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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 03.05.2006
Aktenzeichen: 5 U 216/02 (1)
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 412
ZPO § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 30. Oktober 2002 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 11 O 258/00 - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin stürzte am 20. Dezember 1998 beim Eislaufen und zog sich einen Speichenbruch rechts mit Abriss des Griffelfortsatzes der Elle zu. Der Bruch wurde im Krankenhaus der Beklagten operativ eingerichtet und mit einer Spickdrahtosteosynthese stabilisiert. Anschließend wurde eine Gipsschiene angepasst. Bei der Entfernung der Drähte kam es zu einer Verletzung des Speichennervs.

Die Klägerin hat behauptet, die Ärzte des von der Beklagten getragenen C.-Krankenhauses in T. hätten den Bruch fehlerhaft behandelt; infolge unzureichender Stabilisierung sei es zu einer Verheilung in Fehlstellung gekommen. Auf ihre Schmerzen sei nicht in angemessener Weise durch Gabe von Schmerzmitteln reagiert worden; dies sei zur Prophylaxe eines Morbus Sudeck dringend erforderlich gewesen. Bei der Entfernung der Kirschner-Drähte sei es behandlungsfehlerhaft zur Durchtrennung des sensiblen Astes des Speichernervs gekommen. Folge sei ein nahezu vollständiger Mobilitätsverlust der rechten Hand sowie ein Taubheitsgefühl im rechten Arm.

Das Landgericht hat die auf Zahlung eines Schmerzensgeldes (Größenordnung mindestens 60.000,- DM), auf Ersatz materiellen Schadens in Höhe von 45.062,50 DM sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht des materiellen und künftigen immateriellen Schadens gerichtete Klage mit Urteil vom 30. Oktober 2002, auf dessen tatsächliche Feststellungen Bezug genommen wird, abgewiesen. Zur Begründung hat es - sachverständig beraten - im wesentlichen ausgeführt, die Stabilisierung des Bruchs mittels Bohrdrähten und nachfolgender Gipsanlage habe dem ärztlichen Standard entsprochen; die eingetretene Fehlstellung sei bei dem vorliegenden Trümmerbruch nicht stets vermeidbar. Fehler bei der Schmerzbehandlung seien nicht nachgewiesen. Soweit es bei der Entfernung der Drähte zu einer Nervverletzung gekommen sei, handele es sich um ein operationsimmanentes, nicht immer zu beherrschendes Risiko.

Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Klägerin, mit der sie ihr Klagebegehren in leicht reduzierter Form weiterverfolgt. Die Klägerin rügt in erster Linie eine Verletzung von § 412 ZPO. Das Gutachten des Sachverständigen Prof. Q. weise sich aufdrängende gedankliche Lücken auf und stelle deshalb keine taugliche Entscheidungsgrundlage dar. Aus ihm lasse sich keine sichere Überzeugungsbildung gewinnen, so dass es weiterer Sachaufklärung bedürfe.

Das Gutachten des Sachverständigen Prof. Q. erörtere nicht die Möglichkeit einer Behandlungsalternative. Hierzu behauptet die Klägerin im Berufungsrechtszug, dass bei dem hier vorliegenden Bruch mit einer Trümmerzone die Behandlung mit einem fixateur externe gegenüber der hier tatsächlich vorgenommenen Behandlung mittels Spickdrahtosteosynthese die besseren Heilungserfolge erziele, weil damit Fehlstellungen weitgehend vermieden werden könnten. Die Spickdrahtosteosynthese sei daher vorliegend nicht die Methode der Wahl gewesen, weil sie nicht geeignet sei, das Bruchfragment in der gewünschten Stellung zu halten. Man könne daher - so meint die Klägerin - die Auffassung vertreten, dass im konkreten Fall für die Anwendung der Spickdrahtosteosynthese nach dem zur Zeit der Behandlung bestehenden Standard keine Indikation mehr gegeben gewesen sei. Jedenfalls aber müsse es zu einer Haftung führen, dass sie nicht über die mit dem fixateur externe bestehende Behandlungsalternative aufgeklärt worden sei. Insoweit habe eine echte Alternative bestanden, weil die Behandlung mit dem fixateur externe bei dem hier gegebenen Bruch der Spickdrahtosteosynthese eindeutig überlegen sei. Bei ordnungemäßer Aufklärung wäre sie auch in einen Entscheidungskonflikt geraten; ggf. hätte sie sich in eine andere Klinik bringen lasse, die jene Methode beherrsche. Es sei Sache der Beklagten zu beweisen, dass es auch bei einer Behandlung mit dem fixateur externe zu einer ähnlich schweren Schädigung der Hand gekommen wäre.

Die Klägerin behauptet weiter, die Spickdrahtosteosynthese sei behandlungsfehlerhaft durchgeführt worden. Die Bohrdrähte müssten das Bruchfragment so erfassen, dass genügend Stabilität erreicht und erhalten bleibe. Hier hätten die Drähte das Fragment zu weit seitlich erfasst. Es sei keine Reposition in anatomischer Stellung erreicht worden. Die Drähte hätten des weiteren nicht parallel oder weitgehend parallel eingeschlagen werden dürfen. Sie müssten zwar an der Einschlagseite umgebogen werden; es sei jedoch fehlerhaft, sie wie hier geschehen - unter der Haut zu versenken. Wäre anders vorgegangen worden, wäre die Nervverletzung beim Ziehen der Drähte vermieden worden.

Fehlerhaft sei es ferner gewesen - wozu sich der Sachverständige nicht geäußert habe -, die tatsächlich aufgetretene Sudeck'sche Dystrophie überhaupt nicht zu behandeln, obwohl sie unter starken Schmerzen gelitten habe. Das stelle einen groben Behandlungsfehler dar. Dieses Unterlassen habe zu der heute bestehenden Bewegungseinschränkung beigetragen.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes, in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nebst 4% Zinsen seit dem 30. März 2000 zu zahlen (Mindestbetrag: 30.000,- €).

2. die Beklagte zu verurteilen, an sie 19.324,80 € nebst 4% Zinsen seit dem 30. März 2000 zu zahlen;

3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtliche weiteren materiellen Schäden zu ersetzen, die ihr infolge ihrer Behandlung im C.-Krankenhaus in T. in der Zeit vom 20. Dezember 1998 bis 2. Februar 1999 entstanden sind oder noch entstehen werden, soweit ihre Schadensersatzansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil mit Sach- und Rechtsausführungen.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.

Der Senat hatte die Berufung der Klägerin mit Urteil vom 11. Juni 2003, auf das Bezug genommen wird, zurückgewiesen. Diese Entscheidung hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 6. Juni 2004 - VI ZR 199/03 - aufgehoben und die Sache, auch zur Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den Senat zurückverwiesen. Der Senat hat daraufhin mit Beschluss vom 24. November 2004 Beweis erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Prof. S. vom 22. Februar 2005 (Bl. 562 ff. d.A.) und vom 22. Juli 2005 (Bl. 659 ff. d.A.) sowie auf das Protokoll der Sitzung vom 13. März 2006 (Bl. 750 ff. d.A.) verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin bleibt in der Sache ohne Erfolg.

1.

Soweit die Klägerin Behandlungsfehler bei der Durchführung der Spickdrahtosteosynthese (nicht korrekte Einbringung der Drähte, Versenken der Drahtenden unter der Haut) sowie eine nicht adäquate Behandlung zur Verhinderung des Entstehens eines Morbus Sudeck rügt, ist die Klage unter Zugrundelegung der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Q. mit Recht abgewiesen worden. Zu einer weiteren Sachaufklärung durch den Senat besteht keine Veranlassung. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf die vom Bundesgerichtshof nicht beanstandeten Ausführungen unter Ziffer II. 1. des Urteils vom 11. Juni 2003.

2.

Nicht mehr gehört werden kann die Klägerin mit ihrer neuen, erstmals im Berufungsrechtszug aufgestellten Behauptung, die bei ihr entstandene Sudeck'sche Dystrophie sei nicht adäquat bzw. überhaupt nicht behandelt worden. Mit diesem Vorbringen ist die Klägerin gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO ausgeschlossen. Der Senat verweist auch hierzu auf die Ausführungen im Urteil vom 11. Juni 2003, die vom Bundesgerichtshof ebenfalls nicht beanstandet worden sind.

3.

Nach dem Ergebnis der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme steht nicht fest, dass die Behandlung des Bruches mittels Spickdrahtosteosynthese behandlungsfehlerhaft war.

Nach den in jeder Hinsicht nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Prof. S. und Prof. A. war im vorliegenden Fall die operative Versorgung des Bruchs mittels Spickdrahtosteosynthese - bezogen auf das Behandlungsjahr 1998 - die Methode der Wahl. Bei dem Bruch handelte es sich nach der gängigen AO-Klassifikation um eine Fraktur vom Typ A 3 im Form einer extraartikulären Radiusfraktur mit Verkippung und dorsaler Trümmerzone. Bei dieser Art von Fraktur ist die Gelenkfläche nicht beteiligt. Das unterscheidet sie maßgeblich von den C 2 bzw. C 3-Frakturen, die vereinfacht als "Trümmerfrakturen" bezeichnet werden, sich jedoch dadurch auszeichnen, dass auch eine Zertrümmerung von Gelenkfläche vorliegt. Bei diesen Frakturen ist die operative Versorgung mittels fixateur externe die Methode der Wahl, weil hier die Zugwirkung des fixateur externe ausgenutzt werden kann (Prinzip der Ligamentotaxis). Die Ausnutzung der Zugwirkung ist, wie der Sachverständige Prof. A. bei seiner Anhörung vor dem Senat anschaulich dargelegt hat, zur Stabilisierung einer Fraktur vom Typ A 3 indes gerade nicht erforderlich. Vielmehr ist hier die Spickdrahtosteosynthese die Methode der Wahl, weil sie eine ausreichende Stabilisierung gewährleistet und eine gegenüber dem fixateur externe deutlich geringere Komplikationsrate aufweist. Beim fixateur externe ist die Infektionsgefahr größer, und auch die Gefahr der Sinterung ist mit einem Prozentsatz von bis zu 40% gegenüber nur 20% bei der Spickdrahtosteosynthese kleiner. Auch unter Berücksichtigung der von der Klägerin zahlreich aufgeführten Literaturstellen, mit denen sich die Sachverständigen eingehend auseinandergesetzt haben, lässt sich nicht feststellen, dass bei dem hier gegebenen Bruch die Spickdrahtosteosynthese nicht die Methode der Wahl war. Die Sachverständigen haben insoweit überzeugend ausgeführt, es habe Versuche gegeben, A 3-Frakturen mittels fixateur externe zu stabilisieren. Als Standardverfahren bei A 3-Frakturen habe sich der fixateur externe indes nicht durchsetzen können, weil in dem verbleibenden Radiusstück mindestens 2 Schrauben eingesetzt werden müssten, die nicht selten zu Störungen an den Strecksehnen geführt haben. Zu diskutieren ist bei einer A 3-Fraktur der fixateur externe als Behandlungsmethode allenfalls dann, wenn eine sehr ausgeprägte Trümmerzone vorliegt oder der Patient unter Osteoporose leidet. Beides war vorliegend nicht der Fall. Unter diesen Voraussetzungen ist indes - und dies haben die Sachverständigen Prof. S. und Prof. A. klipp und klar festgehalten - der fixateur externe bei einer A 3-Fraktur die schlechtere Behandlungsmethode. Der Senat hat keine Bedenken, den sehr ausführlich und in Auseinandersetzung mit der von der Klägerin geübten Kritik begründeten Feststellungen der Sachverständigen, die über große praktische Erfahrungen in der Behandlung derartiger Frakturen verfügen, zu folgen. Ein Behandlungsfehler ist danach nicht feststellbar.

Auch auf den bei der Klägerin eingetretenen Repositionsverlust ist sachgerecht reagiert worden. Insoweit hat der Sachverständige Prof. A. bei seiner Anhörung vor dem Senat überzeugend ausgeführt, dass sich nach Feststellung des Repositionsverlustes ein weiterer operativer Eingriff - ggf. unter Wechsel der Operationsmethode - zunächst verboten hat, weil bei der Klägerin der Verdacht eines Sudeck bestand. Bei einer gleichwohl durchgeführte Operation hätte die Gefahr des Hervorrufens eines Sudeck mit schwersten Folgen bestanden. Es war deshalb nicht fehlerhaft, sondern angezeigt, den Korrekturverlust vorerst in Kauf zu nehmen.

4.

Die Beklagte haftet auch nicht wegen einer Verletzung der Aufklärungspflicht. Die behandelnden Ärzte waren nicht gehalten, die Klägerin darauf hinzuweisen, dass unter Umständen auch eine Stabilisierung des Bruches mittels fixateur externe hätte erfolgen können. Die Wahl der richtigen Behandlungsmethode ist primär Sache des Arztes (vgl. nur BGH, NJW 1988, 1516). Nur dann, wenn mehrere übliche Behandlungs- bzw. Operationsmethoden in Betracht kommen, ist der Arzt zu einer Aufklärung des Patienten verpflichtet, sofern die Methoden jeweils unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen haben. Diese Voraussetzungen waren hier nicht gegeben. Es fehlt bereits an einer echten Alternative, denn - wie schon ausgeführt - war im Jahr 1998 bei dem hier vorliegenden Bruch die Spickdrahtosteosynthese die Methode der Wahl, während die Stabilisierung mittels fixateur externe keine gleichwertige, sondern nach den klaren Feststellungen der Sachverständigen Prof. S. und Prof. A. die schlechtere Behandlungsmethode war, weil sie - ohne dem Patienten einen deutlichen Vorteil bei der Stabilisierung des Bruchs zu verschaffen - mit höheren Risiken verbunden war. Bei A 3-Frakturen hat sich denn auch der fixateur externe als Standardverfahren nicht durchsetzen können. Heute werden solche Frakturen weitgehend mit palmaren winkelstabilen Plattenosteosynthesen versorgt. Diese Methode stand indes 1998 noch nicht zur Verfügung. 1998 war bei der Versorgung einer A 3-Fraktur die Spickdrahtosteosynthese die eindeutig vorzugswürdige Behandlungsmethode. Bei dieser Sachlage waren die behandelnden Ärzte zu einer Aufklärung über alternative Behandlungsmethoden nicht verpflichtet.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Berufungsstreitwert: 54.324,80 € (s. Beschl. v. 7. Mai 2003)

Ende der Entscheidung

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