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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 15.02.2006
Aktenzeichen: 5 U 218/03
Rechtsgebiete: DÜG


Vorschriften:

DÜG § 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 26. November 2003 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen 11 O 10/02 - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn die Beklagten nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin wurde am 6. April 1989 mit einem Herzfehler (Tricuspidalatresie Typ I c) geboren. Zur Korrektur dieses Fehlers wurde zunächst am 22. September 1989 in der Universitätsklinik E. ein Pulmonalarterienbanding durchgeführt. Im Februar 1995 wurde dort die Indikation zur endgültigen Korrekturoperation gestellt. Der Eingriff (Fontan-Operation) wurde am 30. Mai 1995 nach vorheriger, in den Einzelheiten streitiger Aufklärung der Mutter der Klägerin in der RWTH B. vorgenommen. Dabei kam es zu einer Verletzung der linken Koronararterie, die intraoperativ wieder rekonstruiert wurde. 15 Minuten nach Beendigung der Operation dekompensierte die Klägerin auf der Kinderintensivstation. Bei der anschließenden Revisionsoperation wurde an der Rekonstuktionsstelle ein Thrombus entfernt und die linke Koronararterie wurde erneut rekonstruiert. Eine weitere Operation, bei der das zunächst offen gelassene Sternum geschlossen wurde, erfolgte am 1. Juni 1995. Postoperativ stellte sich bei der Klägerin eine - erstmals am 15. Juni 1995 diagnostizierte - Querschittlähmung in Höhe des 12. Brustwirbelkörpers ein.

Die Klägerin hat behauptet, die Operation sei nicht indiziert gewesen. Die Verletzung der Arterie beruhe auf einem Behandlungsfehler. Der Operationshergang sei dem Operationsbericht nicht hinreichend zu entnehmen. Die Beklagte zu 2), die den Eingriff durchgeführt habe, habe nicht über hinreichende Erfahrung verfügt. Auch die Nachbehandlung sei fehlerhaft gewesen, da die Beklagten trotz Hinweise ihrer Mutter auf eine seltsame Beinstellung zu spät Kontrolluntersuchungen vorgenommen und daher die Lähmung nicht rechtzeitig erkannt hätten.

Ferner sei die Aufklärung unzureichend gewesen. Die Beklagte zu 2) habe der Mutter der Klägerin über die schriftlichen Mitteilungen in dem Merkblatt hinaus keine Hinweise erteilt. Das Merkblatt habe zudem die mit der Operation verbundenen Gefahren nicht hinreichend erkennen lassen. In Kenntnis der Risiken hätten ihre Eltern jedenfalls nicht sogleich in die Operation eingewilligt, sondern hätten zunächst weitere Meinungen eingeholt.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 500.000,- DM, nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG mindestens verzinslich mit 8% Zinsen - seit dem 30. Mai 1995, spätestens seit dem 15. August 1995 zu zahlen.

2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr sämtliche zukünftigen immateriellen sowie alle vergangenen und künftigen materiellen Schäden zu ersetzen, die ihr infolge der fehlerhaften Behandlung ab dem 30. Mai 1995 entstanden sind bzw. noch entstehen werden, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.

Der Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten haben Behandlungsfehler in Abrede gestellt. Auch die Aufklärung sei ordnungsgemäß gewesen.

Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 26. November 2003, auf das wegen der tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen wird, abgewiesen. Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihre erstinstanzlichen Klageanträge weiterverfolgt.

Sie vertritt weiterhin die Ansicht, ihre Eltern seien nicht hinreichend über die Risiken der Operation aufgeklärt worden. Geschuldet werde zumindest eine Grundaufklärung, wobei auch über seltene Risiken aufzuklären sei, wenn sie die Lebensführung des Patienten erheblich beeinträchtigten. Dass eine zureichende Aufklärung erfolgt sei, ergebe sich entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht schon aus dem unterzeichneten Perimed-Bogen. Dort seien die Risiken verharmlosend dargestellt worden. Die Passage, die auf eine mögliche Querschnittlähmung hinweise, sei schon deshalb nicht einschlägig, weil diese sich auf eine Operation an der absteigenden Halsschlagader beziehe, die hier indes gar nicht durchgeführt worden sei. Deshalb hätten ihre, der Klägerin, Eltern mit der Verwirklichung des Risikos einer Querschnittlähmung nicht rechnen müssen. Unabhängig davon sei, so behauptet die Klägerin, eine mündliche Aufklärung überhaupt nicht erfolgt; selbst die Beklagten hätten sich insoweit in erster Instanz nur auf den unterzeichneten Aufklärungsbogen gestützt, ohne weiter zum Inhalt des Aufklärungsgesprächs vorzutragen. Bei ordnungsgemäßer Aufklärung hätten ihre Eltern die Operation jedenfalls nicht sogleich durchführen lassen, sondern sie hätten sich weiteren ärztlichen Rat eingeholt.

Hinsichtlich postoperativer Fehler (zu späte Diagnose der Querschnittlähmung) vertritt die Klägerin die Auffassung, diese seien als grob zu bewerten. Ihre Mutter habe das Pflegepersonal bereits am 2. postoperativen Tag auf eine Fehlstellung der Beine hingewiesen, ohne dass reagiert worden sei. Ohnehin sei nicht klar, was im Zeitraum vom 1.-14. Juni 1995 geschehen sei, weil die insoweit maßgeblichen Behandlungsunterlagen der Kinderintensivstation nicht vorgelegen hätten. Auch der Verlegungsbericht auf die Normalstation gebe keinen weiteren Aufschluss darüber, wann Auffälligkeiten erstmals festgestellt worden seien. Solange die vollständigen Unterlagen nicht vorlägen, könne nicht abschließend festgestellt werden, ob und inwieweit die postoperative Behandlung fehlerhaft bzw. schadensursächlich geworden sei. Die bisherigen Äußerungen des Sachverständigen seien insoweit reine Spekulation. Insbesondere habe er ohne tatsächliche Grundlage unterstellt, dass sie nach dem Eingriff mit Heparin und hochdosiertem Cortison behandelt worden sei. Im übrigen müssten die hierzu notwendigen Feststellungen von einem Neurologen getroffen werden.

Im übrigen stellt die Klägerin weiterhin die Richtigkeit der Feststellungen des Sachverständigen zur Fehlerfreiheit der durchgeführten Operationen in Abrede. Hierzu bezieht sie sich auf ihre bereits in erster Instanz gegen die Begutachtung erhobenen Einwendungen, zu denen der Sachverständige bislang nur unzureichend Stellung bezogen habe.

Die Beklagten, die die Zurückweisung der Berufung beantragen, bezweifeln, ob über das Risiko einer Querschnittlähmung überhaupt habe aufgeklärt werden müssen, da der Eintritt einer solchen Komplikation bei der hier durchgeführten Operation bislang in der Literatur nicht beschrieben sei. Im übrigen sei eine sachgerechte Aufklärung erfolgt. Bereits in E. sei mit den Eltern der Klägerin über die Art und Weise des Eingriffs und die damit verbundenen Risiken gesprochen worden. Auch die Beklagte zu 2) habe mit den Eltern der Klägerin ein entsprechendes Aufklärungsgespräch geführt. Unabhängig davon hätten sich die Eltern der Klägerin in jedem Fall zur Operation entschlossen, weil sie medizinisch dringend indiziert gewesen sei.

Die Nachbehandlung sei fehlerfrei gewesen. Erst recht lägen keine groben Behandlungsfehler vor. Die Kortisonmedikation sei in der richtigen Dosis durchgeführt worden.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat gemäß den Beschlüssen vom 24. Mai 2004 und vom 16. Januar 2006 Beweis erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. L. vom 6. Juni 2005 (Bl. 440-450 d.A.) sowie auf das Protokoll der Sitzung vom 16. Januar 2006 (Bl. 475-480 d.A.) verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Das Landgericht hat unter Zugrundelegung der Ausführungen des erstinstanzlich beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. S. festgestellt, dass die am 30. Mai 1995 bei der Klägerin durchgeführte Operation medizinisch indiziert war und dass es - bei ausreichender Dokumentation des Operationsverlaufs - keine Anzeichen für ein behandlungsfehlerhaftes Vorgehen gibt. Dagegen erhebt die Berufung keine substantiierten Einwände. Der bloße Verweis auf die erstinstanzlich erhobenen Kritik an den Feststellungen des Sachverständigen reicht hierzu nicht aus, zumal der Sachverständige sein Gutachten bei seiner Anhörung vor der Kammer am 29. Oktober 2003 auch unter Berücksichtigung der Einwendungen der Klägerin eingehend und überzeugend erläutert hat. Bei dieser Sachlage besteht kein zureichender Anlass für eine weitere Sachaufklärung durch den Senat.

In Übereinstimmung mit den Feststellungen von Prof. Dr. S. hat der vom Senat beauftragte Sachverständige Prof. Dr. L. zwar ausgeführt, dass die Diagnose der Querschnittlähmung im Anschluss an die operativen Eingriffe nicht optimal zeitnah erfolgt ist. Er hat indes - auch insoweit im Einklang mit Prof. Dr. S. - unter Auswertung insbesondere auch der Krankenunterlagen der Kinderintensivstation klar und eindeutig ausgeführt, dass ein insoweit möglicherweise anzunehmender Behandlungsfehler sich nicht zum Nachteil der Klägerin ausgewirkt hat, weil ihr zeitgerecht die einzig in Betracht kommende Therapie zugute gekommen ist. Gegen diese überzeugend begründete Feststellung hat die Klägerin Einwendungen nicht mehr erhoben. Ob der Klägerin Beweiserleichterungen - sei es wegen der Annahme eines groben Behandlungsfehlers oder aufgrund einer Verletzung der Befunderhebungspflicht - zuzubilligen wären, bedarf bei dieser Sachlage keiner Entscheidung, weil feststeht, dass eine verspätet getroffene Diagnose der Querschnittlähmung sich nicht ursächlich auf die Dauerschädigung der Klägerin ausgewirkt hat.

Auch Aufklärungsversäumnisse können den Beklagten nicht angelastet werden. Die Beklagten waren nicht verpflichtet, die Eltern der Klägern darauf hinzuweisen, dass sich als Folge der Operation eine Querschnittlähmung einstellen kann. Zwar besteht grundsätzlich auch eine Aufklärungspflicht über seltene Risiken, sofern sie sich im Falle der Verwirklichung belastend auf die Lebensführung des Patienten auswirken. Es muss sich indes stets um ein Risiko handeln, das trotz seiner Seltenheit für den Eingriff spezifisch ist (vgl. BGH, NJW 1991, 2346). Davon ist hier nach den überzeugenden, von der Klägerin auch nicht substantiiert angegriffenen Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. S. nicht auszugehen. Zwar sehr selten, aber operationsspezifisch kann sich bei Operationen an der absteigenden thorakalen Aorta eine Querschnittlähmung einstellen. Auf dieses Risiko ist demgemäß auch im Aufklärungsbogen hingewiesen worden. Vorliegend wurde eine solche Operation indes nicht durchgeführt. In der offenen Herzchirurgie sind nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. S. Rückenmarksschäden ohne Beteiligung der Aorta descendens nur ganz vereinzelt beschrieben und finden in den großen publizierten Studien der letzten Jahre praktisch keine Erwähnung. Bei dieser Sachlage stellt sich das Risiko einer Querschnittlähmung bei der hier vorgenommenen Fontan-Operation als nicht eingriffsspezifisch dar und bedurfte daher keiner Aufklärung. Diese ist nach den Bekundungen der Beklagten zu 2) denn auch nicht erfolgt.

Im übrigen stellt sich die Aufklärung durch die Beklagte zu 2) als sachgerecht dar. Sie hat bei ihrer Parteivernehmung vor dem Senat eingehend und in jeder Hinsicht überzeugend geschildert, wie die Aufklärung der Eltern der Klägerin erfolgt ist. Hingewiesen wurde dabei auf sämtliche relevanten Risiken wie Embolien, Schlaganfälle, Blutungen und Entzündungsreaktionen im Gefäßsystem. Die Beklagte zu 2) hat auch dargelegt, dass sie der Mutter der Klägerin im einzelnen anhand des Aufklärungsbogens den Verlauf der Operation und die damit verbundenen Risiken erläutert hat. Der Senat hat keine durchgreifenden Zweifel, dass sich das Aufklärungsgespräch so zugetragen hat, wie es die Beklagte zu 2) aus ihrer Erinnerung geschildert hat. Ihre Schilderung deckt sich zudem im wesentlichen mit der Darstellung der Mutter der Klägerin. Diese hat bei ihrer Vernehmung vor dem Senat bestätigt, dass die Beklagte zu 2) die typischen Risiken des Eingriffs mit ihr besprochen und den Operationsverlauf erläutert hat.

Unabhängig davon wäre selbst dann, wenn die Aufklärung nicht sachgerecht erfolgt sein sollte, von einer hypothetischen Einwilligung der Eltern der Klägerin auszugehen. Diese haben einen Entscheidungskonflikt nicht plausibel dargelegt. Der Eingriff war indiziert. Die Klägerin war, weil der Eingriff in E. nicht vorgenommen werden konnte, in die RWTH B. verbracht worden. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Eltern der Klägerin im Falle einer ausreichenden Risikoaufklärung davon abgesehen hätten, den Eingriff dort durchzuführen. Dass sie zunächst noch weiteren Rat eingeholt hätten, ist nicht nachvollziehbar, nachdem sie bereits in E. vorstellig geworden waren und man ihnen erklärt hatte, dort könne der Eingriff nicht durchgeführt werden. Die von den Eltern der Klägerin im Nachhinein insoweit geäußerten Bedenken sind ersichtlich darauf zurückzuführen, dass sich bei der Klägerin das unvorhersehbare Risiko einer Querschnittlähmung realisiert hat. Da hierüber indes nicht hätte aufgeklärt werden müssen, kann dieser Umstand bei der Frage, ob ein Entscheidungskonflikt plausibel dargetan ist, auch keine Berücksichtigung finden.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Berufungsstreitwert: 306.775,13 €

Ende der Entscheidung

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