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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 05.06.2002
Aktenzeichen: 5 U 226/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Köln Im Namen des Volkes Urteil

5 U 226/01

Verkündet am: 05.06.2002

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 26. September 2001 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts A. - 11 O 112/00 - teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 15.000,- € nebst 4% seit dem 29. April 2000 zu zahlen. Der Beklagte zu 1) wird darüber hinaus verurteilt, an die Klägerin 4% Zinsen aus 15.000,- € für die Zeit vom 26. bis 28. April 2000 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtlichen zukünftigen materiellen sowie sämtlichen zukünftigen und zur Zeit nicht vorhersehbaren immateriellen Schaden aufgrund der fehlerhaften Behandlung durch die Beklagten in der Zeit vom 16. Juni 1998 bis zum 9. September 1998 zu ersetzen, soweit die betreffenden Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergehen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz als Gesamtschuldner zu tragen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin zu 22% und den Beklagten als Gesamtschuldnern zu 78% auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die Klägerin verletzte sich am 14. Juni 1998 bei einem Treppensturz am rechten Fußgelenk. Der Beklagte zu 1) diagnostizierte nach Fertigung von Röntgenaufnahmen eine Sprunggelenksdistorsion, verordnete Antiphlogistika sowie Kälteanwendung und ließ eine Schiene anlegen. Während des Urlaubs des Beklagten zu 1) begab sich die Klägerin am 25. Juni 1998 in die Behandlung des Beklagten zu 2), der aufgrund einer am 30. Juni 1998 durchgeführten Röntgenuntersuchung die Diagnose Sprunggelenksdistorsion bestätigte und ebenfalls eine Ruhigstellung des Fußes anordnete. Bei einer radiologischen Untersuchung am 8. September 1998 durch Dr. F. in E. wurde schließlich eine - zu diesem Zeitpunkt inoperable - Fraktur des unteren Sprunggelenks festgestellt. Dieser Befund wurde bei einer weiteren Untersuchung durch Dr. K. in A. bestätigt; außerdem wurde ein Befund erhoben, der mit einem Morbus Sudeck vereinbar bzw. für einen solchen typisch ist.

Die Klägerin hat behauptet, die Fraktur des Sprunggelenks sei auf den von den Beklagten jeweils gefertigten Röntgenaufnahmen zu sehen gewesen. Sie hätten demgemäss eine falsche Diagnose gestellt. Als Folge der wegen der Fehldiagnose angeordneten, tatsächlich nicht angezeigten konservativen Therapie könne sie ihr rechtes Bein jetzt kaum mehr gebrauchen und habe zudem einen Morbus Sudeck erlitten, der bei rechtzeitiger operativer Behandlung der Fraktur vermeidbar gewesen wäre. Weder könne sie die im Haushalt anfallenden Arbeiten im vollem Umfang erledigen noch könne sie in dem landwirtschaftlichen Betrieb ihres Ehemannes weiter mitarbeiten. Die Klägerin hat ein Schmerzensgeld von 25.000,- DM als angemessen angesehen.

Sie hat beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld wegen der Behandlungsfehler im Zeitraum 16. Juni 1998 bis einschließlich 30. Oktober 1998 nebst 4% Zinsen hieraus seit dem 1. Juli 1999 zu zahlen;

2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr künftig alle materiellen und immateriellen Folgen aus diesen Behandlungsfehlern zu ersetzen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben behauptet, auf den von ihnen gefertigten Röntgenaufnahmen sei eine Sprunggelenksfraktur nicht zu sehen gewesen. Selbst wenn die Fraktur erkannt worden wäre, wäre die Therapie nicht anders verlaufen. Ein Morbus Sudeck liege bei der Klägerin nicht vor.

Das Landgericht hat der Klägerin nach Einholung eines Sachverständigengutachtens mit Urteil vom 26. September 1999 ein Schmerzensgeld in Höhe von 20.000,- DM zuerkannt und die begehrte Feststellung ausgesprochen. Dagegen richten sich die form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufungen der Klägerin und der Beklagten.

Die Klägerin verfolgt mit ihrer Berufung die Verurteilung zur Zahlung eines höheren Schmerzensgeldes, dessen Mindestbetrag sie nunmehr mit insgesamt 20.000,- € angibt. Sie trägt vor: Das Landgericht habe zutreffend bei beiden Beklagten einen Behandlungsfehler angenommen. Der Fersenbeinbruch sei auf den von den Beklagten gefertigten Röntgenaufnahmen deutlich erkennbar gewesen. Beiden Beklagten wirft die Klägerin zudem eine unzureichende Diagnostik vor. Das klinische Beschwerdebild haben zwingend auf das Vorliegen einer Kalkanaeus-Fraktur hingedeutet. Zumindest seien weitere Untersuchungsmaßnahmen - vor allem ein CT - angezeigt gewesen. Dann wäre die Fraktur mit Sicherheit erkannt worden. Beim Erkennen einer Fraktur sei eine operative Therapie zwingend indiziert gewesen. Bei adäquater Behandlung wäre der Bruch völlig ausgeheilt und ihr wäre der Morbus Sudeck erspart geblieben. Soweit daran Zweifel bestünden, seien ihr Beweiserleichterungen zuzubilligen, weil zumindest das Unterlassen einer weiterführenden Diagnostik grob fehlerhaft gewesen sei. Sie leide nunmehr dauernd unter einer starken Gehbehinderung, die mit erheblichen Schmerzen verbunden sei; eine Arthrose sei zu befürchten. Sie könne im landwirtschaftlichen Betrieb ihres Ehemannes nicht mehr mitarbeiten, was zu Folge gehabt habe, dass die Schweinehaltung habe aufgegeben werden müssen. Ferner habe sich bei ihr mittlerweile eine mittelschwere reaktive Depression eingestellt.

Die Klägerin beantragt,

1. unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie über den erstinstanzlich zuerkannten Schmerzensgeldbetrag von 20.000,- DM nebst Zinsen hinaus ein weiteres angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, und zwar das gesamte Schmerzensgeld unter Einschluss des vom Landgericht zuerkannten Betrages mit Zinsen, wie vom Landgericht zuerkannt, bis zum 30. April 2000, ab dann mit 5% Zinsen über dem Basiszinssatz nach dem Diskontsatzüberleitungsgesetz vom 9. Juni 1998 bis einschließlich 31. Dezember 2001, ab 1. Januar 2002 nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz des Bürgerlichen Gesetzbuches;

2. die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagten beantragen,

1. die Klage unter teilweiser Abänderung der angefochtenen Entscheidung insgesamt abzuweisen;

2. die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Beklagten vertreten den Standpunkt, unter Berücksichtigung der zurückhaltenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Diagnosefehlern sei ihnen die vom Sachverständigen Dr. R./Dr. S. festgestellte Fehlinterpretation der Röntgenaufnahmen nicht vorzuwerfen. Ein gravierender Diagnoseirrtum liege jedenfalls nicht vor; tatsächlich sei die Diagnose schwierig gewesen, weil kein deutlichen Frakturanzeichen vorgelegen hätten. Eine weitergehende Befunderhebung sei auch unter Berücksichtigung der von der Klägerin geschilderten Beschwerden nicht erforderlich gewesen. Zu Unrecht habe das Landgericht die Kausalität zwischen dem jetzigen Gesundheitszustand der Klägerin und dem nicht frühzeitig diagnostizierten Fersenbeinbruch festgestellt. Eine zwingende Operationsindikation habe nicht bestanden; eine konservative Therapie sei vertretbar gewesen. Eine weitgehende Ausheilung der Fraktur nach einem operativen Vorgehen sei nur unter idealen Abläufen zu erwarten gewesen. Bei der Klägerin liege auch kein Morbus Sudeck vor; jedenfalls sei dieser keine Folge ihrer Behandlungsmaßnahmen.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils und auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin hat teilweise Erfolg; die Berufung der Beklagten ist unbegründet.

Das Landgericht hat der Klage dem Grunde nach zu Recht mit im wesentlichen zutreffenden Erwägungen, denen sich der Senat anschließt und auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird (§ 543 Abs. 1 ZPO), stattgegeben. Das Berufungsvorbringen der Parteien gibt lediglich Anlass zu folgenden ergänzenden Bemerkungen.

Beide Beklagten haben die von ihnen gefertigten Röntgenaufnahmen unzutreffend ausgewertet; sie haben die Fraktur des Fersenbeins übersehen. Ihnen ist ein Diagnosefehler unterlaufen. Dass die Fraktur sowohl auf den vom Beklagten zu 1) als auch auf den vom Beklagten zu 2) angefertigten Röntgenbildern zu erkennen war, haben die Sachverständigen Dr. R./Dr. S. klipp und klar festgestellt. Der Sachverständige Dr. R. hat sich entgegen der Auffassung der Beklagten in seinem schriftlichen Gutachten nicht mit der bloßen Feststellung, die Fraktur sei sichtbar gewesen, begnügt. Er hat die ihm vorgelegten Aufnahmen vielmehr eingehend ausgewertet und eindeutig und in jeder Weise überzeugend dargetan, dass die Fraktur auf den Röntgenbildern zu sehen war. Er hat ferner ausgeführt, dass aufgrund der Röntgenbilder die Diagnose Fersenbeinfraktur von den Beklagten hätte gestellt werden müssen (GA 109); es war ihnen als ohne besondere Schwierigkeiten möglich, die Fraktur zu erkennen. Gegen diese Feststellungen, die auch den Senat ohne weiteres überzeugen, führen die Beklagten erhebliche Einwände, die Anlass zu einer weiteren Sachaufklärung sein könnten, nicht an.

Der somit gegebene Diagnosefehler führt auch zu einer Haftung der Beklagten. Zwar weisen sie zu Recht darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshof Diagnosefehler nur mit Zurückhaltung als Behandlungsfehler zu werten sind. Damit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die erhobenen Befunde nicht immer eindeutig sind es trotz des Einsatzes technischer Hilfsmittel nicht durchgängig gelingt, eine eindeutige Diagnose zu stellen (vgl. BGH, VersR 1981, 1033, 1034). Dies bedeutet aber nicht, dass Diagnoseirrtümer ausschließlich dann haftungsrechtlich relevant sind, wenn sie sich als schwerer Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst darstellen. Liegt ein fundamentaler Diagnoseirrtum vor, ist regelmäßig bereits von einem groben Behandlungsfehler auszugehen. Jenseits solcher eindeutigen Diagnosefehler bleibt Raum für eine Haftung eines Arztes jedenfalls dann, wenn die von ihm erhobenen Befunde nicht zweifelhaft sind, sondern bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt nur den Schluss auf eine bestimmte Diagnose zulassen. So liegt der Fall nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. R. hier.

Für einen groben Behandlungsfehler mangelt es indes an zureichenden Anhaltspunkten; einen solchen hat auch der Sachverständige Dr. R. verneint. Dagegen lässt sich auch nicht anführen, die Beklagten hätten, wenn sie schon keine sichere Diagnose stellen konnten, weiterführende Untersuchungen veranlassen müssen. Das ist eine rein hypothetische Erwägung. Auszugehen ist im vorliegenden Fall alleine davon, dass die Fersenbeinfraktur auf den Aufnahmen erkennbar war und von den Beklagten vorwerfbar nicht erkannt wurde. Hätten sie sie erkannt, hätten weiterführende Untersuchungen auch nicht mehr veranlasst werden müssen. Da insoweit kein grober Behandlungsfehler feststellbar ist, können der Klägerin eventuelle Beweiserleichterungen nicht unter Zugrundelegung eines hypothetisch anderen Vorgehens zuerkannt werden.

Nach dem Ergebnis der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme ist der Senat auch davon überzeugt, dass der jetzige Gesundheitszustand der Klägerin im wesentlichen auf den von den Beklagten nicht erkannten Fersenbeinbruch zurückzuführen ist. Der Mitgutachter Dr. S. hat bei seiner mündlichen Anhörung vor dem Landgericht überzeugend bekundet, dass bei rechtzeitigem Erkennen des Fersenbeinbruchs die operative Behandlung die Methode der Wahl gewesen wäre, weil es durch eine Operation möglich gewesen wäre, die Gelenkfläche wieder vollständig herzustellen. Eine frühzeitige Operation der Fraktur hätte hier aller Voraussicht nach auch tatsächlich - auch dies hat der Sachverständige klipp und klar ausgeführt - zu einer anatomisch nahezu vollständigen Wiederherstellung der Gelenkfläche geführt. Der Senat hat keinen begründeten Anlass, an der Richtigkeit der Feststellungen des Sachverständigen auch in diesem Punkt zu zweifeln. Keineswegs hat der Sachverständige Dr. S. ein optimales Ausheilungsergebnis als nur theoretisch denkbar hingestellt, wie die Beklagten meinen. Dass jede Operation insoweit gewisse Kompliaktionsrisiken hat, die der Sachverständige hier mit 5-10% bewertet hat, ändert nichts daran, dass eine operative Behandlung der Klägerin eine sehr hohe Chance auf ein gutes Ausheilungsergebnis gegeben hätte; diese Chance haben die Beklagten durch ihre unzureichende Diagnostik von vornherein vereitelt.

Nicht zurechenbar ist den Beklagten indes der von der Klägerin offenbar durchgemachte Morbus Sudeck. Dieser ist nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. S. schicksalhaft. Beweiserleichterungen können der Klägerin - wie ausgeführt - nicht zugebilligt werden.

Der Senat hält nach Abwägung aller Umstände, wie sie im einzelnen bereits im Urteil des Landgerichts aufgeführt worden sind (UA 6/7; § 543 Abs. 1 ZPO), ein Schmerzensgeld von 15.000,- € für angemessen. Die Spannbreite des Schmerzensgeldes liegt in Fällen der vorliegenden Art zwischen 25.000,- DM und 40.000,- DM (vgl. LG München I, Urt. v. 26. Januar 1993, Hacks-Ring-Böhm, Schmerzensgeldtabelle, 19. Aufl., Nr. 1628; OLG Düsseldorf, VersR 1992, 1412; OLG Köln NZV 1995, 399), so dass der vom Landgericht ausgeurteilte Betrag von 20.000,- DM zu niedrig gegriffen erscheint. Der Senat hat insoweit in Rechnung gestellt, dass die Gehbehinderungen der Klägerin zwar ausgeprägt sind, aber nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. R. die Beweglichkeit im Bereich des unteren rechten Sprunggelenkes noch zu 1/3 erhalten geblieben ist. Da zudem der Morbus Sudeck nicht zurechenbar ist, erscheint dem Senat insgesamt ein Schmerzensgeld von 15.000,- € angemessen.

Zinsen auf diesen Betrag stehen der Klägerin lediglich in Höhe von 4% seit Rechtshängigkeit (26. bzw. 29. April 2000) zu (§§ 291, 288 BGB a.F.). § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB in der Fassung ab 1. Mai 2000 gilt für vor diesem Zeitpunkt fällig gewordene Forderungen nicht (Art. 229 § 1 Abs. 1 Satz 3 EGBGB).

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO n.F. liegen nicht vor.

Berufungsstreitwert:: 22.500,- € (s. Senatsbeschl. v. 4. Februar 2002; GA 244)

Wert der Beschwer für Kläger und Beklagte: unter 20.000,- €

Ende der Entscheidung

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