Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 26.05.2008
Aktenzeichen: 5 U 238/07
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 32
ZPO § 281
ZPO § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
ZPO § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
ZPO § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 7. November 2007 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 25 O 122/07 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Rechtsstreit auf den im Berufungsverfahren gestellten Hilfsantrag des Klägers unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das örtlich zuständige Landgericht Bonn verwiesen wird.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt. Im Übrigen bleibt die Kostenentscheidung dem Schlussurteil des Landgerichts Bonn vorbehalten.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beklagten zu 2) und 3) nahmen am 21.6.2005 im Klinikum der Beklagten zu 1) in Bonn eine Antirefluxplastik der linken Harnröhre des minderjährigen Klägers vor, obwohl die rechte Harnröhre für eine Operation vorgesehen war. Am 26.9.2005 wurde der erforderliche Eingriff auf der rechten Seite in der Universitätsklinik L durchgeführt.

Der in Q wohnhafte Kläger hat die Beklagten, die ihren allgemeinen Gerichtstand im Bezirk des Landgerichts Bonn haben, daraufhin vor dem Landgericht Köln auf Schmerzensgeld und Schadensersatz in Anspruch genommen.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld aus der fehlerhaften Behandlung ab dem 21.6.2005 zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 20.000 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (14.6.2007),

2. die Beklagten weiter als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 500 € zu zahlen nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (14.6.2007), abzüglich am 6. 7.2007 gezahlter 1.000 € unter Verrechnung zunächst auf den Antrag zu 2. hinsichtlich Haupt- und Nebenforderung, sodann auf den Antrag zu 1. hinsichtlich der Hauptforderung unter Teilerledigungserklärung, sowie

3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche zukünftigen immateriellen und alle weiteren vergangenen und künftigen materiellen Ansprüche, die ihm infolge der fehlerhaften Behandlung ab dem 21.6.2005 entstanden sind bzw. noch entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Köln gerügt und in der Sache geltend gemacht, dass die Ersatzansprüche des Klägers durch den vorprozessual geleisteten Betrag von 2.500 € und die nach Rechtshängigkeit erfolgte Zahlung weiterer 1.000 € abgegolten seien.

Das Landgericht Köln hat seine örtliche Zuständigkeit verneint und die Klage abgewiesen.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Berufung. Entgegen der Auffassung des Landgerichts sei der Gerichtstand der unerlaubten Handlung gegeben. Abgesehen davon, dass sich eine Körperverletzung regelmäßig (auch) am Wohnort des Verletzten auswirke, sei zu berücksichtigen, dass der Kläger sich ein weiteres Mal in stationäre Krankenhausbehandlung habe begeben und sich am 26.9.2005 erneut habe operieren lassen müssen, um die durch den Eingriff der Beklagten nicht behobenen Beschwerden und die damit einhergehenden andauernden Schmerzen endlich zu beseitigen. Insoweit sei ein (weiterer) Verletzungserfolg am Wohnsitz des Klägers eingetreten. Die auf dem Behandlungsfehler beruhenden psychischen Beschwerden des Klägers habe das Landgericht nicht berücksichtigt.

Der Kläger beantragt,

1. unter entsprechender Abänderung des angefochtenen Urteils nach den in I. Instanz zuletzt gestellten Anträgen des Klägers zu erkennen,

2. den Rechtsstreit unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Landgericht zurückzuverweisen,

3. hilfsweise, den Rechtstreit an das Landgericht Bonn zu verweisen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil. Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die Berufung des Klägers hat, von dem im Berufungsverfahren gestellten Hilfsantrag abgesehen, keinen Erfolg. Das Landgericht Köln ist für die vorliegende Klage örtlich nicht zuständig.

1. Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass der Gerichtstand der unerlaubten Handlung (§ 32 ZPO) nicht gegeben ist. Andere Gerichtsstände kommen nicht in Betracht.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der allerdings keine Fälle ärztlicher Haftung zugrunde liegen, kann Begehungsort der deliktischen Handlung sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort sein, so dass eine Zuständigkeit dort gegeben ist, wo eine der Verletzungshandlungen begangen wurde, oder dort, wo in ein geschütztes Rechtsgut eingegriffen wurde (BGHZ 52, 108, 111; 124, 237, 245; 132, 105, 110 f.). Davon zu unterscheiden ist der Ort, an dem, nachdem bereits der Tatbestand der unerlaubten Handlung vollendet ist, lediglich die Schadensfolgen in Erscheinung treten (BGHZ 52, 108, 111, BGH NJW 1980, 1124, 1125). Die Literatur differenziert ebenfalls zwischen dem Erfolgsort und dem für eine Zuständigkeit nach § 32 ZPO grundsätzlich unbeachtlichen Schadensort (MünchKomm/Patzina, ZPO 3. Aufl. § 32 Rdn. 20; Stein/Jonas, ZPO 22. Aufl. § 32 Rdn. 26, 29; Zöller/Vollkommer, ZPO 26. Aufl., § 32 Rdn. 16; Musielak/Heinrich, ZPO 6. Aufl. § 32 Rdn. 15). Nur dann, wenn der Schadenseintritt selbst zum Tatbestand der Rechtsverletzung gehört (wie im Falle eines Betrugs oder im Rahmen von § 826 BGB), ist der Ort des Schadenseintritts ausnahmsweise Verletzungs- und damit Begehungsort (BGHZ 40, 391, 395).

Aus dem von den Parteien angeführten Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 14.12.1989 - I ARZ 700/89 (NJW 1990, 1533), der die Klage eines Versicherers aus übergegangenem Recht ihres mit HIV-verseuchten Präparaten behandelten Versicherten gegen mehrere Arzneimittelhersteller betrifft, ergeben sich keine anderen Maßstäbe. Der Bundesgerichtshof hat angenommen, dass der Verletzungserfolg in der Ortschaft oder Stadt eingetreten sei, in der der Versicherte seinerzeit wohnte. Den Entscheidungsgründen lässt sich allerdings nicht entnehmen, dass nicht die Verletzung des Körpers und der Gesundheit des Versicherten an seinem Wohnort eintrat (etwa durch Einnahme des verseuchten Präparats und den Ausbruch der Krankheit), sondern lediglich Auswirkungen einer bereits vollendeten Körperverletzung.

Für den Bereich des Arzthaftungsrechts können diese Maßstäbe durchaus, je nachdem ob die Primärverletzung nach den Umständen des Falls in der Klinik/Arztpraxis oder im häuslichen Bereich eintritt, zu einem Erfolgsort am Wohnsitz des Patienten führen. Bloße Auswirkungen einer (bereits vollendeten) Körperverletzung am Wohnort des Verletzten genügen allerdings - entgegen der missverständlichen Kommentierung bei Zöller (aaO) - nicht. Zu einer Primärverletzung im häuslichen Bereich kann es insbesondere dann kommen, wenn eine medizinisch indizierte Behandlung unterbleibt und deshalb mit zeitlicher Verzögerung eine Krankheit ausbricht oder sich vertieft. Entsprechende oder ähnliche Gestaltungen liegen dem Urteil des OLG Karlsruhe vom 18.6.2003 (OLG-Report 2003, 438 f.) und dem Beschluss des Kammergerichts vom 1.6.2006 (NJW 2006, 2336 f.) zugrunde. In dem vom OLG Karlsruhe beurteilten Fall kam es nach dem Vorbringen der dortigen Klägerin, indem von ärztlicher Seite im Rahmen eines Telefonats eine gebotene Nachbehandlung nicht sicher gestellt wurde, zumindest zu einer Vertiefung des Verletzungserfolgs im häuslichen Bereich der Patientin. Das Kammergericht hatte nach dem Parteivorbringen davon auszugehen, dass infolge unzureichender Diagnostik der in Anspruch genommenen Ärztin ein nicht indizierten Eingriff in einem Krankenhaus durchgeführt wurde, welches in demselben Gerichtsbezirk wie der Wohnsitz der Klägerin lag.

Im vorliegenden Fall ist ausschließlich Bonn Erfolgsort. Die Körperverletzung wurde begangen, indem die Beklagten zu 2) und 3) im Klinikum der Beklagten zu 1) in Bonn einen nicht von der Einwilligung des Klägers gedeckten Eingriff an der Harnröhre links vorgenommen haben. Stellt man - wie der Kläger in der Berufungsbegründung - auch darauf ab, dass die Beklagten zugleich den mit den Eltern des Klägers besprochenen und medizinisch indizierten Eingriff an der Harnröhre rechts unterließen, gilt nichts anderes. Der angeborene, regelwidrige Körperzustand hätte von den Beklagten in Bonn beseitigt werden sollen und bestand schon dort unmittelbar nach der Operation vom 21.6.2005 fort. Soweit danach bis zu der weiteren Operation vom 26.9.2005 in der Universitätsklinik L durch den Rückfluss von Urin im Bereich des rechten Harnleiters Beschwerden auftraten, handelte es sich um bloße Schadensfolgen, die für die Bestimmung des Gerichtsstands nach § 32 ZPO unbeachtlich sind. Die angeblichen psychischen Beschwerden des Klägers sind ebenfalls nur Folge der Primärverletzung.

2. Auf den im Berufungsverfahren gestellten Hilfsantrag des Klägers war der Rechtsstreit unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das örtlich zuständige Landgericht Bonn zu verweisen.

Eine Verweisung nach § 281 ZPO ist in jeder Instanz möglich. In der Rechtsmittelinstanz hat sie grundsätzlich durch Urteil unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zu erfolgen (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl. § 281 Rdn. 9, 12; MünchKomm/Prütting, ZPO 3. Aufl. § 281 Rdn. 10, 39; Musielak/Foerste, ZPO 6. Aufl. § 281 Rdn. 2, 10; jeweils mit weiteren Nachweisen). Eine Verweisung kommt insbesondere auch dann in Betracht, wenn das Erstgericht auf Zuständigkeitsrüge des Beklagten hin zutreffend die Klage wegen Unzuständigkeit abgewiesen hat und der Kläger den Verweisungsantrag erstmals - auch hilfsweise - vor dem Berufungsgericht stellt (vgl. OLG Köln OLGZ 1989, 83, 86 f.). Anders als die Beklagten meinen, sind diese auf dem Gedanken der Prozessökonomie beruhenden Grundsätze auch für das am 1.1.2002 in Kraft getretene Zivilprozess- und Berufungsrecht maßgeblich (vgl. Zöller/Greger aaO; MünchKomm/Prütting aaO; Musielak/Foerste aaO). Der erstmals im Berufungsverfahren hilfsweise gestellte Verweisungsantrag kann entgegen der Auffassung der Beklagten nicht nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 ZPO zurückgewiesen werden. Der Verweisungsantrag stellt kein Angriffs- oder Verteidigungsmittel dar. Solche dienen der Begründung des Sachantrags oder der Verteidigung gegen diesen.

3. Die Kosten des Berufungsverfahrens waren bereits jetzt dem Kläger aufzuerlegen. Er hat diese Kosten ungeachtet des Ausgangs des Rechtsstreits zu tragen. Soweit sein Rechtsmittel ohne Erfolg geblieben ist, beruht die Entscheidung auf § 97 Abs. 1 ZPO. Soweit das Rechtsmittel auf den in zweiter Instanz gestellten Hilfsantrag zur Verweisung an das örtlich zuständige Landgericht Bonn führt, ergibt sich die Kostentragungspflicht des Klägers aus §§ 97 Abs. 2, 281 Abs. 3 Satz 2 ZPO.

Im Übrigen war die Kostenentscheidung dem Schlussurteil des Landgerichts Bonn vorzubehalten. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die Auslegung des § 32 ZPO ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärt.

Berufungsstreitwert: bis zu 30.000 € (in Abänderung des Senatsbeschlusses vom 21.2.2008, der nicht berücksichtigt, dass die Parteien den Rechtsstreit in erster Instanz in Höhe von 1.000 € übereinstimmend für erledigt erklärt haben)

Ende der Entscheidung

Zurück