. Die Parteien haben einen privatrechtlichen Dienstvertrag geschlossen, aufgrund dessen die Klägerin das vereinbarte Honorar schuldete. Daran ändert sich grundsätzlich nichts durch die Schlechterfüllung des Vertrages, die man in mangelhafter Aufklärung sehen mag. Geschuldet ist die Behandlung und das Bemühen um einen Behandlungserfolg. Diese Dienstleistung ist erbracht worden. Ein Wegfall des Vergütungsanspruchs bei erbrachter Dienstleistung ist grundsätzlich nicht möglich (vgl. auch die Senatsentscheidung vom 27.2.2002 - 5 U 151/01), auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes. Ausnahmen bei besonders groben, vorsätzlichen und regelmäßig strafbaren Pflichtverletzungen (BGH NJW 1981, 1211 f) oder im Falle einer wertlosen zahnprothetischen Versorgung, die ersetzt werden muss, liegen hier nicht vor. Dem vom Oberlandesgericht Hamburg entschiedenen Fall (MDR 2001, 799) lag ein nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde.

2.

Für die Zuerkennung einer Schadenspauschale ist ebenfalls nichts ersichtlich.

3.

Der Klägerin steht allerdings das zuerkannte Schmerzensgeld zu, weil die Beklagte eigenmächtig in ihre körperliche Integrität eingegriffen hat, denn die Einwilligung war nicht von einer wirksamen Aufklärung getragen. Insoweit ist die Beklagte beweisfällig geblieben. In Bezug auf die Vorgänge kurz vor der Operation vom 12.8.1998 hat dies das Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellt. Eine weitere Sachaufklärung ist nicht veranlasst.

Der Senat vermag aber auch nicht festzustellen, dass die Klägerin bereits 1995 oder 1996 wirksam aufgeklärt worden ist. Die von der Klägerin eingeräumte bloße Ansichnahme des Perimed-Bogens genügt insoweit nicht (vgl. BGH VersR 1999, 190; OLG Düsseldorf VersR 1999, 61). Im übrigen stehen sich die Angaben der Parteien zu der behaupteten Aufklärung unvereinbar gegenüber, ohne das festgestellt werden kann, welcher Darstellung der Vorzug zu geben ist. Die Dokumentation spricht eher gegen die Darstellung der Beklagten, denn die Eintragung vom 14.3. und 27.11.1995 wirken schon vom äußeren Schriftbild her nicht überzeugend, so dass sie keine Indizwirkung zu Gunsten der Beklagten zu entfalten vermögen.

Zu Unrecht meint die Beklagte, bei dieser Ausgangslage müsse der Senat, wenn er - anders als das Landgericht - ein zu Lasten der Beklagten gehendes non-liquet annehmen wolle, die Beklagte (und eventuell auch die Klägerin) erneut anhören. Das trifft schon deshalb nicht zu, weil die Voraussetzungen für eine Vernehmung der Beklagten als beweisbelasteter Partei nicht vorliegen, denn hierfür wäre Voraussetzung, dass nach der Dokumentation für die Richtigkeit ihrer Behauptung einiger Beweis erbracht ist (vgl. OLG Schleswig AHRS II Kennziffer 6805/107), woran es hier - wie gesagt - fehlt.

Abgesehen davon ist nicht bewiesen, dass eine 1995/1996 etwa erfolgte Aufklärung der Klägerin im August 1998 noch präsent war. Das hat das Landgericht zutreffend ausgeführt. Der von der Beklagten zitierten Senatsentscheidung vom 12.1.1995 lag ein anderer Sachverhalt zugrunde.

Mit der nunmehr erstmals erhobenen Behauptung, die Klägerin hätte auch bei gehöriger Aufklärung eingewilligt (sogenannte hypothetische Einwilligung), kann die Beklagte im Berufungsrechtszug nicht mehr gehört werden (§ 531 Abs. 2 ZPO).

Unter Verteidigungsmittel sind jegliche zur Verteidigung gegen den Sachantrag aufgestellte tatsächliche und rechtliche Behauptungen zu verstehen (vgl. Zöller-Grieger, ZPO, 23. Aufl., § 282 Rn. 2). Auf der Grundlage der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass das "Berufen auf hypothetische Einwilligung" nicht das bloße Äußern einer Rechtsauffassung ist, sondern die ausdrückliche Behauptung einer "inneren Tatsache", nämlich der Einwilligung bei einem gedachten Geschehensablauf. Ob sich diese Tatsache rechtlich als Darstellung eines alternativen Kausalverlaufs darstellt oder als Einwand rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Patienten, oder ob schlicht gesagt wird, auch eine hypothetische Einwilligung sei (wie die tatsächliche) unmittelbar als Rechtfertigungsgrund anzusehen, ist ohne Bedeutung. Relevant ist allein, dass insoweit eine klare Vortragslast auf Seiten des beklagten Arztes besteht. Es muss mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck kommen, dass er die Einwilligung im Falle ordnungsgemäßer Aufklärung geltend machen will - er muss sie "behaupten". Dann und nur dann hat der Kläger Anlass, seinerseits zu erwidern, indem er einen Entscheidungskonflikt darlegt (so ausdrücklich BGH NJW 1994, 799, 801; VersR 1998, 766, 767: Hier spricht der BGH von der Pflicht des Arztes "substantiiert vorzutragen"). Auch wenn dabei der technische Begriff "hypothetische Einwilligung" nicht ausdrücklich fallen muss, so muss doch eindeutig sein, dass ein "Berufen" im Sinne eines ziel- und zweckgerichteten Sachvortrags hierauf geben soll. Wenn insoweit Zweifel bestehen, was der Arzt meint, mag eine Nachfragepflicht des Gerichts bestehen (§ 139 ZPO). Nicht ausreichend ist indes, dass sich aus dem Parteivortrag (gar nur aus dem Vortrag des Klägers) Anhaltspunkte ergeben, die für sich genommen mehr oder minder zwingend den Schluss auf eine möglicherweise zu begründende hypothetische Einwilligung rechtfertigen würden. Im Streitfall gibt es keinen zielgerichteten Vortrag der Beklagten in erster Instanz, der auf hypothetische Einwilligung deuten könnte. Es gibt folglich auch keine Zweifel, die das Gericht durch Erteilung von Hinweisen auszuräumen gehabt hätte. Es gibt Anhaltspunkte, insbesondere die Tatsache, dass die Klägerin später tatsächlich sich Implantate einsetzen ließ, auf die sich die Beklagte ihrerseits aber nicht einmal berufen hat. Es gibt demgegenüber den ausdrücklichen Vortrag der Klägerin bereits in der Klageschrift, dass sie bei ordnungsgemäßer Aufklärung über die Gefahr der Kapselfibrose die Operation bei der Beklagten nicht hätte durchführen lassen. Dem ist die Beklagte erstinstanzlich gerade nicht entgegengetreten.

Hinsichtlich der Höhe des ausgeurteilten Schmerzensgeldes führt die Berufung keine Angriffe, auch sonst sind keine Bedenken ersichtlich.

Die Erstattungspflicht hinsichtlich der Attestkosten und die Verzinsungspflicht sind unstreitig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Es besteht kein Anlass, die Revision zuzulassen (§ 543 Abs. 2 ZPO). Dass die Geltendmachung der hypothetischen Einwilligung Verteidigungsmittel im Sinne von § 531 Abs. 2 ZPO ist, erscheint nicht zweifelhaft und deshalb nicht höchstrichterlich klärungsbedürftig.

Ende der Entscheidung

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