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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 22.12.2003
Aktenzeichen: 5 U 127/03
Rechtsgebiete: DÜG, ZPO


Vorschriften:

DÜG § 1
ZPO § 314
ZPO § 527 ff.
ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 531 n. F.
ZPO § 531 Abs. 1
ZPO § 531 Abs. 2
ZPO § 531 Abs. 2 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

5 U 127/03

Anlage zum Protokoll vom 22.12.2003

Verkündet am 22.12.2003

In dem Rechtsstreit

hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 3.12.2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Rosenberger und die Richter am Oberlandesgericht Dr. Thurn und Mangen

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 11.6.2003 (23 O 317/01) teilweise abgeändert und wie folgt gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu zahlen:

- 5.062,32 Euro,

- ab 1.5.2003 bis längstens zum 1.1.2022 monatlich je 151,75 € zuzüglich einer bedingungsgemäß anfallenden Überschussbeteiligung,

- Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG aus 691,00 € seit dem 25.10.2000, aus weiteren 138,20 € monatlich für die Zeit vom 1.11.2000 bis 31.12.2000, aus weiteren je 142,90 € monatlich für die Zeit vom 1.1.2001 bis 31.12.2001, aus weiteren je 147,76 € monatlich für die Zeit vom 1.1.2002 bis 31.12.2002 und aus weiteren je 151,75 € monatlich für die Zeit vom 1.1.2003 bis zum 30.4.2003.

Die Beklagte wird weiter verurteilt, die Klägerin von der Zahlung der Beiträge für die bei der Beklagten unterhaltenen Lebensversicherung Nr. ####1 seit dem 1.6.2000 bis längstens 01.01.22 freizustellen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des ersten Rechtszuges trägt die Beklagte.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung. Die Parteien haben erstinstanzlich vor allem um die Frage der Berufsfähigkeit gestritten. Die Kammer hat nach Beweisaufnahme der Klage weitgehend stattgegeben. Dabei hat sie als monatliche Rente den Betrag zugrunde gelegt, den sie aus den beiderseits vorgelegten Vertragsunterlagen selbst ermittelt hatte.

Mit der form- und fristgerecht eingelegten Berufung macht die Beklagte lediglich geltend, dass die Kammer von einer falschen Höhe der Berufsunfähigkeitsrente ausgegangen sei. Tatsächlich betrage diese nicht - wie ursprünglich vereinbart - 173,94 € monatlich, sondern erheblich weniger, da es in der Folgezeit zwei Nachträge gegeben habe, durch die die gegenseitigen Leistungen umgestellt worden seien. Dies habe sich zumindest indirekt auch aus dem beiderseitigen Parteivortrag ergeben. Wegen der Einzelheiten der Berechnung wird auf die Berufungsbegründungsschrift nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Klägerin bestreitet den Sachvortrag der Beklagten nicht, erläutert, dass im ursprünglichen Klageantrag bereits die zurückgeforderten Beiträge eingerechnet gewesen seien, und beruft sich im übrigen auf die Tatbestandswirkung des angefochtenen Urteils.

II.

Die Berufung ist zulässig und begründet. Die Kammer hat der Klägerin mehr zugesprochen als ihr zustand. Dass die Klägerin nur Anspruch auf bedingungsmäßige Leistungen im von der Beklagten nunmehr von der Beklagten genau dargelegten und tenorierten Umfang hat und die Berechnung der Kammer auf nicht mehr gültigen Vertragsverhältnissen beruht, ist zwischen den Parteien nicht streitig. Der Senat hat daher ohne weiteres die Zahlen aus der Berufungsschrift und den Anlagen zugrunde gelegt.

Dieser neue Tatsachenvortrag der Beklagten ist berücksichtigungsfähig. Die Wirkung des § 314 ZPO steht dem nicht entgegen. Es entsprach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung zur Rechtslage vor der ZPO-Novelle, dass der Tatbestand eines angefochtenen Urteils zwar grundsätzlich bindend war, gleichwohl aber neuer Sachvortrag damit nicht ausgeschlossen war (so etwa zuletzt BGH NJW-RR 2001, 448). Inwieweit dieser zuzulassen war, bestimmte sich nach altem Recht nach den Vorschriften der §§ 527 ff. ZPO. Hieran hat sich durch die ZPO-Novelle nichts geändert. Zwar sind die Vorschriften, nach denen neues Tatsachenvorbringen in zweiter Instanz zuzulassen ist, deutlich verschärft worden, und insoweit mag eine der Bindungswirkung des § 314 ZPO vergleichbare faktische "Bindung" an erstinstanzlichen Vortrag eintreten. Im Rahmen des § 531 ZPO n.F. hindert aber auch nach neuem Recht der Tatbestand des angegriffenen Urteils nicht die Berücksichtigung neuen Sachvortrags (so ausdrücklich auch OLG Saarbrücken OLGR 2003, 142 f.).

Das Vorbringen der Beklagten ist zulassungsfähig. Es ist nicht durch § 531 Abs.1 ZPO ausgeschlossen, da es ist nicht in erster Instanz zurückgewiesen worden ist. Es kann hier dahinstehen, ob es nach § 531 Abs.2 Nr. 2 ZPO schon deshalb zuzulassen wäre, weil es infolge eines Verfahrensmangels der Kammer nicht (in prozessual beachtlicher Form) geltend gemacht wurde. Tatsächlich hat es von beiden Seiten Sachvortrag gegeben, der sich auf die Höhe der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit und der Beiträge bezog, der allerdings für sich genommen kaum nachzuvollziehen war und nicht in Einklang stand mit den vorgelegten Versicherungsbedingungen. Es bestand damit eine offenkundige Unklarheit im Tatsächlichen, die grundsätzlich durch eine gerichtliche Nachfrage (§ 139 ZPO) hätte bereinigt werden sollen. Jedenfalls aber ist der nunmehrige tatsächliche Vortrag schon deshalb zu berücksichtigen, da er unstreitig ist und eine Zurückweisung zu einer evident unrichtigen Entscheidung führen würde. In einem solchen Fall ist im vorrangigen Interesse materieller Gerechtigkeit neues Vorbringen nicht auszuschließen (OLG Hamm NJW 2003, 2325 f.). Ob dies über eine teleologische Reduktion von § 531 Abs. 2 ZPO zu begründen ist (so OLG Hamm aaO) oder über eine teleologisch entsprechend weite Auslegung von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, sei dabei dahin gestellt. Die mit der ZPO-Novelle verbundene Zielsetzung, durch Beschränkung der Berufung auf eine Fehlerkontrolle der ersten Instanz Zeit und Ressourcen zu sparen, wird jedenfalls nicht verletzt, wenn aufgrund eines unstreitigen Sachvortrages ohnehin eine weitere Sachaufklärung nicht notwendig wird.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 91, 92 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO. Durch die im Rahmen der mündlichen Verhandlung abgegebene Erklärung des Anwalts der Klägerin, wie die ursprüngliche Klageforderung berechnet worden sei (nämlich aus einer Addition von aktuellen Rentenleistungen und rückgeforderten Beiträgen), ist deutlich geworden, dass die Klägerin im Wesentlichen nur das verlangt hat, was ihr zustand, wenn auch mangels Erläuterung der Zahlungsansprüche für die Kammer (verständlicherweise) der Antrag nicht ohne weiteres nachvollziehbar war und falsch gedeutet wurde. Im Ergebnis waren die Kosten der ersten Instanz daher in vollem Umfang der Beklagten aufzuerlegen (eine nach den Berechnungen des Senats geringfügige Abweichung fällt in den Rahmen von § 92 Abs.2 ZPO). Da die Kostenentscheidungen von Amts wegen zu treffen ist, kann dies auch ohne Einlegung einer Anschlussberufung im Rahmen der Berufung der Beklagten korrigiert werden. Die Kosten zweiter Instanz hat die Klägerin zu tragen, da sie Zurückweisung der Berufung beantragt hat. § 97 Abs.2 ZPO war nicht anzuwenden, da die Beklagte zur Höhe der Rentenleistungen in erster Instanz weder unvollständig noch unrichtig, sondern zutreffend vorgetragen hat und aus ihrer Sicht kein Anlass zu weitergehendem Vortrag bestand.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.

Für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs.2 ZPO n.F.) besteht kein Anlass.

Streitwert: bis 1500.- Euro.

Ende der Entscheidung

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