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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 22.04.2009
Aktenzeichen: 5 U 152/08
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 5. August 2008 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 3 O 83/03 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der am 28.2.1955 geborene Kläger ist als niedergelassener Internist und Kardiologe tätig. Nachdem sich im rechten Unterkiefer eine auf den Zähnen 44 und 46 befestigte Brücke gelöst hatte, suchte er im Juni 1999 den Beklagten zu 2), einen Zahnarzt, auf. Der Beklagte zu 2) sah die Zähne 44 und 46 nicht als erhaltungsfähig an und besprach mit dem Kläger die Versorgung mit Zahnersatz. Der Kläger stellte sich daraufhin am 22.11.1999 beim Beklagten zu 1), einem Arzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, vor, der die Insertation von Implantaten in regio 44, 46 und 47 vorschlug. Der Beklagte zu 2) behandelte zunächst den Oberkiefer und den linken Unterkiefer des Klägers. Am 16.6.2000 entfernte er die Zähne 44 und 46.

Am 11.5.2001 setzte der Beklagte zu 1) Implantate in regio 44, 45, 46 und 47 ein. Die Entscheidung zur Einsetzung des Implantats in regio 45 fiel während der Operation. In der Folgezeit entwickelte sich eine Entzündung, die der Beklagte zu 1) behandelte. Während eines Urlaubs des Beklagten zu 1) entfernte Prof. Dr. A. am 24.7.2001 das Implantat in regio 45. Am 10.9.2001 nahm der Beklagte zu 1) das Implantat in regio 46 heraus, worauf sich der Zustand des Klägers besserte und die Entzündung abheilte.

Nach Fertigung eines Orthopantogramms (19.2.2002) setzte der Beklagte zu 1) am 25.3.2002 die Implantate in regio 45 und 46 neu ein. Während der Operation hatte der Beklagte zu 1) den Eindruck, in regio 45 die obere Wand des Nervkanals durchbohrt zu haben. Bei der Kontrolluntersuchung vom 28.3.2002 beschrieb der Kläger ein anhaltendes Taubheitsgefühl im Bereich des rechten Unterkiefers. Im Mai 2003 stellte sich der Kläger letztmals beim Beklagten zu 1) vor.

Der Kläger hat behauptet, dass weder die Extraktion der Zähne 44 und 46 noch das Setzen der Implantate in regio 44 bis 47 indiziert gewesen seien. Der Beklagte zu 1) habe zudem die aufgetretene Entzündung fehlerhaft behandelt. Das erneute Setzen der Implantate in regio 45 und 46 sei ebenfalls nicht indiziert gewesen. Außerdem habe der Beklagte zu 1) fehlerhaft zu tief gebohrt und auf die entstandene vollständige Nervenlähmung nicht fachgerecht reagiert. Über alternative Behandlungsmöglichkeiten und die Risiken einer Versorgung mit Implantaten, insbesondere die Gefahr einer Nervenverletzung, sei er, der Kläger, nicht aufgeklärt worden.

Der Kläger hält ein Schmerzensgeld von mindestens 50.000 € für angemessen. Infolge der Nervenverletzung leide er insbesondere an Artikulationsstörungen, beiße sich in die Wange, ziehe unwillkürlich Grimassen und habe Schwierigkeiten bei der Nahrungsaufnahme und beim Trinken. Bei ihm habe sich eine reaktive Depression eingestellt. Seinen Beruf könne er täglich nur noch zwei bis drei Stunden ausüben. Im Jahr 2002 sei ihm ein Erwerbsschaden von 74.931,97 € entstanden, der sich aus Kosten von 44.000 € für eine vom 1.5.2002 bis 31.12.2002 beschäftigte Assistentin und gleichwohl gegenüber dem Vorjahr entstandenen Mindereinnahmen von 30.931,97 € zusammen setze.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld sowie 74.931,97 € zu zahlen nebst fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit,

2. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, als Gesamtschuldner ihm einen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihm dadurch entstanden ist und noch entstehen wird, dass der Beklagte zu 1) ihn seit dem 11.5.2001 zahnmedizinisch fehlerhaft behandelt hat, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder einen anderen Dritten übergegangen ist.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie sind dem Vorwurf fehlerhafter Behandlung und unzureichender Aufklärung entgegen getreten.

Das Landgericht hat das Gutachten von Dr. Dr. B. vom 26.7.2004 (Bl. 243 ff. d.A.) nebst Ergänzungen vom 20.1.2005 (Bl. 326 ff. d.A.), vom 27.9.2005 (Bl. 390 ff. d.A.), vom 3.3.2006 (Bl. 460 ff. d.A.), vom 14.1.2007 (Bl. 628 ff. d.A.) und vom 6.6.2008 (Bl. 713 ff. d.A.) sowie das neurologische Gutachten von Dr. C. vom 5.6.2007 (Bl. 573 ff. d.A.) eingeholt. Ferner hat es die Zeuginen D. und E. vernommen (Bl. 559 ff. d.A.).

Daraufhin hat es die Klage abgewiesen. Behandlungsfehler der Beklagten seien nicht erwiesen. Die gelte zunächst für die Extraktion der Zähne 44 und 46 durch den Beklagten zu 2). Die Implantatversorgung sei bei ausreichender Knochensituation indiziert gewesen. Der Verlust der Implantate in regio 45 und 46 sei nicht auf einen Behandlungsfehler des Beklagten zu 1) zurückzuführen. Eine Indikation für die Reinsertation der Implantate habe ebenfalls bestanden. Das vertikale Knochenangebot sei gegenüber der ersten Operation allenfalls geringfügig reduziert gewesen. Eine Eröffnung des Nervkanals habe sich trotz sorgfältiger Vorgehensweise nicht sicher vermeiden lassen. Nach der Operation wäre zwar im Fall einer Anästhesie (vollständiger Nervausfall) eine sofortige Explantation geboten gewesen. Deren Vorliegen lasse sich aber nicht feststellen. Der neurologische Sachverständige habe nach Untersuchung des Klägers eine komplette Läsion des Nerven ausgeschlossen.

Schadensersatzansprüche des Klägers wegen unterlassener Aufklärung bestünden nicht. Zwar sei es zweifelhaft, ob der Beklagte zu 1) den Kläger ordnungsgemäß aufgeklärt habe. Es sei aber anzunehmen, dass der Kläger auch bei umfassender Aufklärung in die Operation eingewilligt hätte. Ausweislich des psychiatrischen Gutachtens von Prof. Dr. I. /Dr. K. vom 10.6.2003 habe der Kläger in der Anamnese nämlich erklärt, dass das Wissen um die Risiken seine Einwilligung in die Operation nicht geändert hätte.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Berufung. Die Annahme einer hypothetischen Einwilligung sei rechtsfehlerhaft. Der Beklagte zu 2) habe sich hierauf in erster Instanz schon nicht berufen. Die zwingend gebotene persönliche Anhörung des Klägers sei unterblieben.

Seine im Gutachten von Prof. Dr. I. /Dr. K. wieder gegebene Äußerung sei aus dem Zusammenhang gerissen und so zu verstehen, dass er sich möglicherweise dann für den Eingriff entschieden hätte, wenn er zwar alle Risiken gekannt hätte, aber zudem darauf hingewiesen worden wäre, dass es sich bei dem Eingriff um die einzige Möglichkeit gehandelt hätte. Gemeint sei damit, dass der Kläger in Kenntnis von Behandlungsalternativen und der mit dem Eingriff verbundenen Risiken dem Eingriff gerade nicht zugestimmt hätte. Bei Begutachtung durch Frau Dr. K. habe der Kläger nicht um die weiteren Behandlungsalternativen gewusst. Der Kläger macht weiter geltend, dass er gegenüber der Gutachterin Dr. K. keinen Zweifel habe aufkommen lassen, dass er den Eingriff bei ordnungsgemäßer Aufklärung abgelehnt hätte.

Über die mit dem Eingriff einhergehenden Risiken, insbesondere einer Nervenverletzung und einer Osteomyelitis, sei er genauso wenig wie über Behandlungsalternativen aufgeklärt worden. In den Behandlungsunterlagen sei hierzu nichts dokumentiert.

Einen Behandlungsfehler habe das Landgericht fehlerhaft verneint. Der Sachverständige Dr. Dr. B. habe, soweit es um die Ermittlung der Knochenhöhe durch den Beklagten zu 1) vor der Operation vom 25.3.2002 gegangen sei, mit einer Unterstellung gearbeitet. Nachweise, die eine Überprüfung des Knochenangebots belegten, lägen nicht vor. Ferner sei es fehlerhaft, dass das Landgericht das Vorliegen einer Anästhesie, die nach der Operation vom 25.3.2002 eine umgehende Explantation notwendig gemacht hätte, nicht festgestellt habe. Aufgrund der von Dr. F. und Prof. Dr. A. erhobenen Befunde, über die der Kläger die Beklagten unterrichtet habe, habe von einer Anästhesie ausgegangen werden müssen. Der Sachverständige Dr. Dr. B. sei nach Untersuchung des Klägers in seinem Gutachten vom 26.7.2004 zum gleichen Ergebnis gelangt, während das vom Beklagten zu 1) verwendete Prüfverfahren - wie sich aus den widersprüchlichen Zeugenaussagen seiner Helferinnen ergebe - unzureichend sei.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils

1. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld sowie 74.931,97 € zu zahlen nebst fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit,

2. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, als Gesamtschuldner ihm einen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihm dadurch entstanden ist und noch entstehen wird, dass der Beklagte zu 1) ihn seit dem 11.5.2001 zahnmedizinisch fehlerhaft behandelt hat, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder einen Dritten übergegangen ist.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil. Der Beklagte zu 1) behauptet wie in erster Instanz, dass er dem Kläger bereits bei der ersten Besprechung am 22.11.1999 an Hand des gefertigten Röntgenbildes und mit Hilfe von Implantatschablonen erläutert habe, dass über dem Nervkanal lediglich eine geringe Knochenhöhe zur Verfügung stehe. Die Situation sei mit Blick auf die Lage der Implantate und die - besonders nahe liegende - Gefahr der Verletzung des Nerven ausführlich besprochen worden. Der Beklagte zu 1) habe den Kläger auf das Risiko einer bleibenden vollständigen Taubheit des betroffenen Versorgungsgebiets, insbesondere der Unterlippe, hingewiesen. Vor dem Eingriff im Mai 2001 sei die Gefahr der Nervverletzung bei Insertion des Implantats 45 eingehend besprochen worden. Auch vor der Operation vom 25.3.2002 habe der Beklagte zu 1) den Kläger nochmals in Anwesenheit des Beklagten zu 2) unmissverständlich auf die Gefahr einer Nervverletzung hingewiesen. Das letzte Röntgenbild habe sich zu diesem Zeitpunkt im Röntgenbetrachter befunden. Über anderweitige Behandlungsmöglichkeiten sei der Kläger bereits durch den Beklagten zu 2) aufgeklärt gewesen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeuginnen D. und E. . Die Beklagten zu 1) und 2) sowie den Kläger hat er angehört. Wegen des Inhalts der Beweisaufnahme und der Parteianhörung wird auf das Sitzungsprotokoll vom 22.4.2009 verwiesen (Bl. 889 ff. d.A.).

II.

Die Berufung ist unbegründet.

Der Kläger kann von den Beklagten wegen der Behandlung ab dem Jahr 1999 weder die Zahlung eines Schmerzensgeldes noch Schadensersatz verlangen.

1. Die Beklagten haften dem Kläger nicht wegen mangelhafter Eingriffs- und Risikoaufklärung.

a) Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der Kläger vor den Eingriffen, die am 11.5.2001 und am 25.3.2002 zur Insertation der Implantate durchgeführt worden sind, ausreichend aufgeklärt worden ist. Insbesondere ist erwiesen, dass der Beklagte zu 1) den Kläger über die Gefahr einer Nervenverletzung unterrichtet hat.

aa) Der Kläger ist durch den Beklagten zu 2) darüber aufgeklärt worden und wusste darum, dass es Behandlungsalternativen zu einer Implantat getragenen prothetischen Versorgung gab. Der Beklagte zu 2) hat unter dem 16.6.1999 in seiner Karteikarte vermerkt, dass der Kläger zum einen über die Möglichkeit herausnehmbaren Zahnersatzes - das heißt eine zur Verfügung stehende konservative Behandlungsalternative - sowie zum anderen über eine Implantat getragene prothetische Versorgung informiert worden ist. Die Aufklärung sei, so der Beklagte zu 2) im Senatstermin, anhand von Bildern (Dias) erfolgt. Diesen Sachverhallt hat der Kläger vor dem Senat bestätigt. Dass der Beklagte zu 2) die Implantat getragene Versorgung nach der Darstellung des Klägers als die beste Versorgung empfohlen haben soll, ändert nichts daran, dass eine Aufklärung über bestehende Behandlungsalternativen vorgenommen worden ist. Bei der gegebenen Sachlage hätte der Kläger sich, wenn es ihm darauf angekommen wäre, nach weiteren Einzelheiten des alternativ in Betracht kommenden Zahnersatzes erkundigen können und müssen.

bb) Über die Gefahr einer Infektion, die sich nach dem Eingriff vom 11.5.2001 in Gestalt einer Osteomyelitis verwirklicht hat, musste der Beklagte zu 1) den Kläger vor dem Einsetzen der Implantate nicht aufklären. Der Kläger war insoweit nicht aufklärungsbedürftig. Er hat im Senatstermin eingeräumt, dass ihm klar gewesen sei, dass eine Entzündung ein möglicher Verlauf der vom Beklagten zu 1) durchgeführten Operation sei. Dies entspricht dem Wissenstand, der aus Sicht des Beklagten zu 1) beim Kläger, einem als Internisten und Kardiologen tätigen Arzt, zu erwarten war.

cc) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass der Kläger von dem Beklagten zu 1) in dem Vorgespräch, das im November 1999 zu Beginn der Behandlung geführt wurde, und vor der Operation vom 25.3.2001 erneut über die Gefahr einer Nervenverletzung aufgeklärt worden ist, die sich anschließend verwirklicht hat.

Wie der Sachverständige Dr. Dr. B. dargelegt hat, bestand ein aufklärungspflichtiges - besonderes - Risiko einer Verletzung des Nervus alveolaris inferior und des Nervus mentalis, da wegen der geringen Knochendimension über dem Nervkanal selbst bei Verwendung der kürzesten zur Verfügung stehenden Implante ein extreme Nervnähe bestand und der übliche Sicherheitsabstand (2 mm) nicht eingehalten werden konnte (Bl. 276, 327, 334 d.A.).

Der Beklagte zu 1) hat vor dem Senat erklärt, dass er in dem im November 1999 geführten Vorgespräch anhand eines Röntgenbildes und einer Schablone die Verhältnisse erläutert und die Möglichkeit einer Nervschädigung ausdrücklich angesprochen habe. Der Kläger habe bei Betrachten des Bildes sofort gefragt, was mit dem Nerven passiere. Vor der Operation zur Reinsertation der Implantate 45 und 46, zu der es am 25.3.2002 gekommen ist, hätten er, der Beklagte zu 1), und der Kläger das Röntgenbild betrachtet. Er habe auf die erheblichen Risiken hingewiesen und gefragt, ob er den Eingriff vornehmen solle. Damit sei der Kläger einverstanden gewesen.

Auch wenn eine Risikoaufklärung in den Behandlungsunterlagen des Beklagten zu 1) nicht dokumentiert ist, sind die Angaben des Beklagten zu 1) glaubhaft. Den Erklärungen des Klägers, dass in dem Vorgespräch nicht über Risiken gesprochen worden sei, sowie dass vor der Revisionsoperation zu einem Auftreten einer Taubheit von Lippe oder Zunge oder Ähnlichem nichts gesagt worden sei, vermag der Senat dagegen nicht zu folgen. Nach den übereinstimmenden Angaben des Beklagten zu 1) und des Klägers ist das geplante Vorgehen sowohl in dem Vorgespräch als vor dem Eingriff vom 25.3.2002 anhand des Röntgenbildes und einer Schablone besprochen worden. Insbesondere vor der Revisionsoperation war allen Beteiligten - wie der Kläger und der seinerzeit anwesende Beklagte zu 2) vor dem Senat bestätigt haben - klar, dass das Knochenangebot gering war. Die Darstellung des Beklagten zu 1), dass bei dieser Ausgangssituation auch die Gefahr einer Nervverletzung besprochen wurde und der selbst radiologisch tätige Kläger Fragen in dieser Richtung stellte, ist plausibel. Die Gefahr lag auf der Hand und es überzeugt daher, dass über sie jeweils gesprochen worden ist.

Die Rechnung des Beklagten zu 1) vom 4.6.2001 (Anlage K 1, Bl. 1 f. des Anlagenbandes) spricht ebenfalls dafür, dass die Gefahr einer Nervenverletzung seinerzeit konkret im Raum stand und Gegenstand der vorausgehenden und zeitlich folgenden Gespräche zwischen dem Beklagten zu 1) und dem Kläger war. In der Rechnung heißt es zur Begründung des angesetzten Steigerungsfaktors "Sehr große Gefahr der Verletzung des Nervus alveolaris inferior".

Schließlich haben die Zeuginnen D. und E. , die als Zahnarzthelferinnen beim Beklagten zu 1) beschäftigt waren, bekundet, dass es seinerzeit in der Praxis allgemein üblich gewesen sei, Patienten vor Eingriffen im Unterkiefer auf die auf einer Nervenverletzung beruhende Gefahr bleibender oder vorübergehender Taubheit von Zunge und/oder Unterkiefer hinzuweisen. Nichts spricht dafür, dass es sich in dem schon aus damaliger Sicht kritischen Fall des Klägers anders verhielt. Genaue Einzelheiten der mit dem Kläger geführten Gespräche hatte die Zeugin D. nicht mehr in Erinnerung. Die Zeugin E. hat an diesen Gesprächen nach ihrem Bekunden nicht teilgenommen. Die Aussagen sind glaubhaft. Die Zeuginnen, die nicht mehr beim Beklagten zu 1) beschäftigt sind, haben kein nachvollziehbares Motiv, zu Gunsten des Beklagten zu 1) falsch auszusagen. Dass beide Zeuginnen sich um eine wahrheitsgemäße Aussage bemüht und nur das berichtet haben, was sie noch in Erinnerung hatten, zeigt ferner der Umstand, dass sie jeweils eingeräumt haben, an eine Aufklärung über weitere Risiken - etwa Infektion oder (Nach-)Blutungen - keine Erinnerung zu haben.

b) Die Beklagten können sich zudem, wie bereits in erster Instanz ausdrücklich (Bl. 554, 675 d.A) oder konkludent (vgl. Bl. 227 d.A.), auf eine hypothetische Einwilligung des Klägers berufen.

Der Kläger hat unter Berücksichtigung seiner Angaben gegenüber Frau Dr. K. weder in der Berufungsbegründung noch persönlich vor dem Senat nachvollziehbar dargestellt, dass er sich bei - im vorliegenden Zusammenhang als nicht erfolgt unterstellter - ordnungsgemäßer Aufklärung in einem echten Entscheidungskonflikt befunden hätte. Er hat nicht einsichtig gemacht, dass ihn die Frage nach dem Für und Wider des Eingriffs ernsthaft vor die Entscheidung gestellt hätte, ob er zustimmen soll oder nicht.

Die im Gutachten von Prof. Dr. I. /Dr. K. vom 10.6.2003 (Bl. 167 ff. d.A.) wieder gegebenen Erklärungen des Klägers sprechen im Streitfall durchgreifend gegen einen Entscheidungskonflikt. Das psychiatrische Gutachten, das zu einer Berufsunfähigkeit des Klägers Stellung nimmt, ist aufgrund zweier Untersuchungen des Klägers am 10.4.2003 und 8.5.2003 erstellt worden. Darin heißt es (Bl. 184 d.A.): "Ferner bereite es ihm große Schwierigkeiten, dass er als Arzt sich bei beiden Operationen keine Gedanken über mögliche Risiken gemacht habe, eine solche Fehleinschätzung sei ihm sonst noch nie passiert. Er kann jedoch einräumen, dass das Wissen um die Risiken sein Einwilligung in die Operation nicht geändert hätte."

Die Darlegungen des Klägers im vorliegenden Rechtsstreit sind nicht geeignet, die eindeutige Äußerung abzuschwächen oder in einem anderen Licht erscheinen zu lassen.

Die in der Berufungsbegründung aufgestellte Behauptung, dass der Kläger gegenüber der Gutachterin Dr. K. keinen Zweifel habe aufkommen lassen, dass er den Eingriff bei ordnungsgemäßer Aufklärung abgelehnt hätte, steht in Widerspruch zum insoweit klaren und eindeutigen Wortlaut des Gutachtens vom 10.6.2003.

Die Behauptung ist zudem mit der - ihrerseits nicht überzeugenden - Deutung nicht vereinbar, die der Kläger dem zitierten Abschnitt aus dem Gutachten vom 10.6.2003 in der Berufungsbegründung zu geben versucht. Danach soll gemeint gewesen und zum Ausdruck gebracht worden sein, dass der Kläger zwar in Kenntnis der Risiken, aber unter gleichzeitiger Annahme fehlender Behandlungsalternativen dem Eingriff zugestimmt hätte. Das bedeutet zum einen, dass eine hypothetische Zustimmung des Klägers zur Reinsertation der Implantate durchaus Gegenstand des Gesprächs zwischen ihm und der die Anamnese erhebenden Gutachterin Dr. K. gewesen ist. Zum anderen ist der Erklärungsversuch wenig überzeugend. Eine Fehlvorstellung des Inhalts, dass es keine Behandlungsalternativen gab, konnte der Kläger im Gespräch mit der Gutachterin Dr. K. im Frühjahr 2003, das heißt nach Eintritt des Schadens, weiterer Befassung mit der Sache und Erhebung einer Schadensersatzklage, nicht gehabt haben. Tatsächlich lag eine derartige Fehlvorstellung, wie oben aufgezeigt worden ist, nicht einmal im Behandlungszeitpunkt vor.

Zu Gunsten des Klägers wirkt sich auch nicht aus, dass es, wie er in der Anhörung vor dem Senat geltend gemacht hat, in dem Gespräch mit Frau Dr. K. darum ging, ihm eine Möglichkeit zu geben, mit seinen Schuldgefühlen umzugehen. Das Zugeständnis, dass das Wissen um die Risiken seine Einwilligung in die Operation nicht geändert hätte, konnte ihn von den auf einer mangelnden Risiko-Auseinandersetzung beruhenden Schuldgefühlen ersichtlich nur dann befreien, wenn es das wirkliche innere Bild wieder gab.

2. Behandlungsfehler des Beklagten zu 1) und des Beklagten zu 2) hat das Landgericht nach Beweisaufnahme nicht festgestellt. Hieran ist der Senat gebunden, weil keine konkreten Anhaltspunkte dargetan oder erkennbar sind, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Würdigung des Landgerichts begründen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Soweit der Kläger sich im Berufungsverfahren gegen die Ausführungen des Landgerichts wendet, gilt folgendes:

a) Der Kläger vermag nicht zu beweisen, dass der Beklagte zu 1) vor der Operation vom 25.3.2002 - anders als vom Sachverständigen als üblich zugrunde gelegt und vom Beklagten zu 1) behauptet (vgl. Bl. 309 d.A.) - nicht die Knochenhöhe ermittelt hat, indem er ein präoperatives Orthopantogramm (OPG) unter Anwendung von Folien mit Konturen der Implantatkörper und den Vergrößerungsfaktor des OPG-Geräts zugrunde gelegt hat. Unter dem 19.2.2002 ist präoperativ ein Orthopantogramm gefertigt worden. Soweit es um die dem üblichen kieferchirurgischen Vorgehen entsprechende Ermittlung der Knochenhöhe geht, ist der Sachverständige Dr. Dr. B. , der sich im Übrigen eingehend mit Unzulänglichkeiten der Behandlungsunterlagen des Beklagten zu 1) auseinander gesetzt hat, nicht von einer Dokumentationspflicht ausgegangen. Schließlich spricht die Länge der am 25.3.2002 eingesetzten Implantate, die trotz einer möglicherweise vorhandenen geringfügigen Reduzierung des Knochenangebots (vgl. Bl. 260, 270 d.A.) der Länge der am 11.5.2001 verwendeten Implantate entsprach (vgl. Bl. 332 d.A.), nicht für das Unterlassen einer Prüfung der Knochenhöhe. Der Sachverständige Dr. Dr. B. hat nachvollziehbar erläutert, dass ein gewisser Überstand der Implantate möglich war (Bl. 332 d.A.).

b) Es lässt sich nicht feststellen, dass der Beklagte zu 1) nach der Operation vom 25.3.2002 eine Explantation der in regio 45 und 46 neu eingesetzten Implantate behandlungsfehlerhaft unterlassen hat.

Der Kläger wendet sich nicht gegen den vom Sachverständigen Dr. Dr. B. überzeugend dargelegten medizinischen Ausgangspunkt, dass nur im Fall einer Anästhesie eine sofortige Explantation geboten war, die die Chance einer Erholung des Nerven beinhaltet hätte, während im Fall einer bloßen Hypästhesie und Parästhesie ein abwartendes Vorgehen gerechtfertigt war. Der Kläger vermag nicht zu beweisen, dass der Beklagte zu 1) bei der Untersuchung vom 28.3.2002 und bei den folgenden Untersuchungen bis Mai 2002 den Befund einer Anästhesie erhoben hat oder hätte erheben müssen. Wie der Kläger nicht in Frage stellt, ist der neurologische Sachverständige Dr. C. aufgrund der von ihm durchgeführten klinischen und elektrophysiologischen Untersuchungen zu dem Ergebnis gelangt, dass eine komplette Läsion des Nervus alveolaris inferior beim Kläger - anders als teils zuvor angenommen - nicht vorliegt (Bl. 588 d.A.). Ungeachtet des Umstands, dass die Zeuginnen D. und E. in erster Instanz zwei unterschiedliche Prüfverfahren beschrieben haben, ist es daher gut möglich, dass der Kläger bei der Untersuchung durch den Beklagten zu 1) spitz und stumpf unterscheiden konnte, was seinerzeit gegen eine Anästhesie sprach. Der Begriff "Parese" in den vom Beklagten zu 1) ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (Bl. 493 f. d.A.), der für den teilweisen Ausfall eines die Motorik steuernden Nerven steht, deutet ebenfalls darauf hin, dass der Beklagte zu 1) nur einen teilweisen Ausfall des betroffenen, allerdings die Sensibilität erfassenden Nerven diagnostiziert hat (vgl. die Ausführungen des Sachverständigen Dr. Dr. B. Bl. 390 ff.). Der Kläger verweist demgegenüber ohne Erfolg auf den Bericht von Dr. Dr. F. vom 14.5.2002 (Bl. 5 ff. des Anlagenbandes) und den Untersuchungsbefund von Prof. Dr. A. vom 13.6.2002 (vgl. Bl. 20 des Anlagenbandes). Dr. Dr. F. führt vielmehr ausdrücklich an, dass aufgrund der vom Kläger angegebenen Parästhesie (Kribbeln) eine Rückbildung der Sensibiltätsstörung nicht auszuschließen sei. Prof. Dr. A. hat in der Karteikarte unter dem 13.6.2002 als Diagnose, auch wenn eine Unterscheidung von spitz und stumpf nicht möglich gewesen sei, ebenfalls nicht etwa eine Anästhesie, sondern lediglich eine Hypästhesie vermerkt. Schließlich hat der Sachverständigen Dr. Dr. B. zwar aufgrund der Untersuchung vom 28.6.2004 einen Befund im Sinne einer Anästhesie erhoben (Bl. 251 d.A.), aber selbst auf den Vorrang einer fachärztlichen neurologischen Untersuchung verwiesen (Bl. 275 d.A.).

Im Übrigen lässt sich nicht feststellen, dass das Unterlassen einer sofortigen Explantation für den Schaden des Klägers ursächlich geworden ist. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. Dr. B. hätte eine sofortige Explantation, selbst wenn eine Kompression des Nerven durch eines der Implantate Ursache der Schädigung gewesen wäre, nur möglicherweise - aber keineswegs mit Sicherheit - zu einer Erholung des Nerven geführt (Bl. 460 f. d.A.).

3. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die entscheidungserheblichen Fragen sind ausschließlich solche des Einzelfalls.

Berufungsstreitwert: 500.000 € (wie in erster Instanz)

Ende der Entscheidung

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