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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 14.11.2001
Aktenzeichen: 5 U 232/99
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

5 U 232/99

Anlage zum Protokoll vom 14. November 2001

Verkündet am 14. November 2001

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 1. Oktober 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Rosenberger sowie die Richter am Oberlandesgericht Dr. Thurn und Mangen

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 29. September 1999 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 25 O 93/95 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 32.000,- DM abwenden, wenn die Beklagten nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Den Parteien wird gestattet, die Sicherheitsleistung auch durch eine selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank, öffentlichen Sparkasse, Volks- oder Raiffeisenbank zu erbringen.

Tatbestand:

Die damals 36-jährige Mutter des Klägers wurde am 18. November 1991 in der rechnerisch 38. Schwangerschaftswochen nach einem Blasensprung bei Beckenendlage in der Geburtshilflichen Abteilung des vom beklagten Verein zu 1) getragenen Krankenhauses aufgenommen. Dort sollte der Kläger am Vormittag des 19. November 1991 durch Kaiserschnitt entbunden werden; es handelte sich um die erste Geburt der Mutter des Klägers. Nachdem sich jedoch am Abend des 18. November 1991 zunehmend starke, regelmäßige Kontraktionen eingestellt hatten und grünes Fruchtwasser abging, entschloss sich der Beklagte zu 2) - der diensthabende Oberarzt - nach Rücksprache mit dem Beklagten zu 1) - dem Chefarzt der Abteilung - um 0.15 Uhr zur sofortigen Sectio. Der Kläger wurde um 1.16 Uhr geboren. Er wog bei einer Länge von 50 cm und einem Kopfumfang von 34 cm 2.760 Gramm und wurde als reif und lebensfrisch beschrieben. Die Apgar-Werte wurden mit 8/10/10 notiert, der ph-Wert des Nabelschnurblutes mit 7,29 bestimmt. Nach der Geburt wurde der Kläger abgesaugt. Bei der darauffolgenden Erstuntersuchung ergab sich kein auffälliger Befund. Der Kläger wurde der Hebamme, der Zeugin B., übergeben und in ein Wärmebett gelegt. Später - nach Darstellung der Beklagten um 3.55 Uhr, nach der Behauptung des Klägers gegen 3.30 Uhr - wurde der Kläger auf die Brust der Mutter gelegt. Um 4.05 benachrichtigte der Vater des Klägers eine Hebamme, weil sich der Kläger sehr ruhig verhielt. Die Hebamme fand den Kläger mit bläulich verfärbter Haut vor. Der aus seinem Dienstzimmer herbeigerufene Beklagte zu 3) stellte um 4.10 Uhr einen Atem- und Herzstillstand fest. Er saugte den Kläger ab und begann mit Wiederbelebungsmaßnahmen. Inwieweit vor seinem Eintreffen schon von den anwesenden Hebammen Wiederbelebungsmaßnahmen eingeleitet wurden, ist zwischen den Parteien streitig. Die vom Beklagten zu 3) durchgeführten Maßnahmen führten dazu, dass die Haut des Klägers rasch wieder rosig wurde und sein Herzschlag mit zunächst 80, dann 100 Schlägen pro Minute wieder einsetzte. Um 4.15 wurden die Beatmungsmaßnahmen vom hinzugerufenen Anästhesisten - zunächst mittels Maske, dann nach Intubierung maschinell - weitergeführt. Der Kläger wurde sodann gegen 4.50 Uhr auf die Intensivstation des Kinderkrankenhauses Amsterdamer Straße verbracht und dort bis zum 4. Dezember 1991 durchgängig weiterbeatmet.

In der Folgezeit blieb beim Kläger das Wachstum von Schädel und Gehirn zurück. 1994 wurde eine schwere Hirnschädigung festgestellt. Der Kläger ist aufgrund dieser Schädigung geistig und körperlich schwer behindert.

Der Kläger hat den Beklagten vorgeworfen, sowohl vor und nach seiner Geburt fehlerhaft vorgegangen zu sein, wodurch seine Hirnschädigung verursacht worden sei. Die Beklagten zu 2) und 3) hätten sich früher zur Schnittentbindung entscheiden müssen. Ferner sei er nach seiner Geburt nicht hinreichend engmaschig überwacht worden. Dann wäre die beginnende Insuffizienz von Atmung und Herztätigkeit eher aufgefallen und hätte schneller behandelt werden können. Ein Atem-Herzstillstand wäre auf diese Weise verhindert worden. Dem Beklagten zu 3) hat er darüber hinaus vorgeworfen, nach seinem Eintreffen um 4.10 Uhr nicht sofort intubiert und mit der maschinellen Beatmung begonnen zu haben. Der Kläger hat ein Schmerzensgeld von mindestens 300.000,- DM für gerechtfertigt gehalten.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagten zu verurteilen, ihm als Gesamtschuldner ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, zuzüglich 4% Zinsen hierauf seit Klagezustellung;

2. festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet seien, ihm allen vergangenen und zukünftigen materiellen Schaden sowie den zukünftigen immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihm aufgrund fehlerhafter Geburtshilfe durch die Beklagten entstanden ist, abzüglich vergangener und zukünftiger sachlich und zeitlich kongruenter Leistungen von Sozialhilfeträgern oder sonstigen Dritten.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten haben das ärztliche Vorgehen als anerkannten Behandlungsgrundsätzen entsprechend verteidigt.

Das Landgericht hat die Klage - sachverständig beraten - mit Urteil vom 29. September 1999 abgewiesen. Es hat keine Behandlungsfehler feststellen können. Gegen dieses ihm am 27. Oktober 1999 zugestellte Urteil hat der Kläger am 29. November 1999, einem Montag, Berufung eingelegt und das Rechtsmittel mit einem am 31. Januar 2000 eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem die Berufungsbegründungsfrist bis zu diesem Tag verlängert worden war.

Mit der Berufung wirft der Kläger den Beklagten weiterhin eine Reihe von Behandlungsfehlern vor. Fehlerhaft sei es schon gewesen, die Sectio nicht unmittelbar nach dem Eintreffen seiner Mutter im Krankenhaus durchzuführen, sondern anzuordnen, bis zum Vormittag des nächsten Tages zu warten. Indiziert gewesen sei die sofortige Sectio wegen des relativ hohen Alters seiner Mutter bei ihrer ersten Geburt, des vorzeitigen Blasensprungs, des Abgangs von grünem Fruchtwasser und des mäßig pathologischen CTG's. Durch das Zuwarten sei er einem überflüssigen und vermeidbaren Risiko ausgesetzt worden. Jedenfalls sei es fehlerhaft gewesen, keine kontinuierliche CTG-Überwachung anzuordnen, denn es hätte unter den gegebenen Umständen jederzeit eine Notlage eintreten können, in der die Geburtsbeendigung unverzüglich hätte herbeigeführt werden müssen. Als man sich um 0.15 Uhr zur Sectio entschlossen habe, habe es sich bereits um eine Not-Sectio gehandelt; sie sei offenbar angeordnet worden, weil er, der Kläger, sich in Schwierigkeiten befunden habe. Die Sectio sei indes erst um 1.16 Uhr beendet gewesen. Diese Entscheidungs-Entwicklungs-Zeit sei zu lang gewesen; sie habe höchstens 20 Minuten betragen dürfen. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Schädigung bereits im Mutterleib ihren Anfang genommen habe und demgemäss die vor der Geburt begangenen Fehler mitursächlich für seinen jetzigen Zustand seien.

Auch nach der Geburt seien den Beklagten Behandlungsfehler unterlaufen. Es habe sich um eine Risikogeburt gehandelt. Dies folge daraus, dass eine operative Geburt durchgeführt worden sei und grünes Fruchtwasser abgegangen sei. Es habe deshalb schon zur Geburt ein Pädiater hinzugezogen werden müssen. Jedenfalls hätte er, der Kläger, alsbald in kinderärztliche Behandlung gegeben werden müssen. Die Erstuntersuchung sei viel zu ungründlich vorgenommen worden. Eine Untersuchung der Herz-Kreislaufverhältnisse habe nicht stattgefunden; sie sei jedenfalls nicht dokumentiert. Nicht einmal die Herz- und Atemfrequenzen seien festgehalten worden. Herz und Lunge seien nicht abgehorcht worden. Auch sei nicht an die Gefahr einer Mekoniumaspiration gedacht worden. Insoweit habe eine Absaugung nicht ausgereicht; vielmehr hätte eine Laryngoskopie vorgenommen werden müssen. Er habe nach der Geburt trotz der guten Apgar-Werte engmaschig mittels Pulsoxymeter überwacht werden müssen, weil er eine Risikogeburt gewesen sei. Es sei nicht gerechtfertigt gewesen, von jeder Überwachung abzusehen. Die Hebamme habe sich allenfalls in größeren Zeitabständen sehen lassen; weder sie noch ein Arzt hätten ihn nochmals untersucht. Fehlerhaft sei es auch gewesen, ihn für mindestens eine halbe Stunde auf den Bauch seiner Mutter zu legen, ohne seinen Vitalzustand ständig zu überwachen. Seine Reanimation sei mit Verzögerungen durchgeführt worden. Die Hebamme habe, nachdem sie ihn zyanotisch aufgefunden habe, keine Reanimationsmaßnahmen vorgenommen, sondern lediglich den Beklagten zu 3) hinzugerufen, der erst nach 5 Minuten gekommen sei und mit den Wiederbelebungsmaßnahmen begonnen habe.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach den erstinstanzlichen Klageanträgen zu erkennen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagten stellen nach wie vor Behandlungsfehler in Abrede und vertiefen insoweit ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie behaupten, die Zeugin W. habe gemeinsam mit der Zeugin B. sofort nach dem Auffinden des Klägers um 4.05 Uhr mit Reanimationsmaßnahmen begonnen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens gemäß dem Beschluss vom 3. Mai 2000 sowie durch Vernehmung von Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. B. vom 16. Dezember 2000 (Bl. 323-347 d.A.) sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 1. Oktober 2001 (Bl. 407-421 d.A.) Bezug genommen.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils und auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.

Auch nach der vom Senat ergänzend durchgeführten Sachaufklärung sind Behandlungsfehler, für die die Beklagten einzustehen hätten, weder vor noch nach der Geburt des Klägers zur Überzeugung des Senats erwiesen.

1. Die Sectio hätte nicht sogleich nach der Aufnahme der Mutter des Klägers am 18. November 1991 um 19.00 Uhr durchgeführt werden müssen. Allein der Umstand, dass ein vorzeitiger Blasensprung vorlag, zwang nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. B. - die sich mit den Ausführungen des erstinstanzlich herangezogenen Sachverständigen Prof. Dr. B. decken - nicht zu einer sofortigen Sectio, weil ein erst kurzfristig aufgetretener Blasensprung die Gefahr einer Amnioninfektion noch nicht signifikant erhöht. Es war deshalb auch unter Berücksichtigung der sonstigen Umstände zumindest vertretbar, mit der Sectio bis zum nächsten Morgen zu warten. Dass es nach der Meinung des Sachverständigen Prof. Dr. B. besser gewesen wäre, die Sectio noch am Abend in Ruhe vorzubereiten, kann für die Beurteilung schon deshalb außer Betracht bleiben, weil die Sectio tatsächlich noch vor dem nächsten Morgen vorgenommen wurde, so dass insoweit dem Kläger ein Nachteil nicht entstanden sein kann; im übrigen hat der Sachverständige Prof. Dr. B. die zunächst getroffene Entscheidung, bis zum nächsten Morgen zu warten, nicht als behandlungsfehlerhaft gewertet. Auch der Abgang grünen Fruchtwassers hätte allenfalls dann eine Indikation zur sofortigen Sectio gegeben, wenn das CTG Pathologien aufgewiesen hätte. Das war indes nicht der Fall. Soweit der für die Kläger vorprozessual tätig gewordene Gutachter Dr. P. im CTG anhaltend tiefe Dezelerationen erkannt haben will, sind dem sowohl der Sachverständige Prof. Dr. B. als auch Prof. Dr. B. überzeugend entgegengetreten. Sie haben das CTG eingehend ausgewertet und es als normal bezeichnet; die von Dr. P. festgestellten Dezelerationen hat Prof. Dr. B. als Folge von Bewegungen der Mutter des Klägers gedeutet; es seien eine zeitlang deren Herzfrequenzen aufgezeichnet worden. Der Senat hat keine durchgreifenden Bedenken, dieser Bewertung durch die gerichtlich beauftragten Sachverständigen, die über langjährige Erfahrungen in der Geburtshilfe verfügen, zu folgen. Erforderlich war es nach den Ausführungen von Prof. Dr. B. allerdings, den Kläger mit Rücksicht darauf, dass grünes Fruchtwasser abgegangen war, in ausreichendem Maße zu überwachen. Das ist hier geschehen, auch wenn ein CTG nicht durchgehend geschrieben wurde. Eine kontinuierliche CTG-Überwachung - wie sie vorliegend nicht erfolgt ist - war nach den Darlegungen von Prof. Dr. B. nicht notwendig, weil die tatsächlich durchgeführten Aufzeichnungen zu keinem Zeitpunkt ein pathologisches Herzfrequenzmuster - auch bei guter und regelmäßiger Wehentätigkeit - erkennen ließen.

2. Fehler bei der tatsächlich um 0.15 Uhr angeordneten Sectio, die um 1.16 Uhr zur Geburt des Klägers führte, sind ebenfalls nicht erwiesen. Entgegen der Behauptung des Klägers war diese Sectio keine Not-Sectio, die eine Entscheidungs-Entwicklungszeit von maximal 30 Minuten erfordert hätte. Nach den insoweit klaren und eindeutigen Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. B. erfolgte die Entscheidung zur Sectio um 0.15 Uhr alleine wegen der immer intensiver werdenden Wehentätigkeit. Anhaltspunkte dafür, dass eine unmittelbare Gefahr für den Kläger oder seine Mutter bestanden, hat der Sachverständige nicht erkennen können; nur in einem solchen Fall ließe sich indes von einer Not-Sectio sprechen. Das steht im Einklang mit den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B., der ebenfalls keine Anzeichen für eine Notsituation hat feststellen können. Darüber hinaus lässt sich nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. B. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen, dass der verstrichene Zeitraum von der Entscheidung zur Sectio bis zu deren Abschluss ursächlich für die etwa 3 Stunden später aufgetretene postpartale Notsituation des Klägers war. Zwar fehlt es insoweit an der weiteren CTG-Überwachung während der Geburtsvorbereitung, was der Sachverständige zwar kritisiert, aber als zum damaligen Zeitpunkt weithin üblich bezeichnet hat. Indes lässt sich der Schluss, dass es nicht zu einer intrapartalen Hypoxie gekommen ist, hinreichend sicher daraus schließen, dass die dokumentierten Apgar-Werte und der pH-Wert des Nabelschnurarterienblutes keinerlei Auffälligkeiten aufwiesen.

3. Fehler im Geburtsmanagement unmittelbar nach der Geburt lassen sich nicht feststellen. Der Kläger hat eine intensivere Betreuung vor allem mit der Erwägung verlangt, bei der Geburt habe es sich um eine Risikogeburt gehandelt. Dem ist der Sachverständige Prof. Dr. B. überzeugend entgegengetreten. Die insoweit vom Kläger aufgezeigten Indizien (Alter der Mutter, Erstgeburt, vorzeitiger Blasensprung, Abgang von grünem Fruchtwasser, nach Darstellung des Klägers pathologisches CTG) begründen weder für sich genommen noch in der Zusammenschau die Annahme, es habe eine Risikogeburt vorgelegen. Bei der Mutter des Klägers, die mit 36 Jahren ihr erstes Kind zur Welt brachte, hat es sich zwar um eine Risikoschwangere gehandelt, bei der es einer erhöhten Aufmerksamkeit und Überwachung bedarf. Manifeste Geburtsrisiken haben indes hier nicht vorgelegen. Das Risiko einer Vaginalentbindung bei Beckenendlage des Klägers ist durch die Entscheidung zur Sectio abgewendet worden. Blasensprung und der Abgang grünen Fruchtwassers begründen nicht per se eine Risikogeburt, sondern erfordern allenfalls eine vermehrte Überwachung. Dies ist - wie schon ausgeführt - hier in ausreichendem Maße geschehen, ohne dass sich im CTG Auffälligkeiten gezeigt haben. Unter diesen Umständen war es nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. B. nicht erforderlich, schon zur Geburt des Klägers einen Pädiater hinzuzuziehen oder den Kläger unmittelbar nach der Geburt in kinderärztliche Behandlung zu geben. Dies entsprach 1991 nicht dem fachärztlichen Standard, weil eine Notsituation nicht vorlag und die nach der Geburt festgestellten Werte (Apgar - pH-Nabelschnurarterienblut) keine Auffälligkeiten zeigten.

Eine Erstuntersuchung des Klägers ist nicht dokumentiert. Selbst wenn indes davon auszugehen wäre, dass die Erstuntersuchung (U 1) nicht durchgeführt worden wäre, so wäre dies nach den Darlegungen des Sachverständigen nicht als behandlungsfehlerhaft zu werten. Die U 1 Untersuchung beinhaltet nur eine grobe äußere Untersuchung, die keine Auskultation der Lunge fordert. Demgemäß war es - bei dem hier vorliegenden grünen Fruchtwasser - genügend, den Nachweis einer ausreichenden Belüftung der Lunge zu erbringen. Diese erfolgte hier im Rahmen der Feststellung der Apgar-Werte, die als regelgerecht beschrieben wurden und dokumentiert sind. Unter diesen Voraussetzungen wäre ein Verzicht auf die U 1 Untersuchung nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B. vertretbar und damit nicht behandlungsfehlerhaft. Anhaltspunkte dafür, dass das - dokumentierte - Absaugen unzureichend war, lassen sich ebenfalls nicht feststellen.

Zu Unrecht hat der Kläger auch die postpartale Überwachung mittels Pulsoxymeter gefordert. Nach den nicht in Zweifel zu ziehenden Feststellungen des Sachverständigen war es 1991 nicht einmal üblich, Risikoneugeborene in dieser Weise zu überwachen. Beim Kläger, bei dem sich weder unter der Geburt noch postpartal zunächst Gesundheitsstörungen zeigten, war es mithin ausreichend, ihn in ein Wärmebett zu legen und ihn in regelmäßigen Abständen zu überwachen. Anhaltspunkte dafür, dass dies nicht in ausreichendem Maße geschehen ist, sind nicht ersichtlich. Ebenso wenig war es fehlerhaft, den Kläger mehr als 2 Stunden nach seiner Geburt auf den Bauch seiner Mutter zu legen. Dies entspricht den Leitlinien, wonach Mutter und Kind nach der Geburt so weit als möglich zusammengelassen werden sollen. Zugleich ist dadurch auch gewährleistet, dass die Mutter auf eventuelle Unregelmäßigkeiten zeitnah reagieren kann.

4. Sichere Feststellungen, dass die Reanimation des Klägers nur in unzureichendem Maße erfolgt ist, lassen sich nach dem Ergebnis der vor dem Senat durchgeführten Beweisaufnahme nicht treffen.

Zwar ist - obwohl dies erforderlich gewesen wäre - nicht dokumentiert, dass die anwesenden Hebammen, die Zeuginnen W. und B., den Kläger sogleich nach Kenntnis von seinem kritischen Zustand gezielt reanimiert haben. Insoweit hält es der Senat für gerechtfertigt, dem Kläger Beweiserleichterungen zuzubilligen. Der Senat ist indes davon überzeugt, dass unverzüglich Wiederbelebungsmaßnahmen eingeleitet worden sind. Das hat die Zeugin W. bei ihrer Vernehmung durch den Senat glaubhaft bestätigt. Nach ihrer Darstellung war sie es - obwohl für die Geburt des Klägers nicht zuständig -, die nach der Unterrichtung durch den Vater des Klägers den Kläger sogleich in einen freien Kreißsaal verbracht und mit Reanimationsmaßnahmen (zunächst Mund-zu-Mund-Beatmung; dann Bebeutelung) begonnen hat. Ferner hat sie sogleich der Zeugin B. zugerufen, den Beklagten zu 3) aus seinem Dienstzimmer herbeizuholen, was diese - wie sowohl sie selbst als auch der vom Senat angehörte Beklagte zu 3) bestätigt haben - auch geschehen ist. Nach der übereinstimmenden Darstellung der Zeuginnen W. und B. hat die Zeugin B., nachdem sie den Beklagten zu 3) telefonisch verständigt hatte, sodann bei den bereits von der Zeugin W. eingeleiteten Reanimationsmaßnahmen mitgeholfen, bis der Beklagte zu 3) erschienen ist. Der Senat hat keine begründeten Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Bekundungen der beiden Zeuginnen. Beide sind langjährig tätige Hebammen, die - wie sie vor dem Senat geschildert haben - auch Kenntnisse über Wiederbelebungsmaßnahmen haben. Auch wenn es selten erforderlich sein mag, diese Kenntnisse einzusetzen, erscheint es dem Senat völlig unwahrscheinlich, dass sie bei dem erkennbar schlechten Zustand des Klägers tatenlos zugewartet haben, bis der Beklagte zu 3) herbeigeeilt war. Insbesondere die Zeugin W. hat dem Senat nicht den Eindruck vermittelt, als sei sie außerstande, in der aufgetretenen Situation nicht adäquat zu handeln. Dafür, dass tatsächlich Reanimationsmaßnahmen eingeleitet worden sind, spricht auch der vom Beklagten zu 3) bekundete Umstand, dass sich der Kläger bei seinem Eintreffen mit dem Kopf nach vorn liegend auf dem Tisch befand, wie es in einem Reanimationsfall üblich ist. Ferner wurde der Kläger, nachdem der Beklagte zu 3) reanimiert hat, sehr rasch wieder rosig und die Herztöne stellten sich unmittelbar wieder ein. Auch der Sachverständige Prof. Dr. B. hat die Schilderungen der Zeuginnen W. und B. als in sich durchaus schlüssig bewertet; sie hätten nach ihrer Darstellung des Geschehensablaufes alles getan, was eine Hebamme in dieser Situation tun kann.

Die abweichende Aussage des Zeugen R. steht der gewonnenen Überzeugung des Senats, dass die Zeuginnen W. und B. sogleich Wiederbelebungsmaßnahmen eingeleitet haben, nicht entgegen. Zwar hat er bekundet, die Zeugin B. habe den Kläger geholt, in ein anderes Zimmer gebracht, den Beklagten zu 3) informiert, aber sonst keinerlei Reanimationsmaßnahmen unternommen. Der Senat hat jedoch durchgreifende Zweifel, ob der Zeuge R. die Ereignisse heute noch hinreichend deutlich in Erinnerung hat. So fällt bereits auf, dass seiner Darstellung nach nur die Zeugin B. tätig gewesen sein soll. Sie war zwar die für den Kläger zuständige Hebamme. Der Zeuge R. hat indes - insoweit übereinstimmend mit der Zeugin W. - geschildert, dass er in einen benachbarten Kreißsaal gelaufen ist, um jemanden zu benachrichtigen. In diesem Kreißsaal fand jedoch eine Geburt statt, für die die Zeugin W. alleine zuständig war. Eine nachvollziehbare Erklärung, weshalb sich dort die Zeugin B. aufgehalten haben sollte, fehlt. Schon dies verdeutlicht, dass der Zeuge R. - was angesichts der dramatischen Umstände auch nicht verwundert - das damalige Geschehen nur unzureichend wahrgenommen hat. Wenn allerdings davon auszugehen ist, dass sich zunächst die Zeugin W. um den Kläger gekümmert hat und dem Zeugen R. insoweit schon die zutreffende Erinnerung fehlt, dann kann der Senat seinen weiteren Bekundungen, die Zeugin B. habe beim Kläger keine Wiederbelebungsmaßnahmen versucht, keine entscheidende Bedeutung mehr beimessen. Es mag sich bei dem Zeugen R. ein bestimmtes subjektives - vielleicht auch eher selektives - Bild von den damaligen Ereignissen eingeprägt haben, welches er bei seiner Vernehmung wiedergegeben hat. Der Senat kann unter Berücksichtigung des gesamten Ergebnisses der Beweisaufnahme seinen Bekundungen jedoch nicht folgen. Vielmehr ist zur Überzeugung des Senats davon auszugehen, dass Reanimationsmaßnahmen beim Kläger bis zum Eintreffen des Beklagten zu 3) jedenfalls nicht gänzlich unterblieben sind.

Sichere Feststellungen dazu, ob die insoweit von den Hebammen geleisteten Wiederbelebungsmaßnahmen unzureichend waren, vermag der Senat nicht zu treffen. Der Sachverständige Prof. Dr. B. hat das, was sie geschildert haben, als richtiges Vorgehen bestätigt. Soweit er gewisse Zweifel an der Suffizienz der Maßnahmen geäußert hat, reicht dies nicht aus, um positiv festzustellen, dass das Vorgehen der Hebammen tatsächlich den Vorwurf eines Behandlungsfehlers rechtfertigt. Das geht zu Lasten des insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Klägers. Soweit ein Dokumentationsversäumnis vorliegt, sind Beweiserleichterungen allenfalls insoweit angezeigt, als es darum geht, ob überhaupt Reanimationsmaßnahmen durchgeführt wurden, nicht aber, soweit es deren Effektivität oder Fehlerhaftigkeit betrifft.

Dass der Beklagte zu 3) nicht in ausreichendem Maße reanimiert hat, behauptet der Kläger im Berufungsrechtszug nicht mehr. Das Landgericht hat insoweit auch ein fehlerhaftes Vorgehen mit zutreffender Begründung verneint.

Insgesamt muss die Berufung des Klägers damit ohne Erfolg bleiben.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711.

Berufungsstreitwert und Wert der Beschwer des Klägers: 500.000,- DM

Ende der Entscheidung

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