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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 30.01.2002
Aktenzeichen: 5 U 106/01
Rechtsgebiete: BGB, ZPO
Vorschriften:
BGB § 823 | |
ZPO § 286 |
Oberlandesgericht Köln Im Namen des Volkes Urteil
Verkündet am: 30.01.2002
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 9. Mai 2001 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 11 O 329/98 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 7.898,20 € nebst 4 % Zinsen von 7.500 € seit dem 22. April 1998 und von 398,20 € seit dem 31. Juli 1998 zu zahlen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen tragen die Klägerin zu 40 % und der Beklagte zu 60 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
Die Klägerin nimmt den Beklagten als Alleinerben ihres am 12. September 1998 verstorbenen Ehemannes und früheren Klägers wegen von ihr behaupteter Behandlungsfehler im Zusammenhang mit einer urologischen Behandlung auf Schadensersatz in Anspruch.
Der Erblasser wurde am 9. Oktober 1997 u. a. zur Abklärung einer Harninkontinenz stationär aufgenommen. Nach Anlage eines suprapubischen Katheters wurde er am 18. Oktober 1997 nach Hause entlassen. Der Beklagte wechselte am 28. Oktober 1997 den Katheter, dessen normale Liegezeit bei einwandfreier Funktion drei bis vier Wochen beträgt, gegen einen Katheter aus, dessen Verfallsdauer seit rund drei Jahren überschritten war. Nachdem dieser Katheter am 17. November 1997 im Bereich der Bauchdecke abgebrochen war, brachte der Beklagte einen neuen Katheter ein, dessen Verfallsdatum im November 1995 abgelaufen war. Es stellte sich ein Harnwegsinfekt ein, der zu einer schweren Sepsis führte. Bei einer Blasenspülung wurden am 1. Dezember 1997 Silikonreste ausgeschwemmt. Zur Wiederherstellung und Überwindung der Sepsis war eine mehrwöchige Krankenhausbehandlung erforderlich.
Die Klägerin rügt eine Vielzahl von Behandlungsfehlern und verlangt ein Schmerzensgeld von 25.000,00 DM sowie Aufwendungen für Heilbehandlung in Höhe von 778,83 DM.
Der Beklagte, dessen Versicherer vorprozessual einen Abfindungsbetrag von 5.000,00 DM angeboten hatte, bestreitet schadensursächliche Behandlungsfehler.
Das Landgericht hat, sachverständig beraten, die Klage abgewiesen.
Wegen aller Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils sowie die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist in der Sache teilweise gerechtfertigt. Die Klägerin kann als Erbin des fehlbehandelten Erblassers Schmerzensgeld in Höhe von 7.500 € sowie Ersatz der Aufwendungen für notwendige Heilbehandlungen (398,20 €) verlangen. Die Ansprüche beruhen auf unerlaubter Handlung und, soweit es den materiellen Schaden anbelangt, auch auf schuldhafter Vertragsverletzung.
Das Landgericht hat, gestützt auf das überzeugende Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. R., eine Reihe von Behandlungsfehlern festgestellt, die jedenfalls in der Gesamtschau schon als grobes Versagen bewertet werden müssen, so dass es dem Beklagten oblegen hätte, nachzuweisen, dass die eingetretene Sepsis nicht auf den Fehlern beruhte (vgl. zur Beweislastverlagerung BGH NJW 2001, 2792, 2794). Diesen Nachweis hat er nicht erbracht. Wegen der zutreffenden Feststellungen des Landgerichts, auf die zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen Bezug genommen werden kann (§ 543 Abs. 1 ZPO), sollen die Fehler an dieser Stelle nur noch kurz dargestellt werden.
Schon der Katheterwechsel am 28. Oktober 1997 war grundlos. Überflüssige, lediglich kostenverursachende Maßnahmen braucht ein Patient aber nicht hinzunehmen, zumal mit dem Wechsel im Streitfall zumindest Unannehmlichkeiten verbunden waren. Das Einbringen von Kathetern, deren Verfallsdaten um drei bzw. zwei Jahre überschritten waren, ist völlig unverständlich. Der Beklagte hat auch keinen auch nur ansatzweise nachvollziehbaren Grund dafür vorgebracht. Nach den Ausführungen des Sachverständigen soll die begrenzte Verwendbarkeit des Katheters vor allem dessen Sterilität sichern, aber daneben auch einer gewissen Materialermüdung vorbeugen. Darüber darf sich der Arzt nicht einfach hinwegsetzen und gänzlich unnötigerweise gefahrträchtige Kausalverläufe in Gang setzen. Darüber hinaus hat es der Beklagte anlässlich der Katheterwechsel versäumt zu überprüfen, ob Katheterreste im Körper des Patienten verblieben sind. Tatsächlich war dies der Fall, wie der Sachverständige überzeugend festgestellt hat.
Das Landgericht hat mit Recht ausgeführt, die Klägerin habe nicht den Nachweis der Schadensursächlichkeit der Behandlungsfehler erbracht. Umgekehrt steht aber auch nicht fest, dass die Schadensursächlichkeit ausgeschlossen ist, denn nach den Darlegungen des Sachverständigen insbesondere im Rahmen seiner mündlichen Anhörung waren die fehlerhaften Maßnahmen jedenfalls geeignet, die ohnehin bestehende Infektionsgefahr in einem Maße zu erhöhen, dass dadurch eine Sepsis ausgelöst werden konnte. Der Nachteil der Beweislosigkeit geht zu Lasten des Beklagten (vgl. BGH NJW 1998, 1780).
Die Behandlung durch den Beklagten stellt sich als grob fehlerhaft dar, weil der Beklagte eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln und gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen hat, was im Streitfall aus objektiver medizinischer Sicht schlechterdings nicht mehr verständlich erscheint (vgl. zur Definition BGH NJW 1983, 2080; zuletzt NJW 2001, 2795). Diese Wertung ergibt sich zum einen aus der Häufung der Fehler (vgl. dazu BGH NJW 1988, 1511), vor allem aus dem wiederholten Legen von Kathetern, deren Verwendung seit Jahren unzulässig war. Der Sachverständige hat den letztgenannten Umstand entgegen der Ansicht des Landgerichts sehr wohl als groben Behandlungsfehler beanstandet (Seite 5 des Erstgutachtens [Blatt 151 d. A.]). Seine Einschränkung, dies gelte nicht, wenn der Beklagte "lediglich das Verfallsdatum nicht überprüft und in Nichtwissen gehandelt" habe, vermag daran nichts zu ändern. Maßgebend ist die objektive medizinische Sachlage. Der subjektive Schuldvorwurf spielt dagegen - wenn überhaupt - nur eine ganz untergeordnete Rolle (vgl. Frahm/Nixdorf, Arzthaftungsrecht, 2. Aufl., Rdn. 113). Eben hierauf bezieht sich aber die vom Sachverständigen gemachte Einschränkung, die somit rechtlich unerheblich ist und im übrigen vom Beklagten auch gar nicht in Anspruch genommen wird, denn er behauptet nicht einmal, er habe das Verfallsdatum nicht überprüft oder aus sonstigen Gründen "mit Nichtwissen" gehandelt. Nach allem wird die Wertung des Senats durchaus von den Feststellungen des Sachverständigen getragen und steht auch nicht etwa zu dessen Wertungen in Widerspruch. Der Senat ist somit befugt, diese Wertung zu vollziehen (vgl. dazu BGH NJW 2001, 2792, 2794, 2795).
Zur Abgeltung des infolge der Fehlbehandlung erlittenen immateriellen Schadens erachtet der Senat ein Schmerzensgeld von 7.500 € als angemessen. Der damals ohnehin schwer kranke 84-jährige Patient musste durch die Behandlung erhebliche weitere Schmerzen erleiden. Die Sepsis hat den Patienten in Todesgefahr gebracht; sie führte zu einer weiteren Reduzierung seines Allgemeinzustandes und erforderte intensive Krankenhausbehandlung. Erst gegen Ende Januar 1998 war seine Mobilität teilweise wiederhergestellt. Es mag sein, dass die Schwere des durch die Sepsis verursachten Zustandes durch die bereits bestehenden Erkrankungen mitverursacht worden ist; das entlastet den Beklagten aber nicht. Darüber hinaus muss im Streitfall auch die dem Schmerzensgeldanspruch immanente Genugtuungsfunktion deutlich zum Tragen kommen.
Die Klägerin kann auch Ersatz der Kosten für Heilbehandlungsmaßnahmen (Infusionen, Blasenspülungen, Krankengymnastik) verlangen, die der Erblasser im Wege der Zuzahlung neben den von der Krankenkasse erbrachten Leistungen aufgewendet hat. Diese Kosten hat sie durch Vorlage von Attesten und Belegen hinreichend dargetan. Der Senat erachtet auf dieser Grundlage die Notwendigkeit der Maßnahmen und die Höhe der Kosten für bewiesen (§ 287 ZPO).
Der Zinsanspruch beruht auf §§ 284, 288 a. F. BGB. Eine Verzinsung nach § 288 n. F. BGB kommt nach Art. 229 § 1 Abs. 1 Satz 3 EGBGB nicht in Betracht.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Wert der Beschwer für beide Parteien: unter 60.000,00 DM.
Ende der Entscheidung
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