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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 21.05.2003
Aktenzeichen: 5 U 268/01
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 92 Abs. 1
ZPO § 256
ZPO § 269 Abs. 3 Satz 2
ZPO § 543 Abs. 2 n.F.
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

5 U 268/01

Verkündet am 21. Mai 2003

In dem Rechtsstreit

hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 30. April 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Rosenberger, die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Schmitz-Pakebusch und den Richter am Oberlandesgericht Mangen

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 7. November 2001 verkündete Urteil der 23. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 23 O 525/00 - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin nach Maßgabe des zwischen den Parteien bestehenden Versicherungsvertrages mit der Versicherungsnummer xxxx Versicherungsschutz für eine stationäre Durchführung einer beidseitigen Mammae-Reduktion (Reduktionsmastopexie pro Brust 800 Gramm) zu gewähren.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben die Klägerin 37% und die Beklagte 63% zu tragen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin zu 1/3 und der Beklagten zu 2/3 auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache zum Teil Erfolg.

Die Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin Versicherungsschutz für die begehrte Brustverkleinerung zu gewähren. Die insoweit von der Klägerin erhobene Feststellungsklage ist zulässig und begründet.

Die Voraussetzungen des § 256 ZPO liegen vor. Zwischen den Parteien besteht ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis Dazu reicht es aus, dass die zwischen den Parteien des Rechtsstreits bestehenden Beziehungen schon zur Zeit der Klageerhebung die Grundlage bestimmter Ansprüche bilden (BGH, VersR 1992, 950). Das ist sicher dann der Fall, wenn bereits der Versicherungsfall eingetreten ist (vgl. LG Berlin, NVersZ 2000, 230; s. auch OLG Stuttgart, OLGR 1998, 23, 24). Ob davon hier schon auszugehen ist, weil die Klägerin wegen einer Brustverkleinerung bereits ärztlichen Rat eingeholt hat, mag dahingestellt bleiben. Ausreichend zur Annahme eines gegenwärtigen Rechtsverhältnisses ist es jedenfalls, dass sich die Notwendigkeit einer künftigen Behandlung bereits konkretisiert hat; dazu reicht die Planung einer künftigen Behandlung bei bestehendem Versicherungsschutz aus (vgl. BGH, VersR 1987, 1107, 1108).

Der Senat hält im vorliegenden Fall auch ein Feststellungsinteresse für gegeben. Ein solches Feststellungsinteresse ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu bejahen, wenn nach Lage des Falles durch ein Feststellungsurteil eine sachgemäße und erschöpfende Lösung des Streits zu erwarten ist (aaO). Zwar ist einzuräumen, dass sich bei einer noch bevorstehenden Heilbehandlung regelmäßig vorab nicht exakt sagen lässt, inwieweit eine Behandlungsbedürftigkeit bei Abschluss des Rechtsstreits noch besteht. Auch muss in Rechnung gestellt werden, dass der Versicherungsschutz grundsätzlich nur auf Kostenerstattung angelegt ist und eine vorherige Kostenzusage in den Vertragsbedingungen - von hier nicht interessierten Ausnahmefällen abgesehen - grundsätzlich nicht vorgesehen ist. Gleichwohl sind Konstellationen denkbar, in denen es dem Versicherungsnehmer nicht zugemutet werden kann, zunächst auf eigenes Risiko eine Behandlung vornehmen zu lassen und dann auf Erstattung zu klagen. Das OLG Stuttgart (aaO) hat dies dann angenommen, wenn sich an der Verpflichtung zur Leistung "nichts wird ändern können" und dem Rechtssuchenden ein Abwarten (vor allem aufgrund finanzieller Probleme) nicht zuzumuten ist. Regelmäßig - so das OLG Stuttgart - könne allerdings aufgrund der sich ständig ändernden organischen Abläufe im menschlichen Körper und der fortschreitenden medizinischen Entwicklung im vorhinein kaum sicher festgestellt werden, dass die Behandlung, für die die Leistungszusage erwirkt werden soll, auch bei ihrer späteren tatsächlichen Durchführung noch medizinisch notwendig ist. Das kann aber nicht ausnahmslos gelten und ist anders zu beurteilen, wenn das Krankheitsbild im wesentlichen feststeht und nicht zu erwarten ist, dass es sich innerhalb kurzer Zeit entscheidend ändern wird, und wenn ferner eine bestimmte Behandlung gefordert wird, die zur Heilung oder Linderung der Erkrankung in Betracht kommt (vgl. BGH, aaO zur Leistungszusage bei einer In-Vitro-Fertilisation). Steht in einer solchen Situation die medizinische Notwendigkeit einer Behandlung zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer im Einzelfall im Streit, muss der Versicherungsnehmer jedenfalls dann, wenn die anfallenden Kosten für die in Aussicht genommene Behandlung hoch sind, das Recht haben, vom Versicherer im Rahmen des bestehenden Vertragsverhältnisses eine vorherige Leistungszusage zu erwirken. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben. Das Krankheitsbild der Klägerin steht mit der bei ihr seit längerer Zeit gegebenen Brusthypertrophie fest; an diesem Zustand wird sich maßgebend auch in absehbarer Zeit nichts ändern. Die für die insoweit medizinisch in Betracht kommende operative Brustverkleinerung anfallenden Kosten betragen nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Klägerin zwischen 15.000,- bis 20.000,- DM. Bei dieser Sachlage ist - ausnahmsweise - ein Feststellungsinteresse an einer vorherigen Leistungszusage zu bejahen.

Die Feststellungsklage ist auch begründet. Eine Brustverkleinerung kann eine medizinisch notwendige Heilbehandlung sein, wenn große Brüste zu körperlichen oder seelischen Krankheitszuständen geführt haben, und eine operative Maßnahme geeignet ist, die Beschwerden zumindest zu lindern (vgl. OLG Karlsruhe, VersR 1995, 692, 693). Medizinisch notwendig ist Heilbehandlung, wenn es nach objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen vertretbar ist, eine Behandlung als notwendig anzusehen. Das ist im vorliegenden Fall im Anschluss an die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. N anzunehmen. Bei der übergewichtigen Klägerin besteht eine mäßig ausgeprägte Makromastie. Zwar liegt nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. N kein eindeutiger Befund vor, so dass keine zwingende Indikation zu einer Brustverkleinerung besteht. Vielmehr ist bei der Klägerin von einem Grenzbefund auszugehen. Gleichwohl ist es nach den Ausführungen von Prof. Dr. N vertretbar, im vorliegenden Fall die Indikation zu einer Brustverkleinerung um je 800 Gramm zu stellen. Grund hierfür sind die von der Klägerin plausibel geschilderten Brustschmerzen in Form von ziehendem und stechendem Berührungsschmerz; der Sachverständige hat insoweit dargelegt, dass er die Beschwerdesymptomatik, soweit der Fachbereich der Gynäkologie betroffen ist, aufgrund der Brustgröße für nachvollziehbar halte. Da die Schmerzen letztlich nur subjektiv empfunden und geschildert werden können, muss es insoweit ausreichen, wenn der Sachverständige aufgrund seiner klinischen Erfahrung das Bestehen der Schmerzen als plausibel bezeichnet. Zu Unrecht hat die Beklagte insoweit eingewandt, der Sachverständige habe zur Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit einer Brustverkleinerung maßgebende Befunde (BMI, Körpergewicht, Körpergröße, Brustgröße, Brustgewicht) bei der Klägerin nicht erhoben. Der Sachverständige Prof. Dr. N hat hierzu überzeugend ausgeführt, dass jene Parameter letztlich deswegen nicht maßgebend seien, weil sie für sich genommen, sofern keine Extremmaße vorlägen, keine Indikation begründen könnten; sie korrelierten nicht zwingend mit einer bestimmten Beschwerdesymptomatik. Maßgebend kann daher vorliegend alleine der im Rahmen der Untersuchung vom Sachverständigen gewonnene klinische Eindruck sein; danach sind die von der Klägerin angegebenen Brustschmerzen glaubhaft. Ob darüber hinaus auch Beschwerden im Nacken und im Bewegungsapparat bestehen, mag dahingestellt bleiben, denn die Indikation zur Brustverkleinerung hat der Sachverständige Prof. Dr. N bereits alleine mit den aus gynäkologischer Sicht nachvollziehbaren Brustbeschwerden gestellt. Er hat ferner ausgeführt, dass eine Verkleinerung der Brüste um je 800 Gramm nach klinischer Erfahrung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Linderung der Beschwerden der Klägerin führen wird. Ob sich daneben auch eine Reduzierung des Körpergewichts günstig auf die Beschwerdesymptomatik auswirken würde - was nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht zwingend der Fall sein muss, weil sich nicht notwendig dadurch auch die Brüste verkleinern würden -, ist nicht erheblich, da die Beklagte von der Klägerin eine Gewichtsreduktion nicht verlangen kann, sondern die bei der Klägerin bestehende Adipositas als gegeben hinnehmen muss. Ausgehend von der derzeitigen körperlichen Verfassung der Klägerin ist nach den Darlegungen des Sachverständigen Prof. Dr. N die Indikation zur Brustverkleinerung jedenfalls vertretbar zu stellen. Damit steht die medizinische Notwendigkeit der Mammae-Reduktion bei der Klägerin fest.

Keinen Erfolg hat allerdings die auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von mindestens 8.000,- DM gerichtete Klage, die die Klägerin von der Beklagten beansprucht, weil diese sich pflichtwidrig trotz der ihr vorgelegten ärztlichen Atteste geweigert hat, zu der geplanten Brustverkleinerung eine Leistungszusage zu erteilen, so dass sie diese nicht bereits am 9. November 2000 hat vornehmen lassen können. Ein solcher Anspruch käme nur dann in Betracht, wenn in der Verweigerung der Leistungszusage durch die Beklagte eine schuldhafte Körperverletzung durch Unterlassen gesehen werden könnte. Aus den zwischen den Parteien bestehenden vertraglichen Beziehungen lässt sich indes eine Garantenstellung der Beklagten nicht herleiten. Der Krankenversicherungsvertrag ist nicht darauf gerichtet, die Klägerin vor Schäden an ihrer körperlichen Unversehrtheit zu bewahren, sondern alleine darauf, sie vor den finanziellen Folgen der Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen zu schützen. Unabhängig davon würde es im konkreten Fall jedenfalls an einem Verschulden der Beklagten fehlen, denn, wie der Sachverständige Prof. Dr. N bekundet hat, liegt bei der Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit einer Verkleinerung der Brüste der Klägerin ein Grenzfall vor. Dann aber kann es der Beklagten nicht zum Vorwurf gereichen, dass sie auf einer gerichtlichen Klärung ihrer Leistungspflicht bestanden hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Hinsichtlich der Kosten für die erste Instanz ist berücksichtigt, dass die Klägerin mit der Antragsänderung im Schriftsatz vom 9. Februar 2001 ihre ursprünglich erhobene Klage teilweise zurückgenommen hat.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO n.F. liegen nicht vor.

Berufungsstreitwert: 12.271,01 € (s. Beschl. v. 15. Februar 2002)

Ende der Entscheidung

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