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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 17.10.2007
Aktenzeichen: 5 U 46/05
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 16. Februar 2005 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 11 O 349/03 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn die Beklagten nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger begab sich in der Nacht vom 1. auf den 2. November 1999 mit starken Leibschmerzen in das von dem Beklagten zu 1) betriebene M.-hospital in B.. Zunächst durchgeführte diagnostische Maßnahmen ergaben keinen pathologischen Befund. Bei einer am Morgen des 2. November 1999 vorgenommenen Magenspiegelung zeigte sich als Nebenbefund eine auffallend verdickte Papille. Zur Abklärung der Ursache hierfür wurde am 4. November 1999 eine ERCP durchgeführt. Dabei stellte sich die Papille polypös verändert dar. Eine Intubation gelang nicht; die ERCP wurde wegen zunehmendem Sedierungsbedarf und respiratorischer Verschlechterung nach Biopsie der auffälligen Papille abgebrochen. Der Kläger wurde gegen 12:15 Uhr auf die Station zurückverlegt. Eine Nahrungskarenz wurde nicht angeordnet; der Kläger nahm - nach seiner Darstellung gegen 13:00 Uhr - Vollkost zu sich. Gegen 16:00 Uhr klagte der Kläger über starke Oberbauchschmerzen. Es wurde eine Bauchspeicheldrüsenentzündung diagnostiziert, die einen längeren stationären Aufenthalt nach sich zog. Der Kläger wurde am 18. November 1999 entlassen, stellte sich aber am 20. November 1999 mit diffusen Bauchschmerzen erneut zur stationären Aufnahme vor. Computertomographisch wurden pseudozystische Veränderungen festgestellt. Zur weiteren Abklärung wurde am 1. Dezember 1999 erneut eine ERCP durchgeführt. Dabei stellte sich die Papille jetzt als unauffällig dar, jedoch wurde eine hochgradige Veränderung im Bereich des Pankreasgangs, der offenbar in eine große zystische Struktur einmündete, festgestellt. Die Zyste wurde am 21. Februar 2000 entfernt; der Kläger konnte nach einer notwendig gewordenen Revisionsoperation am 10. April 2000 seine berufliche Tätigkeit wieder aufnehmen.

Der Kläger hat behauptet, es hätten alternativ zu der am 4. November 1999 durchgeführten ERCP weniger invasive und risikobehaftete Diagnosemöglichkeiten (MRT-Pankreographie, MRCP, Computertomographie, Spiral-CT, Endosonographie) zur Verfügung gestanden. Er hat die Ansicht vertreten, er hätte wenigstens über diese Alternativmethoden aufgeklärt werden müssen. Fehlerhaft sei es gewesen, eine Biopsie der Papille vorzunehmen, weil hierdurch das Risiko einer lokalen Ödemreaktion gestiegen sei. Weiterhin hat er behauptet, es sei fehlerhaft gewesen, keine Nahrungskarenz anzuordnen. Die am 1. Dezember 1999 vorgenommene 2. ERCP sei nicht indiziert gewesen, weil die Pankreaszystenausbildung schon bekannt gewesen sei. Der Kläger hat ferner eine unzureichende Risikoaufklärung gerügt.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld aus der fehlerhaften und rechtswidrigen Behandlung von November/Dezember 1999 zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 150.000,- DM = 76.693,78 € nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz - mindestens verzinslich jedoch mit 8% Zinsen - seit dem 30. April 2001;

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn aus der fehlerhaften und rechtswidrigen Behandlung vom November und Dezember 1999 30.722,05 DM = 15.707,93 € zu zahlen nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz - mindestens verzinslich jedoch mit 8% Zinsen - für 26.050,- DM = 13.319,15 € seit dem 31. Mai 2001, für weitere 2.180,18 DM = 1.114,71 € seit dem 30. April 2002, für weitere 915,38 DM = 468,03 € seit dem 15. Juli 2002 und für die verbleibenden 1.576,49 DM = 806,05 € seit dem 14. August 2003;

3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm sämtliche künftigen immateriellen sowie alle vergangenen und künftigen materiellen Schäden, die ihm aus den fehlerhaften und rechtswidrigen Behandlungen von November/ Dezember 1999 entstanden sind bzw. noch entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben behauptet, beide ERCP seien indiziert gewesen. Echte Alternativen habe es nicht gegeben. Nahrungskarenz nach der 1. ERCP habe nicht angeordnet werden müssen, da diese nicht zu Ende geführt, sondern abgebrochen worden sei.

Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 16. Februar 2005, auf das wegen der tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen wird, abgewiesen. Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er seine erstinstanzlich gestellten Anträge in vollem Umfang weiterverfolgt.

Der Kläger wiederholt seine Behauptung, die 1. ERCP am 4. November 1999 sei nicht indiziert gewesen, weil es weniger invasive und weniger risikobehaftete Untersuchungsmethoden gebe. Auch für die Biopsie habe es keine Indikation gegeben. Er verweist insoweit auf gutachterlichen Äußerungen von Prof. O. und Dr. T. und rügt, mit diesen abweichenden Stellungnahmen habe sich der gerichtlich bestellte Sachverständige Prof. I. nicht hinreichend auseinandersetzt.

Behandlungsfehlerhaft sei weiterhin die Gestattung der Nahrungsmittelaufnahme schon kurz nach der 1. ERCP. Die ERCP sei jedenfalls insoweit durchgeführt worden, als eine Biopsie gemacht worden sei. Daraus folge die Notwendigkeit einer Nahrungskarenz. Vollkost sei ihm indes schon um 13.00 Uhr (ca. 45 Minuten nach der ERCP) verabreicht worden.

Auch die 2. ERCP am 1. Dezember 1999 sei nicht indiziert gewesen. Der Kläger verweist insoweit auf die Stellungnahme von Dr. T..

Soweit es die Risikoaufklärung betrifft, beanstandet der Kläger, das Landgericht habe nicht alleine aufgrund des unterzeichneten Aufklärungsbogens (von dem für die 1. ERCP auch nur noch die letzte Seite vorhanden sei) von einer ordnungsgemäßen Aufklärung ausgehen dürfen. Tatsächlich habe ein Aufklärungsgespräch überhaupt nicht stattgefunden. Das gelte auch für den 30. Januar 1999. Das Landgericht habe auch keine hypothetische Einwilligung unterstellen dürfen Der Kläger rügt weiterhin auch eine unterlassene Aufklärung über Behandlungsalternativen.

Die Beklagten, die die Zurückweisung der Berufung beantragen, verteidigen das angefochtene Urteil und wiederholen und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat gemäß den Beschlüssen vom 18. Juli 2005 und vom 10 Januar 2007 Beweis erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Prof. J. vom 29. Mai 2006 (Bl. 447-464 d.A.) sowie auf das Protokoll der Sitzungen des Senats vom 15. November 2006 (Bl. 518-522) und vom 24. September 2007 (Bl. 577-580 d.A.) verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.

Schadensursächliche Behandlungsfehler sind auch unter Berücksichtigung der vom Senat veranlassten weiteren Beweiserhebung nicht sicher festzustellen.

Die am 4. November 1999 durchgeführte ERCP war medizinisch indiziert. Das hat der vom Senat beauftragte Sachverständige Prof. J. klar und eindeutig ausgeführt. Die als Zufallsbefund bei der Magenspiegelung entdeckte verdickte Papille war abklärungsbedürftig (Verdacht auf Papillentumor). Die Methode der Wahl ist hierzu die ERCP, die gemäß den Leitlinien aus 2005 nach wie vor als Goldstandard anzusehen ist. Der Sachverständige hat insoweit überzeugend erläutert, dass alleine das bei einer ERCP verwendete Endoskop eine tangentiale Betrachtung der Papille ermöglicht. Dies können andere Methoden - insbesondere die MRCP - nicht leisten; diese ist vielmehr ungeeignet zur Betrachtung und Untersuchung der Papille und wird vornehmlich bei der Diagnose von Gallengangssteinen erfolgreich eingesetzt. Der transabdominelle Ultraschall bzw. der endoskopische Ultraschall dient vornehmlich der Abklärung eines Verdachts auf eine Pankreatitis. Zu der hier bei bestehendem Verdacht auf einen Papillentumor erforderlichen Primärdiagnostik bedarf es der ERCP mit histologischer Sicherung durch eine Biopsie. Das hat der Sachverständige Prof. J. sowohl in seinem schriftlichen Gutachten als auch bei seiner mündlichen Anhörung vor dem Senat in jeder Hinsicht nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt.

Dem stehen die Ausführungen des vom Kläger privat beauftragten Prof. O. letztlich nicht entgegen. Auch Prof. O. stellt nicht ernstlich in Frage, dass die ERCP bei dem hier bestehenden Verdacht auf einen Papillentumor mindestens relativ indiziert war. Er hat in seiner letzten Stellungnahme vom 20. November 2006 ausdrücklich angeführt, dass auch aus seiner Sicht in geübter Hand die ERCP "zweifellos die entscheidende Goldstandardmethode" darstellt. Soweit er weiterhin der Auffassung ist, es seien jedenfalls zunächst andere Methoden vorzugswürdig gewesen, muss er einräumen, dass bei dem hier abzuklärenden Verdacht auf ein tumoröses Geschehen eine Biopsie auch dann nicht überflüssig geworden wäre. Die Treffsicherheit einer Papillenbiopsie liegt nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. J. nahe 100%. Bei dieser Sachlage kann es keinen vorwerfbaren Behandlungsfehler darstellen, dass die Beklagten sich sogleich zur Durchführung der ERCP als Goldstandardmethode entschieden und jedenfalls eine Biopsie durchgeführt haben. Dass die ERCP abgebrochen werden musste, war durch die aufgetretenen Komplikationen während des Eingriffs bedingt.

Dass die Beklagten nach Abbruch der ERCP und nach Verlegung des Klägers auf die Station keine Nahrungskarenz angeordnet haben, kann nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. J. ebenfalls nicht als behandlungsfehlerhaft gewertet werden. Feste Richtlinien existieren insoweit nicht. Unabhängig davon ist eine zeitnahe Nahrungsaufnahme nach ERCP in keinem Fall der Auslöser für eine Pankreatitis, wie der Sachverständige überzeugend dargelegt hat. Auslöser ist alleine die ERCP als solche. Sichere Erkenntnisse darüber, ob eine durch eine ERCP ausgelöste Pankreatitis durch eine Nahrungsaufnahme ungünstig beeinflusst wird, existieren nicht, wie der Sachverständige bei seiner Anhörung erläutert hat. Selbst wenn mithin die unterlassene Anordnung einer Nahrungskarenz als (allenfalls einfacher) Behandlungsfehler zu werten wäre, könnte vorliegend nicht sicher angenommen werden, dass die Folgen der beim Kläger eingetretenen Pankreatitis weniger gravierend gewesen wären, wenn er einige Stunden nach dem abgebrochenen Eingriff keine Nahrung zu sich genommen hätte. Das geht zu Lasten des insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Klägers.

Den Beklagten kann auch kein Aufklärungsversäumnis zur Last gelegt werden. Über andere diagnostische Methoden musste der Kläger nicht aufgeklärt werden. Die Wahl der Behandlungsmethode ist primär Sache des Arztes. Nur dann, wenn es mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Behandlungsmethoden gibt, die wesentlich unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen aufweisen, besteht eine Aufklärungspflicht des Arztes (vgl. BGH, VersR 2005, 836). Eine solche echte Alternative bestand nach den klaren und eindeutigen Ausführungen des Sachverständigen Prof. J. vorliegend nicht, weil zur Abklärung des Verdachts auf ein Papillenkarzinom die ERCP die anderen Verfahren überlegene Methode darstellt.

Der Senat ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme auch davon überzeugt, dass der Kläger vor der 1. ERCP über die mit dem Eingriff verbundenen Risiken, insbesondere über das Risiko des Auftretens einer Pankreatitis, aufgeklärt worden ist. Das hat der Beklagte zu 4) bei seiner Vernehmung vor dem Senat bekundet. Er hatte, gerade wegen des schwerwiegenden Verlaufs der Pankreatitis, noch eine Erinnerung an den Kläger und insbesondere auch daran, ihn - wie es auch dem üblichen Vorgehen entsprochen hat - anhand des Perimed-Bogens über den Verlauf des Eingriffs und über die Risiken aufgeklärt zu haben. Der Senat sieht keinen vernünftigen Grund, an der Richtigkeit der Bekundungen des Beklagten zu 4) zu zweifeln. Die Angaben waren glaubhaft; der Beklagte zu 4) hat auf den Senat auch einen glaubwürdigen Eindruck hinterlassen. Dafür, dass eine Aufklärung vor der 1. ERCP erfolgt ist, spricht auch der - wenngleich unvollständig vorgelegte - vom Kläger unterzeichnete Perimed-Bogen über eine ERCP vom 3. November 1999 (Bl. 538 d.A.). Soweit der Kläger demgegenüber behauptet, er habe vor der 1. ERCP keine mündliche Aufklärung erfahren, steht dem die klare und glaubhafte Bekundung des Beklagten zu 4) entgegen, wonach die Aufklärung erfolgt ist, bevor der Kläger auf eigenen Wunsch das Krankenhaus am 3. November 1999 nochmals verlassen hat. Im übrigen hat der Kläger selbst eingeräumt, dass ihm der Aufklärungsbogen vorgelegt und von ihm unterzeichnet worden ist (Bl. 15 d.A.); er hat zumindest im Ansatz zugestanden, dass es auch ein Aufklärungsgespräch gegeben hat (Bl. 277 d.A.). Er konnte sich danach auch nach seiner eigenen Darstellung jedenfalls anhand des am Vortag des Eingriffs unterzeichneten Aufklärungsbogens über die maßgebenden Risiken unterrichten. Dass er dazu nicht imstande war, ist nicht dargetan. Ob schon alleine deswegen die Aufklärungsrüge als nicht hinreichend substantiiert angesehen werden müsste, mag letztlich dahingestellt bleiben, denn jedenfalls ist der Senat - wie ausgeführt - davon überzeugt, dass der Beklagte zu 4) den Kläger über die eingriffsspezifischen Risiken mündlich hinreichend aufgeklärt hat.

Auch die am 2. Dezember 1999 vorgenommene 2. ERCP war medizinisch indiziert zur sicheren Diagnostik einer Pankreaspseudozyste. Das hat der Sachverständige Prof. J. in seinem schriftlichen Gutachten klar ausgeführt. Die ERCP war zumindest 1999 die beste Methode zur Darstellung des pankreatischen Systems und zur Klärung einer eventuellen Gangkommunikation einer Pseudozyste. Dem ist auch Prof. O. nicht entgegengetreten. Er hat vielmehr in seiner Stellungnahme vom 14. August 2006 dargelegt, dass insoweit diejenigen Maßnahmen durchgeführt wurden, die "im Spektrum dessen, was möglich ist", liegen. Dem Kläger ist insoweit, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, auch eine ausreichende Aufklärung - auch über die erhöhten Risiken bei einer zweiten ERCP - zuteil geworden. Dafür streitet der handschriftlich ergänzte Aufklärungsbogen, den der Kläger unterzeichnet hat. Dass er diesen nicht zur Kenntnis genommen hat, behauptet der Kläger nicht.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Berufungsstreitwert: 97.514,63 € (s. Senatsbeschl. v. 19. Mai 2005)

Ende der Entscheidung

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