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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 21.02.2001
Aktenzeichen: 5 U 127/00
Rechtsgebiete: VVG, ZPO


Vorschriften:

VVG § 169
VVG § 169 S. 1
VVG § 169 S. 2
ZPO § 711
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

5 U 127/00

Anlage zum Protokoll vom 21. Februar 2001

Verkündet am 21. Februar 2001

In dem Rechtsstreit

hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 17. Januar 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Rosenberger, die Richterin am Oberlandesgericht Gräfin von Schwerin und den Richter am Oberlandesgericht Mangen

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 31. Mai 2000 verkündete Urteil der 23. Zivilkammer des Landgerichts Köln -23 O 351/97- wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 15.000,- DM abwenden, falls die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Beiden Parteien wird gestattet, eine Sicherheitsleistung auch durch Bürgschaft einer deutschen Großbank, Genossenschaftsbank oder öffentlichen Sparkasse zu erbringen.

Tatbestand:

Die Klägerin macht als Bezugsberechtigte Ansprüche aus einem Risiko-Lebensversicherungsvertrag geltend, den ihr verstorbener Ehemann, Herr R. G., im Jahre 1995 unter der Versicherungs-Nummer ... bei der Beklagten abgeschlossen hatte. Die Versicherungssumme beläuft sich auf 150.000,- DM.

Der Ehemann der Klägerin wurde am 15.6.1996 gegen 21.15 Uhr im Keller des von der Familie gemeinsam bewohnten Hauses von seiner Tochter, der Zeugin C. G., am Türrahmen erhängt aufgefunden.

Die Klägerin hat vorgetragen, sofern es sich überhaupt um eine Selbsttötung ihres Ehemannes gehandelt habe -denkbar sei auch ein Unfall im Rahmen der Simulation einer Selbsttötung-, so gebe es für die Annahme eines Suizids keine schlüssige Erklärung. Ihr Mann habe noch wenige Tage vor seinem Tod drei Freizeithosen bestellt, da er vorgehabt habe, eine in London lebende Tochter zu besuchen. Auch habe er gewusst, dass am 1.7.1996 seine lang erwartete Beförderung in die Besoldungsgruppe A 13 wirksam geworden wäre.

Jedenfalls müsse sich ihr Ehemann zum Zeitpunkt seines Todes in einem die freie Willensbildung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden haben. Dabei sei zu berücksichtigen, dass eine von ihr veranlasste Blutuntersuchung etwa 2 Wochen nach dem Tod eine Blutalkoholkonzentration von 2,2 Promille ergeben habe. Hinzu komme, dass ihr Mann über lange Zeit hinweg das Medikament Tranxilium eingenommen habe. Im Blut seien außerdem Spuren von Concor, einem Beta-Blocker, festgestellt worden, durch welchen eine sogenannte pharmakologische Depression habe ausgelöst werden können. Schließlich habe ihr Ehemann vor seinem Tod an einer besonders schweren Form einer Depression, einer sogenannten "Major-Depression" gelitten. Die gemeinsame Tochter, die Zeugin C. G., habe als Medizinstudentin die entsprechenden Symptome beim Vater bemerkt.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 150.000,- DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1.9.1996 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat sich auf § 169 VVG berufen, wonach der Versicherer bei einer Versicherung für den Todesfall von der Verpflichtung zur Leistung frei ist, wenn der Versicherte Selbstmord begangen hat. Vom Vorliegen eines Suizids sei zweifelsfrei auszugehen.

Die Beklagte hat bestritten, dass der versicherte Ehemann der Klägerin sich zum Zeitpunkt seines Todes in einem die freie Willensbildung ausschließenden Zustand krankhafter Störung seiner Geistestätigkeit befunden habe.

Daneben hat sie mit Schriftsatz vom 16.3.1998 den Rücktritt vom Versicherungsvertrag erklärt mit der Begründung, der Ehemann der Klägerin habe offenbar im Versicherungsantrag einen schon damals bestehenden chronischen Alkoholabusus verschwiegen.

Das Landgericht hat nach Einholung eines gerichtsmedizinischen Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. S., Vernehmung der Zeugin C. G. sowie Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. P. die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Voraussetzungen eines Leistungsausschlusses gemäß § 169 S. 1 VVG lägen vor. Die Klägerin habe den ihr obliegenden Beweis, dass ihr Ehemann den Selbstmord in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen habe, nicht zu führen vermocht.

Gegen dieses ihr am 21.6.2000 zugestellte Urteil richtet sich die am 21.7.2000 eingelegte und -nach auf entsprechende Anträge hin erfolgter Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zu diesem Tage- am 19.10.2000 begründete Berufung der Klägerin, mit der sie ihr erstinstanzliches Klagebegehren aufrechterhält.

Die Klägerin weist erneut auf die ihres Erachtens gegebene Möglichkeit eines Unfalls anlässlich der Simulation eines Selbstmordes als Todesursache hin und hält ihre Behauptung aufrecht, ihr Ehemann habe -soweit doch von einer Selbsttötung ausgegangen werden müsse- diese jedenfalls in einem die freie Willensbildung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen.

Sie greift insbesondere das Gutachten des Sachverständigen Prof. P. an. Dieses habe die von der Zeugin G. geschilderten Symptome und Verhaltensauffälligkeiten des Versicherten nicht hinreichend gewürdigt und die tatsächlich vorhandenen äußerst starken voluntativen Beeinträchtigungen ihres Ehemannes verkannt.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach ihrem erstinstanzlichen Schlussantrag zu erkennen;

Sicherheit auch durch Bürgschaft einer deutschen Großbank, Genossenschaftsbank oder öffentlichen Sparkasse leisten zu können.

Die Beklagte beantragt,

1. die Berufung zurückzuweisen;

2. ihr zu gestatten, eine zu stellende Sicherheitsleistung auch durch eine selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank oder öffentlich-rechtlichen Sparkasse zu erbringen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen aller weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils, den Inhalt der eingeholten Gutachten von Prof. S. vom 27.5.1998, von Prof. P. vom 23.6.1999 nebst ergänzender Stellungnahme vom 5.1.2000 sowie den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig; in der Sache ist sie nicht begründet.

Insoweit wird zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffende und überzeugende Begründung des landgerichtlichen Urteils verwiesen, die durch das Berufungsvorbringen der Klägerin nicht erschüttert wird (§ 54 Abs. 1 ZPO).

Der geltend gemachte Anspruch steht der Klägerin nicht zu.

Dabei kann dahinstehen, ob der Beklagten ein Rücktrittsrecht in Bezug auf den geschlossenen Lebensversicherungsvertrag zusteht oder nicht, denn jedenfalls besteht aus anderen Gründen kein Leistungsanspruch der an sich bezugsberechtigten Klägerin.

Die Beklagte ist nämlich gemäß § 169 S. 1 VVG von ihrer Leistungspflicht freigeworden.

Der der Beklagten obliegende Beweis einer Selbsttötung des Versicherers ist als geführt anzusehen (zu den Anforderungen an den Nachweis vgl. Prölss/Martin-Kollhosser, VVG, 26. Auflage, Rdnr. 5 zu § 169 m.w.N.).

Unstreitig ist der Tod des Versicherten ohne jede erkennbare Fremdeinwirkung durch Erhängen eingetreten, wie sich aus der eigenen Schilderung der Klägerin und ihrer Tochter sowie dem vorliegenden Inhalt der polizeilichen Ermittlungsberichte vom 15. und 17.6.1996 ergibt. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass es vom Versicherer ungewollt, etwa auf Grund eines Unglücksfalles im Rahmen einer bloßen Selbstmordsimulation, zum Todeseintritt gekommen sein könnte, sind weder ersichtlich noch werden solche von der Klägerin in irgend einer Weise dargetan. Ihre Angaben hierzu beschränken sich auf eine bloße entsprechende Mutmaßung, ohne sich indes auf irgendwelche plausiblen konkreten oder greifbaren Tatsachen oder Umstände stützen zu können, die eine derartige Annahme auch nur entfernt rechtfertigen könnten.

Der Senat hat deshalb ebenso wie das Landgericht keine Zweifel daran, dass der Versicherte die seinen Todeseintritt herbeiführenden Handlungen in der Absicht ausgeführt hat, sich das Leben zu nehmen.

Die danach gemäß § 169 S. 1 VVG bestehende Leistungsfreiheit der Beklagten entfällt auch nicht deshalb, weil sich der Ehemann der Klägerin bei seiner Selbsttötung in einem die freie Willensbildung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden hat.

Die Berufungsbegründung verkennt, dass der Klägerin als Anspruchstellerin die Beweislast dafür obliegt, dass sich der Versicherungsnehmer in einem derartigen Zustand selbst getötet hat (vgl. BGH in VersR 1994, 162; Prölss/Martin-Kollhosser aaO, Rdnr. 6 zu § 169 m.w.N.).

Dieser Nachweis ist ihr nicht gelungen.

Aufgrund des Sachverständigengutachtens von Prof. S., das das Landgericht zutreffend ausgewertet hat, steht bereits fest, dass die beim Verstorbenen im Zeitpunkt des Todes vorhandene Blutalkoholkonzentration auch in Verbindung mit Wirkungen bzw. Nachwirkungen eingenommener Medikamente nicht den Schluss darauf zulässt, dass sich der Ehemann der Klägerin im Zeitpunkt seines Suizids in einem die freie Willenbildung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden haben könnte. Eine Blutalkoholkonzentration von 2,2 Promille rechtfertigt danach diese Annahme nicht; eine relevante pharmakologische Wechselwirkung mit den eingenommenen Medikamenten konnte der Sachverständige ausschließen.

Die Klägerin hat denn die getroffenen Feststellungen dieses Sachverständigen mit ihre Berufungsbegründung auch nicht weiter angegriffen.

Aber auch die von der Klägerin angeführte psychische Situation des Ehemannes im übrigen rechtfertigt nicht die Annahme einer bei ihm bestehenden geistigen Störung im Sinne von § 169 S. 2 VVG.

So ist anerkannt, dass zum Beispiel eine übersteigerte Reaktion auf Eheprobleme oder auch eine bloße depressive Verstimmung einen entsprechenden Schluss nicht zu rechtfertigen vermögen; vielmehr muss der Anspruchsteller nachweisen, dass eine schwere -endogene oder psychogene- Depression vorliegt und der Versicherungsnehmer die Selbsttötung in einer akuten depressiven Phase begangen hat (vgl. OLG Nürnberg in VersR 1994, 295; Kollhosser aaO). Dass die Tat unerklärlich scheint, dass ein bestimmter und ausreichender Beweggrund nicht dargetan werden kann, reicht keineswegs aus (vgl. OLG München in VersR 1955, 610). Solange noch ein nachfühlbares Motiv, insbesondere ein sogenannter "Bilanzselbstmord" nicht auszuschließen ist, ist der erforderliche Nachweis nicht geführt (vgl. OLG Nürnberg aaO; OLG Stuttgart in VersR 1989, 794).

So liegt der Fall aber hier. So mag der Versicherte, wie sich aus der Schilderung der Klägerin selbst und auch aus den zu den Akten gelangten ärztlichen Stellungnahmen ergibt, unter ehelichen bzw. allgemein familiären Auseinandersetzungen sowie beruflichen Belastungen gelitten haben; auch mag ein allgemeiner, sich verstärkender Lebensüberdruss, gepaart mit Alkoholabusus und vielfältigen depressiven Grundstimmungen, Versagensängste und befürchtete Krankheiten etc. betreffend, vorgelegen haben. Daraus allein kann aber keine sichere Feststellung im Sinne des Vorliegens der Voraussetzungen von § 169 S. 2 VVG getroffen werden, zumal der Versicherte unstreitig in der Lage war, seinen Beruf ohne Beeinträchtigungen auszuüben und jedenfalls nach außen ein durchaus unauffälliges Leben zu führen.

Insbesondere ergeben sich aus den auch den Senat völlig überzeugenden, sorgfältig begründeten und in jeder Hinsicht nachvollziehbaren Feststellungen des Sachverständigen Prof. P., der dem Senat seit vielen Jahren als besonders kompetenter und hochqualifizierter Gutachter bekannt ist, keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, der Ehemann der Klägerin könne den Selbstmord in einem die freie Willensbildung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen haben.

Nachgewiesen sind danach allenfalls gewisse Verhaltensauffälligkeiten aufgrund einer "traurigen Grundstimmung" gepaart mit Alkoholmissbrauch. Entgegen der Kritik der Berufungsbegründung hat der Sachverständige seiner Beurteilung auch genau die von der Tochter der Klägerin als Zeugin geschilderten Verhaltensauffälligkeiten zugrundegelegt. Es ist nicht ersichtlich, dass zu Unrecht andere oder massivere vom Versicherten gezeigte Auffälligkeiten oder Symptome unberücksichtigt geblieben sein könnten, zumal die Klägerin dazu auch gar nichts weiter vorgetragen hat.

Von einem -erforderlichen- Nachweis des Vorliegens eines die freie Willensbildung ausschließenden Zustands krankhafter Störung der Geistestätigkeit kann nach dem Ergebnis der gutachterlich getroffenen Feststellungen jedenfalls keine Rede sein.

Der von der Klägerin begehrten Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens bedarf es nicht, denn es ist nicht ersichtlich, mit welcher Begründung ein weiterer Gutachter entgegen den überzeugenden Feststellungen von Prof. P. das zweifelsfreie Vorliegen eines die freie Willensbildung ausschließenden Geisteszustands des Versicherten im Tötungszeitpunkt sollte bestätigen können.

Die Klägerin verkennt insoweit auch, dass die von ihr herangezogenen beiden ärztlichen Stellungnahmen des Privatdozenten Dr. H. sich zwar mit dem Gutachten von Prof. P. in der Weise kritisch auseinandersetzen, als dass die Annahme des Sachverständige, von einer die freie Willenbildung ausschließenden geistigen Störung könne definitiv nicht ausgegangen werden, für zu weitgehend erachtet wird; auch PD Dr. H. verkennt aber nicht und bringt auch durchaus und mehrfach zum Ausdruck, dass "die Sachlage keineswegs eindeutig" sei, somit also nach seiner Bewertung die sichere gegenteilige Annahme des Bestehens eines die freie Willensbildung ausschließenden Geisteszustandes des Versicherten ebenfalls nicht möglich erscheint. Gerade dieser Umstand muss aber zu Lasten der Klägerin gehen, da ihr der Beweis eines die freie Willensbildung ausschließenden Geisteszustandes ihres Ehemannes im Zeitpunkt seiner Selbsttötung obliegt. Diesen hat sie nicht zu führen vermocht mit der Folge, dass ihrer Berufung der Erfolg versagt bleiben muss.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gegenstandswert für das Berufungsverfahren und Wert der Beschwer für die Klägerin: 150.000,- DM

Ende der Entscheidung

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