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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 24.08.2005
Aktenzeichen: 5 U 126/02
Rechtsgebiete: AUB 88


Vorschriften:

AUB 88 § 2 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 22. Mai 2002 verkündete Urteil der 23. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 23 O 291/97 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche aus einer Unfallversicherung geltend, der die AUB 88 zugrunde liegen. Er erlitt am 24. Juli 1996 im L. einen Autounfall, bei dem er verletzt wurde. Die Beifahrerin im Fahrzeug des Unfallgegners verstarb. Der Kläger verblieb bis zum 9. August 1996 in stationärer Behandlung im Hospital zum I. H. in L. wegen eines - ärztlich so diagnostizierten - HWS-Schleudertraums 2. Grades, einer Schädelprellung mit Gehirnerschütterung, einer Kopfplatzwunde und diverser Prellungen. In der Zeit vom 2. September 1996 bis zum 26. Oktober 1996 befand sich der Kläger zur Weiterbehandlung in einem Krankenhaus für psychosomatische, internistische Medizin, Neurologie und Psychiatrie; diagnostiziert wurden dort Bewegungsstörungen der HWS, Störungen im Bereich des nervus femoralis, spastische Paresen beider Beine, Sensibilitätsstörungen der linken oberen Extremität und migräneartiger Kopfschmerz mit Tinnitus.

Der Kläger hat behauptet, wegen dieser - fortbestehenden - Störungen sei er zu 100% invalide. Die Beschwerden seien nicht durch eine psychische Fehlverarbeitung ausgelöst worden.

Der Kläger hat beantragt,

an ihn ein Krankenhaustagegeld in Höhe von 1.789,52 € nebst 4% Zinsen seit dem 1. Dezember 1996 zu zahlen:

an ihn eine Übergangsentschädigung in Höhe von 10.225,84 € nebst 4% Zinsen seit dem 1. März 1997 zu zahlen;

an ihn die für den Fall der Vollinvalidität geschuldete Leistung in Höhe von 230.081,35 € zu zahlen;

an ihn einen angemessenen Vorschuss zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, eine unfallbedingte Invalidität des Klägers liege nicht vor. Bei den geklagten Beschwerden handele es sich um Reaktionen auf das Unfallereignis aufgrund psychischer Fehlverarbeitung. Knöcherne Verletzungen seien nicht festgestellt worden.

Das Landgericht hat der Klage mit Urteil vom 22. Mai 2002, auf das wegen der tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen wird, nach Einholung von Sachverständigengutachten lediglich in Höhe von 6.135,20 € (Invaliditätsentschädigung in Höhe von 6% der Versicherungssumme von 200.000,- DM wegen Schwerhörigkeit und Tinnitus am linken Ohr) stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, weitere Schädigungen auf dem Gebiet der HNO seien nicht erwiesen. Hinsichtlich der sonstigen Beschwerden greife der Ausschlusstatbestand des § 2 Abs. 4 AUB 88 ein. Auf orthopädischem Gebiet hätten sich knöcherne Verletzungen nicht ergeben; diagnostiziert worden sei insoweit nur ein schweres Somatisierungssyndrom. Die neurologische sowie die psychosomatisch-nervenärztliche Untersuchung habe zum Ergebnis gehabt, dass der festgestellten Beschwerdesymptomatik keine organisch-neurologischen Befunde zugrunde lägen, sondern dass es sich um eine psychogene Symptombildung als krankhafte Störung infolge psychischer Reaktion handele. Hinweise für eine spastische Lähmung hätten sich nicht objektivieren lassen; es liege vielmehr ein bizarres Bewegungsmuster vor. Störungen im Bereich der zentralen motorischen Bahnen seien nicht vorhanden. Auch die vom Kläger vorgetragenen Gefühlsstörungen sowie der Schwindel seien nicht objektivierbar gewesen.

Dagegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers, mit der er rügt, es sei nicht hinreichend berücksichtigt worden, dass 1998 aufgrund eines durch den Unfall verursachten Abrisses der Kopfbänder eine Fusionsoperation in der Halswirbel- und Kopfgelenksebene erforderlich geworden sei; diese habe zu einer Versteifung der HWS im Kopfgelenksbereich geführt. Soweit es die Frage angehe, ob die bei ihm fortbestehenden Beschwerden psychischer Natur seien, fehle es an einer ausreichenden Bewertung des für das Landgericht Krefeld erstellten Gutachtens des psychiatrischen Sachverständigen Prof. G. vom 19. September 2001. Dieser habe eine organische Ursache nicht ausschließen können; die Unaufklärbarkeit müsse zu Lasten der Beklagten gehen. Zur Unterstützung seiner Behauptungen nimmt der Kläger Bezug auf ein für das Landgericht Wiesbaden erstattetes psychiatrisches Gutachten des Sachverständigen Prof. T. aus Juni 2002 und auf ein ebenfalls für das Landgericht Wiesbaden erstelltes neurochirurgisches Gutachten des Sachverständigen Prof. H. vom 19. Februar 2001. Diese seien zu dem Ergebnis gelangt, seine Beschwerden seien jedenfalls nicht nur psychischer Natur. Ferner beantragt der Kläger zur weiteren Aufklärung die Einholung eines neurootologischen Gutachtens.

Der Kläger beantragt,

an ihn Krankenhaustagegeld in Höhe von 1.789,52 € nebst 4% Zinsen seit dem 1. Dezember 1996 zu zahlen;

an ihn eine Übergangsentschädigung in Höhe von 10.225,84 € nebst 4% Zinsen seit dem 1. März 1997 zu zahlen;

an ihn aus Vollinvalidität weitere 223.945,84 € nebst 4% Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten, die die Zurückweisung der Berufung beantragen, verteidigen das angefochtene Urteil mit Sach- und Rechtsausführungen.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat gemäß den Beschlüssen vom 18. August 2003 und vom 7. April 2004 Beweis erhoben durch Einholung eines neurologischen sowie eines orthopädischen Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Prof. J. vom 25. November 2003 (Bl. 867-894 d.A.), das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Prof. O. vom 31. Januar 2005 (Bl. 1004-1034 d.A.) sowie auf die Sitzungsprotokolle vom 8. März 2004 (Bl. 936-940 d.A.) und vom 20. Juli 2005 (Bl. 1166-1169 d.A.) verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Das Landgericht hat die Klage zu Recht weitgehend abgewiesen. Die Beklagte ist über die vorprozessual erbrachte Zahlung von 3.500,- DM (anteiliges Krankenhaustagegeld) sowie über den vom Landgericht ausgeurteilten Betrag von 6.135,50 € (Invaliditätsentschädigung wegen dauerhafter Beeinträchtigungen am linken Ohr) hinaus zu weiteren bedingungsgemäßen Leistungen aufgrund des vom Kläger am 24. Juli 1996 erlittenen Verkehrsunfalls nicht verpflichtet, weil insoweit der Leistungsausschluss des § 2 IV der vereinbarten AUB 88 greift. Mit dieser Klausel sind krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen, gleichgültig, wodurch diese verursacht worden sind, vom Versicherungsschutz ausgeschlossen. Als Folge dieser - wirksamen (vgl. BGH, NJW 2004, 2589 ff.) - Bedingung sind krankhafte Störungen, die nur mit ihrer psychogenen Natur erklärt werden können, nicht versichert. Die Beweislast hat der Versicherer (vgl. BGH, aaO und NJW-RR 2005, 32, 33). Der Beweis ist geführt, wenn ein praktisch brauchbarer Grad an Gewissheit gegeben ist, der Zweifel Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGHZ 53, 245, 256).

Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Senat unter Berücksichtigung der erstinstanzlich erhobenen Beweise, der vom Senat in zweiter Instanz eingeholten Gutachten der Sachverständigen Prof. J. und Prof. O. und unter Einschluss der vom Kläger vorgelegten Begutachtungen davon überzeugt, dass die gesundheitlichen Beeinträchtigungen, unter denen der Kläger nach dem Unfall vom 24. Juli 1996 leidet, keine organische Ursache haben, sondern dass der krankhafte Zustand des Klägers seine Ursache alleine in einer psychischen Reaktion als Folge des Unfallereignisses zu suchen ist. Diese Überzeugung hat der Senat vor allem daraus gewonnen, dass nach dem insoweit übereinstimmenden Ergebnis aller Begutachtungen eine organische Schädigung, die die vielfältigen Krankheitssymptome des Klägers erklären könnte, nicht nachzuweisen ist.

Der Sachverständige Prof. O. hat - im Einklang mit den Feststellungen des erstinstanzlich herangezogenen Sachverständigen Prof. K. - dauerhafte organische Schädigungen des Klägers auf dem Gebiet der Orthopädie unter sorgfältiger Auswertung der vorhandenen Röntgenaufnahmen ausgeschlossen. Er hat ausgeführt, dass das noch am Unfalltag durchgeführte CT der Halswirbelsäule ebenso einen unauffälligen Befund erbracht habe wie das Schädel-Computertomogramm sowie eine Kernspintomographie des Schädels, der Halswirbelsäule und der Lendenwirbelsäule am 3. bzw. 15. August 1996. Schädigungen der Kopfgelenke oder der Bänder seien auf den Aufnahme nicht zu erkennen. Zumindest hätte sich ein Bluterguss zeigen müssen, wenn es durch den Unfall zu einer deutlichen Schädigung der ligamentären Strukturen und der Kapselstrukturen im oberen Halswirbelbereich gekommen wäre. Auch die vom Sachverständigen ausgewerteten kernspintomographischen Bilder von Dr. W. lassen eine Verletzung der Ligamenta alaria bzw. eine Rotationsfehlstellung nicht erkennen, wobei hinzukommt, dass diese Aufnahmen erst knapp 1 1/2 Jahre nach dem Unfall entstanden sind und schon deswegen keine sichere Zuordnung zum Unfallgeschehen selbst dann mehr möglich wäre, wenn die Befundung von Dr. W. zutreffend sein sollte. Der Sachverständige Prof. O. hat auch überzeugend ausgeführt, dass die intraoperativ bei dem Eingriff am 2. März 1998 von Dr. Q. getroffenen Feststellungen (Riß der Gelenkkapsel des C 1/2 mit rotorischer Subluxation) schon deshalb nicht nachvollziehbar sind, weil der Operateur bei dem von ihm gewählten Zugang keine ausreichende Sicht auf die Gelenkkapsel und auf die Ligamenta alaria hatte. Zudem wäre, wenn die Gelenkkapsel tatsächlich unfallbedingt gerissen wäre, zum Zeitpunkt des operativen Eingriffs mehr als 1 1/2 Jahre nach dem Unfall eine Ausheilung zu erwarten gewesen. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. O. ist somit davon auszugehen, dass es durch den Unfall zu keiner Schädigung im oberen Halswirbelbereich gekommen ist, die nicht innerhalb eines normalen Zeitrahmens einer Halswirbeldistorsion von 3 Monaten verheilt wäre. Gleiches gilt für den Bereich der Lendenwirbelsäule. Für die Annahme unfallbedingter Beinlähmungen wäre eine Beschädigung der Halsmarkstruktur, die schon initial zu neurologischen Ausfällen hätte führen müssen, notwendig; dafür fehlt jeder objektive Hinweis.

Auch auf neurologischem Gebiet sind organische Schädigungen des Klägers nicht festzustellen. Das hat der vom Senat beauftragte Sachverständige Prof. J. in Übereinstimmung mit den Ausführungen von Prof. T. und Dr. Y. überzeugend dargelegt. Die Beschwerden des Klägers sind nicht die Folge eines organisch bedingten Psychosyndroms aufgrund eines unfallbedingt erlittenen Schädel-Hirn-Traumas, sondern sie stellen eine ausschließlich psychische Reaktion des Klägers auf das Unfallereignis dar. Das hat der Sachverständige Prof. J. nachvollziehbar anhand der Auswertung der Behandlungsunterlagen und der Röntgenaufnahmen ausgeführt. Beim Kläger ist es als Unfallfolge zu einer Commotio cerebri gekommen. Dies entspricht der Einschätzung des erstbehandelnden Arztes Prof. Z., die vom Sachverständigen Prof. J. anhand der aufgeführten Symptome (als kurzfristig zu wertende Bewusstseinsstörung von maximal 40 Minuten, Kribbelparästhesien an beiden Händen und Füßen, sonst keine neurologischen Defizite) nachvollzogen werden konnte. Eine knöcherne Verletzung war, wie auch Prof. O. festgestellt hat, auszuschließen. Neurologische Defizite waren auch zu keinem weiteren Zeitpunkt nach dem Unfall objektivierbar. Gewisse testpsychologische Auffälligkeiten, die sich beim Kläger zunächst gezeigt hatten, später aber nicht mehr bestätigt werden konnten, können nicht als Zeichen einer inhaltlichen oder formalen Denkstörung gedeutet werden. Damit ergeben sich, wie der Sachverständige Prof. J. ausgeführt hat, keinerlei Hinweise auf das Vorliegen eines hirnorganischen Psychosyndroms beim Kläger.

Der Sachverständige Prof. J. hat daher überzeugend den Schluss gezogen, dass die vom Kläger geklagten Beschwerden psychische Reaktionen auf das Unfallereignis darstellen. Beim Kläger liegt eine hochgradig verfestigte rein funktionelle, psychisch-bedingte Somatisierungsstörung vor.

Die Feststellungen des Sachverständigen Prof. J. werden durch die vom Kläger vorgelegten psychiatrischen Begutachtungen durch Prof. G. nicht in Frage gestellt. Dieser kommt zwar in seinem Gutachten vom 19. September 2001 zu dem Ergebnis, beim Kläger liege ein organisches Psychosyndrom nach Schädelhirntrauma vor. Prof. G. hat indes einräumen müssen, dass es für diese Diagnose an einem organpathologischem Korrelat wie insbesondere einer Einblutung fehlt. Dass gleichwohl - wie auch Dr. Y. hervorgehoben hat - eine hirnorganische Schädigung niemals ganz sicher ausgeschlossen werden kann, mag zutreffen. Nach den auch insoweit überzeugenden Ausführungen von Prof. J. sind aber in einem Kernspintomogramm auch feinste Blutungen erkennbar, so dass es praktisch auszuschließen ist, dass eine hirnorganische Schädigung insoweit nicht erkannt und diagnostiziert werden kann. Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass keinerlei neurologische Defizite nach dem Unfall festgestellt worden sind, was auch gegen eine durch den Unfall verursachte Blutung spricht. Soweit der Kläger zwischenzeitlich eine weitere Begutachtung von Prof. C. und von Prof. V. zu den Akten gereicht hat, ergibt sich für den Senat keine andere Bewertung: Diese Sachverständigen stellen aus psychiatrischer Sicht zwar ebenfalls - wie Prof. G. - hirnorganische Beeinträchtigungen beim Kläger fest; sie mutmaßen ebenfalls, die beim Kläger feststellbaren Symptome seien "am ehesten" auf ein organisches Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma zurückzuführen. Sie setzen sich indes nicht mit dem Umstand auseinander, dass es für diese Annahme keinen organisch-neurologischen Nachweis gibt. Bei dieser Sachlage sieht der Senat zur weiteren Beweiserhebungen keinen Anlass. Dies betrifft sowohl das psychiatrische Fachgebiet als auch den Bereich der Neurootologie. Neurootologische Untersuchungen würden nach den überzeugenden Ausführungen von Prof. J. heute keine relevanten Erkenntnisse mehr erbringen können.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Berufungsstreitwert: 235.961,20 €

Ende der Entscheidung

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