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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 28.07.2004
Aktenzeichen: 5 U 42/01
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 412
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 14. Februar 2001 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 11 O 475/98 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn die Beklagten nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger erlitt am 6. Juli 1996 bei einer Fahrt mit einem Karussell unter anderem eine offene Oberschenkelfraktur links mit ausgeprägten Ablederungen des linken Beines. Nach der Wundbehandlung und der operativen Versorgung wurde der Kläger am Morgen des 10. Juli 1996 auf die unfallchirurgische Normalstation der Beklagten zu 1) verlegt; der Hämoglobinwert betrug zu diesem Zeitpunkt ausweislich der Dokumentation 7,8 g%. Für den 11. Juli 1996 wurde die Indikation für eine Wundversorgung der Rückseite des linken Oberschenkels mit einem operativen Etappendebridement gestellt. Es wurde ein Infusionsschema von 2 Litern Flüssigkeit angeordnet. In der Pflegedokumentation ist vom Frühdienst die Infusion von 1.000 ml Ringerlösung und vom Nachdienst von weiteren 500 ml vermerkt. Gegen 19:30 Uhr wurde der Hämoglobinwert mit 6,1g% festgestellt. Der Beklagte zu 5) entschied, von einer Bluttransfusion Abstand zu nehmen und ordnete für den folgenden Morgen die Kontrolle des Hämoglobinwertes an. Blutkonserven standen zu diesem Zeitpunkt in der Blutbank nicht bereit; in der Krankenakte war demgegenüber fälschlich vermerkt, dass zwei gekreuzte Erythrozytenkonzentrate bereit stünden. In der Zeit von 10:30 Uhr bis 2:15 Uhr erhielt der Kläger zur Schmerzbehandlung insgesamt 4,5 g Paracetamol.

Am Morgen des 11. Juli 1996 wurde ein Hämoglobinwert von 7,9 g% festgestellt. Man entschied, keine Bluttransfusion vorzunehmen; es wurde aber eine Ringerlösungsinfusion mit 500 ml angeschlossen. Zur weiteren Schmerzlinderung erhielt der Kläger 7,5 mg Dipidolor als Kurzinfusion. Als der Kläger gegen 13.00 Uhr in die Operationsschleuse verbracht wurde, war die Ringerlösung noch zu 3/4 vorhanden. Zur Narkoseeinleitung und -aufrechterhaltung wurde beim Kläger Propofol verwendet. Gegen 13:30 Uhr wurde der Kläger auf dem Operationstisch in Bauchlage gedreht. 5 Minuten später zeigte das EKG eine Asystolie. Es kam zu einem Herzstillstand; die Reanimation des Klägers gelang. Nach dem Abbruch der Operation lag der Hämoglobinwert bei 7,2 g%. Nach der Verlegung auf die Intensivstation wurde dem Kläger nach 16:00 Uhr eine Transfusion mit zwei Erythrozytenkonzentraten verabreicht. Der Kläger leidet seit diesem Tag an einem apallischen Syndrom.

Der Kläger hat behauptet, bereits am Vortrag der geplanten Operation am 11. Juli 1996 sei wegen des gemessenen Hämoglobinwertes von 6,1g% die Gabe von Erythrozytenkonzentraten erforderlich gewesen. Dann wäre der Hämoglobinwert vor der Operation höher als 7,9 g% gewesen. In Anbetracht dieses am Morgen des 11. Juli 1996 gemessenen Wertes hätte - unter Berücksichtigung des entstandenen Flüssigkeitsdefizites und der langen Wartezeit - von dem operativen Eingriff Abstand genommen werden müssen. Zudem sei ihm eine zu hohe Dosis Paracetamol verabreicht worden, weshalb es zu der Bradykardie gekommen sei. Sogleich nach der Reanimation sei es notwendig gewesen, Blut zu transfundieren, was wegen des nicht vorhandenen gekreuzten Blutes indes nicht sogleich, sondern erst 2 Stunden später möglich gewesen sei. Dadurch sei der Hirnschaden verstärkt worden. Der Kläger hat ein Schmerzensgeld von 500.000,- DM für angemessen gehalten.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 4% Zinsen seit Klagezustellung zu zahlen;

2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm sämtlichen zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden aus dem Vorfall vom 11. Juli 1996 zu ersetzen, sowie die diesbezüglichen Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben Behandlungsfehler in Abrede gestellt. Bei dem am Vorabend der Operation gemessenen Hämoglobinwert von 6,1g% müsse es sich um eine Fehlmessung gehandelt haben; anderenfalls seien die zuvor und danach gemessenen Werte nicht zu erklären. Es sei nicht erforderlich gewesen, am 10. Juli 1996 eine Bluttransfusion vorzunehmen. Der am 11. Juli 1996 zuletzt gemessene Wert von 7,9 g% habe der Durchführung der Operation nicht entgegengestanden, da der Kläger herz- und lungengesund gewesen sei. Auch habe sich der Körper des Klägers bereits an die Anämie gewöhnt gehabt. Ein Flüssigkeitsdefizit habe nicht vorgelegen. Nach dem Abbruch der Operation sei eine Bluttransfusion nicht zwingend sogleich indiziert gewesen.

Das Landgericht hat die Klage nach Einholung eines Sachverständigengutachtens mit Urteil vom 14. Februar 2001 abgewiesen. Gegen dieses ihm am 15. Februar 2001 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem am 12. März 2001 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 8. Mai 2001 eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem die Berufungsbegründungsfrist bis zum 12. Mai 2001 verlängert worden war.

Mit der Berufung rügt der Kläger, dass die teilweise abweichenden Feststellungen des im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren tätigen Gutachters Prof. Dr. E und des für den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung O tätig gewordenen Sachverständigen Prof. Dr. M nicht hinreichend berücksichtigt worden seien.

Im einzelnen trägt der Kläger vor:

Die Flüssigkeitsberechnungen des Sachverständigen Prof. Dr. C - bezogen auf den Vortrag der Operation - seien unzutreffend. Es könne nicht von einer uneingeschränkten Flüssigkeitsaufnahme von 2.000 ml bis 24.00 Uhr ausgegangen werden; dokumentiert seien nur 1.500 ml. Auch stehe nicht sicher fest, wie viel Flüssigkeit er am Operationstag zugeführt bekommen habe; ferner nicht, wann dies genau geschehen sei. Insoweit sei Prof. Dr. C von unzulässigen Vermutungen ausgegangen.

Ferner könne nicht davon ausgegangen werden, dass es sich bei der Messung des Hämoglobinwertes am Vorabend der Operation mit 6,1 g% um eine Fehlmessung gehandelt habe. Da dieser Wert dokumentiert worden sei, sei es Sache der Beklagten, die Unrichtigkeit zu beweisen. Auch insoweit sei zu berücksichtigen, dass die genaue Flüssigkeitszufuhr nicht feststehe. Der Sachverständige Prof. Dr. C habe vor allem aber in Erwägung ziehen müssen, ob nicht die anderen gemessenen Werte falsch sein könnten, während der Wert von 6,1 g% zutreffend sei. Der Verdacht, dass insbesondere der am Morgen gemessene Wert von 7,9 g% falsch sein könne, dränge sich angesichts des weiteren Verlaufes geradezu auf. Dafür spreche auch der nach der Stabilisierung des Klägers gemessene Wert von 7,2 g%, der vermuten lasse, dass der Wert vorher noch geringer gewesen sein müsse. Zudem belegten die ihm nachher zugeführten Flüssigkeitsmengen, dass zuvor zu geringe Flüssigkeitsmengen zugeführt worden seien und er durch die lange Wartezeit völlig ausgetrocknet gewesen sei.

Nicht hinreichend berücksichtigt seien auch die Aus- und Nebenwirkungen der dem Kläger verabreichten Schmerzmittel. Der Kläger habe auch nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. C Paracetamol in einer über das 3-fache der zulässigen Menge hinausgehender Dosis erhalten. Als Nebenwirkung sei Blutdruckabfall bekannt. Blutdrucksenkend habe des weiteren die Gabe von Propofol gewirkt.

Hinzu komme, dass eine - notwendige - Beatmungs- und Pulskontrolle des Klägers nach Verbringen in die Bauchlage nicht dokumentiert worden sei, so dass der Sachverständige nicht habe unterstellen dürfen, dass eine entsprechende Kontrolle auch durchgeführt worden sei. Es sei zu bezweifeln, ob tatsächliche derartige Kontrollen durchgeführt worden seien. Es müsse davon ausgegangen werden, dass der Atemstillstand kurz nach der Umlagerung aufgetreten sei, aber erst nach 5 Minuten bemerkt worden sei. Wenn von einer Sauerstoffunterversorgung von höchstens 2 Minuten ausgegangen werde, könne es nicht zur Schädigung eines gesunden Hirns kommen.

Die Gabe von Kreuzblut erst mehrere Stunden nach Abbruch der Operation habe den Hirnschaden verstärkt. Das Gegenteil müssten die Beklagten beweisen, weil sie die Pupillengröße und ihre Reaktion auf Licht zu Beginn der Reanimation nicht beschrieben hätten.

Der Kläger beantragt,

die angefochtene Entscheidung des LG Aachen aufzuheben und die Beklagten nach Maßgabe der von ihm im erster Instanz zuletzt gestellten Anträge zu verurteilen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil und vertiefen ihre Ausführungen zur Sache.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils sowie auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat gemäß dem Beschluss vom 10. April 2002 (Bl. 295 ff. d.A.) Beweis erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. N vom 27. Juni 2003 (Bl. 320a ff. d.A.) sowie auf sein Ergänzungsgutachten vom 12. März 2004 (Bl. 395 ff. d.A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers bleibt in der Sache erfolglos.

Der Kläger kann von den Beklagten weder Schmerzensgeld noch Schadensersatz beanspruchen, weil auch nach dem Ergebnis der zweitinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme nicht feststeht, dass den Beklagten schadensursächliche Behandlungsfehler unterlaufen sind.

1.

Der am Abend des 10. Juli 1996 gemessene Hämoglobinwert von 6,1 g% gab - unabhängig davon, ob er zutreffend ermittelt worden war oder nicht - keine Veranlassung zur Einleitung sofortiger medizinischer Maßnahmen. Das hat der Sachverständige Prof. N überzeugend und in jeder Hinsicht nachvollziehbar dargelegt. Es war insbesondere nicht erforderlich, dem Kläger noch am gleichen Abend Erythrozytenkonzentrate zuzuführen. Indiziert ist die Transfusion von roten Blutkörperchen nur dann, wenn das Sauerstoffangebot an die peripheren Organe nicht mehr ausreicht und die Sauerstofftransportkapazität verbessert werden muss. Nach dem derzeitigen anästhesiologischen Standard ist bei Kindern, die - wie der Kläger - herzkreislaufgesund sind, eine Indikation zu einer Bluttransfusion dann nicht gegeben, wenn der Hämoglobinwert über 6,0 g% liegt; insoweit herrscht nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. N Einigkeit. Maßgebend dafür, eine Indikation zu einer Bluttransfusion zu stellen, ist neben dem Hämoglobinwert stets auch der klinische Zustand des Patienten. Insoweit bestanden beim Kläger keine Anhaltspunkte, die eine Bluttransfusion als notwendig erscheinen ließen: Der Kläger litt nicht an einer Herz-Kreislauferkrankung; sein Organismus war - wie den Kreislaufmesswerten zu entnehmen war - an die schon seit dem Ersteingriff vorliegende Anämie adaptiert und es bestanden keine Anzeichen für einen sichtbaren oder schleichenden Blutverlust. Der Grenzwert von 6,0 g% war auch nicht unter Berücksichtigung des allgemein durch die Verletzungen geschwächten Zustandes des Klägers zu erhöhen; auch das hat der Sachverständige Prof. N auf Nachfrage eindeutig verneint. Bei dieser Sachlage war es, auch unter Berücksichtigung der mit einer Bluttransfusion verbundenen Risiken (Fieber, Hämolyse, Infektionsgefahr, Beeinträchtigung des Immunsystems), nicht fehlerhaft, am Abend des 10. Juli 1996 von einer Bluttransfusion abzusehen. Die insoweit vom Sachverständigen Prof. N getroffenen Feststellungen überzeugen; sie stehen im Einklang mit den Ausführungen des erstinstanzlich herangezogenen Sachverständigen Prof. C.

Soweit Prof. E in seinem für die Staatsanwaltschaft Aachen erstatteten gleichwohl alleine aufgrund des niedrigen Hämoglobinwertes von 6,1 g% gefordert hat, der Kläger hätte noch in der Nacht 2 Erythrozytenkonzentrate erhalten müssen, berücksichtigt er zum einen nicht den klinischen Zustand des Klägers. Zum anderen - und dies haben wiederum die Sachverständigen Prof. N und Prof. C eingehend ausgeführt - liegt dem dokumentierten Wert von 6,1 g% mit großer Sicherheit eine Fehlmessung zugrunde, denn dieser Wert ist im Vergleich mit dem tags zuvor ermittelten Wert von 7,8 g% einerseits und dem am Morgen des Folgetages gemessenen Wert von 7,9 g% bei Fehlen sonstiger Anzeichen nicht erklärbar: Ein Abfall von 7,8 g% auf 6,1 g% würde entweder einen massiven Blutverlust von mindestens 532 ml voraussetzen, wofür keine klinischen Hinweise bestehen; im Gegenteil waren die Kreislaufverhältnisse stabil. Oder es hätte massiv Flüssigkeit von über 2.000 ml zugeführt werden müssen, wovon nach den Krankenunterlagen ebenfalls nicht ausgegangen werden kann. Auch ein Anstieg von 6,1 g% auf 7,9 g% innerhalb von ca. 13 Stunden - hiermit alleine beschäftigt sich Prof. E - ist nach den übereinstimmenden Ausführungen von Prof. N und Prof. C nur bei einem Flüssigkeitsdefizit von über 2.500 ml denkbar. Auch dafür fehlen jegliche Anhaltspunkte. Auch Prof. E kommt lediglich zu der Annahme, dass bei dem Kläger ein Flüssigkeitsdefizit von ca. 800 ml vor Einleitung der Operation vorgelegen habe. Damit ist der vermeintliche Anstieg des Hämoglobinwertes indes nicht schlüssig dargetan. Tatsächlich betrug denn auch das Flüssigkeitsdefizit bei der Narkoseeinleitung nach den auch insoweit übereinstimmenden Berechnungen der Sachverständigen Prof. N und Prof. C lediglich 676 ml, woraus sich ein - als minimal einzustufendes - Blutvolumendefizit von 6,75% beim Kläger ergeben hat. Bei dieser Sachlage kann es nicht als behandlungsfehlerhaft angesehen werden, wenn sich die Behandler am Vorabend des 11. Juli 1996 entschlossen haben, zunächst keine Bluttransfusion vorzunehmen, sondern den Kläger weiter zu beobachten und den Wert am Morgen des 11. Juli 1996 erneut zu messen.

2.

Ob mit Rücksicht auf den am Abend des 10. Juli 1996 gemessenen niedrigen Hämoglobinwert zumindest vorsorglich - sei es noch am gleichen Tag, sei es am 11. Juli 1996 - Kreuzblut hätte genommen werden und das Kreuzen von Blutkonserven hätte angeordnet werden müssen (was der Sachverständige Prof. N bejaht hat), bedarf keiner abschließenden Entscheidung, denn dieses Unterlassen hat sich nicht zu Lasten des Klägers ausgewirkt. Es war nach den auch insoweit überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Prof. N weder am Morgen des 11. Juli 1996, am Mittag vor der Operation noch unmittelbar nach der Wiederbelebung des Klägers medizinisch indiziert, ihm gekreuztes Blut zu infundieren.

a)

Am Morgen des 11. Juli 1996 ist der Hämoglobinwert mit 7,9 g% gemessen worden. Dieser Wert stellt - für sich genommen - nach den übereinstimmenden Feststellungen der Sachverständigen Prof. N, Prof. C und Prof. E mit Rücksicht darauf, dass bei der bevorstehenden Operation kein erheblicher Blutverlust zu erwarten war, keine Indikation für eine Bluttransfusion dar. Prof. E kommt in diesem Zusammenhang nur deswegen zu einer anderen Bewertung, weil er vor Einleitung der Narkose ein Flüssigkeitsdefizit von 800 bis 900 ml unterstellt. Diese Berechnungen sind - wie schon dargelegt - indes nicht stimmig. Dafür, dass vor der Operation kein relevantes Flüssigkeits- bzw. Blutvolumendefizit beim Kläger vorgelegen haben kann, spricht vor allem, dass er nach dem Herzstillstand mit einer einmaligen Dosis von 0,3 mg Adrenalin wiederzubeleben und zur Herstellung stabiler Kreislaufverhältnisse eine zusätzliche Flüssigkeitssubstitution nicht notwendig war. Gegen ein erhebliches Flüssigkeitsdefizit spricht zudem, wie auch der Sachverständige Prof. E eingeräumt hat, der Umstand, dass der Kläger vor Einleitung der Narkose als unruhig beschrieben worden ist, während bei einem erheblichen Flüssigkeitsdefizit ein lethargisches Verhalten des Klägers zu erwarten gewesen wäre. Auch die hohen Herzfrequenzen zu Beginn der Narkose und ein zentraler Venendruck von 2 mmHg lassen keinen Rückschluss auf ein massives Flüssigkeitsdefizit zu; der hohe Herzschlag ist nachvollziehbar auf den Angst- und Unruhezustand des Klägers zurückzuführen, und der zentrale Venendruck liegt noch im Normalbereich zwischen 1-8 mmHg. All das hat der Sachverständige Prof. N eingehend und in einer den Senat überzeugenden Weise ausgeführt.

Auch mit Rücksicht auf die Bauchlage des Klägers während der Operation war eine Bluttransfusion nicht erforderlich, da die Umlagerung in die Bauchlage die Sauerstofftransportkapazität des Blutes nicht verändert. Die Anhebung des Hämoglobinwertes hätte eventuell auftretende hämodynamische Veränderungen durch die Bauchlage oder eine unzureichende Sauerstoffsättigung des Blutes nicht ausgeglichen. Diesen Feststellungen von Prof. N setzt der Kläger in seiner Stellungnahme vom 9. April 2004 - ausdrücklich zugestanden - nur sein laienhaft anderes Verständnis gegenüber. Soweit er sich zur weiteren Begründung auf die Feststellungen von Prof. E beruft, sind diese schon deshalb nicht verwertbar, weil er - zu Unrecht - von einem hohen Flüssigkeitsdefizit ausgeht.

b)

Unmittelbar nach der Wiederbelebung des Klägers bestand nach den klaren und eindeutigen Ausführungen von Prof. N keine Indikation zu einer Bluttransfusion, da bei ihm die Kreislaufverhältnisse sogleich stabil waren und der gemessene Hämoglobinwert von 7,2 g% deutlich über dem Grenzwert von 6,0 g% lag. Dass auch zu diesem Zeitpunkt keine gekreuzten Blutkonserven für den Kläger bereit lagen, ist somit unerheblich. Dagegen führt der Kläger in seinem Schriftsatz vom 9. April 2004 keine substantiierten Einwände an. Allein der Umstand, dass er die Richtigkeit der Feststellungen des Sachverständigen Prof. N nicht überprüfen kann, zwingt nicht zu einer weiteren Sachaufklärung.

3.

Aus den vorstehenden Ausführungen folgt zugleich, dass es aus anästhesiologischer Sicht nicht fehlerhaft war, die Operation am Mittag des 11. Juli 1999 durchzuführen. Bei einem am Morgen gemessenen Hämoglobinwert von 7,9 g%, der sich nach den Ausführungen von Prof. N nicht ohne klinische Anzeichen (die hier fehlen) innerhalb nur weniger Stunden gravierend ändern kann, und bei im übrigen unauffälligen klinischen Zustand des Klägers durfte die Operation ohne vorherige Bluttransfusion vorgenommen werden; es bestand kein erhöhtes Narkoserisiko. Insoweit bedarf es auch keiner weiteren Sachaufklärung durch die Einholung eines fachchirurgischen Gutachtens, denn die Indikation zu einem Wunddebridement ist vom Kläger zu keinem Zeitpunkt substantiiert in Frage gestellt worden. Demgemäß war - und so ist der Beweisbeschluss des Senats auch offenkundig formuliert worden - die Operationsindikation nur unter anästhesiologischen Gesichtspunkten zu klären.

4.

Behandlungsfehler sind auch unter dem Aspekt einer möglichen Überdosierung von Medikamenten nicht erwiesen. Soweit es die Schmerzbehandlung des Klägers mit Paracetamol angeht, ist die zulässige Dosis - berechnet auf einen Zeitraum von 28,5 Stunden von 10:30 Uhr am 10. Juli 1996 bis zur Narkoseeinleitung am Folgetag - nicht überschritten worden. Nach den Feststellungen von Prof. N wäre es vertretbar gewesen, dem Kläger innerhalb von 24 Stunden insgesamt 6.340 mg Paracetamol zu verabreichen, während er tatsächlich lediglich 4.500 mg erhalten hat; diese Dosierung liegt nach den klaren Ausführungen von Prof. N im sicheren Bereich. Dabei bestehen die Risiken auch weniger in einem Blutdruckabfall oder in einem Kreislaufversagen, sondern in einer Schädigung der Leber. Paracetamol beeinflusst die Sauerstofftransportkapazität des Blutes nicht, so dass es auch nicht geboten war, den Hämoglobinwert mit Rücksicht auf die Gabe von Paracetamol zu erhöhen. Soweit der Kläger sich in diesem Zusammenhang auf die Stellungnahme von Prof. M berufen will, ist darauf hinzuweisen, dass dieser sich mit einer möglichen Überdosierung von Paracetamol nicht beschäftigt hat, sondern nur mit der Gabe von Propofol.

Auch die Gabe von Propofol zur Narkoseeinleitung und -aufrechterhaltung ist indes nicht zu beanstanden. Propofol hat zwar einen blutdrucksenkenden Effekt, der aber - wenn die Gabe wie hier mittels kontinuierlicher Infusion erfolgt - weitgehend vermieden werden kann. Das Propofol ist nach den überzeugenden Darlegungen von Prof. N nach den Empfehlungen der Kinderanästhesie verabreicht worden. Entsprechend den Aufzeichnungen im Narkoseprotokoll erhielt der Kläger zunächst eine kontinuierliche Infusion von 35 ml/h, die nach 15 Minuten auf 25 ml/h reduziert worden ist. Das ist nicht zu beanstanden. Es lag danach weder eine relative Überdosierung von Propofol noch von Rapifen (das ebenfalls zur Narkoseeinleitung verwendet wurde) vor. Soweit Prof. M in seinem Kurzgutachten vom 1. Dezember 2000 von einer zu starken Dosierung von Propofol und Rapifen ausgeht, beruht dies auf der unkritischen Übernahme des von Prof. E postulierten erheblichen Flüssigkeitsdefizits beim Kläger; davon kann indes nach den überzeugenden Ausführungen von Prof. N und Prof. C nicht ausgegangen werden. Ersichtlich ohne Bedeutung ist auch der Hinweis von Prof. M aus einem Lehrbuch aus dem Jahr 1956; dieser ersetzt nicht die konkrete Feststellung des derzeit aktuellen anästhesiologischen Standards und stellt die Ausführungen von Prof. N nicht in Frage.

5.

Es fehlt auch an zureichenden Anhaltspunkten dafür, dass der Kläger nach der Narkoseeinleitung nicht hinreichend überwacht worden ist mit der Folge, dass der Herzstillstand und die damit verbundene Sauerstoffmangelversorgung nicht rechtzeitig bemerkt worden sind. Zunächst war es nach der Narkoseeinleitung bei stabilem Zustand des Klägers ohne weiteres möglich, ihn auf den Bauch umzulagern. Schwerwiegende Komplikationen waren nicht zu erwarten. Allerdings bedarf es nach der Umlagerung wegen der zu erwartenden Kreislaufveränderungen und zur Sicherung einer suffizienten Beatmung einer besonderen Überwachung. Nach der Dokumentation wurden beim Kläger vor und nach der Umlagerung das Herzkreislaufsystem und die Beatmung ordnungsgemäß überwacht; ferner wurden unmittelbar nach der Umlagerung der Blutdruck, die Herzfrequenz und der Sauerstoffsättigungsgrad ermittelt und dokumentiert. Es gibt nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. N keinen konkreten Anhalt dafür, dass der Puls und die Atmung des Klägers nach der Umlagerung nicht ständig überwacht worden sind. Konkrete Hinweise für ein Fehlverhalten der Behandler oder eine Fehlfunktion der Geräte gibt es nicht. Bei dieser Sachlage kann ein Behandlungsfehler nicht angenommen werden. Beweiserleichterungen zugunsten des Klägers greifen insoweit nicht, da nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. N die Dokumentation im Narkoseprotokoll keine Lücken aufweist.

6.

Soweit der Kläger im Schriftsatz vom 9. April 2004 erstmals in Frage stellen will, ob die Reanimationsmaßnahmen "richtig und adäquat" durchgeführt worden sind, bedarf es keiner weiteren Sachaufklärung. Das, was der Kläger insoweit vorbringt, ist vollkommen ins Blaue hinein behauptet und liefe auf eine Amtsermittlung hinaus. Irgendein Anhaltspunkt für ein Fehlverhalten bei der Reanimation ist auch aus den Ausführungen des Sachverständigen Prof. N nicht herzuleiten.

7.

Was konkret beim Kläger den Herz-Kreislaufstillstand verursacht hat, bedarf nach allem keiner weiteren Klärung. Der Sachverständige Prof. N hat insoweit eine Fettembolie als wahrscheinlichste Ursache angesehen. Aber auch dies ist lediglich eine Vermutung. Ob bereits vorher Anzeichen eines Fettembolie-Syndroms vorlagen - was der Sachverständige Prof. N verneint hat - bedarf daher keiner vertieften Klärung. Eine Verschiebung der Operation hätte jedenfalls - so hat sich Prof. N eindeutig geäußert - das Risiko einer Fettembolie nicht gemindert.

8.

Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass den Behandlern lediglich vorgehalten werden kann, nicht vorsorglich gekreuzte Blutkonserven bereitgestellt zu haben. Dieser Fehler hat sich indes nicht ausgewirkt, weil eine Bluttransfusion weder vor noch unmittelbar nach der Operation bzw. nach deren Abbruch medizinisch indiziert war. Im übrigen sind Behandlungsfehler nicht festzustellen, was zu Lasten des beweispflichtigen Klägers geht.

Eine weitere Sachaufklärung ist nicht geboten. Der Einholung eines zusätzlichen fachchirurgischen Gutachtens bedarf es - wie bereits ausgeführt - nicht. Soweit der Kläger die Anhörung von Prof. E und Prof. M beantragt hat, ist der Senat nicht gehalten, dem nachzukommen. Prof. E ist im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren tätig gewesen, Prof. M als Privatgutachter. Deren Anhörung ist prozessual nicht geboten. Der Senat kann sich auf die überzeugenden Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen Prof. N, dessen Darlegungen in den maßgeblichen Punkten mit den Feststellungen des in erster Instanz herangezogenen Sachverständigen Prof. C übereinstimmen, stützen. Prof. N hat sich mit den abweichenden Ausführungen von Prof. E und Prof. M auch eingehend auseinandergesetzt. Deren Feststellungen kranken - wie Prof. N überzeugend ausgeführt hat - vor allem daran, dass sie ein erhebliches Flüssigkeitsdefizit beim Kläger zu Beginn der Narkose unterstellen. Davon kann indes, wie Prof. N und auch Prof. C auf in jeder Hinsicht überzeugende Weise dargelegt haben, nicht ausgegangen werden. Die Voraussetzungen für die Einholung eines weiteren Gutachtens nach § 412 ZPO liegen ebenfalls nicht vor.

9.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Berufungsstreitwert: 306.775,12 EUR

Ende der Entscheidung

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