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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 26.05.2008
Aktenzeichen: 5 U 175/07
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 529 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 12. Juli 2007 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Bonn - 9 O 100/06 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Klägerin bleibt vorbehalten, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin, von Beruf Fachärztin für radiologische Diagnostik, wurde nach Mammakarzinom rechts ab Oktober des Jahres 2000 im Krankenhaus der Beklagten zu 1) von den Beklagten zu 2 - 5) und den Beklagten zu 6 - 8) bis zum 07.10.2002 behandelt. Nach einer Selbstdiagnose am 28. November 2002 wurden ihr wegen Mammakarzinoms links am 02./05. Dezember 2002 auf ihren ausdrücklichen Wunsch im N-Hospital C beide Brüste amputiert. Sie hat deswegen die Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Sie hat ihnen Befunderhebungsfehler im Zusammenhang mit diagnostischen Untersuchungen am 17.08.2001, 20.03., 23.09.2002 und 07.10.2002 vorgeworfen.

Sie hat beantragt,

1.

die Beklagten zu 1 - 8) als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt werde, mindestens jedoch 125.000,00 Euro nebst 5 % über dem Basiszinssatz, mindestens jedoch verzinslich mit 8 % aus 50.000,00 Euro seit dem 01.03.2004 und aus den verbleibenden 75.000,00 Euro seit dem 01.09.2004 zu zahlen,

2.

festzustellen, dass die Beklagten zu 1 - 8) als Gesamtschuldner verpflichtet seien, ihr sämtliche künftigen immateriellen sowie alle vergangenen und künftigen materiellen Schäden, die ihr aus den fehlerhaften Behandlungen ab August 2001 entstanden sind bzw. noch entstehen werden zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Landgericht hat nach Einholung schriftlicher und mündlicher Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. T und Prof. Dr. L die Klage abgewiesen, weil schadensursächliche Behandlungsfehler nicht festzustellen seien.

Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung. Sie rügt fehlerhafte Beweiswürdigung und unzureichende Sachverhaltsaufklärung. Sie meint, nach der Dokumentation stehe fest, dass der am 23.09.2002 erhobene Tastbefund sehr wohl mit dem Sonographiebefund übereingestimmt und Anlass zur weiteren Befunderhebung, insbesondere zur Durchführung einer Stanzbiopsie gegeben habe. Es finde sich in den Behandlungsunterlagen keine Bestätigung für die Annahme des Landgerichts, eine Korrelation zwischen Tast- und Sonographiebefundung betreffend den oberen äußeren Quadranten der linken Brust sei von der untersuchenden Ärztin Dr. A (früher: I) tatsächlich ausgeschlossen worden. Es liege demzufolge ein Verstoß gegen die Befunderhebungspflicht, nämlich Durchführung einer Stanzbiopsie, vor mit denen sich daraus gemäß der Rechtsprechung ergebenden weiteren Folgen hinsichtlich der Schadensursächlichkeit. Erst recht habe nach der MR-Mammographie vom 07.10.2002 eine Stanzbiopsie durchgeführt werden müssen. Die Biopsie hätte mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einen positiven Befund ergeben. Sie hätte sich dann links brusterhaltend und rechts gar nicht operieren lassen.

Nachdem die Klägerin die zunächst gegen sämtliche Beklagten eingelegte Berufung bezüglich der Beklagten zu 2 - 8) zurückgenommen hat, beantragt sie nunmehr,

unter entsprechender Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu 1) zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von 20.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. März 2004 zu zahlen,

festzustellen, dass die Beklagte zu 1) verpflichtet ist, ihr sämtlichen künftigen immateriellen Schaden sowie allen vergangenen und künftigen materiellen Schaden zu ersetzen, der ihr aus der fehlerhaften Behandlung entstanden ist, derzeit entsteht und noch entstehen wird, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden,

die Revision zuzulassen.

Die Beklagte zu 1) beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie tritt der Berufung entgegen und verteidigt das angefochtenen Urteil.

Wegen aller Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf das angefochtene Urteil und die von den Parteien gewechselten Schriftsätze verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das Landgericht hat die Klage mit Recht abgewiesen. Nach den vom Landgericht verfahrensfehlerfrei getroffenen Feststellungen, an die der Senat gemäß § 529 Abs. 1 ZPO gebunden ist, weil konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an deren Richtigkeit oder Vollständigkeit begründen können, nicht dargetan sind, ist der Klägerin der ihr obliegende Nachweis eines schadensursächlichen Behandlungsfehlers nicht gelungen. Das Berufungsvorbringen nötigt nicht zu weiterer Sachaufklärung.

1.

Es kann dahinstehen, ob auf der Grundlage der am 23. September und 07. Oktober 2002 erhobenen Befunde eine Stanzbiopsie aus der linken Brust geboten war. Die Klägerin hat nicht bewiesen, dass ihr durch das Unterlassen ein Schaden entstanden ist. Das Unterlassen stellt sich rechtlich als Befunderhebungsmangel dar, denn die Biopsie hätte der Abklärung des Verdachts eines Karzinoms gedient. Ein solcher Befunderhebungsmangel führt beweisrechtlich aber zunächst nur zu einer widerlegbaren Vermutung, dass sich im Falle der Befunderhebung das behauptete Ergebnis (hier Karzinom) ergeben hätte, wenn dieses hinreichend wahrscheinlich ist, wobei eine Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 % erforderlich ist (OLG Köln VersR 2004, 247, OLG Dresden VersR 2004, 648). Davon kann hier keine Rede sein. Die Sachverständigen Prof. T und Prof. L haben (ebenso wie Prof. G) es letztlich als spekulativ bezeichnet, ob sich ein positiver Befund ergeben hätte, denn es lasse sich nicht einmal sicher sagen, dass der später festgestellte bösartige Tumor mit dem sonorgraphisch und durch Tastung erhobenen Befund identisch gewesen ist. Dies haben beide Sachverständigen insbesondere im Rahmen der mündlichen Erläuterungen ihre schriftlichen Gutachten eingehend und überzeugend begründet.

2.

Der Klägerin kommen auch keine Beweiserleichterungen aus dem Gesichtspunkt des groben Behandlungsfehlers zugute, der dann anzunehmen ist, wenn der Arzt einen Fehler begangen hat, der aus objektiver medizinischer Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (vgl. nur BGH NJW 2001, 2795). Im Streitfall geht es im Kern darum, ob der Sonographiebefund, der für die linke Seite sieben Herde ergeben hatte, in Beziehung zum Tastbefund (kleinknotiger Strang links oben außen) gesetzt worden ist und sich daraus die Notwendigkeit einer Biopsie ergab (diagnostischer Schluss). Ersteres ist vom Landgericht verfahrensfehlerfrei nach Einsichtnahme in die Dokumentation und Diskussion derselben mit den Sachverständigen und der Beklagten zu 3) erfolgt (siehe Feststellungen im angefochtenen Urteil Seite 5 und 6 oben). Die von den Behandlern daraus gezogene Schlussfolgerung wäre, wenn sie denn falsch gewesen sein sollte, nur dann als grobe Fehlbehandlung zu bewerten, wenn ein klares Behandlungsbild oder eindeutige Befunde verkannt worden wären (BGH VersR 1995, 46) oder ihnen ein fundamentaler Irrtum unterlaufen wäre (BGH NJW 1996, 1589). Davon ist der Streitfall weit entfernt. Weder Prof. T noch Prof. L haben das erwogen. Dagegen spricht vor allem, dass es sich bei dem kleinknotigen Strang um ein fluktuierendes Geschehen gehandelt hat, das sich nicht als neue Läsion gezeigt hatte, wie die Beklagte zu 1) unter Bezugnahme auf die Feststellungen von Prof. G unwidersprochen dargelegt hat. Gleiches gilt für den MRT-Befund vom 07.10.2002.

3.

Nach den vorstehenden Ausführungen kommt es letztlich nicht darauf an, ob zwischen dem behaupteten Behandlungsfehler (um rund sieben Wochen verzögerte Karzinomdiagnose) und der beidseitigen Brustamputation der notwendige haftungsbegründende Zurechnungszusammenhang besteht. Hinsichtlich der rechten Brust dürfte dies klar zu verneinen sein. Die Amputation der nicht befallenen Brust war, wie Prof. T und Prof. L übereinstimmend dargelegt haben, medizinisch nicht indiziert. Die Entscheidung zur Amputation beruhte auf einem verständlichen Sicherheitsdenken der sachkundigen Klägerin, die familiär vorbelastet war und mit der radikalen Maßnahme ersichtlich einer bestehenden Rezidivgefahr vorbeugen wollte, die nicht auf dem behaupteten Behandlungsfehler beruhte. Beruht der Schaden auf einem freien Willensentschluss des Verletzten, findet eine Zurechnung nur im Falle psychisch vermittelter Kausalität statt, wenn die Handlung des Verletzten durch das Ereignis herausgefordert worden ist und eine nicht ungewöhnliche Reaktion auf dieses darstellt (BGH NJW 2001, 512; Palandt-Heinrichs, BGB; 67. Aufl., Vorb. v. § 249 Rn. 77). Daran fehlt es. Es mag sein, dass die Klägerin durch das behauptete Fehlverhalten der Behandler verunsichert war. Die Amputationsentscheidung ist aber keine auch nur einigermaßen verständliche Reaktion hierauf sondern beruhte ersichtlich auf davon völlig unabhängigen Gründen. Ob für die linke Brust Gleiches gilt, wofür einiges spricht, denn medizinisch war auch insoweit die Amputation nicht zwingend indiziert, die Ausgangslage wäre nach Sachverständigenbegutachtung sieben Wochen früher nicht anders gewesen, kann dahinstehen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 516 Abs. 3, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Zur Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung, weil die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht vorliegen.

Berufungsstreitwert: 45.000,00 Euro.

Ende der Entscheidung

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