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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 15.01.2003
Aktenzeichen: 5 U 53/00
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 97 | |
ZPO § 708 Ziffer 10 | |
ZPO § 713 |
Tenor:
Die Berufung der Klägerinnen gegen das Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen vom 21.02.2000 - 11 O 362/95 - wird zurückgewiesen.
Die Klägerinnen haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerinnen bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Das Landgericht hat mit in allen Punkten zutreffender Begründung Ansprüche der Klägerinnen gegenüber den Beklagten wegen vermeintlicher Behandlungsfehler in Bezug auf den Erblasser, Herrn F. S., zurecht verneint. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen in vollem Umfang auf die landgerichtlichen Ausführungen Bezug und macht sich diese zu eigen.
Die in zweiter Instanz durchgeführte Beweisaufnahme durch Einholung schriftlicher und mündlicher gutachterlicher Stellungnahmen des Sachverständigen Prof. Dr. F. bietet keine Veranlassung zu einer abweichenden Entscheidung, sondern bestätigt vielmehr die Ergebnisse der vor dem Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme.
Der Sachverständige Prof. Dr. F. hat sowohl in seinen schriftlichen Gutachten vom 23.11.2001 und 07.08.2002 als auch anlässlich seiner mündlichen Anhörung vor dem Senat vom 02.12.2002 eingehend und mit überzeugender Begründung nachvollziehbar dargelegt, dass weder in dem Zeitraum bis zur Gabe des Beruhigungsmittels Atosil gegen 22:00 Uhr am 15.10.1993 noch in der Zeit hiernach den behandelnden Stationsärzten und auch dem Pflegepersonal der Beklagten kein Vorwurf von Behandlungsfehlern zu machen ist. Im einzelnen hat er hierzu aufgeführt, bei dem Patienten Herrn S. habe es sich um einen älteren Patienten mit "wellenförmiger Veränderung der Bewusstseinslage" gehandelt. Solche Menschen reagierten in unterschiedlichen Situationen unterschiedlich, und man suche in Kliniken von der Art der Klinik der Klägerin - auch entsprechend seiner eigenen klinischen Erfahrung als Leiter einer Klinik mit 170 Betten, in der er ebenfalls regelmäßig Patienten vom Zustand des Herrn S. versorge - die Patienten solange wir möglich in der normalen Station zu halten und entschließe sich nur in Extremfällen zu einer Verlegung solcher Patienten in eine geschlossene Abteilung. Hierbei müsse sich der behandelnde Arzt wie auch das Pflegepersonal auf den klinischen Eindruck verlassen. Zwar sei nicht zu verkennen, dass Herr S. sich in den Tagen nach seiner stationären Aufnahme durchaus auffällig verhalten habe, dies jedoch in Einklang mit seinem akuten Krankheitsbild, wobei er immer trotz seiner zum Teil auffälligen Verhaltensweisen in den klinischen Alltag habe integriert werden können. Die Verlegung in eine geschlossene Abteilung und auch der Versuch der körperlichen Fixierung solcher Patienten sei nur in Extremsituationen veranlasst, weil diese Maßnahmen im Prinzip geeignet seien, die Alterationen solcher Patienten noch zu verstärken; im übrigen seien Maßnahmen mit freiheitsberaubendem Charakter, wie Fixierung im Bett und dergleichen, ohnehin gerichtlich zustimmungspflichtig. Da Herr S. kein Extremverhalten an den Tag gelegt habe, dies weder vor noch nach der Gabe von Atosil, habe man vor dem Hintergrund des jeweiligen akuten klinischen Eindrucks, so wie er sich aus der Dokumentation darstelle, bis auf weiteres darauf vertrauen dürfen, ihn trotz seiner Auffälligkeiten in den Klinikalltag integrieren zu können, dies um so mehr, als er zuvor in keiner Weise selbstschädigende oder fremdgefährdende Aktionsmechanismen an den Tag gelegt habe. Der Umstand, dass er in den Gängen der Klinik herumgeirrt und zum Teil auch in anderen Abteilungen angetroffen worden sei, habe für sich alleine genommen noch keine Veranlassung gegeben, Herrn S. zu sistieren. Auch die Gabe von Atosil sei in Dosis und Anwendung nicht zu beanstanden. Nach dieser Gabe von Atosil in der gewählten Dosierung habe man an sich davon ausgehen können, dass innerhalb einer halben Stunde ein Wirkungseintritt erfolge, Angstzustände oder Unruhezustände bei Patienten ließen in solchen Fällen nach diesem Zeitraum zumeist nach. Insgesamt sei demzufolge sowohl die grundsätzliche Aufnahme des Patienten in einer Normalstation nicht zu beanstanden, und bis zur Gabe von Atosil seien auch keine nennenswerten Auffälligkeiten eingetreten, die den Behandlern Veranlassung hätten geben müssen, besondere Maßnahmen zum Schutze des Patienten zu treffen. Auch nach der Gabe von Atosil habe sich die Behandlung des Herrn S. im standardgemäßen Rahmen bewegt. So sei es nicht zu beanstanden, dass das Pflegepersonal die Türe zu seinem Zimmer offen gelassen habe; ebenso gut hätte man den Patienten auf den Flur legen können. Dem Umstand, dass Herr S. auf einmal doch wieder im Türrahmen gestanden habe, habe man durch verbale beruhigende Einflussnahme entsprechen können; die Situation sei jedenfalls nicht so ungewöhnlich gewesen, als dass man von der normalen Klinikroutine hätte abweichen müssen. Insbesondere wäre es nach der gegebenen Situation nicht angemessen gewesen, den Patienten im Bett oder anderweitig zu fixieren. Auch vor dem Hintergrund der vorausgegangenen Geschehnisse (Einkoten, Herumirren, Beschmutzen der Personalgarderobe) könne er vorliegend kein Verhalten des Patienten feststellen, das von der Norm des klinischen Alltags in vergleichbaren Fällen so stark abgewichen sei, dass man weiterführende Maßnahmen hätte treffen müssen wie z. B. eine Erhöhung der Medikation oder ein Herbeirufen des diensthabenden Arztes oder gar die Verlegung in eine geschlossene Abteilung, wobei letzteres ohnehin eine kaum vertretbare zusätzliche Belastung für den Patienten darstelle. Auch vorher sei Herr S. bereits herumgeirrt, habe jedoch immer wieder in seine Abteilung und in sein Zimmer zurückgebracht werden können, so dass sich seine Verhaltensmechanismen nach der Gabe von Atosil nicht von denen im vorausgegangenen Zeitraum in einer derart nennenswerten Weise unterschieden hätten, dass man weitere Vorsorgemaßnahmen hätten treffen müssen. Bei Herrn S. sei vielmehr dem Personal bekannt gewesen, dies aufgrund seiner Krankheitsgeschichte und seines vorausgegangenen Verhaltens, dass dieser einem erhöhten Risiko für vorübergehende oder länger dauernde Verwirrtheitszustände ausgesetzt war; dies sei aber Teil der klinischen Routine und des klinischen Alltages. Man werde im Rahmen dieses klinischen Alltages erst und nur dann "hellhörig", wenn sich am Zustand des Patienten etwas ändere. Bis dahin versuche man, solange wie möglich den Patienten auf der Normalstation zu halten; nur wenn der Patient sich oder aber andere gefährde oder für eine dahingehende Gefahr Anhaltspunkte bestünden nach dem klinischen Eindruck, müsse man weiterführende Maßnahmen treffen. Eine solche Ausnahmesituation habe im Falle des Herrn S. nicht vorgelegen, dies weder vor noch nach der Gabe des Beruhigungsmittels Atosil; in diesem Zusammenhang hat der Sachverständige ausdrücklich und mit weiterer überzeugender Begründung darauf hingewiesen, dass im Falle des Patienten S. der letztendlich fatale und den Patienten schädigende Verlauf für die behandelnden Ärzte und das Pflegepersonal nicht vorhersehbar gewesen sei und damit auch nicht durch weitere Maßnahmen habe vermieden werden können bzw. müssen. Im Hinblick auf seitens der Klägerinnen gerügte Lücken der Dokumentation hat der Sachverständige in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hingewiesen, dass im Rahmen der Dokumentation die Fieberkurve zwar fehle, die Dokumentation im übrigen jedoch keine groben Lücken aufweise, die geeignet wären, die Dokumentation wertlos erscheinen zu lassen. Insbesondere lasse die ansonsten sorgfältige Dokumentation nicht den Schluss zu, dass bei Herrn S. etwas "schief gegangen sei". Er finde auch keine Hinweise auf grobe Brüche oder eine grobfahrlässige Falschführung der Dokumentation.
Auch die von den Klägerinnen für erforderlich erachtete Gabe von Neuroleptika zur Senkung des hohen Blutdrucks bei Herrn S. hat der Sachverständige in dessen Fall nicht zwingend für erforderlich gehalten; er hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, man hätte den hohen Blutdruck zwar durch Neuroleptika senken können; ein dahingehendes Erfordernis müsse aber nach dem gesamten klinischen Eindruck beurteilt werden und habe nach der Dokumentation vorliegend gerade nicht bestanden. Im übrigen seien gerade bei älteren Patienten Neuroleptika durchaus riskant und geeignet, diese älteren Patienten zu gefährden, z. B. durch die erhöhte Gefahr, unter der Wirkung solcher Neuroleptika gangunsicher zu werden und evtl. mit fatalen Folgen zu stürzen.
Vor dem Hintergrund dieser gesamten, insbesondere anlässlich seiner mündlichen Anhörung sehr eingehend dargelegten und begründeten Ausführungen des Sachverständigen erscheint dessen bereits in den schriftlichen Gutachten getroffene Feststellung, den Ärzten und dem Pflegepersonal seien keine Behandlungsfehler anzulasten, ohne weiteres nachvollziehbar und überzeugend, dies um so mehr, als der Sachverständige sich, dies auch entsprechend seinen eigenen ausdrücklichen Hinweisen in seinem schriftlichen Gutachten vom 23.11.2001, mit dieser Feststellung in Einklang mit den Ausführungen des erstinstanzlichen Sachverständigen Prof. Dr. S. befindet. Der Senat schließt sich diesen Feststellungen in vollem Umfang an mit der Folge, dass den Beklagten keine zu einer Haftung führenden Behandlungsfehler vorzuwerfen sind.
Die Berufung der Klägerinnen war deshalb mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziffer 10, 713 ZPO.
Berufungsstreitwert und Wert der Beschwer der Klägerinnen: 15.436,64 EUR (=30.191,44 DM).
Es besteht kein Anlass, die Revision zu zulassen (§ 543 II ZPO).
Ende der Entscheidung
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